Psychiatr Prax 2014; 41(08): 413-414
DOI: 10.1055/s-0034-1387362
Debatte: Pro & Kontra
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verlängerung der psychiatrischen Weiterbildung – Kontra

Prolongation of Psychiatric Training – Contra
Wolfgang Schreiber
Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Bezirksklinikum Mainkofen
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Wolfgang Schreiber, M.A.
Ärztlicher Direktor, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
Bezirksklinikum Mainkofen
94469 Deggendorf

Publication History

Publication Date:
07 November 2014 (online)

 

Kontra

Auf dem 116. Deutschen Ärztetag 2013 in Hannover wurde folgender Antrag der Kollegen Dr. Reuther, Dr. Gehle und Dr. Schulze (Drucksache IV – 12) beschlossen: „Die Facharztweiterbildungszeit im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie soll weiterhin, wie in den meisten anderen Fachgebieten, 5 Jahre betragen“ [1].

Derselbe Ärztetag bezeichnet die „Umsetzung einer qualifizierten Weiterbildung in einer angemessenen Weiterbildungszeit“ als „erstes Essential einer funktionierenden (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO)“ [2].

Dennoch besteht der Vorstand unserer Fachgesellschaft, also der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) bis zum heutigen Tag auf seiner Entscheidung, bei der Bundesärztekammer die Verlängerung der Facharztweiterbildung um ein Jahr auf zukünftig 6 Jahre zu beantragen.


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Das Hauptargument der DGPPN: „Die Psychiatrie und Psychotherapie hat sich fortlaufend differenziert und erweitert (unter anderem modulare Psychotherapie, Neuropsychologie, Schnittstelle psychische/somatische Störungen, Weiterentwicklung medikamentöser und biologischer Verfahren). Damit wird es zunehmend unrealistisch, das gewachsene Weiterbildungsvolumen in 5 Jahren unterzubringen“ [3].

Aufseiten der Versorgungskrankenhäuser und -abteilungen stößt diese Auffassung auf nahezu geschlossene Ablehnung [4]. Ausschlaggebend für diese Haltung sind insbesondere die nachfolgenden Gründe:

  1. Zweifelsohne hat auch unser Fachgebiet in den letzten Jahren eine nicht unbeträchtliche, inhaltliche und thematische Erweiterung und Differenzierung erfahren. Gerade deshalb gilt es jetzt, die bisherige Gestaltung der Weiterbildung grundsätzlich zu überdenken, statt immer gleich ein „Mehr und Länger“ zu verlangen. Eine denkbare Möglichkeit wäre z. B. eine 5-jährige Weiterbildung mit einem grundsätzlich generalistischen Ansatz. Im Anschluss daran könnte dann unter teilweiser Anrechnung der Grundausbildungszeiten eine Schwerpunktzulassung z. B. in Gerontopsychiatrie oder Suchtmedizin erworben werden. Solche Modelle sind keineswegs neu, sondern werden in anderen medizinischen Disziplinen wie der Pädiatrie oder der Gynäkologie bereits praktiziert.

  2. Die geplante, thematische Erweiterung und Vertiefung der Facharztausbildung überfordert gerade kleinere Kliniken bzw. Abteilungen hinsichtlich ihrer Ausbildungskapazitäten. Das Gegenargument der Gründung und Intensivierung von Weiterbildungsverbünden greift hier zu kurz, da dies nur im städtischen Raum organisatorisch sinnvoll umzusetzen ist, während sich ein wesentlicher Teil der Ausbildung in ländlichen Gebieten zukünftig auf der Autobahn abspielen dürfte.

