XX Die Zeitschrift für Frauen in der Medizin 2014; 3(2): 68
DOI: 10.1055/s-0034-1382772
Post für XX
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Post für XX – Leserbrief

Solveigh Hilliard
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Publication Date:
03 June 2014 (online)

Liebe Redaktion, liebe Herausgeberinnen,

heute Morgen habe ich die aktuelle Ausgabe der XX studiert und dabei gemerkt: Die dargestellten Ärztinnen sind alle so erfolgreich, so zufrieden und toll: „Die Neurologin ist Oberärztin … vierfache Mutter und auf einer 100%-Stelle tätig“.

Ich selbst bin 54 Jahre, Doppelfachärztin, leitende Oberärztin und finde mich trotzdem in der Zeitschrift nicht wieder. Ich bin unzufrieden mit der zunehmenden „Ökonomisierung“ und schaffe es nicht, umzusetzen, was Frau Prof. Woopen und Herr Enke sagen: „…das moralische Urteil darf ökonomische Aspekte nicht ausklammern – sie dürfen jedoch primär nicht handlungsleitend sein“. Längst entscheide nicht mehr ich, was handlungsleitend ist – Zielformulierungen werden von Vorständen und Managern erstellt.

Im ersten Jahr nach meinen Studium war ich arbeitslos und habe etliche Bewerbungen geschrieben. Dann bekam ich nur befristete Verträge. In meiner ersten Anstellung wurde von mir verlangt, nach sechs Wochen alleine Notarztwagen zu fahren! Meine Arbeitszeiten und die der Kolleginnen und Kollegen lagen damals bei 80 bis 110 Stunden pro Woche. Zwei bis drei Dienste pro Woche von je 24 bis 36 Stunden waren normal – und zwar ohne Freizeitausgleich. Ich bin berufsbedingt im Schnitt alle eineinhalb Jahre umgezogen und das fast 15 Jahre lang, bis dann Ende der 90iger Jahre der Ärztemangel begann. Um meine Weiterbildungszeiten zusammen zu bekommen, habe ich teilweise für sehr wenig Geld gearbeitet und nebenbei noch Nachtdienste gemacht, um mich ernähren zu können.

Zwar sind die Arbeitsbedingungen heute, insbesondere was die Arbeitszeiten angeht, wesentlich besser als früher. Gleichzeitig aber finde ich, dass der Druck der Verwaltung und des Managements zugenommen hat: mehr Leistung, mehr Effizienz, mehr Fallzahlen, weniger Arbeitsstunden – egal wie!

Es ist ja schön, positive Stimmen zu hören. Aber mir fehlt es an Gegengewicht und ich wünsche mir auch kritische Stimmen, die nicht schweigen und die die Politik erreichen.

Letztlich vermitteln Sie aus meiner Sicht zu häufig die üblichen Ideale des größer, schneller, stärker, leistungsfähiger. Mir fehlen sogenannte weibliche Stärken wie Empathie, die Fähigkeit zur Fürsorge und Intuition. Ich würde gerne über langfristig sinnvolle Konzepte lesen und Stimmen gegen die zunehmende männlich dominierte Ökonomisierung hören – und weniger über Erfolgs- und Herrschaftsideale. Sarah Blaffer Hrdy, eine emerierte Professorin der University of California, hat zwei sehr lesenswerte Bücher zu diesem Thema veröffentlicht: „Mutter Natur: Die weibliche Seite der Evolution“ und „Mütter und Andere: Wie die Evolution uns zu sozialen Wesen gemacht hat“. Viel Spaß beim Lesen!

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E-Mail: XX@thieme.de

Leserbriefe entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion.

 
  • Weiterführende Literatur:

  • 1 Blaffer Hrdy S. Mutter Natur: Die weibliche Seite der Evolution. Berlin: Berlin Verlag; 2000
  • 2 Blaffer Hrdy S. Mütter und Andere: Wie die Evolution uns zu sozialen Wesen gemacht hat. Berlin: Berlin Verlag; 2010