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DOI: 10.1055/s-0034-1376347
Die Mandel auf der Guillotine
Subject Editor:
Publication History
Publication Date:
16 May 2014 (online)
- Gefährdeter Wächter
- Indikation: je nach Frequenz
- OP: von Pol zu Pol
- Gefürchtet: unkontrollierte Nachblutung
- OP-Alternative: Weniger ist mehr?
Beim Stichwort Tonsillektomie werden bei vielen Kindheitserinnerungen wach. Manche denken dabei an endlose Halsschmerzen, andere an Eisschlecken. Wie wird diese OP heutzutage durchgeführt – und wann ist sie indiziert?
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Drahtschlingen, spitze Fingernägel, Miniatur-Köpfmaschinen, Hakenmesser – mit solchen Begriffen assoziiert man spontan eher mittelalterliche Foltermethoden als ein operatives Verfahren. Dabei sind das allesamt „Instrumente“, die früher in der Tonsillenchirurgie zum Einsatz kamen. Ärzte führen schon seit ungefähr 3.000 Jahren operative Eingriffe an den Gaumenmandeln durch. Ziel war meistens, mittels Mandelteilentfernung (Tonsillotomie) einen akuten Infektionsherd zu beseitigen oder einen Abszess zu entlasten. Dabei zeigten die Operateure großen Einfallsreichtum. Besonders bemerkenswert: die nach der französischen Revolution entwickelte „Tonsillen-Guillotine“, die rein optisch einem Zigarrencutter glich und mit der progressive Ärzte im 19. Jahrhundert Problem-Mandeln kurzerhand „köpften“. An der Wende zum 20. Jahrhundert ging man dann dazu über, die Mandeln komplett zu entfernen (Tonsillektomie). Dieser Eingriff gilt bis heute als Therapiestandard bei der chronischrezidivierenden Tonsillitis. Möglich wurde er durch modernere Instrumente sowie Fortschritte auf dem Gebiet der Anästhesie, einschließlich der orotrachealen Intubation. Seit 20 Jahren erlebt aber auch die Tonsillotomie eine Renaissance. Indikation für diesen Eingriff ist nun die obere, durch eine Tonsillenhyperplasie hervorgerufene Atemwegsobstruktion.
Gefährdeter Wächter
Die Gaumenmandeln (Tonsillae palatinae) bilden mit der Tonsilla lingualis, der Tonsilla pharyngea sowie den Tonsillae tubariae den Waldeyer-Rachenring. Die Position dieses sekundärlymphatischen Organs am Übergang zwischen Mundhöhle und Oropharynx hat die Natur strategisch geschickt gewählt: Hier ist die ideale Stelle, um Immunantworten gegen Antigene auszulösen, die den Körper über Mund oder Nase „betreten“. Die größte immunologische Aktivität zeigen die Gaumenmandeln zwischen dem 3. und 10. Lebensjahr. Ihre Oberfläche ist von Krypten übersät, die einerseits die Kontaktfläche vergrößern, wodurch sie ihren immunologischen Auftrag besser erfüllen können. Andererseits sammeln sich dort häufig abgeschilferte Epithelzellen, Bakterien, Lymphozyten oder Speisereste.
Als „Kämpfer an vorderster Front“ werden die Gaumenmandeln natürlich auch selbst immer wieder Opfer infektiöser Attacken. Allzu oft sollten sie sich aber nicht entzünden. Zwar spielen die früher gefürchteten Streptokokken-Folgeerkrankungen, wie das Rheumatische Fieber, heute nur noch eine untergeordnete Rolle. Aber der kontrollierte Prozess des Transports und der Präsentation von Antigenen wird durch die chronisch rezidivierenden Tonsillitiden in ihrer Effektivität eingeschränkt. Zudem leidet die Lebensqualität der Patienten unter den ständigen Halsschmerzen. Sie müssen ständig Antibiotika schlucken und fehlen oft in der Schule oder im Job. Begleitsymptome sind Foetor ex ore, verminderte Leistungsfähigkeit und persistierende Lymphadenitis.
