Schlüsselwörter
Ernährung - Konstitution - Nahrungsmittelunverträglichkeit - Ernährungsgewohnheiten
- Zivilisationserkrankungen
Keywords
Nutrition - constitution - food intolerance - eating habits - civilization diseases
Gesunde Kost für alle: Auch Experten tun sich schwer
Gesunde Kost für alle: Auch Experten tun sich schwer
Angesichts der zahlreichen widersprüchlichen Ernährungsempfehlungen erscheint das
Thema dieses Beitrags fast anmaßend. Die Frage nach einer gesunden „Mainstream“-Ernährung
lässt sich mit einem wissenschaftstheoretischen Ansatz und Studienergebnissen nicht
in allen Punkten befriedigend beantworten. Daher stehen pragmatisch-empirische Erfahrungen
im Mittelpunkt.
Abb. 1 Roh oder gekocht? 3 große oder 5 kleine Mahlzeiten? Bio oder konventionell? Die gesunde
Ernährung für jedermann gibt es nicht. © Chris Meier/TVG
Die Mehrzahl der Erkrankungsbilder, weswegen Menschen heute medizinische Hilfe in
Anspruch nehmen, weist einen mehr oder weniger direkten Bezug zum Thema Ernährung
auf. Viele unserer typischen Zivilisationserkrankungen, die u. a. einen Bezug zu Ernährungsgewohnheiten
aufweisen, können durch Ernährungsoptimierungen oft positiv beeinflusst werden. Typische
Zivilisationserkrankungen, die in Wechselwirkung zu Ernährungsgewohnheiten stehen,
sind u. a.:
-
Herzinfarkt
-
Schlaganfall
-
Bluthochdruck
-
Gicht
-
Diabetes Typ 2
-
Adipositas
-
Metabolisches Syndrom
-
Allergien/Ekzeme
-
Arthritis/Arthrose
-
Rückenleiden
-
Venenschwäche
-
Depressionen
-
Sinusitis
-
Erschöpfungsyndrome
-
Kolitis/Reizdarmsyndrom
-
Krebs
-
Hyperaktivität
Umgekehrt könnte man formulieren: 1946, in der Zeit des Mangels und des verbreiteten
Hungers, waren die genannten Krankheitsbilder extrem selten oder faktisch „unbekannt“.
Äußern sich verschiedene Ernährungsexperten etwa in Podiumsdiskussionen über die Frage,
wie eine gesunde Ernährung auszusehen habe, sind die Antworten keineswegs einheitlich:
Je nach Ausrichtung reichen die Empfehlungen von „vegetarischer Vollwertkost“ über
ein „von allem etwas“ bis hin zu der unsäglichen Formulierung, es gäbe „keine guten
und keine schlechten Nahrungsmittel“ es komme nur darauf an, wie man damit umgehe.
Daraus könnte man ableiten, egal ob Reis mit Gemüse oder Hackbraten mit Cola light
− irgendwie ist alles gleich. Mit Verlaub: Wenn das der „Mainstream“ wäre, wozu brauchen
wir dann noch die Ernährungswissenschaft?
„Ausgewogene Mischkost“ − eine ziemlich hilflose Kompromissformel
Ein bekannter Ernährungswissenschaftler regte sich über die in Expertenkreisen seit
geraumer Zeit gebräuchliche Empfehlung zu einer „ausgewogenen“ Mischkost als Idealkost
für jedermann auf und fragte, was man sich denn bitte darunter vorzustellen habe.
Damit konfrontierte er einige namhafte Ernährungsexperten, die diesen Begriff immer
wieder verwenden. Die erstaunliche Antwort eines Universitätsprofessors lautete sinngemäß:
Der Begriff „ausgewogene Mischkost“ sei per se unwissenschaftlich und sollte zukünftig
nicht mehr verwendet werden.
Auch wenn es bereits den Ernährungswissenschaften schwer fällt, „klare Kante“ zu zeigen,
soll im Folgenden trotzdem versucht werden, einige Eckpfeiler zum Thema „gesunde Ernährung“
für jedermann zusammenzustellen − wohl wissend, dass je nach Krankheitsbild individuelle
Modifikationen nötig sein können.
