Pneumologie 2015; 69(02): 79-85
DOI: 10.1055/s-0034-1391037
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kommunikationsmodell zur frühen Integration der Palliativmedizin in der thorakalen Onkologie

Models of Communication to Integrate Early Palliative Care in Thoracic Oncology
G. Tessmer
Evangelische Lungenklinik Berlin
,
A. Tessmer
Evangelische Lungenklinik Berlin
,
S. Kurz
Evangelische Lungenklinik Berlin
,
K. Blankenburg
Evangelische Lungenklinik Berlin
,
C. Grohé
Evangelische Lungenklinik Berlin
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Günter Tessmer
Evangelische Lungenklinik Berlin
Lindenberger Weg 27
13125 Berlin

Publication History

eingereicht 16 June 2014

akzeptiert nach Revision 27 October 2014

Publication Date:
10 February 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Der Bedarf an der Integration palliativmedizinischer Behandlung in die Versorgung von Patienten mit thorakalen Tumoren nimmt stetig zu. Standardisierte Kommunikationsmodelle, die die Integration palliativmedizinischer Behandlung in die Tumortherapie steuern, liegen in nicht genügender Form vor. Das Modell der vorausschauenden Kommunikation bietet mit dem Distress Thermometer und den Schlüsselgesprächen Instrumente an, die es möglich machen, belastende Symptome rechtzeitig zu erfassen und der palliativmedizinischen Behandlung zuzuführen. Die strukturierte Symptomerfassung soll helfen, die Behandlungsziele leichter zu erreichen, indem die Lebensqualität der Patienten auch während der Behandlung bestmöglich bewahrt wird. Eine praxisorientierte prospektive Etablierung und Evaluation steuernder Kommunikationsmodelle zur Integration der Palliativmedizin in den thoraxonkologischen Zentren mit der Zielrichtung einer flächendeckenden Konzeptentwicklung wäre wünschenswert.


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Abstract

The recent development in optimising palliative care standards in thoracic oncology is associated with an increased demand in specialized communication skills. Standardised and integrated assessments of the palliative care need of the patient is met by limited health care resources. The model of communication described in this article emphasizes the need to structure palliative distress assessment of the patient. Communication pathways are shown as a platform to evaluate and support patient and caregivers. Standards to establish algorithms of communication in palliative care will improve the very important interaction between patient and caregivers.


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Einleitung

Die Zahl der Patienten, die palliativmedizinischer Behandlung bedürfen, nimmt zu. Gleichzeitig steigen ihre Informationsbedürfnisse und die ihrer Angehörigen.

Studien, die zeigen, dass die Verbindung von palliativer Tumorbehandlung und palliativmedizinischer Behandlung einen Nutzen für die Patienten hinsichtlich Lebensqualität und auch Lebenslänge bringen kann, erhöhen die Anforderungen an die Arzt-Patient-Kommunikation. Viele Patienten haben allenfalls geringe Kenntnisse hinsichtlich palliativmedizinischer Behandlung.

Die Rotation der Ärzte in der klinischen Weiterbildung oder der Wechsel zwischen stationärer und ambulanter Behandlung beschert den Patienten immer wieder neue Kommunikationspartner mit variierenden Kommunikationsfähigkeiten und Kommunikationsgewohnheiten.

Die Verabschiedung des Patientenrechtegesetzes im Februar 2013 hat das Recht der Patienten auf eine verständliche und hinreichende Information über ihre Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeiten einer hohen medialen Aufmerksamkeit zugeführt. Die Arzt-Patient-Kommunikation steht seither auf dem praktischen Prüfstand. Die professionelle Durchführung und Dokumentation sind obligat.


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Rückschau: Das Konzept der Vorausschauenden Kommunikation

Im Jahr 2011 wurde das „Konzept der Vorausschauenden Kommunikation“ erstmalig vorgestellt [1].

Neben dem Interdisziplinären Aufklärungsgespräch werden an den Wendepunkten der Behandlung drei weitere Schlüsselgespräche installiert, das Perspektivgespräch bei Krankheitsverschlechterung, das Konsensgespräch in der dissensualen Behandlungssituation und das Konsensgespräch in der terminalen Krankheitssituation.

