kma - Klinik Management aktuell 2013; 18(07): 38-45
DOI: 10.1055/s-0036-1576988
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart

Spitzenmedizin in der Krise

Unikliniken
Jens Mau
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Publication Date:
08 March 2016 (online)

 

    Unikliniken fühlen sich bedroht. Immer mehr Häuser rutschen in die roten Zahlen, auch weil Maximalversorger durch Spezialisierung ins Geschäftsfeld der Klinikriesen eindringen. Jetzt kämpfen die Unikliniken um ihren Führungsanspruch.


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    (Illustration: Joswig)

    Der Verband der Uniklinika Deutschlands (VUD) verbreitet derzeit Alarmstimmung. Im Geschäftsjahr 2012 schrieb nur noch ein Drittel der Unikliniken schwarze Zahlen, klagt er. 2013, schätzt der Verband, werden die Unikliniken zusammen über 73 Millionen Euro Miese machen. Damit sind Unikliniken nun dort angekommen, wo sich die kommunalen Häuser schon lange befinden: Im existenziellen Grabenkampf. Was einigen Unikliniken in den nächsten Jahren blühen könnte, zeigt sich derzeit in Halle. „Zwei Unikliniken auf höchstem Niveau zu finanzieren, kann sich Sachsen-Anhalt langfristig nicht leisten”, erklärte Sachsen-Anhalts Finanzminister Bullerjahn kürzlich. Er drohte, Halle den Geldhahn zuzudrehen und rückte erst nach schweren Protesten davon ab. Nun muss Halle kräftig abspecken, vor allem in der Forschung: 50 Millionen Euro der Ausgaben für die Universitätsmedizin will Sachsen-Anhalt bis 2020 kürzen. Die Eskalation in Halle mag zum Teil hausgemacht sein und liegt sicher auch an der Armut des Bundeslands Sachsen-Anhalt. Dennoch sie ist auch exemplarisch, denn Häuser im reichen Süden, wie Ulm oder Tübingen, stecken ebenfalls in der Krise. „Es können doch nicht plötzlich alle Unikliniken en bloc ins Defizit rauschen. Wir sind doch nicht zufällig alle schlecht gemanaged”, bemerkt Bettina Hailer, Kaufmännische Direktorin der Uniklinik Halle.

    Albrecht ärgert sich über die Rosinenpicker
    In der Tat gibt es mehrere Gründe für den Schlingerkurs der Unikliniken: Für ihre Leistungen, etwa in der Hochschulmedizin oder bei seltenen Erkrankungen, die niemand sonst im System behandeln will, bekommen Unikliniken zu wenig Geld. Die Uniklinik-Lobby, bestehend aus VUD und Medizinischem Fakultätentag (MFT), fordert daher seit Monaten vehement eine Finanzspritze des Bundes (siehe Kasten links). Tatsache ist aber auch, dass Maximalversorger durch Spezialisierung in bestimmten Fächern auf die höher vergüteten Leistungen schielen. Längst gehen die Patienten bei schweren Krebs- oder Herzoperationen nicht mehr automatisch in Unikliniken. Die Patientenströme verschieben sich, und das kratzt sowohl am Selbstverständnis als auch am ökonomischen Erfolg der Unikliniken. Michael Albrecht, Chef der Uniklinik Dresden und Präsident des VUD, räumt ein, dass auch ein Maximalversorger Spitzenmedizin liefern kann. „Die schweren, teuren Fälle landen aber immer bei den Unikliniken. Maximalversorger, zumal privat geführte, betreiben Rosinenpickerei. Nehmen wir das Beispiel Herzerkrankungen: Die Behandlung ist auskömmlich, weil sie gut bezahlt wird und relativ standardisiert abläuft. Dass jedoch ein Maximalversorger eine dermatologische Ambulanz oder eine Mukoviszidose-Station eröffnen will, ist mir nicht bekannt. Das sind besondere Leistungen der Unikliniken.” Diese Rosinenpickerei basiert nach Meinung der Unikliniken auf einer Fehlsteuerung des DRG-Systems. „Viele Einrichtungen, die eigentlich nicht so aufgestellt sind, suchen ihr Heil in der Highend-Versorgung, weil sich damit gut verdienen lässt”, bemängelt Ralf Heyder, designierter Generalsekretär des VUD. „Die Frühchenversorgung ist beispielsweise nach der DRG-Einführung massiv in die Fläche gegangen, obwohl diese Leistungen viel besser in Zentren aufgehoben sind.”