Gesunde Ernährung: Nicht nur eine Frage der Inhaltsstoffe
Gesunde Ernährung: Nicht nur eine Frage der Inhaltsstoffe
Gesunde Ernährung darf sich nicht nur, wie jahrzehntelang geschehen, allein durch
seine Inhaltsstoffe definieren. Allzu lange Zeit dominierten Diskussionen über das
richtige Verhältnis zwischen Eiweißen, Fetten, Kohlenhydraten und das Zählen von Kalorien.
Auch wenn in den letzten Jahren zunehmend Kriterien der Wertigkeit der einzelnen Nahrungskomponenten stärker diskutiert wurden, fiel ein ganz entscheidender
Faktor weitgehend unter den Tisch: die individuelle Bekömmlichkeit − und in einem weiteren Sinn die Frage einer konstitutionsgemäßen Ernährung.
Nach Karl Pirlet ist nur diejenige Medizin „naturgemäß“, die der Natur des einzelnen
Menschen gemäß ist. Dieses Postulat gilt für die Ernährung ganz besonders. Im ungünstigen
Fall kann „gesunde Nahrung“ nämlich auch krank machen. Man denke an exzessiven Rohkostgenuss
bei asthenischen Menschen und Personen mit Neigung zu Magen-Darm-Unverträglichkeiten
bzw. Reizdarm oder die Unverträglichkeit einer Getreide-Obst-betonten Vollwertkost
für Menschen mit empfindlichem Verdauungstrakt mit Neigung zu Blähungen etc. Fünfmal
am Tag Obst und Gemüse mag für einen adipösen Menschen mit metabolischem Syndrom eine
sinnvolle Empfehlung sein. Für einen Reizdarmpatienten lässt sie sich i. d. R. kaum
oder höchstens bruchstückhaft umsetzen.
Moderne Zivilisationskost: Überschuss und Mangel
Moderne Zivilisationskost: Überschuss und Mangel
Eine Analyse moderner Zivilisationskost offenbart Überschuss und Mangel zugleich.
Sie enthält zu viel ungünstige Fettsäuren, insbesondere gesättigte Fettsäuren, Transfettsäuren
und Arachidonsäure (AA). Die zu hohe Zufuhr an isolierten Kohlenhydraten wurde lange
Zeit v. a. von Anhängern der Vollwertkost als Zufuhr wertloser „leerer“ Kalorien kritisiert.
Heute werden isolierte Kohlenhydrate von der Ernährungswissenschaft insgesamt als
kritisch angesehen. Tierisches Eiweiß gilt nach Lothar Wendt − wenn im Übermaß zugeführt
− u. a. als hämatokritsteigernd, lymphbelastend, arteriosklerosefödernd [6] und im engeren Sinne als „säurebildend“. Laut DGE benötigt ein 70 kg schwerer Mensch
ca. 56 g Eiweiß pro Tag. Die Durchschnittsaufnahme des Deutschen liege beim 4- bis
6-Fachen der empfohlenen Menge. Hinzukommen in der modernen Ernährung zahllose Zusatzstoffe
wie Geschmacksverstärker und Farbstoffe. Insgesamt ist sie zu kalorienreich und „säureüberschüssig“.
Auf der anderen Seite mangelt es an hochwertigen einfach- und mehrfach ungesättigten
Fettsäuren (ALA, EPA, DHA), Ballaststoffen und anderen sekundären Pflanzenstoffen
wie Polyphenolen. Gleichzeitig ist moderne Zivilisationskost zu arm an Vitalstoffen
und weist einen Mangel an „Basenbildnern“ auf. Erklärend sei dazu ausgeführt: Eine
„Basenkost“ i. S. des Wortes kann es nicht geben. Sie würde nach Seife schmecken.
Sämtliche Lebensmittel sind aufgrund ihrer Chemie sauer − bis auf einige wenige basische
Mineralwässer, die aber nicht besonders gut schmecken. Korrekterweise muss man daher
von „basenbildenden“ Nahrungsmitteln sprechen, die dem Organismus entsprechende Mineralstoffe
zur Verfügung stellen, um den Säure-Basen-Haushalt zu optimieren.