Der behandelnde Arzt und der Psychoonkologe sind feste Teilnehmer der Schlüsselgespräche. Die Schlüsselgespräche werden gemeinsam mit den Patienten vorausschauend terminiert, Angehörige werden systematisch zur Teilnahme eingeladen.

Die Schlüsselgespräche sind in drei Gesprächsschritte gegliedert, die unabhängig von der Person des Durchführenden in jedem Falle vollzogen werden:

  1. Nachvollzug der zentralen Behandlungsschritte seit dem letzten Schlüsselgespräch

  2. Aktuelle Positionsbestimmung der Behandlung

  3. Erarbeitung einer konsensualen Behandlungsperspektive.

Die Schlüsselgespräche sind inzwischen zu einem integralen Bestandteil der Kommunikation zwischen Arzt, Patient und Angehörigen geworden.

Es wurde in der täglichen Arbeitspraxis deutlich, dass in Ergänzung zu der vorausschauenden Kommunikation eine frühe strukturierte Erfassung und Behandlung der individuellen Belastungen nötig ist, um die Lebensqualität der Patienten und Angehörigen bestmöglich zu bewahren. Das Kommunikationskonzept wurde so weiterentwickelt, dass in das standardisierte Kommunikationsmodell eine standardisierte Symptomerfassung eingegliedert werden kann.


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Weiterentwicklung des Konzepts der Vorausschauenden Kommunikation

Es werden Screening-Instrumente vorgestellt, die die individuellen Belastungen der Patienten früh erfassen und die Möglichkeit eröffnen, sie früh zu behandeln.

Die Hochbelastungspunkte in der palliativen Behandlung von Lungentumorpatienten werden benannt unter Bezugnahme auf eine medizinische Literaturrecherche von Ramsenthaler.

Die Schlüsselgespräche werden an die Hochbelastungspunkte platziert.

Die Schlüsselgespräche werden in einen Theoriebezug zu Antonovskys Arbeitsansatz der Salutogenese gesetzt [2] [3], der die praktische Durchführung und die Beratungsinhalte präzisiert.

Die Schlüsselgespräche werden in einen Praxisbezug zum „SPIKES-Protokoll“ von Buckman und Bailes [4] gesetzt, das sich als Kommunikationsleitfaden in der Palliativmedizin bewährt hat.

Screening der Belastung und Steuerung der Problembehandlung

Nach der klinischen Aufnahme sollen die Patienten vorrangig mit den Kommunikationspartnern in Kontakt gebracht werden, die gemäß Kompetenzprofil ihre individuellen Belastungen sachverständig reduzieren können.

Praktische Umsetzungsoptionen: Screening Teil 1

Das „Screening-Instrument“ „Distress Thermometer“. Das „Distress Thermometer“ wurde 2005 von einem interdisziplinären Gremium des National Comprehensive Center Network der USA entwickelt und 2006 in deutscher Sprache publiziert [5]. Es handelt sich um einen einseitigen Fragebogen, der über Ja/Nein-Fragen das psychosoziale und physische Belastungsprofil onkologischer Patienten erhebt ([Abb. 1]). Der Fragebogen ist gut verständlich, leicht zu beantworten und schnell auswertbar. Empfehlenswert ist ein auf den ersten Blick erfassbares Belastungsranking durch die Kennzeichnung der drei härtesten Belastungen, die zuvorderst reduziert werden sollen.

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Abb. 1 Deutsche Version des NCCN Distress Thermometer.

Erfragt wird für den Zeitraum der vergangenen Woche inklusive des Erhebungstages das Vorhandensein von lebenspraktischen Belastungen, familiären Belastungen, belastenden Gedanken und Gefühlen, belastenden Glaubensnöten und körperlichen Belastungen.

