Zeitschrift für Komplementärmedizin 2016; 08(04): 43-48
DOI: 10.1055/s-0036-1587996
Praxis
Neuraltherapie
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Neuraltherapie bei Kopfschmerzen unterschiedlicher Genese

Petja Piehler

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Publication Date:
02 September 2016 (online)

 

Summary

Die Neuraltherapie bietet eine effiziente, kostengünstige und nebenwirkungsarme Behandlung von Kopfschmerzen unterschiedlicher Genese, wie langjährige Erfahrungen aus der Praxis zeigen. Einer der wenigen Nachteile ist der interventionelle Charakter, obwohl die gängigen Techniken relativ schmerzarm sind.

Der Beitrag fasst die wichtigsten Infiltrationstechniken bei häufigen Kopfschmerzformen zusammen, die nicht selten eine sofortige und nachhaltige Schmerzlinderung zeitigen.


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Schnelle und nachhaltige Besserung von Schmerzzuständen ist in vielen Fällen möglich - Das zeigt die langjährige Erfahrung aus der neuraltherapeutischen Praxis

Petja Piehler

Kopfschmerzen sind zusammen mit Beschwerden der unteren Wirbelsäule der häufigste Grund für Arztbesuche und einer der häufigsten Gründe für schmerztherapeutische Interventionen. Allein in Deutschland leiden mehr als 50 Mio. Menschen an episodisch oder chronisch auftretenden Kopfschmerzen. Chronische Kopfschmerzen verursachen einen sehr hohen Ausfall von Arbeitszeiten und sind oft Ursache für Hospitalisierung von Patienten und wiederholte Medikamentenverschreibungen.

Die internationale Klassifikation von Kopfschmerzen der International Headache Society (IHS) unterscheidet 14 Gruppen und mehr als 200 Diagnosen, wobei die primären Kopfschmerzen stark überwiegen [1]. Den Löwenanteil an chronisch rezidivierenden Kopfschmerzen bilden die Spannungskopfschmerzen und die Migräne, wobei aus meiner Sicht Hemikranien anderer Genese oft als Migräne fehldiagnostiziert werden. Dazu kommen außerdem als primäre Kopfschmerzen der Clusterkopfschmerz und andere trigemino-autonome Kopfschmerzen.

Bei vielen neurologischen, psychiatrischen und internistischen Erkrankungen treten Kopfschmerzen als Begleitsymptom auf und bedürfen einer Medikation oder Therapie zusätzlich zur Behandlung der Haupterkrankung. Als einige der häufigsten internistischen Erkrankungen mit Kopfschmerzen als Epiphänomen sind (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zu nennen:

  • metabolische Entgleisungen

  • entgleister arterieller Hypertonus

  • Anämie

  • Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts

  • Intoxikationen

  • Infektionen

  • onkologische Erkrankungen

  • Sinusitiden

  • chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Gastritis, Magenulkus

  • Pankreatitis

  • chronische Hepatitis, Cholezystitis

  • medikamenteninduzierter Kopfschmerz (fast jede Substanz kann Kopfschmerzen verursachen, ebenso ein Medikamentenentzug)

Zusammenfassung

Die Neuraltherapie bietet eine effiziente, kostengünstige und nebenwirkungsarme Behandlung von Kopfschmerzen unterschiedlicher Genese, wie langjährige Erfahrungen aus der Praxis zeigen. Einer der wenigen Nachteile ist der interventionelle Charakter, obwohl die gängigen Techniken relativ schmerzarm sind.

Der Beitrag fasst die wichtigsten Infiltrationstechniken bei häufigen Kopfschmerzformen zusammen, die nicht selten eine sofortige und nachhaltige Schmerzlinderung zeitigen.

Wie bei jedem anderen Schmerzsyndrom sind auch bei der Behandlung chronischer Kopfschmerzen nicht pharmakologische Therapieansätze wie Physiotherapie, Entspannungstechniken, Stressmanagement und Sport zu favorisieren. Der Therapieerfolg ist jedoch sehr variabel. Je chronischer die Schmerzsymptomatik, desto größer ist die Bedeutung der psychologischen Komponente im therapeutischen bio-psycho-sozialen Modell. Behandlungsformen dieser Komponente sind im gesetzlichen Gesundheitssystem allerdings nur in geringem Umfang verfügbar.

