Der Klinikarzt 2014; 43(06): 328-329
DOI: 10.1055/s-0034-1383487
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akutes Koronarsyndrom (ACS) mit Intervention – Fortschritte und Herausforderungen in der Versorgung von ACS-PCI-Patienten

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18 June 2014 (online)

 
 

Time ist muscle – dieses Motto gilt weiterhin für das Management des Akuten Koronarsyndroms (ACS). Das optimale Zusammenspiel aller Versorgungsstrukturen außerhalb und in der Klinik mit möglichst kurzem Zeitintervall zwischen dem ersten medizinischen Kontakt und der Reperfusionstherapie ist ein entscheidender Faktor für die Prognose des Patienten. Bei ACS-Patienten mit perkutaner Koronarintervention (PCI; Abb. [ 1 ]) ist nach Reperfusion eine duale Thrombozyten-Aggregationshemmung (TAH) für den langfristigen Therapieerfolg essenziell. Die TRITON-TIMI 38 Studie hat gezeigt, dass der Plättchenhemmer Prasugrel gegenüber dem Plättchenhemmer Clopidogrel Vorteile aufweist [ 1 ] [ 1 ], [ 2 ].

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Abb. 1 Die Einleitung der Reperfusionstherapie im Herzkatheterlabor bei ACS sollte möglichst ohne Zeitverlust erfolgen. ( ©Axel Viola)

Antithrombotische Begleittherapie sichert Langzeiterfolg

Mit über 200 000 Ereignissen und 85 000 Todesfällen pro Jahr in Deutschland bleibt das ACS eine der häufigsten akut lebensbedrohlichen Erkrankungen [ 2 ]. Da die Mehrzahl der infarktbedingten Todesfälle bereits vor Eintreffen in der Klinik passiert, sind rasche Alarmierung des Notarztes, unverzüglicher Transport in die nächstgelegene Klinik mit Herzkatheterlabor und Einleitung der Reperfusionstherapie ohne Zeitverlust prognostisch von höchster Bedeutung. Dominierende Reperfusionstherapie bei ACS-Patienten mit ST-Streckenhebungsinfarkt (STEMI) ist heute mit 88 % die PCI [ 3 ]. Herzchirurgische Maßnahmen sind inzwischen laut Prof. Albrecht Elsässer, Oldenburg, die Ausnahme.

Bei ACS-Patienten mit PCI ist eine antithrombotische Begleittherapie unverzichtbar und leitlinienkonformer Standard. „Die duale Plättchenhemmung bei ACS-PCI mit Azetylsalizylsäure (ASS) und einem modernen Thrombozyten-Funktionshemmer wie Prasugrel ist entscheidend für den anhaltenden Erfolg der Katheterintervention“, betonte Elsässer [ 1 ] [ 1 ].

Die Überlegenheit von Prasugrel gegenüber dem früheren Standard Clopidogrel wurde in der Phase-III-Studie TRITON-TIMI 38 untersucht [ 1 ] [ 1 ]. Mehr als 13 600 Patienten des gesamten ACS-Spektrums, d. h. mit STEMI, Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) und instabiler Angina pectoris (UA) wurden randomisiert einer dualen TAH mit Clopidogrel/ASS oder Prasugrel/ASS zugeteilt. Bei 99 % der Teilnehmer erfolgte eine PCI, ca. 95 % wurden gestentet, nur 1 % erhielt initial eine Bypass-Operation [ 1 ]. „Damit spiegelt die Studie die deutsche Versorgungsrealität wider“, kommentierte Elsässer.


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TRITON-TIMI 38: Schwere Ereignisse um ein Fünftel reduziert

Der primäre kombinierte Endpunkt, der kardiovaskuläre Todesfälle, nicht-tödliche Reinfarkte und nicht-tödliche Schlaganfälle umfasste, trat in der Prasugrel-Gruppe signifikant seltener auf als unter Clopidogrel (9,9 % vs. 12,1 %), was einer relativen Risikoreduktion von 19 % entspricht (p < 0,001) [ 1 ] [ 1 ]. Allerdings waren schwere, nicht bypassbedingte Blutungen im Prasugrel-Arm mit 2,4 % signifikant häufiger als mit Clopidogrel (1,8 %; p = 0,03). Als besonders effektiv erwies sich Prasugrel bei der Verhinderung von Stentthrombosen: So wurde laut einer präspezifizierten Subgruppenanalyse das Risiko für BMS- (bare metal stent) Thrombosen im Vergleich zu Clopidogrel fast halbiert (HR 0,52; p = 0,0009), das für DES- (drug eluting stent) Thrombosen um knapp zwei Drittel gesenkt (HR 0,36; p < 0,0001) [ 4 ] [ 3 ].