Abschließend bewertet der Patient auf einer Thermometerskala, die von 0 (gar nicht belastet) bis 10 (extrem belastet) reicht, seinen aktuellen Belastungsgrad. Das Distress Thermometer wird im Aufnahmezentrum vom aufnehmenden Arzt der Patientenakte beigefügt. Bei Aufnahme des Patienten auf Station wird der Fragebogen von dem aufnehmenden Mitarbeiter des Pflegedienstes zusammen mit dem Patienten ausgefüllt. Nach abgeschlossener Aufnahme wird das bearbeitete Formular „Distress Thermometer“ zusammen mit der Patientenakte dem Stationsarzt übergeben. Ab einem Belastungsgrad von fünf initiiert der Stationsarzt eine Entlastungsintervention ([Abb. 2]) [5].

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Abb. 2 Schema zur Erfassung der Belastung und Zuweisung der Patienten zu Angeboten professioneller Unterstützung bei Mehnert et al. [5] (NCCN Guidelines, 2004).

Das Distress Thermometer – Instrument palliativmedizinischer Symptomerfassung. Die Belastungsbegrifflichkeiten, die im „Distress Thermometer“ abgefragt werden, sind inhaltlich identisch aufgelistet im Verlaufsbogen der palliativmedizinischen Komplexbehandlung OPS 898.2 ([Abb. 3]). So ist es folgerichtig, das „Distress Thermometer“ zeitgleich zur palliativmedizinischen Symptomerfassung einzusetzen, die in der palliativen Behandlung von Lungentumorpatienten bei jeder klinischen Aufnahme durchgeführt wird. Diese innovative Verwendung des „Distress Thermometers“ setzt die behandelnden Ärzte in den Stand, die Indikation palliativmedizinischer Behandlungsoptionen von Anbeginn und fortwährend zu prüfen.

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Abb. 3 Verlaufsbogen der palliativmedizinischen Komplexbehandlung.

Auf den Nutzen der frühen Integration von palliativmedizinischen Behandlungsoptionen in die Tumorbehandlung hinsichtlich Lebensqualität und auch Lebenslänge von Lungentumorpatienten haben Temel JS et al. hingewiesen [6] [7].

Mit der frühen Symptomerfassung durch das „Distress Thermometer“ lässt sich die frühe Integration der Palliativmedizin in die palliative Tumortherapie operativ steuern:

Punktuelle palliativmedizinische Interventionshandlungen werden vor der Einleitung einer palliativen Tumortherapie durchgeführt.

Eine die palliative Tumortherapie begleitende, supportive palliativmedizinische Behandlung wird zeitgerecht optimiert.

Sofern die Symptomlast eingangs so hoch ist, dass die palliative Tumortherapie nicht aufgenommen werden kann, wird eine palliativmedizinische Kurzrehabilitation (palliativmedizinische Komplexbehandlung) eingeleitet, um Therapiefähigkeit nach Möglichkeit herzustellen.

Sollten trotz der Optimierung der supportiven palliativmedizinischen Behandlung die Belastungen des Patienten im Verlaufe der palliativen Tumortherapie so gestiegen sein, dass sein Allgemeinzustand es nicht zulässt, mit der Therapie fortzufahren, wird eine palliativmedizinische Kurzrehabilitation eingeleitet, um Therapiefähigkeit nach Möglichkeit wiederherzustellen.

An der Schnittstelle zwischen palliativer Tumorbehandlung und palliativmedizinischer Behandlung wird eine „End of Life Therapy“ in der räumlich abgetrennten palliativmedizinischen Einheit eingeleitet.


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Praktische Umsetzungsoptionen: Screening Teil 2

Wie das „Distress Thermometer“ in seiner Verwendung zur palliativmedizinischen Symptomerfassung, leisten auch die Schlüsselgespräche einen Beitrag zur Steuerung der frühen Integration der Palliativmedizin in die palliative Tumorbehandlung.

Die Schlüsselgespräche als Ort der problemnahen und problemgerechten Indikationsprüfung palliativmedizinischer Behandlung. In jedem Schlüsselgespräch wird obligatorisch die Indikation palliativmedizinischer Behandlung geprüft.

