PPH 2014; 20(03): 168-169
DOI: 10.1055/s-0034-1376280
DFPP-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen für die Mitglieder der Deutschen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege

Ruth C. Ahrens
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Publication Date:
21 May 2014 (online)

Recovery und kein Ende?

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Ruth C. Ahrens, Präsidentin der Deutschen Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege

Wie in jedem Fachgebiet wird auch in der Psychiatrischen Pflege alle paar Jahre eine „neue“ Theorie „durchs Dorf gejagt“. Diese Entwicklungen sind begrüßenswert, denn sie ermutigen Pflegende dazu, ihr Denken und Handeln zu reflektieren.

Nach „Empowerment“ ist nun der neue Schwerpunkt seit wenigen Jahren „Recovery“.

Empowerment verstanden als Selbstermächtigung, also der Übernahme von Verantwortung, setzt voraus, dass man an beiden Enden psychiatrischer Behandlung bereit ist, sich gegenseitig Kompetenzen zuzugestehen. Am pflegerischen Ende bedeutet dies konkret: Einem Patienten zuzutrauen, dass er tatsächlich in der Lage ist, Entscheidungen, welche die Lebensqualität beeinflussen, selbst zu treffen.

Recovery hat mehrere Übersetzungsmöglichkeiten und bedeutet Wiedergewinnung (z. B. von Lebensfreude), Genesung (von Erkrankung), Erholung (von Symptomen und Behandlungen), aber auch Rettung (vielleicht vor sinnentleertem Dahinvegetieren) sowie Recycling (aus ursprünglich belastenden Erfahrungen Kraft für ein erfülltes Leben zu finden). Recovery ist keine Aufgabe von Pflegenden, es kann nur von Betroffenen selbst angegangen und ausgeübt werden, meint Renninger [1]. Pflegende, argumentiert er (ebd.), können jedoch geeignete Rahmenbedingungen schaffen.

Die Zeit, in der man psychisch Kranken nichts zugetraut und sie überwiegend defizitorientiert wahrgenommen hat, ist zum Glück vorbei. Ganz konkret wird Empowerment als Kernstrategie des Recovery eingesetzt. Nur wer auch tatsächlich teilhaben kann an Entscheidungen, kann sich wirklich um sich sorgen und kümmern.

Doch vielen Pflegenden fällt es noch schwer, Strategien von Empowerment so in ihre Arbeit zu integrieren, dass Patienten ihr Recovery beginnen können. Z. B. haben Pflegende oft ein Problem, wenn Patienten sich entscheiden, keine Medikamente mehr einzunehmen oder in einer deutlich geringeren Dosierung. Da Pflegende oft keine Strategien kennen, wie Patienten außer mit Medikamenten Symptome managen oder Rückfällen vorbeugen können, haben sie Sorge, Patienten eine solche Entscheidung zuzugestehen und sie darin sogar noch zu unterstützen. Es ist wichtig, dass Pflegende hier selbst lernen, mit welchen Strategien sie Patienten unterstützen können.

Kuokannen und Leino-Kilpi [2] gehen davon aus, dass es „empowerter” Pflegender bedarf, um das Empowerment von Klienten zu begleiten. Die Frage, inwieweit Pflegende in ihren Arbeitsumfeldern Handlungsfreiheit haben, das Empowerment der Klienten voran zu treiben, kann hier nicht beantwortet werden, ist jedoch ein wertvoller Hinweis für eine Selbstreflexion.

An anderer Stelle untersuchten und beschreiben Kuokannen und Leino-Kilpi [3] die Eigenschaften „empowerter“ Pflegender: Sie haben moralische Prinzipien, erkennbar an ihrem Respekt für Menschen, an Ehrlichkeit und an ihrem Streben nach Gerechtigkeit. Sie zeigen persönliche Integrität, erkennbar an ihren eigenen geistigen Ressourcen, sind mutig, entschlossen und können auch unter Druck überlegt handeln. Ihre Expertise zeigt sich an ihrer Kompetenz, in ihrer persönlichen Macht (Macht ist als positive Kraft definiert), sie handeln autonom und zeigen sich für Pflegeergebnisse persönlich verantwortlich. Sie sind zukunftsorientiert und zeigen dies durch Innovationen; sie sind kreativ, begeistern sich für Weiterentwicklungen und denken vorausschauend. Ferner haben sie ein gutes Sozialverhalten, sie sind offen für Andere und neue Ideen, respektieren Andere und verhalten sich sozial verantwortlich.

DFPP: Aktuelle mitteilungen

Die Arbeitsgruppe „Psychiatrische Pflegebildung“ hat ihre Arbeit aufgenommen. Im Hinblick auf eine generalistische Pflegeausbildung will die DFPP Forderungen bezüglich psychiatrischer Inhalte einbringen. Weiter wird es generell um Bildungskonzepte der Pflege gehen, inklusive den Themen Fachweiterbildung, Studium und „skill-and-grade-mix“.

Ansprechperson ist Ruth Ahrens; E-Mail: ag-bildung@dfpp.de.

Assoziierte Verbände

Dachverband Adherence e. V.

Der Dachverband (DV) Adherence verfolgt das Ziel, das komplexe Themenfeld rund um das Thema zu erforschen und den vorhandenen Wissensstand zu verbreiten.

So soll die Behandlung der Bevölkerung im Hinblick auf eine partizipative Behandlungsentscheidung verbessert werden. Hierzu werden Professionelle in Kursen zu Adherence-Therapeuten geschult und überregionale Symposien zur Netzwerkbildung durchgeführt.

