JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2014; 03(04): 150-151
DOI: 10.1055/s-0034-1386724
Kolumne
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Respekt!

Heidi Günther
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Publication Date:
06 August 2014 (online)

Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr.

(Volksmund)

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(Foto: Paavo Blåfield)

Heute muss ich sehr aufpassen, dass ich nicht in alte Sprüche und Maßregelungen meiner Mutter oder Großmutter verfalle, bei denen ich schon als Kind oder junge Frau hinter deren Rücken mit den Augen gerollt habe.

Mein Thema ist vielleicht nicht jedermanns Sache, so mancher wird wohl auch mit den Augen rollen wollen und ich selbst hätte vor 20 oder 30 Jahren nie glaubt, dass ich das mal sagen werde und mich in epischer Breite darüber auslassen kann. Es geht um Umgangsformen, Respekt, Höflichkeit und professionelle Distanz.

Bevor jetzt jemand in der Zeitschrift genervt weiterblättert, vorab folgendes: Mir muss niemand in die Jacke helfen oder die Tür aufhalten. Mit vollem Mund spricht man nicht und redet nicht ungefragt dazwischen usw. – das alles weiß ich und halte mich zu oft selbst nicht daran. Außerdem hielt es schon im 18. Jahrhundert ein deutscher Schriftsteller für nötig, über den Umgang mit den Menschen zu schreiben: Adolph Freiherr Knigge (1752–1796). Damals war das wohl nötig, denn es wurde sein bedeutendstes Werk. Noch heute steht der Name „Knigge“ für Regeln im alltäglichen Umgang miteinander. In jedem Jahr erscheinen im Handel überarbeitete, dem Zeitgeist angepasste Knigge-Ratgeber, damit der interessierte Leser ohne Peinlichkeiten und immer auf dem neusten Stand in Sachen gutes Benehmen durchs Leben kommt.

Ich will hier auch nicht über schwierige Etikette und Dresscodes bei Businessveranstaltungen reden, sondern über den profanen Alltag in unserem Krankenhaus.

Mit vielen Mitmenschen muss mit dem Überschreiten unserer Krankenhausschwelle etwas ganz Besonderes, Geheimnisvolles geschehen. Vielleicht eine Gehirnwäsche, eine kleine Amnesie oder eine Blockade des Sprachzentrums, die nachgewiesenermaßen in akuten Stresssituationen auftreten kann. Jedenfalls hängt nirgendwo an oder in unserer Klinik ein Schild mit der Warnung, Sätze mit „bitte“ oder „danke“ oder andere Höflichkeitsfloskeln tunlichst zu vermeiden. Das habe ich persönlich recherchiert.

Ein Mann kommt mit einem Zettel in der Hand auf unsere Station und sagt nichts weiter als: „Sekretariat Wirbelsäule!?“ Denkt er, ich bin das Sekretariat der Wirbelsäulenabteilung oder ist er es gar selbst? Was ist aus dem guten alten Satzaufbau geworden, in dem durchaus auch ein Subjekt und ein Verb vorkommen können und den die Kinder schon in der Grundschule lernen?

Ein Patient auf Station klingelt, und als ich in das Zimmer komme, höre ich nur: „Schüssel!“ Tja, was meint er? Ich warte noch ein bisschen – aber nichts passiert. Ich könnte jetzt ein kleines Ratespiel beginnen. Möchten Sie eine Waschschüssel oder eine Suppenschüssel? Aber ich will mein Glück nicht allzu sehr herausfordern, beeile mich und hole ihm die vermeintlich geforderte Schüssel. Denn wenn ich nicht schnell genug bin, habe ich auch noch das Nachsehen.

Sehr schön ist auch folgende wahre Begebenheit: Ein Patient, jünger als ich und nicht zum ersten Mal auf unserer Station, saß, als zwei Ärzte und ich zur Visite in sein Zimmer kamen, auf seinem Bett und war gerade dabei, eine Nachricht auf seinem Handy zu schreiben. Als er uns bemerkte, hat er kurz aufgesehen und dann fröhlich weiter geschrieben. Wir drei standen eine kurze Weile etwas unschlüssig herum und entschlossen uns dann unverrichteter Dinge das Zimmer wieder zu verlassen. Wenige Minuten später klingelte der junge Mann und forderte eine ärztliche Visite an. Das geht doch wohl gar nicht!

Im Laufe der Zeit haben wir auf unserer Station schon einige Schutzmechanismen geradezu perfektioniert, um diese Art des Umgangs mit uns zu tolerieren. In fast schon überbordender Freundlichkeit regieren wir auf Unfreundlichkeit – dabei immer die leise Hoffnung, dass dem Gegenüber ein kleines Licht aufgeht.

Wir erleben auf unserer Station auch sehr oft, dass meine Kollegen oder ich von den Patienten geduzt werden. Ich werde nicht müde, den Patienten dann anzubieten, dass ich für sie sehr gern Frau Günther oder Schwester Heidi bin und meine Kollegin nicht ihr Fräulein oder das Mädel ist. Kaum jemand ist dann irgendwie peinlich berührt. Meist bin ich der „Spielverderber“ und habe das bayerische Naturell nicht verstanden.

Ich weiß, dass wenn ein Gast in seiner Stammkneipe sein leeres Bierglas nur hochhebt, die Kellnerin sofort mit einem frischen Bier angelaufen kommt. Das ist auch nicht besonders freundlich, aber es ist eben die Stammkneipe mit ihrer eigenen Atmosphäre. Wir aber arbeiten in einem Krankenhaus. Wir helfen, dass es den Menschen, die zu uns kommen, bald wieder besser geht. Es entsteht dabei oft zwischen uns und dem Patienten eine Nähe, die von uns respektvoll behandelt werden soll und muss.

Aber auch den Patienten würde ein wenig Respekt uns gegenüber gut zu Gesicht stehen. Denn es ist auch für einen Patienten oder dessen Angehörige und Besucher ein Leichtes, ein wenig höflich und freundlich zu sein.

Ähnlich besonders ist es oft auch, wenn Krankenpflegeschülerinnen, Praktikanten, Hospitanten oder Studenten auf unserer Station zum Einsatz kommen. Sehr selten stellen sich die jungen Leute vor. Gut, ich kann ja selbst lesen und auf ihren Schildern steht ja oft in großen Lettern, wer mein Gegenüber ist. Aber an dem obligatorischen Kaugummi und dem permanenten Handy in der Kitteltasche kann ich mich schon ereifern.

Es kann ja durchaus auch einmal der Fall sein, dass man verschläft oder die öffentlichen Verkehrsmittel haben ihren Dienst versagt und – jetzt mal ein kleiner Tipp von mir – da hilft schon mal ein kleiner Halbsatz der Entschuldigung für das späte Kommen. Oder ein Anruf wäre schön gewesen. Aber das Handy war wahrscheinlich noch in der Kitteltasche.

Zum Schluss aber noch eine tröstliche Feststellung von mir. In dem neusten Buch von Roger Willemsen „Das hohe Haus: Ein Jahr im Parlament“ kann sehr schön nachgelesen werden, dass man es auch mit schlechtem Benehmen und fragwürdigen Umgangsformen sehr weit bringen kann.