Die Indikationsprüfung findet im „Gesprächsschritt der aktuellen Positionsbestimmung der Behandlung“ statt auf der Grundlage der Auswertung der letzten Symptomerfassung durch das „Distress Thermometer“, der punktuellen palliativmedizinischen Interventionen gemäß Dokumentation in der Patientenakte und des letzten Verlaufsbogens der palliativmedizinischen Komplexbehandlung.


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Die Platzierung der Schlüsselgespräche an den Hochbelastungspunkten der palliativen Behandlung von Lungentumorpatienten

Ramsenthaler hat vier Hochbelastungspunkte in der palliativen Behandlung von Lungentumorpatienten benannt [8]. Laut ihrer Literaturrecherche in den Datenbanken MEDLINE, PsycINFO, CHINAHL und Cochrane Library unter Nutzung von Suchbegriffen für Krise und Lungenkrebs können die folgenden Situationen psychosoziale und physische Belastungen hervorrufen, die Lungentumorpatienten in eine schwerwiegende Krise bringen können:

  1. die Situation „Diagnosestellung“

  2. die Situation „Krankheitsverschlechterung“

  3. die „Schnittstelle zur terminalen Krankheitssituation“

  4. die Situation „Entlassung nach langer klinischer Behandlung“

Die Entlassung nach Hause nach stationärer Behandlung wird entlang der Bearbeitung der im „Distress Thermometer“ ermittelten Belastungen ab der klinischen Aufnahme Schritt für Schritt vorbereitet (begleitendes Entlassungsmanagement).

An den verbleibenden drei Hochbelastungspunkten werden die Schlüsselgespräche platziert.


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Theoriebezug der Schlüsselgespräche

Durch die Schlüsselgespräche sollen die Patienten und ihre Angehörigen unterstützt werden, Belastungssituationen so zu bewältigen, dass ihnen die bestmögliche Lebensqualität erhalten bleibt. Sie sollen sich so oft wie möglich so gesund wie möglich fühlen.

Da liegt es nahe, einen inhaltlich-methodischen Rückgriff auf Aaron Antonovskys medizinsoziologischen Arbeitsansatz der Salutogenese zu unternehmen, der das Bewahren und Wiederherstellen von Gesundheit zum zentralen Handlungsziel macht [2] [3].

Zwei Grundideen dieses Arbeitsansatzes sollen hier vorgestellt werden:

Die Grundidee „Teilgesundheit“

Antonovsky vertritt den Standpunkt, dass kein Mensch als vollkommen gesund oder vollkommen krank eingestuft werden kann. Jeder Gesunde hat Krankheitselemente in sich und jeder Kranke Gesundheitselemente. Demgemäß ist jeder Mensch teilgesund [2].


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Die Grundidee „Kohärenzgefühl“

Das Kohärenzgefühl ist ein Gefühl des Vertrauens, dass ich zur Welt passe und die Welt zu mir passt.

Es ist ein Gefühl des Vertrauens, dass ich den Anforderungen, die die Welt für mich bereithält, gerecht werden kann und dass diese Anforderungen meine Anstrengungen verdienen.

Das Kohärenzgefühl besteht aus 3 Komponenten:

  1. dem Gefühl der „Verstehbarkeit“

  2. dem Gefühl der „Handhabbarkeit“

  3. dem Gefühl der „Bedeutsamkeit des Lebens“


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Das Gefühl der „Verstehbarkeit“

Im Gefühl der Verstehbarkeit kommt die hohe oder niedrige Erwartung eines Menschen zum Ausdruck, dass jede Anforderung, die die Welt bereithält, als geordnete Information verstehbar ist.


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Das Gefühl der „Handhabbarkeit“

Im Gefühl der Handhabbarkeit kommt die hohe oder niedrige Erwartung eines Menschen zum Ausdruck, dass die Probleme, die die Welt bereit hält, lösbar sind, dass er über Kompetenzen verfügt, die Probleme zu lösen, und dass es Menschen gibt, die ihn dabei unterstützen.


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Das Gefühl der „Bedeutsamkeit des Lebens“

Im Gefühl der Bedeutsamkeit des Lebens kommt die hohe oder niedrige Erwartung eines Menschen zum Ausdruck, dass er sein Leben auch in Zukunft als sinnvoll erleben kann, dass er an Dingen teilhaben kann, die ihm und anderen wichtig sind.