> Für die Indikation zur OP muss man strenge Kriterien anlegen – sonst ergibt sich kein Benefit! <
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Indikation: je nach Frequenz
Ein Weg, das Problem in den Griff zu bekommen, ist die operative Entfernung der Mandeln. Vor allem in den ersten zwei Jahren kann damit die Zahl der Halsentzündungen auf durchschnittlich eine Episode pro Jahr reduziert werden. Weitere Indikationen zur Mandelentfernung können Peritonsillarabszesse, die obstruktive Schlafapnoe sowie komplizierte Verläufe einer infektiösen Mononukleose sein. Auch Verdacht auf eine bösartige Neubildung kann ein Grund sein. Die Mehrzahl der Tonsillektomien (ca. 70%) werden aber nach wie vor aufgrund wiederkehrender Mandelentzündungen durchgeführt – obgleich die Indikationsstellung heute deutlich strengeren Kriterien unterliegt als früher. Viele Kliniken orientieren sich an den Paradise-Kriterien aus dem Jahre 1984 (Tabelle). Diese sehen eine Indikation für eine Tonsillektomie erst ab einer gewissen Anzahl an Tonsillitiden über einen bestimmten Zeitraum. Sinnvollerweise – denn erst dann kann man einen Benefit erwarten. Bei weicheren Kriterien zeigt sich keine deutliche Verbesserung.
Trotzdem gibt es Gründe, von diesen Kriterien abzuweichen. Sollte ein Kind z. B. an rasch aufeinanderfolgenden Tonsillitiden leiden und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die sieben erforderlichen Tonsillitiden erreicht sind, kann die Indikation gegebenenfalls vorzeitig gestellt werden. Gleiches gilt für Patienten mit multiplen Antibiotikaallergien und eingeschränkten therapeutischen Möglichkeiten. Dabei sollte aber beachtet werden, dass Kinder im Gegensatz zu Erwachsenen eher zu selbstlimitierenden Verläufen neigen.
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OP: von Pol zu Pol
Präoperativ muss in der Anamnese abgefragt werden, ob zuvor eine erhöhte Blutungsneigung aufgefallen ist. Darüber hinaus werden Gerinnungsparameter (Prothrombinzeit, PTT), kleines Blutbild und meist die Blutgruppe bestimmt. In der Operationsaufklärung sollte ausdrücklich auf das Nachblutungsrisiko nach der OP hingewiesen werden. Die OP wird in der Regel in Intubationsnarkose durchgeführt, ist bei Erwachsenen theoretisch aber auch in Lokalanästhesie möglich. Nach oberflächlicher Anästhesie der Zunge und des Rachens (z. B. mit Lidocain-Pumpspray) folgt die Infiltrationsanästhesie der Schleimhaut der Gaumenbögen und des Peritonsillargewebes mit ca. 20 ml Lidocain 1% plus Epinephrin 1:200.000. Bekommt der Patient eine Allgemeinanästhesie, erfolgt die orotracheale Intubation in der Regel mit einem Woodbridge-Tubus. „Schläft“ der Patient, nimmt der Operateur am Kopfende Platz und lagert den OP-Kandidaten. Der Kopf wird leicht rekliniert. Dann kann der McIvor-Mundsperrer eingeführt und aufgespannt werden, sodass die Gaumenmandeln beidseits vollständig einsehbar sind (Abb. 1, S. 48). Meist wendet sich der Operateur nun zunächst der rechten Tonsille zu, luxiert diese nach medial unter Zuhilfenahme einer Pinzette oder der Tonsillen-Fasszange (Abb. 2) und eröffnet die Schleimhaut im Bereich des vorderen Gaumenbogens (Abb. 3). Dann stellt er zunächst den oberen Tonsillenpol dar (Abb. 4) und disseziert anschließend mit dem Raspatorium die Tonsille extrakapsulär nach kaudal, bis nur noch ein Stiel im Bereich des unteren Tonsillenpoles übrig ist (Abb. 5). Dieser Stiel wird mit dem Tonsillenschnürer nach Brünings durchtrennt und die Tonsille entfernt (Abb. 6). Es folgt eine primäre Blutstillung, z. B. mittels bipolarer Koagulation. Oft werden zudem trockene oder mit Privin getränkte Tupfer eingelegt (Abb. 7 und 8). Dann ist die Gegenseite dran. Abschließend wird nochmals eine subtile Blutstillung betrieben (Abb. 9).
Wichtig bei der OP-Aufklärung: Weist darauf hin, dass die Wunde nachbluten kann!