Die pharmakologische Behandlung gelegentlicher Kopfschmerzen ist weitgehend unproblematisch. Die medikamentöse Therapie chronischer Kopfschmerzen ist wiederum eine medizinische Herausforderung, die der Berücksichtigung mehrerer patienten- und medikamentenbezogener Besonderheiten bedarf.

Als Hauptvertreter der nozizeptiv wirksamen peripheren Analgetika ist die Gruppe der NSAR die am häufigsten verschriebene Substanzklasse. Das ungünstige Nebenwirkungsprofil der NSAR, insbesondere bei älteren Patienten in Bezug auf Kardio- und Nephrotoxizität, ist jedoch ein limitierender Faktor für die längerfristige Verwendung. Als Alternative zu den NSAR werden zunehmend Opiate und Opioide auch bei nicht malignen Schmerzen und Kopfschmerzen verschrieben.

Der Vorteil dieser Substanzklassen ist das günstige Nebenwirkungsprofil bezüglich der Organfunktionen, bis auf Obstipation und Harnverhalt. Als Nachteile gelten die Beeinträchtigung zentralnervöser Funktionen, erhöhtes Delirrisiko, Verwirrtheit und Schlafstörungen, um nur die häufigsten zu erwähnen.

Die Antidepressiva und Antikonvulsiva, die bei Spannungskopfschmerzen und Trigeminusneuralgien gern gegeben werden, sind aufgrund von zentralnervösen Nebenwirkungen und anticholinergen Syndromen ebenso auf Dauer kritisch zu sehen.

Chronische oder chronisch rezidivierende Schmerzen betreffen überwiegend die am schnellsten wachsende Bevölkerungs- und Patientengruppe – die der älteren multimorbiden Menschen, bei denen eine Polypharmakotherapie aufgrund unüberschaubarer Pharmakodynamik und Kinetik sehr problematisch ist.

Neuraltherapie – dankbare Technik in der Kopfschmerzbehandlung

Die Neuraltherapie ist aus Erfahrung eine effiziente, kostengünstige und nebenwirkungsarme Methode zur symptomatischen und kausalen Behandlung von Kopfschmerzen unterschiedlicher Genese. Einer der wenigen Nachteile ist der interventionelle Charakter, obwohl die gängigen Techniken relativ schmerzarm sind.

Die Neuraltherapie ist ein System von aufeinander abgestimmten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen. Dabei werden kleine Mengen von kurz wirksamen Lokalanästhetika (überwiegend Procain und Lidocain 1 %) an spezifischen Stellen appliziert.

Eine genaue Anamnese mit Berücksichtigung von allen vorausgegangenen Operationen, Traumen, chronisch entzündlichen Krankheiten und Narbenentstehung sowie eine Palpation und funktionelle Untersuchung des Patienten sind Voraussetzung für die neuraltherapeutische Behandlung. Durch die Palpation von unterschiedlichen Gewebeschichten (oberflächliche Palpation, Bindegewebspalpation, Kibbler-Falte, Muskelpalpation) erfasst der Therapeut segmentale reflektorische Regulationsstörungen.

Die Lokalanästhetika können unterschiedlich verabreicht werden:

  • lokal: am Locus dolendi durch Quaddeln, Triggerpunktinfiltrationen

  • segmental: intramuskulär, präper-iostal, perineural, periartikulär, Insertionen sowie an vegetativen Ganglien im Sinne der erweiterten Segmenttherapie

  • systemisch (intra- und perivasal)

  • oder im Bereich von Störfeldern

Effekte und Techniken der Neuraltherapie

Der neuraltherapeutische Effekt dauert wesentlich länger als es die Halbwertzeit der Substanzen vermuten lässt und ist nicht abhängig von der Substanzmenge. Es handelt sich um eine Regulationsmethode, die durch Löschen pathologischer Reaktionsmuster und neurovegetativer Engrammierungen sowie Reduktion der gesamten inflammatorischen Last des Organismus Regulationsblockaden beseitigen kann. Über Beeinflussung der segmentalen Innervation sowie über Reflexverschaltungen auf spinaler Ebene werden auch übergeordnete neurovegetative Strukturen modifiziert und die Reaktionsfähigkeit des Körpers im Sinne einer Wiederherstellung der Homöostase verbessert.