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Fazit: Prasugrel moderne Therapieoption bei ACS-PCI

„Die Daten von TRITON-TIMI 38 haben uns vorangebracht, da man ACS-PCI-Patienten damit heute effektiver behandeln kann[ 1 ] “, kommentierte Elsässer.


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Interview mit Prof. Elsässer, Oldenburg: Wie sollte die Versorgung von ACS-Patienten erfolgen?

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Prof. Albrecht Elsässer, Oldenburg

? Sollten ACS-Patienten bereits im Notarztwagen einen Thrombozyten-Aggregationshemmer erhalten?

Prof. Albrecht Elsässer: Die aktuelle Studienlage zeigt eindeutig, dass ein solches Vorgehen bei NSTEMI-Patienten keinen Vorteil bringt. Ein Plättchenhemmer sollte erst gegeben werden, wenn der Koronarstatus eindeutig geklärt ist. Die ACCOAST-Studie macht klar, dass durch eine Vorbehandlung mit Prasugrel bei NSTEMI-Patienten keine zusätzlichen Ereignisse verhindert werden, aber ein erhöhtes Blutungsrisiko zu befürchten ist [ 6 ]. Auch bei Patienten, bei denen der Notarzt einen STEMI diagnostizierte, ist die Vorbehandlung im Notarztwagen nicht erforderlich. Moderne Plättchenhemmer wie Prasugrel haben einen so schnellen Wirkeintritt, dass es ausreicht, die Patienten im Katheterlabor direkt vor der Intervention zu loaden. Werden diese potenten Substanzen zu früh verabreicht, kann das Blutungsrisiko erhöht sein, falls der Patient notfallmäßig operiert werden muss.

? Welchen Stellenwert hat die rasche Akutversorgung in Klinik und Katheterlabor?

Elsässer: Der STEMI-Patient hat die höchste Dringlichkeit; hier gilt das Motto „time is muscle“: Je schneller wir intervenieren, umso weniger Herzmuskelgewebe stirbt ab und umso besser bleibt die Herzfunktion erhalten. STEMI-Patienten sollten daher unverzüglich in eine Klinik mit Katheterlabor transportiert und dort direkt auf den Kathetertisch gebracht werden. NSTEMI-Patienten, die symptomatisch oder instabil sind oder Rhythmusstörungen haben, müssen wie STEMI-Patienten sofort versorgt werden. Beschwerdefreie Patienten sollten zunächst einer differenzierten Labordiagnostik und Echokardiografie zur Abklärung eventueller Wandbewegungsstörungen zugeführt werden, um dann den Zeitpunkt für die weitere Untersuchung zu definieren.

? Welche Bedeutung hat die antithrombotische Begleittherapie nach Ihrer Erfahrung bei ACS-PCI-Patienten?

Elsässer: Die antithrombotische Pharmakotherapie spielt eine zentrale Rolle. Durch die Intervention im Katheterlabor erreichen wir eine Reperfusion des verschlossenen Gefäßes und stellen die myokardiale Sauerstoffversorgung wieder her. Doch ist die Gerinnung zum Zeitpunkt des Infarkts massiv aktiviert, sodass eine effektive Thrombozyten-Funktionshemmung unverzichtbar ist. Die TRITON-TIMI 38 Studie hat gezeigt, dass Prasugrel bei der Verhinderung akuter Stentthrombosen gegenüber Clopidogrel überlegen ist [ 4 ] [ 1 ].

? Welche Vorteile sehen Sie in einer Plättchenhemmung mit Prasugrel anstelle des Clopidogrels?

Elsässer: Prasugrel zeichnet sich gegenüber Clopidogrel durch eine raschere, stärkere und konstantere Wirkung aus [ 7 ]. Das äußerte sich in der Studie TRITON-TIMI 38 durch eine signifikante Reduktion des kombinierten primären Endpunkts, d.h. weniger kardiovaskuläre Todesfälle, nicht-tödliche Reinfarkte und Schlaganfälle, im Vergleich zu Clopidogrel [ 1 ] [ 1 ]. Zudem gibt es bei Prasugrel – anders als bei Clopidogrel, das u. a. bei Patienten mit einem Funktionsverlust von CYP2C19 nicht oder unzureichend wirkt („Non-Responder“) [ 8 ] – ein viel besseres Ansprechen. Auch Interaktionen mit Medikamenten, die über dieses CYP-Enzym verstoffwechselt werden, sind nicht zu erwarten [ 9 ].

? Wie sieht die leitliniengerechte Akutversorgung von ACS-Patienten insgesamt aus – von den ersten Symptomen bis hin zur Reperfusion?