> Nach der OP gibt es Speiseeis. Ob der Outcome dadurch optimiert wird, ist unklar. Es lindert aber auf jeden Fall den Schmerz – und hebt die Stimmung. <
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Gefürchtet: unkontrollierte Nachblutung
Im postoperativen Verlauf wird regelmäßig das Wundbett kontrolliert, damit keine Nachblutung oder Infektion übersehen wird. Eine suffiziente Schmerztherapie (z. B. Diclofenac 50 mg dreimal täglich) ist zudem sehr wichtig. Tätigkeiten, die den Kreislauf anregen, sollten für bis zu drei Wochen vermieden werden. Dazu zählen heiße oder kalte Duschen, Vollbäder, Haarwäsche, körperliche Aktivitäten oder schweres Heben. Sinnvoll ist die Ernährung mit weicher Kost – z. B. Weißbrot ohne Rinde oder Kartoffelpüree. Das reduziert das Nachblutungsrisiko. Für Kinder ganz angenehm ist, dass sie nach der OP nach Belieben Speiseeis verzehren dürfen. Ob der Outcome damit optimiert werden kann, ist unklar. Aber es lindert den Schmerz – und hebt die Stimmung.
Die Nachblutung ist neben intraoperativen Blutungen, Geschmacksstörungen oder Verletzungen von Zähnen und Schleimhäuten die häufigste und gefürchtetste Komplikation nach Tonsillektomie. Die Österreichische Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde hat, als Konsequenz auf fünf Fälle, bei denen Kinder nach einer Tonsillektomie verblutet waren, eine umfassende Untersuchung zu postoperativen Komplikationen durchgeführt. Hierbei konnte eine Nachblutungsrate von 16 % beobachtet werden, wovon knapp 5 % chirurgisch versorgt werden mussten. Jedem Patienten wird deshalb empfohlen – unabhängig vom Schweregrad –, sofort den Rettungsdienst zu rufen, wenn er nach der Entlassung zu Hause feststellt, dass es nachblutet. Von diesem soll er sich umgehend in die nächste Klinik, im Idealfall mit HNOAbteilung, fahren lassen. Grund: Auch eine leichte Nachblutung kann im Verlauf zunehmen oder Vorbote einer schweren Blutung sein. In der Klinik wird der Patient dann zur Überwachung stationär aufgenommen. Falls notwendig erfolgt eine Blutstillung z. B. mittels Mundspülungen mit Eiswasser und vasokonstringierenden Medikamenten (z. B. Naphazolin 1/1000) oder per Injektionen von Lokalanästhetika versetzt mit Vasokonstriktoren, gegebenenfalls verbunden mit bipolarer Koagulation. Bei schwereren Blutungen ist eine Blutstillung in Intubationsnarkose erforderlich. In Extremfällen kann sogar die Unterbindung der A. facialis erforderlich werden. Manchmal muss man die interventionellen Radiologen mit einschalten, um eine Blutungsquelle per Thrombosierung auszuschalten.
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OP-Alternative: Weniger ist mehr?
Eine Alternative zur klassischen extrakapsulären Tonsillektomie ist die intrakapsuläre Tonsillektomie, bei der ein schmaler Saum Tonsillengewebe übrig bleibt. Die Indikation besteht selten – durchgeführt wird sie z. B. bei starkem Foetor ex ore und störendem Detritus in den Tonsillenkrypten. Zunehmend an Bedeutung gewinnt (wieder) die Mandelteilentfernung (Tonsillotomie). Ihr Vorteil ist, dass es deutlich seltener nachblutet und die Schmerzen postoperativ geringer sind. Zudem kann der verbliebene Teil der Gaumenmandel weiterhin immunologische Aufgaben übernehmen. Aktuell ist die Tonsillotomie nur im Falle einer Tonsillenhyperplasie indiziert. Man vermutet aber, dass sie bei den chronisch rezidivierenden Tonsillitiden ähnlich erfolgreich sein könnte wie die komplette Tonsillektomie. Bestätigt sich diese Hypothese in Studien, dürfte sich in den nächsten Jahren in der Tonsillenchirurgie einiges ändern.
www.
Eine genaue Beschreibung der zur Tonsillektomie verwendeten OP-Instrumente findest du in einer Bildergalerie unter:
bit.ly/tonsillektomie-instrumentarium
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Autor
Dr. med. univ. Benedikt Hofauer ist seit drei Jahren Assistenzarzt in der Hals-Nasen-Ohrenklinik des Klinikums rechts der Isar (TU München).
Kontakt:
b.hofauer@lrz.tum.de