  3. Der aktuelle Vorschlag der DGPPN hinsichtlich einer neuen Weiterbildungsordnung bedeutet in der Praxis eine das gesamte Fachgebiet betreffende, erhebliche Erweiterung des bisherigen Anforderungskataloges für die jeweiligen Weiterbildungskandidaten. Für den Psychotherapieteil sind z. B. im aktuellen Entwurf statt wie bisher 240 nun 1500 zu erbringende Stunden vorgesehen, verteilt auf 400 Stunden in Richtlinienverfahren und 80 Stunden in Gruppentherapie, 10 Stunden in Notfallsituationen und 210 Stunden in freier Wahl sowie 800 Stunden in sogenannter „Modularer Psychotherapie“, einer noch zu klärenden Begrifflichkeit. Einmal unabhängig vom weit verbreiteten Ärztemangel gerade in ländlichen Kliniken und Abteilungen: Wer soll am Ende diese massiv erweiterte Ausbildung finanzieren und wieviel reale Arbeitszeit kann hierauf tatsächlich verwendet werden?

  4. Der jetzt diskutierte Vorschlag einer Erweiterung der Facharztweiterbildungszeit auf insgesamt 6 Jahre ist in letzter Konsequenz familienfeindlich. Viele unserer auszubildenden Ärztinnen und Ärzte arbeiten heute in Teilzeit, insbesondere aufgrund der Erziehung von Kindern oder der Pflege von Angehörigen. Für diese Kolleginnen und Kollegen bedeutet die Verlängerung der Facharztweiterbildungszeit, dass sie erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt ihres Berufslebens dazu in der Lage sind, ihren Facharzttitel zu erwerben, was zudem eine Verknappung der ambulanten und stationären, fachärztlichen Versorgung zur Folge haben dürfte.

Zusammengefasst wird eine Verlängerung der Facharztweiterbildungszeit somit zur Folge haben, dass

  • unser Fach eine deutliche, inhaltliche Überfrachtung erfährt,

  • gleichzeitig der finanzielle und organisatorische Aufwand hierfür exponentiell ansteigt,

  • Kliniken und Abteilungen in strukturschwachen Gegenden noch stärker ins Abseits geraten, gerade was die Akquise ärztlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbelangt,

  • sich der Erwerb des Facharzttitels immer schwieriger gestalten wird und

  • Ärztinnen und Ärzte in Teilzeitbeschäftigung in ihren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten einseitig benachteiligt werden.

Gefordert ist stattdessen eine neue Weiterbildungsordnung, die sich eine grundsätzliche Organisationsreform zum Ziel nimmt, die klinische Praxis als wesentliches Ausbildungsprinzip in den Vordergrund stellt und schließlich den Akzent von einem übervollen Facharztweiterbildungsprogramm weg und hin zu einer Intensivierung der Ausbildung nach dem Erwerb der Facharztqualifikation legt. Nicht eine erneute Erweiterung, sondern eine Entschlackung unserer Weiterbildungsordnung ist das Gebot der Stunde.

Der diesjährige 117. Ärztetag in Düsseldorf hat auf Antrag der Kollegen Dr. Römer, Dr. Wesiack, Dr. Fach und Dr. Feyerabend (Drucksache V – 03) beschlossen, „… die Landesärztekammern (aufzufordern), für die konsequente Umsetzung der Weiterbildung in den Krankenhäusern stärker als bisher Sorge zu tragen“ [5].

Als Begründung hierfür wird angeführt, dass sich bei Umfragen herausgestellt habe, „dass die Weiterbildungsberechtigten aufgrund der Arbeitsbelastung in den Kliniken für die Weiterbildung nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. … Gleichzeitig gelingt es in der Mindestweiterbildungszeit den Ärztinnen und Ärzten nicht mehr, die vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte zu erlernen. … Die in Weiterbildung befindlichen Ärztinnen und Ärzte sind somit gefordert, sich auch in ihrer Freizeit Weiterbildungsinhalte anzueignen. Die vermehrte Belastung des ärztlichen Personals bei der Krankenversorgung spiegelt sich nicht in den ärztlichen Stellenplänen wider; dies geht auch zulasten einer geordneten Weiterbildung“.

Diesem Beschluss, der – wohlgemerkt – noch für die aktuelle Weiterbildungsordnung gilt, ist im Hinblick auf die jetzt in Rede stehende Weiterbildungsordnung nichts hinzuzufügen.


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Wolfgang Schreiber

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Ärztlicher Direktor, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik
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