    Wer ein Netzwerk führt, darf nicht elitär sein
    „Der Bund muss mehr Mitverantwortung für die Finanzierung der Hochschulmedizin übernehmen”, fordert auch Hajo Kroemer, Präsident des MFT. Eine befriedigende Antwort auf die Frage, welche Rolle die Unikliniken in Zukunft spielen sollen, liefern bisher jedoch weder der Fakultätentag noch die Ministerien von Bund und Ländern oder der VUD. Da Politik und Verbände keinen Plan haben, müssen die Unikliniken selbst nach ihrer Rolle suchen. In der Krankenversorgung heißt das vor allem: abwägen. „Was bau ich aus, wo zieh ich mich zurück, diese Frage treibt mittlerweile alle Unikliniken um”, sagt Heyder vom VUD. Die Uniklinik, so die Lesart seines Verbands, müsse in jedem Fall die führende Rolle in der regionalen Versorgung spielen. Ansätze dieser Strategie findet man in Dresden. Klinikchef Albrecht hat dort eine GmbH gegründet, das Carus Consilium Sachsen, das mehrere regionale Versorgungsprojekte betreut und führt. „In einem Flächenland kann man nicht alle 20 Kilometer einen Alzheimerexperten platzieren. Aber seine Expertise muss dennoch zur Verfügung stehen”, erklärt Albrecht. Die Fachleute sitzen naturgemäß in der Uniklinik. „Wir haben in den vergangenen Jahren ein Krebs- und ein Schlaganfallzentrum eröffnet. Dort behandeln wir die schweren Fälle und geben ansonsten unseren Partnern telemedizinische Beratung. Wir stellen in Tumorboards unseren Neuropathologen zur Verfügung und verfassen Checklisten für die richtige Behandlung. Wir sorgen dafür, dass unsere Standards auch in der Region 80 Kilometer entfernt angewandt werden.” Führen heißt aber auch, über seinen Tellerrand hinausschauen. „Man muss den Elfenbeinturm verlassen”, nennt es Albrecht. „Man darf nicht elitär auftreten, wie der Kraftprotz, der alle platt macht. Wenn eine Uniklinik ein Krebszentrum eröffnet, herrscht dort häufig noch die Denke: ‚Jetzt kommen die Patienten alle zu uns, weil wir so toll sind.‘ Aber das ist falsch. Das schürt Angst bei niedergelassenen Ärzten und kleineren Krankenhäusern. Das Netzwerk funktioniert dann nicht. Wir mussten in der Umgebung über viele Jahre Vertrauen aufbauen, denn die Angst, dass wir allen die Fälle wegnehmen, war riesig. Mittlerweile vertrauen uns viele, wenn auch nicht alle.”

    Nur noch 700 Betten statt 1.400
    Auch die Uniklinik Heidelberg gilt als Regionalversorger der Zukunft. Die Nordbadener haben zuletzt nicht nur zwei kleinere Krankenhäuser in der Umgebung gekauft, sie kooperieren auch mit mehr als zehn Häusern der Umgebung und setzen dort ihre Chefärzte ein. So verteilt die Uniklinik Heidelberg ihr Expertenwissen und steuert gleichzeitig Versorgungsprozesse in der Region. „Die Führungsrolle im regionalen Netzwerk ist aus meiner Sicht die Zukunft für Unikliniken”, resümiert Albrecht. „Natürlich haben Kliniken in Großstädten wie Hamburg oder Berlin andere Voraussetzungen, aber grundsätzlich bleibt die Rolle gleich.” Bestenfalls leiten die Kliniken nicht nur Patientenströme, sondern beraten auch die Landesregierungen in versorgungspolitischen Fragen. Der Umkehrschluss dieser Strategie lautet: Unikliniken dürfen nicht mehr jeder lukrativen Gallenblasen-OP hinterherjagen und brauchen in Zukunft vielleicht nicht mehr 1.400 Betten, sondern nur 700. Doch der Ausstieg aus dem Wettrennen um lukrative, einfache Patienten fällt vielen Unikliniken schwer – weil sie derzeit auf das Geld angewiesen sind. Die Uniklinik Dresden wird für die Netzwerkleistungen im Carus Consilium größtenteils direkt von ihren Partnern bezahlt. Bisher, unterstreicht Klinikchef Albrecht, sei das jedoch ein Minusgeschäft. Den Großteil des Netzwerkservices finanziere er aus seinem Überschuss. Auch diese Situation führe dazu, dass die Unikliniken „ausbluten”, moniert Albrecht.

