neuroreha 2015; 07(03): 120-123
DOI: 10.1055/s-0035-1564288
Schwerpunkt Frühmobilisation
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frühe Mobilisation nach Schlaganfall: Akzeptiert, aber noch limitierte Evidenz (Originaltitel: Early mobilization after stroke: Early adoption but limited evidence)

Autor*innen

  • Julie Bernhardt

    1   Florey Institute of Neuroscience and Mental Health, University of Melbourne
  • Coralie English

    1   Florey Institute of Neuroscience and Mental Health, University of Melbourne
    2   International Centre for Allied Health Evidence, University of South Australia
  • Liam Johnson

    1   Florey Institute of Neuroscience and Mental Health, University of Melbourne
    3   Institute of Sport, Exercise and Active Living, Victoria University, Melbourne, Australia
  • Toby B. Cumming

    1   Florey Institute of Neuroscience and Mental Health, University of Melbourne
  • Jan Mehrholz

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. September 2015 (online)

Ein kurzer Abriss zur frühen Mobilisation nach Schlaganfall

Der Begriff „frühe Mobilisation“ wurde erstmals auf einer schwedischen Konsenskonferenz Mitte der 1980er-Jahre auf der Basis lokaler schwedischer und norwegischer Leitlinien empfohlen und diskutiert.

Die frühe Mobilisation nach Schlaganfall wurde in der Literatur bekannter, nachdem in den frühen 1990er-Jahren Indredavik und Studienkollegen eine deutlich geringere Sterblichkeit und Behinderung fanden, wenn sie auf ihren spezialisierten Schlaganfallstationen (Stroke Units) frühzeitig mit Rehabilitation und Mobilisierung der Patienten begannen [21]. Diese erste Studie war wiederum Teil einer bedeutenden Cochrane-Übersichtsarbeit von Peter Langhorne und Kollegen [33], die eindeutig die Vorteile einer organisierten und spezialisierten Schlaganfallstation belegte. Frühe Mobilisation und Rehabilitation wurden somit als wichtige Komponenten der Schlaganfallversorgung betrachtet sowie diskutiert [25] und fanden um 1994 erstmals Einzug in nationale klinische Leitlinien [3].

Die erste randomisierte kontrollierte Studie zur frühzeitigen Mobilisation startete Im Jahr 2004 („A Very Early Rehabilitation Trial“, AVERT Phase II) [8]. AVERT untersuchte die Durchführbarkeit und Sicherheit einer frühzeitigen aufgabenspezifischen Mobilisierung auf einer spezialisierten Schlaganfallstation in den ersten 24 Stunden nach Schlaganfall. Dieses Behandlungsprotokoll, das von den Beobachtungen Indredaviks norwegischer Schlaganfallstation und deren Philosophie der „frühen Mobilisation“ herrührte, bewirkte selbst bei schwerer betroffenen Patienten nach Schlaganfall mehr körperliche Aktivität am Tag [7], [8]. Die Intention, in den ersten 24 Stunden nach Schlaganfall aktiv mit der Behandlung in AVERT Phase II zu beginnen, wurde bewusst gewählt, um in der klinischen Praxis ein klares Zeichen gegenüber der Unsicherheit hinsichtlich potenzieller Risiken und Nutzen einer frühen aktiven Mobilisation zu setzen.

Bislang gibt es bis März 2015 gerade einmal vier abgeschlossene randomisierte Studien zur frühen Mobilisierung innerhalb von 24–72 Stunden nach Schlaganfall (AVERT Phase II, VERITAS, AKEMIS und die Lausanne-Studie) [9]. Alle diese Studien nutzten relativ breit aufgestellte Ein- und Ausschlusskriterien. Auch die Inhalte der Studienarme variierten von häufigem Mobilitätstraining mit Physiotherapeuten oder mit Krankenschwester (AVERT, VERITAS) bis hin zu Protokollen, die zunächst allein die Neigung des Kopfteils des Bettes änderten und erst nach 52 Stunden aus dem Bett mobilisierten (Lausanne-Studie).

Zu erwähnen ist, dass bislang keine Studie den Einfluss der Mobilisierung auf Komplikationen, Sterblichkeit und globale Einschränkungen nachwies.

In der AVERT Phase II erlernten die Patienten das Gehen durch frühe Mobilisation eher [14], bei gleichzeitiger Kostenreduktion im Vergleich zur üblichen Standardversorgung [36]. Die gemeinsame Auswertung von AVERT und VERITAS deutet auf signifikante funktionelle Verbesserungen drei Monate nach Schlaganfall hin [13]. Zunehmend wird über Frühmobilisationsstudien aus China berichtet. Eine systematische Übersicht von 37 chinesischen Studien – allerdings mit zumeist geringer methodischer Qualität – mit insgesamt 5.916 Patienten fand signifikant funktionell bessere Ergebnisse bei frühzeitiger, aber eben auch sehr unterschiedlicher Vorgehensweise [39].

Erst kürzlich verglich eine Studie [27] bei 243 Patienten mit Hirnblutung einen Rehabilitationsbeginn in den ersten 48 Stunden mit einem Rehabilitationsansatz, der erst nach 7 Tagen Bettruhe begann. Es zeigten sich ein 4-fach erhöhtes signifikantes Sterberisiko und ein 6 Punkte im SF-36 (Körperfunktionen) schlechteres Ergebnis für die Patienten mit verlängerter Bettruhe. Zwei große Studien laufen zurzeit noch (SEVEL, n = 400) bzw. stehen kurz vor der Auswertung (AVERT Phase III, n = 2104) [9]. Mittlerweile haben Empfehlungen zur frühen Mobilisation nach Schlaganfall in fast 30 Leitlinien zur Schlaganfallversorgung Einzug gehalten [9].