Das Gefühl der Bedeutsamkeit des Lebens ist die tragende Komponente des Kohärenzgefühls, die das Motivationsfundament dafür bietet, sich den Anforderungen der Krankheitsbewältigung zu stellen und die damit verbundenen Belastungen zu tragen [3].


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Die Operationalisierung des Theoriebezuges zu Kommunikationshandlungen

Operationalisierung der Grundidee „Teilgesundheit“

Die Grundidee der Teilgesundheit wird den Patienten bei inhaltlich passenden Kommunikationsgelegenheiten erläutert. Sie werden als teilgesunde, selbstbestimmende Akteure angesprochen und ermuntert, sich im Rahmen ihrer aktuellen Leistungsmöglichkeiten gleichberechtigt in die Behandlung einzubringen:

Die Patienten steuern die supportive palliativmedizinische Behandlung mit, indem sie möglichst genau Auskunft geben über die jeweils aktuelle Ausprägung der unerwünschten Wirkungen der Therapie.

Sie steuern die Individualisierung der Behandlungskonzepte mit über die Integration ihrer privaten Lebensbewegungen in den klinischen Behandlungsverlauf.

Sie wenden sich mit ihrem Erfahrungswissen gegen nebenwirkungsreiche Behandlungsvorschläge, kritisieren physisch und psychisch belastende Aspekte des Untersuchungs- oder Behandlungsablaufs und erwirken Lebensqualität bewahrende Modifikationen.


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Operationalisierung der Grundidee „Kohärenzgefühl“

In den Schlüsselgesprächen werden die drei Komponenten des Kohärenzgefühls in allen drei Gesprächsschritten ausgewertet und durch medizinische und psychoonkologische Beratungsinhalte gestärkt.

Die Komponente „Verstehbarkeit“ wird gestärkt durch:

  • Informationsunterstützung

  • sprachliche Vereinfachung und Bebilderung der Kommunikation

  • Reduktion der Informationsmenge auf entscheidungsrelevante Eckdaten

  • Portionierung der Informationsmenge im Informationsprozess

  • Strukturierungsunterstützung

  • Herausarbeiten der Behandlungsplausibilität

  • Einschätzungsunterstützung

  • Abwägungs-, Priorisierungs-, und Entscheidungsfindungsunterstützung

  • nachgehende Verständnis- und Entscheidungsbekräftigung

Die Komponente „Handhabbarkeit“ wird gestärkt durch:

  • Herausarbeiten der Kompetenzen hinsichtlich der Bearbeitung belastender Problemlagen anhand von gelungenen Problembearbeitungen der Lebensvergangenheit

  • Herausarbeiten des sozialen Unterstützungsnetzwerkes

  • Herausarbeiten des klinisch bereit stehenden multiprofessionellen Unterstützungsangebots

  • lebenspraktische Bewältigungsberatung zugeschnitten auf Lungentumorpatienten in palliativen Behandlungen

Die Komponente „Bedeutsamkeit des eigenen Lebens“ wird gestärkt durch:

  • lebenspraktische Beratung in Richtung auf eine gelingende Integration privater Lebensführung in das palliative Behandlungskonzept

  • lebenspraktische Beratung in Richtung auf den Verbleib in inner- und außerfamiliären sozialen Funktionen

  • systematische Einladung zur gleichberechtigten Teilhabe an innerklinischen Entscheidungsprozessen nach den Handlungsprinzipien „partnerschaftliche Entscheidungsfindung“ und „informierte Einwilligung“

Blättner unterstreicht die kräftigende Wirkung einer partnerschaftlichen Interaktion in Richtung auf das Kohärenzgefühl:

„Immer dann, wenn Menschen über lange Zeit an die innere Logik von Institutionen gebunden sind, kann ihr Kohärenzgefühl dadurch gestützt werden, dass ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an Entscheidungsprozessen leicht gemacht wird“ [9].

