kma - Klinik Management aktuell 2014; 19(10): 52-56
DOI: 10.1055/s-0036-1577508
Branche Kompakt

Win-Win-Situation in Brilon

Teleneurologie
Martin Kucera
 

    Beim Schlaganfall kommt es auf jede Minute an. In Krankenhäusern in ländlichen Regionen fehlt es aber oft an den dafür nötigen Fachärzten. Dann müssen Patienten lange Transportwege in Kauf nehmen. Das städtische Krankenhaus Brilon zeigt, wie die Telemedizin Abhilfe schaffen kann.


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    Die Patienten staunen nicht schlecht, wenn im Krankenhaus Maria Hilf zusammen mit den Fachärzten auch ein Gerät an ihr Krankenbett gefahren wird, das aussieht wie ein einäugiger Roboter. Von den Briloner Ärzten wird er, in Anlehnung an einen Science Fiction Film aus den 80er Jahren, liebevoll „Nummer fünf“ genannt. Er ist das technologische Herzstück der telemedizinischen Kooperation des Krankenhauses mit der Universitätsklinik Jena und macht es möglich, dass Fachärzte des neurologischen Zentrums der Uniklinik bei Schlaganfallbehandlungen in Brilon live dabei sind.

    Ferngesteuerte Kamera
    „Nummer fünf“ besteht aus einer Lafette, auf der sehr viel Technik angebracht ist, unter anderem ein Hochleistungsrechner mit Monitor. Darüber thront eine hochauflösende Präzisionskamera. Wird ein Patient mit Schlaganfall-Symptomen in das Krankenhaus eingeliefert, startet sofort die Erstdiagnostik. Dann nimmt der elektronische Helfer seine Arbeit auf. Zunächst stellt er über einen Spezialserver eine Verbindung zum Bereitschaftsdienst in Jena her und übermittelt die Daten von Computertomografie, MRT und EEG an den dortigen Leitstand des Teleneurologen. Anschließend wird Nummer fünf vor das Bett des Patienten geschoben, wo auch schon die Ärzte aus Brilon vor Ort sind. Nun schaltet sich der Neurologe aus Thüringen per Videokonferenz dazu. Die digitalen Videodaten einschließlich Ton werden verschlüsselt per EDV-Netzwerk übertragen. So kann sich der Experte aus Jena nicht nur mit seinem südwestfälischen Kollegen absprechen, sondern auch die Untersuchungskamera fernsteuern. „Über sie kann er auch die Daten der Monitoranlage am Intensivbett sichten. Die Kamera ist so hochauflösend, dass der Facharzt damit sogar Pupillendiagnostik betreibt. Mit der Hilfe seiner Anweisungen wird dann die Behandlung durchgeführt“, erklärt Reimund Siebers, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed) und Projektentwickler im Briloner Krankenhaus. Das ist wichtig, denn die richtige Diagnose und Behandlung in den ersten Stunden nach dem Anfall entscheiden oft darüber, ob der Patient bleibende Schäden davonträgt oder glimpflich davonkommt. Am besten geschieht dies in einer spezialisierten Schlaganfall-Abteilung (Stroke Unit), weil der Patient intensiv überwacht werden muss. Allerdings hat nicht jedes Krankenhaus eine solche Spezialabteilung. Auch der Weg von Brilon zur nächsten Stroke Unit in Paderborn oder Arnsberg ist weit. Aus diesem Grund wurde hier das seit vier Jahren bestehende neurologische telemedizinische Netzwerk im Krankenhaus Maria Hilf ausgebaut. Dazu dient die Kooperation mit dem neurologischen Zentrum des Universitätsklinikums Jena, einem der wichtigsten Standorte für Schlaganfallpatienten in Deutschland. „Die Akzeptanz war von Anfang an da. Natürlich mussten sich unsere Mitarbeiter an die audiovisuelle Vorgehensweise gewöhnen, aber das ging schnell. Da auch die Patienten auf dem Monitor das Bild des Teleneurologen sehen, ist die Untersuchung auch für sie nicht anonym – das sorgt bei ihnen psychologisch für Sicherheit“, so Siebers.