    Studium teuer, Forschung nur Mittelmaß
    Dass alle 33 Unikliniken in der Krankenversorgung eine wichtige Rolle spielen, ist unbestritten. Doch es stellt sich die Frage, ob an einigen Standorten nicht auch ein Maximalversorger ausreichen würde – ohne teure Forschung und Lehre. Die Uniklinik-Landkarte ist historisch gewachsen. München hat drei Unikliniken, die Berliner Charité drei große Standorte. In den Nachbarstädten Köln und Bonn stehen zwei Unikliniken fast nebeneinander. Brauchen Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern wirklich je zwei Unikliniken? „Ich weiß es nicht”, gesteht VUD-Chef Albrecht. „Einen vernünftigen Bedarfsplan für Unikliniken, angelehnt an Population und Dichte der Bevölkerung, gibt es weder beim Bund noch bei den Ländern.” Die Fakultäten in Halle, Homburg oder Rostock bekommen von ihren armen Bundesländern zwar jährlich mehrere Millionen Euro überwiesen, ihre Forschungsleistung ist jedoch äußerst gering, zumindest wenn man die verausgabten Drittmittel betrachtet. Fakt ist, dass die deutsche Forschungsfinanzierung ziemlich undurchsichtig ist und deutsche Medizin-Unis in allen internationalen Rankings im Mittelmaß verschwinden, beispielsweise im anerkannten Academic Ranking of World Universities (Seite 45). Würde man einige dieser Unikliniken in Maximalversorger umwandeln, rechnen einige Kritiker vor, ließen sich Forschungsgelder gezielter verteilen und Exzellenz zielgerichteter fördern. Doch weder der Wissenschaftsrat noch VUD oder MFT sind derzeit gewillt, klare Kriterien aufzustellen, die forschende Krankenhäuser erfüllen müssen.

    Ohne Forschung sinke das Niveau der Arztausbildung, warnt die Uni-Lobby und verschanzt sich somit hinter einem vergleichsweise teuren – und für sie auskömmlichen – Modell: Derzeit kostet ein deutsches Medizinstudium den Steuerzahler im Durchschnitt 230.000 Euro, wobei jede Uniklinik unterschiedlich viel Zuschüsse pro Student erhält. In den USA ist die Medical School, eine Art Fachhochschule für Ärzte, Standard. Dort ist das Ausbildungsniveau in der Breite zwar nicht so hoch wie hier. „Aber wieso muss sich ein Student, den ich zum guten Mediziner ausbilden will, damit beschäftigen, wie sich Erbgut vervielfältigen lässt?”, fragt ein langjähriger Professor, der ungenannt bleiben will. „Er muss das Handwerk lernen und nicht Jahre in Forschungseinrichtungen sitzen! Eine Trennung von Forschung und Lehre ist natürlich möglich. Bei uns lernt der Chirurg erst am Ende der Ausbildung.” In Deutschland gibt es erste Modellversuche, in denen die Arztausbildung abseits der Unikliniken geprobt wird, etwa in Hamburg oder Oldenburg. Ein Masterstudiengang hat sich in Niedersachsen zwar nach langem Ringen nicht durchgesetzt. Es scheint aber nur eine Frage der Zeit, bis das Ausbildungs-Monopol der Unikliniken fällt.