Die Lokalanästhetika werden ohne Zusätze verwendet und an Muskelansätzen, Triggerpunkten, Periost, Nervenganglien, neuromodulativen Triggern (Störfelder), Narben, Akupunkturpunkten appliziert.

Die Neuraltherapie kann als Monotherapie oder adjuvant mit jeder anderen Therapie kombiniert werden und verbessert die Ergebnisse anderer Therapiemethoden durch Entlastung von gestörten Regelkreisen, Beseitigung von Regulationsblockaden und Reduktion der gesamten inflammatorischen Last des Organismus.

Die neuraltherapeutische Behandlung beginnt im Kopfbereich genauso wie bei anderen Körperregionen i. d. R. als lokale und segmentale Therapie. Kann man über diese Techniken ausreichend Beschwerdelinderung oder Sistieren der Beschwerden erreichen, sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich.

Die Neuraltherapie kann als Monotherapie bei Spannungskopfschmerzen, Neuralgien, vertebragen bedingten Symptomen oder solchen mit toxischer, klimatischer oder alimentärer Genese angewendet werden. Ebenso ist die adjuvante neuraltherapeutische Mitbehandlung bei allen anderen Formen von Cephalgie zu empfehlen. Die Anwendung der Methode setzt die Kenntnis bestimmter Infiltrationstechniken voraus, die im Folgenden beschrieben werden.


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Präperiostale Infiltrationstechniken

„Dornenkranz“ nach Hopfer

Bei diffusen oder zerebrovaskulär bedingten Kopfschmerzen, bei Schwindel sowie bei beginnenden Demenzformen kommt der sog. Dornenkranz nach Hopfer zur Anwendung. Dabei kommt es zu einer Verbesserung der zerebralen Perfusion über die Reizsetzung im Bereich von trigeminal und spinal innervierten Strukturen sowie über die pharmakologischen Eigenschaften der Lokalanästhetika.

Technik

Mit einer Nadel der Stärke 0,4 × 20 mm werden um die größte Zirkumferenz des Kopfes ca. alle 3 cm präperiostale Depots (0,2–0,3 ml Lokalanästhetikum pro Injektion) gesetzt. Der Stirnbereich wird aus ästhetischen Gründen meistens ausgelassen.


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Infiltration von nuchealen Insertionspunkten (A-,B-,C- und T-Punkte nach Hackett)

Diese Infiltrationstechnik stellt eine sehr dankbare Technik bei Kopfschmerzen durch Verspannungen der Nackenmuskulatur und / oder Insertionstendopathien im Bereich der Linea nuchae superior dar ([ Abb. 1 ]). Diese Arten von Kopfschmerzen zeigen oft eine aufsteigend nucheale Ausbreitung und werden oft mit Okzipitalneuralgien verwechselt. Der gezielte Druck auf diese Punkte kann das beschriebene Schmerzmuster auslösen.

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Abb. 1 Infiltrationstechnik von nuchealen Insertionspunkten. © ÖNR Archiv

Lokalisation

  • T-Punkt – medianer Punkt auf der Protuberantia occipitalis externa

  • A-Punkt – 1 QF lateral der Medianlinie. Entspricht der Insertionstelle von M. trapezius, der aufgrund von Fehlhaltungen (Computerarbeit) oft im Spannungszustand ist.

  • B-Punkt – 2 QF lateral der Medianlinie und Insertionspunkt von M. splenius capitis.

  • C-Punkt – Am Übergang von Mastoid zum Okziput. Insertionspunkt von M. sternocleidomastoideus.


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Technik

Eine Nadel der Stärke 0,5 × 40 mm wird bis zum Periostkontakt eingeführt, die Nadel wird leicht zurückgezogen, um subperiostale Hämatome zu vermeiden, es werden 0,2 ml Lokalanästhetikum pro Punkt appliziert. Es werden i. d. R. die Punkte infiltriert, die palpatorisch auffällig oder schmerzhaft sind.

Dabei wird mittels der sog. Zweifingerschutzmethode gearbeitet, um die Treffsicherheit zu erhöhen und Komplikationen zu vermeiden ([ Abb. 2 ]). Dieses Therapieprogramm wird meist von der Applikation kleiner Mengen Lokalanästhetikum an das Mastoid begleitet.