Die Schlüsselgespräche haben durch den Theoriebezug eine inhaltliche und methodische Struktur bekommen, die Orientierung bietet.

Gespräche, die Leben bilanzierende Aspekte transportieren, rühren Ärzte, Patienten und Angehörige in hohem Maße an. Da ist es für alle hilfreich, sich an einer Leitschnur festhalten zu können [10].

Die Schlüsselgespräche sind kein eigenständiges Kommunikationsmodell. Sie gliedern sich ein in das „SPIKES-Protokoll“ und bieten eine inhaltlich begründete Ausdifferenzierung zweier seiner Protokollpunkte.


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Praxisbezug der Schlüsselgespräche zum „SPIKES-Protokoll“

Das „SPIKES-Protokoll“ unterscheidet sechs Protokollpunkte [4] [11]:

1. Protokollpunkt „Setting“

Der Protokollpunkt „Setting“ verweist auf die Notwendigkeit, das Gespräch mit Patienten und Angehörigen zeitlich und räumlich zu schützen.


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2. Protokollpunkt „Perception“

Der Protokollpunkt „Perception“ beinhaltet zwei Unterpunkte:

Die persönlich zugewandte Kontaktaufnahme zum Patienten und zu den Angehörigen eingangs des Gesprächs.

Die Erhebung des Kenntnisstandes des Patienten und der Angehörigen über Krankheit und Behandlung.


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3. Protokollpunkt „Invitation“

Der Arzt befragt den Patienten nach dem Modus Operandi der Informationsübermittlung, ob er im Detail informiert werden will oder lediglich in Form von entscheidungsrelevanten Eckdaten.


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4. Protokollpunkt „Knowledge“

Der Arzt übermittelt die Information klar und verständlich, anschaulich und in einem Maße portioniert, dass der Patient sie aufnehmen kann.


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5. Protokollpunkt „Exploration of Emotions“

Nach der Informationsübermittlung hält der Arzt inne, sodass die Patienten und Angehörigen ihre spontanen Gefühle wahrnehmen können. Er ermuntert sie, ihre Gefühle zu äußern, und greift sie verständnisvoll auf.


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6. Protokollpunkt „Strategy and Summary“

Nach maximal 45 Minuten beendet der Arzt das Gespräch. Er dokumentiert die Gesprächsergebnisse. Gemeinsam wird ein neuer Gesprächstermin festgelegt, an dem offen gebliebene Gesprächspunkte erörtert werden können.


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Praxisbezug der Schlüsselgespräche zum „SPIKES-Protokoll“

Die Schlüsselgespräche bieten an dem Protokollpunkt „Perception“ (Erhebung des Kenntnisstandes des Patienten und der Angehörigen) konkretisierend den gemeinsamen „Nachvollzug der zentralen Behandlungsschritte“.

Es werden auswertende Fragen gestellt in Richtung auf das Maß der bisherigen „Verstehbarkeit“, der bisherigen „Handhabbarkeit“ und der verbliebenen „Bedeutsamkeit des Lebens“.

Die Schlüsselgespräche bieten an dem Protokollpunkt „Knowledge“ konkretisierend die „aktuelle Positionsbestimmung der Behandlung“ und die „Erarbeitung einer konsensualen Behandlungsperspektive“.

In den Gesprächsschritten wird das Maß der „Verstehbarkeit“, der „Handhabbarkeit“ und der „Bedeutung des Lebens“ bilanziert und mit stärkenden Beratungsinhalten angereichert, die auf die erarbeitete Behandlungsperspektive abgestimmt sind. Siehe [Abb. 4].

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Abb. 4 Praxisbezug der Schlüsselgespräche zum „SPIKES-Protokoll“.

Der Gesprächsleitfaden „SPIKES – Protokoll“ bietet den Schlüsselgesprächen einen gut strukturierten praktischen Durchführungskontext, der im Hintergrund Sicherheit spendet und so Patienten, Angehörige und Ärzte entlastet.