    Verbände in der Krise vereint
    Ob eine Uniklinik dicht macht, liegt allein in den Händen der Bundesländer, und am Ende – siehe Halle – entscheidet der Landesfinanzminister über das Schicksal einer Uniklinik. Wenn 2020 die Schuldenbremse voll wirksam wird, könnte es für viele Unikliniken eng werden. Dass eine Privatisierung nicht die Probleme einer Uniklinik löst, hat die Rhön-Übernahme der Uniklinik Gießen-Marburg gezeigt. Besonders interessant zu beobachten: In Gießen und Marburg explodierte ein Konflikt, der in fast allen Unikliniken schwelt: der zwischen Fakultät und Krankenhausmanagement. Freiheit der Wissenschaft auf der einen und ein Krankenhausunternehmen, das schwarze Zahlen schreiben soll, auf der anderen Seite – oft treffen an dieser Schnittstelle zwei Welten aufeinander. Umso erstaunlicher ist, dass der VUD und der Medizinische Fakultätentag jetzt in Sachen Klinikfinanzierung diszipliniert an einem Strang ziehen. Das zeigt, wie bange den Unikliniken derzeit ist.


    Extra-Wurst für Unikliniken
    Nach der Einführung der DRG 2004 haben sich mehr als zwei Drittel der Unikliniken dank einer guten Positionierung und überproportional steigender Casemixpunkte – in Unikliniken stieg der CMI zwischen 2006 und 2010 deutlich stärker als bei den übrigen deutschen Krankenhäusern – gut entwickelt und schrieben schwarze Zahlen. Seit 2011 kippt diese Situation. Hauptgrund sei, dass die Länder seit der Abschaffung des Hochschulbauförderungsgesetzs (HBFG) 2007 deutlich weniger in die Infrastruktur der Unikliniken investieren, monieren die Unikliniken und fordern deshalb einen Bundeszuschuss. Um die Forderung zu untermauern, haben der Verband der Uniklinika und der Medizinische Fakultätentag Leistungen aufgelistet, die nicht oder zu schlecht bezahlt werden. Dazu gehören Weiterbildung, Hochschulambulanzen, Extremkostenfälle, Krankenversorgungszentren, Behandlung seltener Erkrankungen, Notfallversorgung. Die Unikliniken möchten dafür jährlich 1,2 Milliarden Euro als sogenannten Systemzuschlag. Vorbild für den Zuschlag sind Holland, Belgien und die Schweiz. Das Problem: Viele dieser Leistungen werden zwar überwiegend von Unikliniken erbracht, teilweise aber auch von Maximalversorgern. Widerstand kommt deshalb vor allem von den Gesundheitsministerien der Länder. „Einen generellen Zuschlag für Versorgungsleistungen von Unikliniken hielte ich für einen Bruch mit dem System”, erklärt Bettina Steffens, Gesundheitsministerin in Nordrhein-Westfalen (NRW). Sie ist verantwortlich für sechs Unikliniken und 14 weitere Maximalversorger in NRW. „Wir können allerdings grundsätzlich über einen Maximalversorgerzuschlag reden, der Leistungen vergütet, die nicht vom DRG-System abgebildet werden.” Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die alle Kliniken vertritt, ist kein Freund dieses Zuschlags, und selbst Bettina Hailer, Kaufmännische Direktorin der Uniklinik Halle, bemerkt: „Einen Zuschlag sollte man nicht am rechtlichen Status, sondern an den Aufgaben ausrichten. Ich glaube aber, dass es sehr schwierig wird, dies ausgewogen und mit Zustimmung der Beteiligten zu gestalten.” Im Grunde verfolgt die Uniklinik-Lobby mit dem Systemzuschlag ein Ziel: Der Bund soll sich wieder an der Finanzierung ihrer Häuser beteiligen. Selbst wenn am Ende ein Zuschlag für alle Maximalversorger herauskäme, wäre das ein Erfolg für die Uniklinik-Lobby.


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    (Illustration: Joswig)