    Standleitung zur Uniklinik Jena
    Die Vorteile der teleneurologischen Vernetzung mit Jena liegen für Siebers ziemlich deutlich auf der Hand: „Falls Sie solche Strukturen nicht haben, fahren Patienten mit Verdacht auf Schlaganfall an Ihrem Krankenhaus vorbei.“ Das ist nicht nur schlecht für das Haus, sondern auch für den Patienten, denn der muss, wenn er in Brilon einen Schlaganfall erleidet, einen langen Weg in Kauf nehmen, bis er zum nächstgelegenen Schlaganfallzentrum in Paderborn kommt. Neben dem Zeitgewinn, der den Patienten in der Region und der Klinik zugutekommt, ist für das Krankenhaus ganz nebenbei auch ein weiterer Aspekt nicht zu unterschätzen: Denn nicht jeder Verdacht auf Schlaganfall bestätigt sich im Nachhinein. „Auch diese Fälle würden in jedem Fall an unserem Haus vorbeifahren. Ohne die teleneurologische Kooperation mit Jena würde ein ganzer Versorgungsbereich für uns dann praktisch wegbrechen“, bemkert Siebers.

    Der Beitritt zu telemedizinischen Netzwerken lohne sich vor allem für Krankenhäuser, die Lücken in der Versorgungskette schließen wollen. „Früher wurden die durch internistische Fachärzte versorgt. Als die Stroke Units kamen, war plötzlich die Profession des Neurologen gefragt, obwohl der neurologische Anteil nur ein Teil ist, der bei der Diagnose und Behandlung mitspielt“, erklärt Siebers. Deshalb bekommen gerade kleinere Krankenhäuser diese Fälle nicht mehr, weil sie dazu auch das Konsil eines Neurologen brauchen. Für die meisten kleinen Krankenhäuser ist es viel zu teuer, sich einen eigenen neurologischen Dienst zu leisten. „Wenn man das auf 24 Stunden hochrechnet, brauchen sie fünf Neurologen, die sie anstellen müssten“, so der Experte.

    Mehr Patienten durch Telemedizin
    Siebers beziffert den Patientenzuwachs in seinem Haus durch „Nummer fünf“ auf ganze 100 Fälle pro Jahr. Die Abrechnung der Behandlung für das Krankenhaus Brilon ist seit 2011 auch im deutschen DRG-System abgebildet. „Es gibt eine eigene Fallpauschale für die telemedizinische Behandlung. Wir nennen das Stroke Light. Das ist etwas weniger als eine normale Schlaganfallbehandlung einer zertifizierten Stroke Unit“, so Siebers. Die rund 40.000 Euro für das Gerät musste das Krankenhaus selbst finanzieren. Das Geld für den live zugeschalteten Neurologen bekommt die Uniklinik Jena. „In unserer Dienstplanung berücksichtigen wir, dass einer von acht Fach- oder Oberärzten rund um die Uhr für solche Notfälle zur Verfügung steht“, sagt Albrecht Günther, Leiter des Netzwerks zur telemedizinischen Behandlung. „Das ist ganz wichtig, um so ein Zentrum genehmigt zu bekommen. Der Telemediziner muss unbedingt aus dem restlichen Krankenhausbetrieb ausgegliedert werden und darf das nicht nur nebenbei machen. Darum gibt es auch noch nicht so viele dieser Zentren in Deutschland, denn das ist personalintensiv“, unterstreicht Siebers.

    Jena ist das federführende Zentrum des Neurovaskulären Netzwerks Thüringen, zu dem auch das Klinikum Altenburger Land gehört. An das Jenaer Universitätsklinikum sind die Kliniken in Apolda, Rudolstadt, das Katholische Krankenhaus Erfurt und das Krankenhaus Brilon angeschlossen. Vor Kurzem ist auch das Waldkrankenhaus Rudolf Elle in Eisenberg dem Netzwerk beigetreten. Das Altenburger Klinikum betreut das Krankenhaus Greiz, eine Klinik in Bitterfeld und drei ostsächsische Krankenhäuser. Auch hier lässt sich der Erfolg bereits beziffern: Bislang zählte das Netzwerk 3.000 Konsultationen per Videoübertragung. Die Einsätze von „Nummer fünf“ scheinen sich also zu lohnen.


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    Publication History

    Article published online:
    08 March 2016

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    Stuttgart