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Innerklinische Fortbildung zur Vorausschauenden Kommunikation

Die Ärzte lernen die Kommunikationskompetenzen, die erforderlich sind, um die Schlüsselgespräche handlungssicher durchzuführen, in turnusmäßigen Fortbildungsveranstaltungen.

Im theoretischen Teil werden vorgestellt das „Spikes-Protokoll“ von Buckman und Baile [4] sowie das „Konzept der Vorausschauenden Kommunikation“ [1], das die Platzierung der Schlüsselgespräche im Behandlungsverlauf sowie deren inhaltlich-methodische Grundausrichtung beinhaltet. Das „SPIKES-Protokoll“ und das „Konzept der Vorausschauenden Kommunikation“ werden zueinander in Bezug gesetzt.

Im praktischen Teil werden schwierige Kommunikationssituationen der unmittelbaren Arbeitsvergangenheit anhand der vorgestellten Kommunikationsausrichtung erneut aufbereitet und mit trainierten Schauspielern nachgestellt. Die Teilnehmer werten die praktischen Übungen zusammen mit den Kommunikationstrainern aus im Hinblick darauf, was ihnen gut und was ihnen nicht gut gelungen ist. Die Kommunikationstrainer geben unter Bezugnahme auf die vorgestellte Kommunikationsausrichtung unterstützende Hinweise auf Kommunikationsalternativen.


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Zusammenfassung

Die spontane Kommunikation zwischen Patienten, Angehörigen und Ärzten ist und bleibt für den klinischen Arbeitsalltag substanziell. Das Konzept der Vorausschauenden Kommunikation soll sie nicht ersetzen, es soll sie ergänzen.

An den Stellen des klinischen Arbeitsalltags, an denen es möglich ist, scheint es angesichts der mit den Patientenzahlen steigenden Zahl an Gesprächen geboten, die Kommunikation zu strukturieren, damit die Patienten, Angehörigen und Ärzte einander gut verstehen sowie zeitgerecht entscheidungsfähig und handlungsfähig bleiben.

Die außerklinischen ärztlichen Fortbildungsangebote im Hinblick auf eine gelingende Kommunikation mit Patienten und Angehörigen bedürfen der innerklinischen Unterstützung durch Kommunikationsstrukturen, die es den fortgebildeten Ärzten erleichtern, ihre erworbenen Kommunikationskompetenzen nutzbringend einzusetzen.

Die Förderung individueller Kommunikationskompetenzen sollte demgemäß eingebettet sein in ein klinisches Kommunikationskonzept, das schriftlich niedergelegt ist und in innerklinischen ärztlichen Fortbildungen praxisbezogen vermittelt wird. So können die Patienten und Angehörigen darauf vertrauen, dass wichtige Gespräche stets in der von ihnen erwarteten inhaltlich-methodischen Qualität durchgeführt werden, unabhängig von den Kommunikationsgewohnheiten eines einzelnen Arztes.

Das Konzept der Vorausschauenden Kommunikation zeigt einen Weg in diese Richtung. Mit dem „Distress Thermometer“ und den Schlüsselgesprächen bietet es darüber hinaus Kommunikationsinstrumente, mit deren Hilfe die frühe Integration der Palliativmedizin in die palliative Tumortherapie praktisch umgesetzt werden kann.

