PPH 2015; 21(02): 102-103
DOI: 10.1055/s-0035-1548598
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mitteilungen für die Mitglieder der Deutschen Fachgesellschaft Psychiatrische Pflege

Uwe Genge
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Publication Date:
24 March 2015 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nach 2011 ist der aktuelle Pflegepreis der DGPPN wieder an ein Projekt verliehen worden, das den Einbezug von „Experten aus Erfahrung“ zum Inhalt hatte. Diese Entwicklung liegt im Trend auch internationaler Forderungen. In der UN-Behindertenrechtskonvention [1] wird in Artikel 26 (Habilitation und Rehabilitation) gefordert: „Die Vertragsstaaten treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, einschließlich durch die Unterstützung durch andere Menschen mit Behinderung, um Menschen mit Behinderung in die Lage zu versetzen, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens und die volle Teilhabe an allen Aspekten zu erreichen und bewahren […]“.

Damit wird ausdrücklich auf „Peer Support“ abgehoben. In der bundesdeutschen Psychiatrie ist die systematische Einbeziehung von Erfahrungsexperten, sieht man vom Abhängigkeitsbereich ab, eine eher neuere Entwicklung und geht auf das 2005 initiierte EU-Projekt „Experienced Involvement“ [2] (Ex-In, wörtlich übersetzbar mit „erfahrene Beteiligung“) zurück. In der PPH gab es hierzu in den vergangenen Jahren immer wieder einzelne Artikel.

Nun bekommt das Thema aber auch von politischer Seite aktuell neuen Wind. Auf der 87. Gesundheitsministerkonferenz [3] am 26. und 27. Juni vergangenen Jahres im Hamburg wurde die AG Psychiatrie der Obersten Landesgesundheitsbehörden beauftragt, sich in einem Nachfolgebericht zum Bericht der „Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgungsstrukturen in Deutschland“ insbesondere mit dem Thema Trialog und Selbsthilfe auseinanderzusetzen. Man darf gespannt sein auf die Ergebnisse und die sich daraus ableitenden Konsequenzen.

Dass dies ein schon lang notwendiger Schritt ist, zeigen internationale Untersuchungsergebnisse. Die Studienlage zeichnet zur Einbeziehung von Erfahrungsexperten sowohl für die Erfahrungsexperten, die Betroffenen als auch die Organisationen ein positives Bild. Neben einer höheren Lebenszufriedenheit und einer größeren Reduktion von Lebensproblemen können stationäre Behandlungstage reduziert werden bei gleichzeitiger Senkung der Wiederaufnahmerate. Durch Peer-Unterstützung konnte auch die soziale Vernetzung verbessert werden.

Auch auf den Stationen ergeben sich Veränderungen. So wird übereinstimmend berichtet, dass sich die „Stationskultur“ ändert, sie wird empathischer und rücksichtsvoller gegenüber den Betroffenen und deren Bedürfnissen. Auch diese selber schildern, wie wertvoll und hilfreich sie die Peer-Unterstützung erlebt haben [4].

Trotzdem sich die Umsetzung dieses innovativen Konzepts hierzulande noch eher am Anfang befindet, müssen entsprechende Vorbereitungen für die sich ergebenden Veränderungen getroffen werden. Denn es werden auch Vorbehalte beschrieben. Bislang war der Kontakt Pflegender beschränkt auf Betroffene in ihrer Patientenrolle. Um diese nun auch in der Kollegenrolle anzunehmen, bedarf es der Aufklärung und eines geplanten Implementationsprozesses. Repper [5] bietet hierzu einen Ansatz.

Auch als (junge) Fachgesellschaft haben wir uns mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Waren wir in unseren ersten drei Jahren seit Gründung noch mit der eigenen Standortbestimmung bemüht, werden wir unsere Strukturen zukünftig anpassen. Erfahrungsexperten werden auch in unserer Fachgesellschaft eine Bereicherung darstellen. Beeindruckend waren das Auftreten von Martin Kolbe beim vergangenen DGBS-Kongress und seine Erörterungen zur Psychiatrischen Pflege.

Über den Einbezug von Erfahrungsexperten würde ich gern einen Diskussionsprozess anstoßen.

Uwe Genge