kma - Klinik Management aktuell 2016; 21(06): 80
DOI: 10.1055/s-0036-1578182
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Sevda Toperim: Die Patientenversorgung ist hier perfekt, aber …

Nina Sickinger
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Publication Date:
31 May 2016 (online)

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AUSLÄNDISCHE MITARBEITER BERICHTEN AUS DEUTSCHEN KLINIKEN Die aus der Türkei stammende Fachärztin für Strahlenmedizin Sevda Toperim (42) arbeitet am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und meint, das deutsche Gesundheitssystem zähle zu den besten überhaupt. Doch es hat auch Defizite. Lesen Sie in ihrem Bericht, welche sie als die drei wesentlichen ansieht.(Foto: Fotolia (zakiroff))

Würde mich jemand fragen (und ich einen Vergleich im Großen ziehen), würde ich zuallererst sagen, dass das deutsche Gesundheitswesen zu den besten überhaupt zählt. Im kleinen Duell mit meiner Heimat Türkei meine ich: Dazwischen liegen Welten – auch wenn sich das türkische Gesundheitssystem in den letzten Jahren weiterentwickelt hat. Früher waren die Verhältnisse dort wirklich schlimm: Patienten mussten lange auf Termine warten, die Kliniken waren überfüllt, schlecht ausgestattet und heruntergekommen – von der Hygiene ganz zu schweigen. In der Strahlenmedizin fehlt dort heute immer noch qualifiziertes Fachpersonal. Auch wenn Krankenhäuser bei der Investition neuer Geräte derzeit fortschrittlich agieren, fehlt Personal mit dem Know-how zur Bedienung dieser hochkomplexen Technik.

Hier in Deutschland ist vor allem die Versorgung der Patienten perfekt – sowohl für privat als auch gesetzlich Versicherte. In der Türkei gab es das früher gar nicht, mittlerweile wurde zwar auch eine Krankenkasse eingeführt, aber dennoch muss nach wie vor vieles selber bezahlt werden. Wem das nicht möglich ist, kann sich also nicht oder nur unter schwierigen Umständen behandeln lassen. Aber auch in Deutschland gibt es Defizite. Dazu zählt meines Erachtens das gesamte Kodierungs- und Abrechnungssystem: Es ist viel zu diffizil, meist überhaupt nicht nachvollziehbar und schon gar nicht leistungsgerecht. Und vor allem zeitraubend. In meinem Fachgebiet sehe ich auch Verbesserungsmöglichkeiten: Da es sich um einen relativ kleinen Bereich handelt, sind im Wesentlichen große Häuser in den Ballungsgebieten mit dem notwendigen modernen Equipment ausgestattet. In ländlichen Gebieten Deutschlands jedoch sind die Kliniken qualitativ und quantitativ unterversorgt. Natürlich ist immer eine Großstadt in der Nähe, in der eine ausreichende Versorgung möglich ist. Aber von Fall zu Fall wäre es ratsam, einige Häuser besser auszustatten.

Als dritten negativen Punkt sehe ich die Medien: Es ist heute ganz selbstverständlich, dass sich Patienten im Internet über Krankheiten, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten informieren. Das halte ich prinzipiell zwar für gut. Doch es kommt immer dann zu Problemen, wenn Informationen im Internet nicht korrekt sind – und das ist leider sehr häufig der Fall. Oder wenn dort jemandem Therapieformen vorgeschlagen werden, die in seinem speziellen Fall gar nicht möglich sind. Oft werden auch alternative Behandlungsansätze beschrieben, aber nicht immer sind diese hilfreich oder gar heilend. Das weckt falsche Hoffnungen bei den Menschen, die ich als Ärztin dann wieder „zerstören“ muss.

Abschließend gibt es noch etwas sehr Positives: Die Gründung eines interkulturellen Netzwerks in dem Krankenhaus, in dem ich tätig bin. Es wurde ins Leben gerufen, um Krebspatienten mit türkischem Migrationshintergrund auf ihrem Weg zu unterstützen, mit dem Ziel einer umfassenden medizinischen Versorgung ohne sprachliche und kulturelle Distanzen. Dieses Projekt sollte in Deutschland weiter Schule machen, gerade in Zeiten wie diesen.

Protokoll: Nina Sickinger