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Abb. 2 Zweifingerschutzmethode bei Infiltration von knöchernen Strukturen, hier im Rippenbereich. © ÖNR Archiv

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Vogelpunkt

Ein weiterer Punkt, der in der beschrieben präperiostalen Technik infiltriert wird, ist der sog. Vogelpunkt bei temporal betonten Kopfschmerzen oder Migräne.

Technik

Dabei wird eine Nadel 0,5 × 40 mm in der Mitte der Schläfe bis zum Knochenkontakt eingeführt, dann 1 mm zurückgezogen und nach Aspiration werden 0,3–0,5 ml des Lokalanästhetikums appliziert.


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Infiltration von Triggerpunkten

In der modernen Geschichte der Behandlung von Schmerzsyndromen spielen die Triggerpunkte eine immense Rolle. Dabei handelt es sich um Schmerzmaximalpunkte, die eine stereotype Lage haben und nicht selten mit Akupunkturpunkten kongruent sind. Druck im Bereich eines Triggerpunkts führt zu Schmerzauslösung in einer vorhersagbaren Zone (referred pain) und oft auch zu vegetativen Reaktionen. Triggerpunkte werden bei einem Reizzustand der entsprechenden kinetischen Kette aktiviert und sind oft mit pseudoradikulären Schmerzsyndromen vergesellschaftet.

Frontale und temporale Kopfschmerzen können z. B. mit Triggeraktivität in folgenden Muskeln zusammenhängen und werden oft mit Migräne verwechselt: M. masseter, M. temporalis ([ Abb. 3 ]–[ 7 ]), M. sternocleidomastoideus, M.scalenus, M. trapezius, M. splenius capitis.

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Abb. 3 Musculus temporalis. Quelle: [6]

Werden die Triggerpunkte korrekt durch Palpation identifiziert, ist ihre neuraltherapeutische Behandlung relativ einfach. Sie kann in vielen Fällen zu einer sofortigen und nachhaltigen Besserung von Schmerzzuständen führen.

Technik

Der Triggerpunkt wird mit 2 Fingern fixiert und nach Einführen einer Nadel der Stärke 0,5 × 40 mm werden 0,2–0,3 ml des Lokalanästhetikums appliziert. Das Erreichen des Triggerpunkts mit der Nadelspitze wird vom Therapeuten deutlich anhand einer Veränderung vom Gewebswiderstand gespürt. Wiederholte Behandlungen im Abstand von einigen Tagen sind oft erforderlich. In einer Sitzung werden i. d. R. mehrere Triggerpunkte behandelt. Die Triggerpunkttechnik wird in [ Abb. 8 ] am Beispiel der Infiltration eines der Trigger des M. trapezius veranschaulicht.

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Abb. 8 Infiltrationstechnik eines Triggerpunkts des M. trapezius. © ÖNR Archiv

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Intra- und paravasale Infiltrationen

Die klassische neuraltherapeutische Behandlung nach Huneke beginnt mit einer intravasalen Injektion von 1 ml Lokalanästhetikum und einer paravasalen Umflutung mit 0,5 ml beim Herausziehen der Nadel, um das paravasale sympathische Geflecht zu erreichen. Mit dieser Injektion kann man den Effekt der lokalen und segmentalen Therapie verstärken.

Die Procain-Basen-Infusion als systemische Neuraltherapie gewinnt immer mehr an Bedeutung. Mittlerweile liegen belastbare Daten für deren Effizienz und Sicherheit vor.

Es werden 100–300 ml Procain 1 %, 40–120 ml Natriumhydrogenkarbonat 8,4 % in 250–500 ml 0,9 % NaCl-Lösung über 60–90 min je nach Procainmenge infundiert. Besonders effektiv ist die Methode bei chronischen und multisegmentalen Schmerzsyndromen zur Reduktion von Schmerz und Entzündung. Die Rolle des Natriumhydrogenkarbonats und die Entbehrlichkeit dieser Substanz in den Procain-Infusionen sind noch nicht abschließend geklärt.

Bei der Therapie von Kopfschmerzen können auch paravasale Injektionen an A. carotis und A. temporalis superficialis zur besseren Erfassung der vasomotorischen Komponente durchgeführt werden.