Ausblick

Eine Vielzahl der Patienten mit thorakalen Tumoren bedürfen einer palliativmedizinischen Behandlung. Die hohe Symptomlast seitens der Patienten und die Arbeitszeitverknappung seitens der Ärzte können zu unbeabsichtigten Reibungen führen, die es proaktiv zu vermeiden gilt. Kommunikationsmodelle, die eine frühe strukturierte Symptomerfassung, eine frühe strukturierte Symptombehandlung und eine frühe strukturierte Bewältigungsberatung möglich machen, könnten hilfreich sein bei dem Versuch, dieser Aufgabe gerecht zu werden.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Tessmer G, Zaba O, Grohé C. Konzept einer vorausschauenden Kommunikation in der palliativen Behandlung von Patienten mit pneumologisch-onkologischen Erkrankungen. Pneumologie 2011; 65: 503-509
  • 2 Bengel J, Strittmatter R, Willmann H. Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2001; 6: 28-38
  • 3 Antonovsky A. Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Forum für Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis 1997; 36: 34-36
  • 4 Baile WF, Buckman R, Lenzi R et al. SPIKES A six-step protocol for delivering bad news: application to the patient with cancer. Oncologist 2000; 5: 302-311
  • 5 Mehnert A, Müller D, Lehmann C et al. Die deutsche Version des NCCN Distress Thermometers. Empirische Prüfung eines Screening-Instruments zur Erfassung psychosozialer Belastung bei Krebspatienten. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 2006; 54: 213-223
  • 6 Temel JS, Greer JA, Muzikansky A et al. Early Palliative Care for Patients with Metastatic Non-Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med 2010; 363: 733-742
  • 7 Magnussen H, Heigener DF, Bausewein C et al. Palliativmedizin in der Pneumologie. Pneumologie 2009; 63: 289-295
  • 8 Ramsenthaler C, Bausewein C, Scheve C et al. Typische Krisen und Bedürfnisse von Patienten mit COPD oder Lungenkrebs im letzten Lebensjahr – eine Literaturübersicht. Zeitschrift für Palliativmedizin 2012; 13: 134-141
  • 9 Blättner B. Das Modell der Salutogenese. Zeitschrift für Prävention und Gesundheitsförderung 2007; 2: 67-73
  • 10 Weber M, Böhler E, Kohler E. Kann Kommunikation mit unheilbar kranken Patienten gelehrt werden? Evaluation eines Kursmodells. Med Klin 2003; 98: 477-483
  • 11 Gaspar M, Weber M. Kommunikation in der Palliativmedizin. Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11: 167-179

Korrespondenzadresse

Günter Tessmer
Evangelische Lungenklinik Berlin
Lindenberger Weg 27
13125 Berlin

  • Literatur

  • 1 Tessmer G, Zaba O, Grohé C. Konzept einer vorausschauenden Kommunikation in der palliativen Behandlung von Patienten mit pneumologisch-onkologischen Erkrankungen. Pneumologie 2011; 65: 503-509
  • 2 Bengel J, Strittmatter R, Willmann H. Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2001; 6: 28-38
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  • 5 Mehnert A, Müller D, Lehmann C et al. Die deutsche Version des NCCN Distress Thermometers. Empirische Prüfung eines Screening-Instruments zur Erfassung psychosozialer Belastung bei Krebspatienten. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 2006; 54: 213-223
  • 6 Temel JS, Greer JA, Muzikansky A et al. Early Palliative Care for Patients with Metastatic Non-Small-Cell Lung Cancer. N Engl J Med 2010; 363: 733-742
  • 7 Magnussen H, Heigener DF, Bausewein C et al. Palliativmedizin in der Pneumologie. Pneumologie 2009; 63: 289-295
  • 8 Ramsenthaler C, Bausewein C, Scheve C et al. Typische Krisen und Bedürfnisse von Patienten mit COPD oder Lungenkrebs im letzten Lebensjahr – eine Literaturübersicht. Zeitschrift für Palliativmedizin 2012; 13: 134-141
  • 9 Blättner B. Das Modell der Salutogenese. Zeitschrift für Prävention und Gesundheitsförderung 2007; 2: 67-73
  • 10 Weber M, Böhler E, Kohler E. Kann Kommunikation mit unheilbar kranken Patienten gelehrt werden? Evaluation eines Kursmodells. Med Klin 2003; 98: 477-483
  • 11 Gaspar M, Weber M. Kommunikation in der Palliativmedizin. Zeitschrift für Palliativmedizin 2010; 11: 167-179

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Abb. 1 Deutsche Version des NCCN Distress Thermometer.
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Abb. 2 Schema zur Erfassung der Belastung und Zuweisung der Patienten zu Angeboten professioneller Unterstützung bei Mehnert et al. [5] (NCCN Guidelines, 2004).
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Abb. 3 Verlaufsbogen der palliativmedizinischen Komplexbehandlung.
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Abb. 4 Praxisbezug der Schlüsselgespräche zum „SPIKES-Protokoll“.