Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83(1): 7-8
DOI: 10.1055/s-0034-1398864
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die „Fortschritte Neurologie – Psychiatrie“ in 2014

Fortschritte Neurologie – Psychiatrie in 2014
J. Klosterkötter
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Publication Date:
20 January 2015 (online)

Das Januarheft unserer Zeitschrift beginnt traditionsgemäß mit dem Rückblick des federführenden Herausgebers auf die publikatorischen Erträge des vergangenen Jahres. Auch 2014 ist das Herausgebergremium wieder der ursprünglichen Gründungsprogrammatik treu geblieben, der Leserschaft interessante und ergiebige Einblicke in den Fortgang der Klinischen Neurowissenschaften auf ihren beiden zentralen Gebieten der Neurologie und der Psychiatrie zu bieten. Deren „gesamter Gegenstandsbereich“ sollte es ja sein, den man durch das 1929 gegründete Publikationsorgan der „Fortschritte“ überschaubar machen und in seiner Entwicklung von Jahrgang zu Jahrgang immer weiter verfolgen wollte. Der damit gegebenen integrativen Gestaltungsaufgabe ließ sich natürlich leicht entsprechen, solange die beiden Fachgebiete noch institutionell und organisatorisch in Forschung, Lehre und Krankenversorgung miteinander verbunden waren. Diese Zeit liegt aber inzwischen schon lange zurück und jeder, der beispielsweise die laufende Diskussion um die Weiterbildungsordnungen in den Fachgesellschaften verfolgt, weiß um die Schwierigkeiten, die heutigen Tages die früher selbstverständliche Forderung neurologischen Wissenserwerbs vom Psychiater und psychiatrischen Wissenserwerbs vom Neurologen mit sich bringt. Warum sollten sich angesichts solcher Entflechtungstendenzen Autorinnen und Autoren oder Leserinnen und Leser eigentlich noch für das fächerübergreifende Programm der „Fortschritte“ interessieren? Wäre es nicht von vornherein viel sinnvoller, je nach der fachlichen Interessenslage und Ausrichtung gleich rein neurologische oder rein psychiatrische Zeitschriften für die eigene Publikation oder den Wissenserwerb durch Lektüre auszuwählen? Unser Herausgebergremium hat gleichwohl daran festgehalten, wie sonst in keiner anderen wissenschaftlichen Zeitschrift mehr in jedem Monatsheft immer Publikationen aus beiden Fachgebieten zu präsentieren. Leitender Gesichtspunkt dabei ist und war, dass es in aller selbstverständlichen fachlichen Eigenständigkeit doch auch so etwas wie einen gemeinsamen inhaltlichen Orientierungsrahmen für Neurologie und Psychiatrie gibt. Er besteht in den Strategien, Methoden und Anwendungsformen der Klinischen Neurowissenschaft und dürfte in der Zukunft noch tragfähiger und ergiebiger werden, als er es bisher schon ist.

In manchen zurückliegenden Jahren sind deutlich weniger neurologische als psychiatrische Manuskripte zur Publikation in den „Fortschritten“ eingereicht worden und man konnte in diesem Ungleichgewicht ein Anzeichen für die genannten fachlichen Separierungstendenzen sehen. Inzwischen hat aber das Interesse neurologischer Autorinnen und Autoren an unserer Zeitschrift offenbar wieder zugenommen und diese erfreuliche Entwicklung ist auch im Publikationsergebnis des 82. Jahrgangs zum Ausdruck gekommen. Fast die Hälfte der 2014 veröffentlichten wissenschaftlichen Originalarbeiten waren neurologischen Themen gewidmet und darunter befanden sich so wichtige Beiträge wie die Datenauswertungen zum Schlaganfallgeschehen in Deutschland [1] oder zur Qualitätssicherung in der ambulanten neurologischen Rehabilitation [2]. Noch deutlicher ist die wieder zunehmende Präsenz neurologischer Fragestellungen in der Zeitschrift an der Publikationsform der Kasuistiken zu erkennen, die unsere Leserschaft aufgrund ihrer unmittelbaren klinischen Handlungsrelevanz besonders schätzt. Die meisten der 2014 in den „Fortschritten“ erschienenen Fallberichte beschäftigten sich mit diagnostischen und therapeutischen Problemen bei zerebrovaskulären oder neurodegenerativen Hirnerkrankungen und machten zusammen mit den Leserbriefen zur Behandlungskapazität der Stroke Units und zum Nutzen klinischer Neuropsychologie deutlich, wie aktuell und lebendig auch der neurologische Diskussionsprozess heute wieder in der Zeitschrift geworden ist. In den Editorial- und in Weiterbildungsartikeln waren ja in den letzten Jahren die beiden Fachgebiete ohnehin seit langem und so auch 2014 jeweils gleichgewichtig präsent.

