Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(06): 394
DOI: 10.1055/s-0041-101162
Dossier
Herzinsuffizienz
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine Systemerkrankung mit unterschiedlichen Ätiologien: Herzinsuffizienz

Georg Ertl
1   Klinik und Poliklinik I, Klinikum der Julius-Maximilians-Universität
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Publication Date:
16 March 2015 (online)

Herzinsuffizienz wurde im 21. Jahrhundert zur weltweiten Epidemie. Ihre Mortalität und Morbidität kann durch eine moderne leitliniengerechte Therapie gesenkt werden. Streng genommen gelten die Leitlinien aber nur für die Therapie der chronischen systolischen Linksherzinsuffizienz: Für die Diagnostik und die Therapie von akuter Herzinsuffizienz, Herzinsuffizienz mit Komorbiditäten, Herzinsuffizienz mit erhaltener systolischer Pumpfunktion, für viele chirurgische Verfahren und die fortgeschrittene oder terminale Herzinsuffizienz gibt es keine ausreichende Evidenz. Vermutlich müssen wir ganz neue Wege gehen und die Herzinsuffizienz, die traditionell als klinisches Syndrom gesehen wird, doch als eigene Systemerkrankung – wenn auch mit unterschiedlichen Ätiologien – auffassen. Komorbiditäten spielen dabei eine große, häufig entscheidende Rolle für die Lebensqualität, den Verlauf und die Prognose.

Die Systemerkrankung Herzinsuffizienz beginnt vor der klinischen Manifestation. Dies kann auf der Grunderkrankung beruhen, den häufigen Organkomplikationen der Herzinsuffizienz oder den Komorbiditäten, von deren Bedeutung die Metaanalyse MAGICC auf Basis von 40 000 Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz berichtet. Denkstörungen und Depression sind dabei besonders gravierende Komorbiditäten. Die Würzburger INH-Studie hat gezeigt, dass die besten Ergebnisse mit umfassenden Betreuungsprogrammen durch speziell qualifiziertes Personal zu erreichen sind. Telemedizinische Konzepte könnten diese Programme sinnvoll ergänzen.

Die Alltagsmedizin muss von Leitlinien abstrahieren können, die spezifischen Bedürfnisse deseinzelnen Patienten berücksichtigen und über die Leilinien hinaus die Diagnostik und Therapie individualisieren. Genom-weite Assoziationsstudien und Proteomics können mögliche neue Biomarker identifizieren, aber die Kombination von klinischen Informationen und Genetik sind bis heute das überlegene Konzept. Hypertrophie und Herzinsuffizienz sind auf transskriptioneller, translationaler und post-translationaler Ebene reguliert, sodass heute die meisten Patienten von der Fähigkeit ihres Arztes abhängen, Leitlinien in den Alltag umzusetzen.

Zahllose Fragen bleiben für die Herzinsuffizienzforschung noch offen. Es gibt Hoffnung für eine Therapie der akuten und der diastolischen Herzinsuffizienz. Fortschritte in der Herzchirurgie warten darauf, dass sich ihre Relevanz für den Verlauf der Herzinsuffizienz erweist. Disease-Management-Programme haben ihren Wert belegt, müssen aber noch flächendeckend in die Versorgung übernommen werden. Herzinsuffizienz ist eine multidisziplinäre Herausforderung für die Patientenversorgung, aber auch für die Forschung. Es muss gelingen, andere Fächer als die Kardiologie, auch für die Herzinsuffizienz zu begeistern.