Technik

1 ml Procain 1 % oder Lidocain 1 % wird an die pulsierende Arterie gespritzt, parallel zum Gefäßverlauf. Bei allen Injektionen in der Nähe der A. carotis muss man sorgfältig in 2 Ebenen aspirieren, um intravasale Injektionen mit möglichen schwerwiegenden neurologischen Komplikationen zu vermeiden.

Eine Verbesserung von Kopfschmerzen kann neuraltherapeutisch auch durch Aktivierung des lymphatischen Abflusses erreicht werden.

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Abb. 4 M. temporalis Triggerpunkt 1 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]
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Abb. 5 M. temporalis Triggerpunkt 2 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]
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Abb. 6 M. temporalis Triggerpunkt 3 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]
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Abb. 7 M. temporalis Triggerpunkt 4 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]

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Technik

Es werden mehrere intrakutane Quaddeln mit 0,1 ml des Lokalanästhetikums pro Quaddel am Vorderrand des M. sternocleidomastoideus gesetzt


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Infiltration nervaler Strukturen

Sollte der klinische Verdacht auf eine echte Okzipitalneuralgie bestehen, kann man neuraltherapeutisch auch den N. occipitales major et minor umfluten. Dabei handelt es sich wie immer bei nervennahen Infiltrationen um eine perineurale und nicht intraneurale Technik.

Technik

Durchführung mit einer 0,4 × 20 mm Nadel. 3 cm lateral der Protuberantia occipitalis palpiert man die A. occipitalis. Etwas medial davon ist die Einstichstelle für die Infiltration an N. occipitalis major. Die Nadel ist leicht nach kranial gerichtet, die Einstichtiefe beträgt ca. 1 cm.

Die Infiltration an N. occipitalis minor erfolgt einen Fingerbreit medial vom Hinterrand des Proc. mastoideus am Unterrand des Okziputs und senkrecht zur Haut [5].


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Infiltration an das Kiefergelenk

Die Erfassung von Pathologien des Kiefergelenks bei der Behandlung chronischer Kopfschmerzen ist obligatorisch. Kraniomandibuläre Dysfunktionen sind häufiger als angenommen und unterhalten oft therapieresistente Schmerzsyndrome über sehr lange Zeit. Bei entsprechenden anamnestischen Angaben, Druckdolenz, unvollständiger Mundöffnung oder auffälliger Palpation der Kiefergelenke kann man neuraltherapeutisch das Gelenk umfluten.

Technik

Der Kiefergelenkspalt wird durch wiederholtes Öffnen und Schließen des Mundes einen Fingerbreit vor dem Tragus palpiert, eine Nadel 0,4 × 20 mm wird 1–1,5 cm tief eingeführt und 1 ml des Lokalanästhetikums appliziert.


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Infiltration an Nervenganglien

Bei chronischen Kopfschmerzen ausgelöst durch chronische Sinusitis, Trigeminusneuralgie, Clusterkopfschmerz, atypischen Gesichts- und Oberkieferschmerz oder einer Sonderform von Kopfschmerzen (Sluder-Neuralgie) ist die Umflutung des Ganglion pterygopalatinum oft zielführend.

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Abb. 9 Quaddeltechnik zur Aktivierung des lymphatischen Abflusses. © ÖNR Archiv

Bei Persistenz von Kopfschmerzen anderer Genese oder ungenügender und zeitlich limitierter Schmerzreduktion trotz Ausschöpfen der Möglichkeiten der Segmenttherapie werden neuraltherapeutische Infiltrationen im erweiterten Segment auch an anderen Ganglien (Ganglion cervikale superior, Ganglion stellatum oder Ganglion pterygopalatinum) vorgenommen. Die Beschreibung der entsprechenden Injektionstechniken würde allerdings den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Diese neuraltherapeutischen Techniken gehören zur Segmenttherapie in der Neuraltherapie. Die Segmenttherapie basiert auf der Erkenntnis, dass alle Körperstrukturen, die vom gleichen Spinalnerv innerviert werden, auf Reize als Einheit antworten. Bei der neuraltherapeutischen Behandlung werden segmental reflektorisch Reaktionsprozesse in Gang gesetzt, unabhängig davon kommen diverse Eigenschaften der Lokalanästhetika zum Tragen:

  • Vasodilatation

  • Sympatholyse

  • Stabilisierung der Zellmembran

  • Normalisierung der Perfusion

  • Matrixreset durch Irritationspause

  • Antiinflammation

Besonders interessant in Bezug auf die Antiinflammation sind die noch nicht lange bekannten „alternativen“ Eigenschaften von Lokalanästhetika, die nicht über Natriumkanalblockade zustande kommen. Dies betrifft v. a. die Signaltransduktion an membranständigen G-Protein-Rezeptoren und die darüber bedingte Minderung der Expression von Entzündungsmediatoren [4].


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Neuraltherapie als Störfeldtherapie

Bei Therapieresistenz oder rezidivierenden Beschwerden erfolgt nach 2- bis 3-maliger segmentaler Neuraltherapie ohne ausreichenden Effekt die Erweiterung des therapeutischen Konzepts durch die gezielte Behandlung von neuromodulativen Triggern bzw. Störfeldern.

Dem Phänomen des Störfelds wird in der heutigen Forschung immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Histologisch gesehen wird eine subklinische Entzündung im Gewebe unterhalb der Schmerzschwelle angenommen [2]. Diese subklinische Inflammation kann Folge unterschiedlicher mechanischer, thermischer oder chemischer Noxen sein und ist durch ständige Irritation von sympathischen Fasern sowie Aktivierung von Zytokinkaskaden im Gewebe charakterisiert. Die Signalübetragung dieser Störfelder auf den restlichen Organismus erfolgt über diese biochemische Alteration im Grundsystem oder über neuronale Verschaltungen. Die ausgelöste subklinische Inflammation (silent inflammation) und Sympathikusaktivierung blockiert eine Reihe von immunologischen Mechanismen und hindert den Organismus an der Sanierung oder Neutralisierung zusätzlicher Stressoren oder krankmachender Faktoren im Sinne eines „Zweitschlag“ nach Speranskij [3].

Die Neuraltherapie ist demnach die beste Methode zur Detektion und Elimination von Störfeldern, die zu Regulations- und Reaktionsblockaden führen können. Ein Störfeld kann jede Stelle des Körpers nach Trauma oder chronischer Entzündung sein. Es kann lange Zeit im Zustand der klinischen Latenz verweilen, keine oder nur unterschwellige Symptome verursachen und sich durch einen zusätzlichen schädlichen Agens oder Reiz (Zweitschlag nach Speranskij) manifestieren und ortsungebunden Symptome auslösen oder unterhalten.

Die meisten Störfelder sind im Kopfbereich lokalisiert (beherdete Zähne, chronische Nasennebenhöhlenentzündungen, Tonsillen). Jedoch können alle Narben am Körper oder auch chronische Entzündungen der inneren Organe Störfeldcharakter haben. Ob sich ein potenzielles Störfeld auch klinisch manifestiert, hängt von der Körperkonstitution, der zusätzlichen Exposition und der Summation aller Belastungen ab.

Die wiederholte Umflutung eines Störfelds mit Lokalanästhetika bewirkt eine Irritationspause in der Matrix und im neurovegetativen Nervensystem, die Löschung peripherer Reizen, eine Reduktion der gesamten inflammatorischen Last des Organismus und die Reduktion des gesamten Sympathikotonus. Zivilisationskrankheiten und Schmerzsyndrome des modernen Menschen resultieren bekanntlich aus einem permanenten Aktivierungszustand des sympathischen Nervensystems.

Die Störfelder im Kopfbereich sind neuronal mit der Halswirbelsäule und den Kopfgelenken über den trigeminozervikalen Komplex verschaltet. Sie können darüber Tonusveränderungen der Nackenmuskulatur sowie Fehlstellungen der Halswirbelsäule und darüber der gesamten Wirbelsäule steuern. Der trigeminozervikale Komplex beinhaltet neuronale Verschaltungen zwischen dem Versorgungsgebiet des N. trigeminus und der spinal versorgten Bereiche der Segmente C 1–C 3 auf der Höhe der Formatio reticularis ([ Abb. 10 ]). Dort entstehen auch vagale Verbindungen zum Kerngebiet des N. vagus.