Elsässer: Gefährdete Patienten und ihre Angehörigen sollten darüber informiert sein, bei über 20 Minuten anhaltenden, ausstrahlenden thorakalen Schmerzen unverzüglich den Rettungsdienst zu alarmieren. Erst dann können die in Herzinfarkt-Netzwerken etablierten Versorgungsstrukturen ineinandergreifen, sodass der Patient optimal versorgt wird. Nach Diagnosestellung im Rettungswagen sollte der Patient in einer Klinik mit Katheterlabor und 24-Stunden-Bereitschaft angemeldet und nach Ankunft in der Klinik bei Nachweis eines STEMI sofort im Katheterlabor versorgt werden. Andernfalls, wie bereits erwähnt, erfolgt die Differenzialdiagnose von NSTEMI oder instabiler Angina pectoris. Interventionell wird heute in der Akutsituation zunächst nur das Gefäß mit der „culprit lesion“ geöffnet. Eventuelle weitere Stenosen werden erst im Intervall versorgt.

! Herr Professor Elsässer, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. Katharina Arnheim, Freiburg.


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Rasche Reperfusion prognostisch entscheidend

Bei ACS-Patienten mit STEMI empfehlen die aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) eine primäre PCI (pPCI) zur Reperfusion, bevorzugt in Kombination mit einer Stentimplantation [ 5 ]. Allerdings, so die ESC, sollte die pPCI von einem erfahrenen Team innerhalb von 120 Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt (FMC = first medical contact) durchgeführt werden. Das Zeitintervall zwischen Auftreten der Symptome und pPCI sollte möglichst kurz sein, um den Untergang von Herzmuskelgewebe gering zu halten und die Prognose betroffener Patienten nicht weiter zu verschlechtern.

Die ESC fordert daher, dass zwischen FMC und 12-Kanal-EKG zur Diagnosestellung maximal 10 Minuten vergehen dürfen. Die Zeit zwischen FMC und pPCI (contact-to-balloon) muss möglichst auf maximal 90 Minuten, die zwischen Ankunft des Patienten im pPCI-Zentrum bis zur pPCI (door-to-balloon) auf maximal 60 Minuten begrenzt sein [ 5 ]. Elsässer forderte Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung, um das „Infarkt-Bewusstsein“ zu verbessern, sodass bei den typischen thorakalen Beschwerden rasch der Notarzt alarmiert wird.

Die medizinische Versorgung prähospital und innerhalb des Interventionszentrums ist in Deutschland mittlerweile gut organisiert. Das zeigen Daten des Deutschen Herzinfarktregisters [ 3 ]: Etwa drei Viertel aller ACS-Patienten mit STEMI werden direkt in eine Klinik mit Herzkatheterlabor aufgenommen. Dennoch bestehe in ländlichen Gebieten teilweise noch Optimierungsbedarf, so Elsässer.

Dr. Katharina Arnheim, Freiburg

Quelle: Klinikworkshop Kardiologie akut „Herzinfarkt – Leben am seidenen Faden!“, am 5. März 2014 in Oldenburg. Veranstalter: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München, und Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg.
Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Daiichi Sankyo Deutschland GmbH und Lilly Deutschland GmbH.
Die Autorin ist freie Journalistin.


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1 Prasugrel + ASS wies im Gesamtkollektiv der TRITON-TIMI 38 Studie ein signifikant erhöhtes Risiko für schwere Blutungen (Non-CABG und CABG) im Vergleich zu Clopidogrel + ASS auf.


2 Nach Fachinformation sollen Patienten keine TIA/Schlaganfall in der Anamnese, kein erhöhtes Blutungsrisiko und keine sonstigen Kontraindikationen aufweisen. Bei Patienten mit einem Körpergewicht < 60 kg sollte die tägliche Erhaltungsdosis von 10 mg auf 5 mg reduziert werden. Für Patienten ≥ 75 Jahre wird eine Efient®-Behandlung im Allgemeinen nicht empfohlen. Wenn nach einer sorgfältigen individuellen Nutzen-Risiko-Abschätzung durch den verschreibenden Arzt die Behandlung eines Patienten dieser Altersgruppe für notwendig erachtet wird, sollte nach einer 60-mg-Aufsättigungsdosis eine reduzierte Erhaltungsdosis von 5 mg gegeben werden. Zu Kontraindikationen und zu Warnhinweisen, insbesondere zum Blutungsrisiko, siehe Efient®-Fachinformation, Stand Januar 2014.


3 Subgruppenanalyse: Prasugrel + ASS wies im Gesamtkollektiv der TRITON-TIMI 38 Studie ein signifikant erhöhtes Risiko für schwere Blutungen (Non-CABG und CABG) im Vergleich zu Clopidogrel + ASS auf.




 
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Abb. 1 Die Einleitung der Reperfusionstherapie im Herzkatheterlabor bei ACS sollte möglichst ohne Zeitverlust erfolgen. ( ©Axel Viola)
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Prof. Albrecht Elsässer, Oldenburg