Bisher konnten über den Verband 250 Adherence-Therapeuten ausgebildet werden. Um den gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse zu diskutieren, lädt der Verband alle Interessierten zum 3. Adherence-Tag nach Bielefeld ein. Die Tagung ist international besetzt und wird am 16. September 2014 stattfinden. Am Tag zuvor wird ein Treffen für Adherence-Therapeuten angeboten.

Zudem hat der DV Adherence in diesem Jahr wieder einen mit 1500 Euro dotierten Preis ausgeschrieben. Für den Preis zur Förderung des Wissens im Hinblick auf Adherence und partizipative Entscheidungsfindung bei langfristigen Therapieregimen können bis zum 15. Juli Bewerbungsarbeiten eingereicht werden.

Weitere Informationen im Internet unter: www.dv-adherence.de.

Michael Schulz

Stellungnahmen zur DFPP

Warum braucht es die DFPP?

Aus meiner Sicht braucht es die DFPP aus zwei Gründen: Erstens zur Weiterentwicklung der Psychiatrischen Pflege selbst und zweitens aufgrund der Wichtigkeit des Beitrags, den Pflegende in der Gestaltung von Versorgungsprozessen leisten können. Beide Gründe möchte ich im Folgenden noch etwas ausführen.

Weiterentwicklung

Wir als Pflegende sind m. E. schon im eigenen Interesse im Sinne der Weiterentwicklung unseres Berufs aufgefordert, eine Vision von Psychiatrischer Pflege aufzuzeigen. Wir müssen deutlich machen können, welchen Beitrag Pflegende zur Gestaltung psychiatrischer Versorgungsprozesse besonders vor dem Hintergrund der anstehenden gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Herausforderungen, wie z. B. dem demografischen Wandel oder der Zunahme von chronischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft, leisten können.

Ein Blick über den Tellerrand kann hier hilfreich sein. So kommt psychiatrisch Pflegenden in anderen Ländern bereits jetzt schon eine zentrale Aufgabe bei gemeindeorientierten Versorgungsmodellen zu. In diesem Sinne arbeiten z. B. in den Niederlanden psychiatrisch Pflegende als Experten für die psychiatrische Versorgung in Hausarztpraxen mit und stellen den reibungslosen Übergang und Zugang zu psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten sicher. Die DFPP kann den Prozess der Entwicklung von Visionen unterstützen, Interessen bündeln oder als Forum für den Austausch untereinander dienen. Ein erster Schritt in diese Richtung stellt die mit Hilfe der DFPP erstellte Übersetzung der Deklaration von Turku dar.

Pflegerischer Beitrag

Im Bereich der psychiatrischen Versorgung ist die Pflege nach wie vor die größte Berufsgruppe. Im Bereich der stationären Versorgung ist die Pflege sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag anwesend. Keine andere an der Versorgung beteiligte Profession verfügt über eine größere Nähe zum Klienten/Patienten.

Im Hinblick auf fachliche Fragestellungen existiert mit der DFPP nunmehr ein Vertretungsorgan und Sprachrohr für die Psychiatrische Pflege.

In einem Gespräch in Berlin anlässlich der Tagung der European Violence in Psychiatric Research Group (EViPRG) bezeichnete der irische Pflegewissenschaftler Denis Ryan die Pflege als „Glue“ (dt.: Klebstoff), der die verschiedenen Bausteine der Therapie, die Elemente in der Versorgung und die Beteiligten zusammenhält. Dieses Bild hat mir gut gefallen.

Ich bin der Überzeugung, dass wir als psychiatrisch Pflegende im Rahmen eines interprofessionellen Diskurses zu fachlichen Fragen inhaltlich Position beziehen müssen.

In den verschiedenen Stufen des Behandlungsprozesses, sei es ambulant, teilstationär oder stationär, übernehmen Pflegende ein hohes Maß an Verantwortung: Im stationären Setting z. B. bei der intensiven Betreuung von Menschen in akuten Krisensituationen aufgrund von Suizidalität.

Stellungnahmen der DFPP, wie z. B. bei der Anhörung zum Thema Zwangsmaßnahmen der zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer oder auch die aktive Beteiligung an Prozessen, wie der Erstellung von Leitlinien und wissenschaftlichen Empfehlungen, verdeutlichen den wichtigen und aus meiner Sicht notwendigen Beitrag, den Pflegende bei der Gestaltung von Versorgungsprozessen leisten können. Dieser Beitrag wird auch von den anderen Prozessbeteiligten sehr geschätzt, wie verschiedene Rückmeldungen zu der o. g. Stellungnahme gezeigt haben.

Aus meiner Sicht stellt die DFPP die Plattform dar, von der aus sich diese unverzichtbare aktive Beteiligung organisieren lässt bzw. die die Pflege als Dienstleistung im psychiatrischen Versorgungsprozess sichtbar werden lässt.

Aus diesen Gründen bin ich Mitglied der DFPP.

André Nienaber, M.Sc., Gesundheits- und Pflegewissenschaftler LWL-Klinikum Gütersloh, Leitung der Stabsstelle für Klinikentwicklung und Forschung

 
  • Literatur

  • 1 Renninger T. Pflegerische Bedingungen für eine Rückfallprävention alkoholabhängiger Menschen. Unveröffentlichte Abschlussarbeit, Fachweiterbildung Psychiatrie. Wiesloch: Akademie im Park; 2013. 21.
  • 2 Kuokannen L, Leino-Kilpi H. Power and empowerment in nursing: three theoretical approaches Journal of Advanced Nursing. 2000; 31 (1) 235-241
  • 3 Kuokannen L, Leino-Kilpi H. The qualities of an empowered nurse and the factors involved Journal of Nursing Management. 2011; 9: 273-280