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Abb. 10 Struktur-Funktions-Beziehungen der Formatio reticularis. Quelle: [7]

Die Störfelder im Kopfbereich können über diese neuronalen Verschaltungen Schmerzen sowohl im Kopfbereich als auch im gesamten restlichen Körper verursachen oder unterhalten. Sie sollten im Falle eines Versagens der lokalen segmentalen Therapie im weiteren therapeutischen Konzept aufgenommen werden. Die Infiltrationen von den Kopfstörfeldern können wie alle anderen Infiltrationstechniken in den Ausbildungskurse der Neuraltherapiegesellschaften erlernt werden.

Interessenkonflikt: Die Autorin erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Beziehungen bestehen.

Online zu finden unter
http://dx.doi.org/10.1055/s-0036-1587996


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Dr. med. Univ. Petja Piehler

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Chefärztin Innere Medizin
RoMed Klink Wasserburg am Inn
Krankenhausstr. 2
83512 Wasserburg am Inn

Petja.Piehler@ro-med.de


Petja Piehler, geboren 1964 in Sofia, Bulgarien. Seit 2009 Chefärztin der Abteilung für Innere Medizin der RoMed Klinik Wasserburg am Inn. Fachärztin für Gastroenterologie, Diabetologie, Geriatrie und integrative Schmerztherapie. Weitere Qualifikationen: Zusatzbezeichnung Naturheilverfahren mit Weiterbildungsermächtigung für Naturheilverfahren, ÖÄK Diplom Neuraltherapie, ÖÄK Diplom Akupunktur.

  • Literatur

  • 1 Headache Classification Committee of the international Headache Society The international classification of headache disorders, 3 rd edition (beta version). Cephalalgia 2013; 33 (9) 629-808
  • 2 Heine H. Lehrbuch der biologischen Medizin. 2. Aufl. Stuttgart: Hippokrates; 1997
  • 3 Speranskij AD. Grundlagen der Theorie der Medizin. Berlin: Saenger; 1950
  • 4 Weinschenk S Hrsg. Handbuch Neuraltherapie. München: Elsevier; 2010
  • 5 Fischer L. Neuraltherapie nach Huneke. Stuttgart: Hippokrates; 2007
  • 6 Hecker HU, Steveling A, Peuker ET, Liebchen K Hrsg. Taschenatlas Akupunktur und Triggerpunkte. Stuttgart: Haug; 2015
  • 7 Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2009

  • Literatur

  • 1 Headache Classification Committee of the international Headache Society The international classification of headache disorders, 3 rd edition (beta version). Cephalalgia 2013; 33 (9) 629-808
  • 2 Heine H. Lehrbuch der biologischen Medizin. 2. Aufl. Stuttgart: Hippokrates; 1997
  • 3 Speranskij AD. Grundlagen der Theorie der Medizin. Berlin: Saenger; 1950
  • 4 Weinschenk S Hrsg. Handbuch Neuraltherapie. München: Elsevier; 2010
  • 5 Fischer L. Neuraltherapie nach Huneke. Stuttgart: Hippokrates; 2007
  • 6 Hecker HU, Steveling A, Peuker ET, Liebchen K Hrsg. Taschenatlas Akupunktur und Triggerpunkte. Stuttgart: Haug; 2015
  • 7 Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2009

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Abb. 1 Infiltrationstechnik von nuchealen Insertionspunkten. © ÖNR Archiv
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Abb. 2 Zweifingerschutzmethode bei Infiltration von knöchernen Strukturen, hier im Rippenbereich. © ÖNR Archiv
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Abb. 3 Musculus temporalis. Quelle: [6]
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Abb. 8 Infiltrationstechnik eines Triggerpunkts des M. trapezius. © ÖNR Archiv
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Abb. 4 M. temporalis Triggerpunkt 1 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]
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Abb. 5 M. temporalis Triggerpunkt 2 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]
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Abb. 6 M. temporalis Triggerpunkt 3 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]
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Abb. 7 M. temporalis Triggerpunkt 4 mit Schmerzprojektionsareal. Quelle: [6]
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Abb. 9 Quaddeltechnik zur Aktivierung des lymphatischen Abflusses. © ÖNR Archiv
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Abb. 10 Struktur-Funktions-Beziehungen der Formatio reticularis. Quelle: [7]