Den psychiatrischen Beiträgen lässt sich gleichfalls bescheinigen, dass sie aktuelle Themen und wichtige Debatten des Jahres 2014 in der Zeitschrift zum Ausdruck gebracht haben. Schon unter den Weiterbildungsarbeiten befinden sich Auseinandersetzungen mit der Neufassung affektiver Störungen im DSM 5 [3], Beschreibungen der in den Substanzkonsum in Europa immer mehr eindringenden „Legal Highs“ [4] und andere derzeit die fachinterne Diskussion bewegende Themen wie die Inklusionsproblematik psychisch Kranker im Arbeitsleben [5]. Gleich viermal wird unter den anderen Publikationsformen der Originalarbeit, Übersicht und Kasuistik auf den bei uns in Deutschland gerade in Gang befindlichen Umgestaltungsprozess der Patientenversorgung eingegangen, der bedauerlicherweise nicht wie die Reformbewegung vor 40 Jahren von der Psychiatrie selber, sondern von der Gesundheitspolitik angestoßen worden ist. Worin bestehen die Herausforderungen, Chancen und Risiken des geplanten neuen Entgeltsystems [6] für Psychiatrie und Psychosomatik? Welche Versorgungsindikatoren [7] haben wir in der Hand, um den gesundheitsökonomischen Interessen mit fachlichen, an der besonderen Bedarfslage psychiatrischer und psychosomatischer Patienten orientierten Argumenten begegnen zu können? Wie lässt sich die traditionelle gemeindepsychiatrische Versorgung etwa auch durch aufsuchende Hilfe in der Weise fortentwickeln, dass es in diesem Zusammenhang nicht zu gravierenden Nachteilen für schwer gestörte oder ältere Patientengruppen [8] kommt? Neben den vielen anderen psychiatrischen Beiträgen haben gerade die auf diese Fragen bezogenen Artikel die „Fortschritte“ auch in ihrem 82. Jahrgang wieder als ein gesuchtes Forum für aktuelle psychiatrische Kontroversen erwiesen.

Die Themenreihe „Neurobiologie“ konnte durch je einen Beitrag zu den Satellitensystemen der Basalganglien [9] und den Grundlagen der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung [10] bedient werden. Die Schwerpunkthefte waren 2014 unter Rückgriff auf das 18. Weißenauer Symposium der Prävention, Therapie und Rehabilitation der Schizophrenie [11] gewidmet. Auch die Ergänzung der aktuellen Wissensvermittlung durch Erinnerungen an historisch bedeutsame Entwicklungen fand im 82. Jahrgang mit fünf Beiträgen eine Fortsetzung etwa auch zur Depressionsforschung in der vormaligen DDR [12].

Die Schriftleitung hat sich auch 2014 wieder auf das große Interesse und Engagement aller Autorinnen und Autoren, Gutachterinnen und Gutachter sowie auch der Leiterinnen des betreuenden Teams beim Thieme Verlag stützen können. Ihnen allen und mit ihnen auch den beiden jedes Jahr wieder besonders in Anspruch genommenen Weiterbildungsherausgebern Prof. Peter Berlit und Prof. Max Schmauss gebührt unser Dank für ein Publikationsergebnis, das ohne ihre Mitwirkung gar nicht in der dargestellten Form zu verwirklichen gewesen wäre. Das Herausgebergremium hat sich erfreulicherweise 2014 durch den Beitritt von Prof. Heinz Reichmann, des Direktors der Neurologischen Universitätsklinik Dresden, ganz im Sinne unseres integrativen neurologisch-psychiatrischen Publikationsprogramms verstärken können. Die Federführung wird nach drei Jahren psychiatrischer Schriftleitung 2015 wieder an ein neurologisches Mitglied des Herausgebergremiums, nämlich in die Hände von Frau Prof. Marianne Dieterich übergehen. Ihr wünsche ich anlässlich dieses Rückblicks auf den 82. Jahrgang viel Erfolg bei der Gestaltung der nunmehr anstehenden Jahrgänge und genauso viel Freude an der editorischen Arbeit, wie sie mir selber in den zurückliegenden Jahren bereitet hat. Ganz besonderer und auch persönlicher Dank war schon seit 2012 und ist nun auch wieder im Rückblick auf 2014 Prof. Jens Kuhn für seine hilfreiche Assistenz bei der Schriftleitung abzustatten. Seine Einsatzbereitschaft und seine Vorerfahrungen werden erfreulicherweise auch der neuen Schriftleitung unter Frau Kollegin Dieterich weiterhin zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt und mit besonderem Nachdruck möchte ich aber auch Ihnen, liebe Leserinnen und Ihnen, lieber Leser, herzlich für Ihr anhaltendes Interesse an unserer traditionsreichen Zeitschrift danken. Auch 2015 wird sich die Lektüre der „Fortschritte“ wieder für jeden lohnen, den nicht nur jedes der beiden Fachgebiete für sich, sondern gerade auch die innere Einheit von Neurologie und Psychiatrie interessiert. Bleiben Sie uns also auch weiterhin treu und gewogen.

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Prof. Dr. med. J. Klosterkötter