Wie sich die Nahrung verändert hat
Wie sich die Nahrung verändert hat
Fette
Von der in tierischem Fett vorkommenden AA nimmt der Durchschnittsbürger das 4- bis
6-Fache der noch als akzeptabel geltenden Menge auf. AA gilt als entzündungstreibend
und schmerzverstärkend und sollte daher v. a. von Patienten mit rheumatischen und
dermatologischen Krankheiten gemieden bzw. deutlich reduziert werden [3] ([Tab. 1]). Am Beispiel der AA lässt sich die Verschiebung der Fettsäureaufnahme in den letzten
100 Jahren erkennen. Betrug das Verhältnis AA zu Ω-3-Fetten vor rund 100 Jahren ca.
3 : 1, kann heute meist eine Relation von 10-25 : 1 unterstellt werden. Ein Grund
ist u. a. in der Tierhaltung zu suchen. Grünfutter führt in der Tierhaltung zu einem
deutlich höheren Anteil an Ω-3-Fetten etwa im Rindfleisch. Heutige Massentierhaltung
mit damit einhergehendem veränderten Fütterungsverhalten hat den Fettsäuregehalt im
Rindfleisch und in der Milch immer mehr zuungunsten der Ω-3-Fette verschoben.
Tab. 1
Arachidonsäuregehalt in
Nahrungsmitteln.
|
Nahrungsmittel
|
mg/100 g
|
|
Gemüse,
Kartoffel, Nüsse, Obst, Soja
|
0
|
|
Kuhmilch
|
4
|
|
Camembert
|
34
|
|
Ei
(gesamt)
|
70
|
|
Butter
|
83
|
|
Schweinefleisch
|
120
|
|
Leberwurst
|
230
|
|
Schweineschmalz
|
1700
|
Ω-3-Fette konnten in zahlreichen Studien protektive Wirkungen zeigen, insbesondere
für Herzpatienten, in Bezug auf die Blutfließfähigkeit, ferner antientzündliche und
antidepressive Wirkungen (Kasten 1) ([Abb. 2]). Neuere Forschungen legen sogar antidementielle Effekte nahe, allerdings nur in
der Prophylaxe, nicht bei bereits eingetretenen Veränderungen. Die Komponenten DPA
und EPA, also die eigentlichen Fischöle, sollen dabei effektiver sein als die pflanzliche
Ω-3-Fettsäure α-Linolensäure (ALA).
Abb. 2 In der GISSI-Studie zeigte sich keine der getesteten Substanzen so effektiv wie Ω-3-Fette
in Bezug auf die Endpunkte „Plötzlicher Herztod“ und „Gesamtsterblichkeit“. Die grünen
Balken beschreiben den Endpunkt plötzlicher Herztod, die grauen den Endpunkt Gesamtsterblichkeit.
Als gute Ω-3-Fett-Quellen gelten neben Kaltwasserfischen auch einige pflanzliche Quellen,
z. B. Rucola, Spinat, Wirsing, Kohl, Linsen, Bohnen, Soja, Walnüsse, besonders aber
Weizenkeimöl, Rapsöl und Leinöl.
Fazit: Eine ausreichende Fettzufuhr macht medizinisch Sinn, wenn die „richtigen Fette im
Vordergrund stehen“. Wesentlich ist offenbar das Verhältnis der einzelnen Fettsäuren
untereinander. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es heute keinen Grund, eine streng
fettarme Ernährungsweise zu propagieren.
-
triglyzeridsenkend (gilt nicht für ALA)
-
HDL-steigernd
-
blutdrucksenkend
-
kleine Blutgefäße werden erweitert
-
antithrombotisch/rheologieverbessernd
-
antiarrhythmisch
-
antientzündlich
-
schmerzlindernd
-
antidepressiv
Kohlenhydrate
Bei den Kohlenhydraten galt v. a. bei den Anhängern der Vollwerternährung jahrzehntelang
der Zucker − gemeint ist der Haushaltszucker (Saccharose) − als Quelle allen Übels
und als völlig wertlose „leere“ Kalorie. Heute müssen wir gleich eine ganze Palette
isolierter Kohlenhydrate als problematisch ansehen, offensichtlich besonders den allgegenwärtigen
Fruchtzucker (Fruktose).
Jahrelang wurde Fruktose ob seiner angeblich insulinunabhängigen Verstoffwechselung v. a. für Diabetiker als
geeignet angesehen. Bis vor wenigen Jahren wurden unsinnigerweise sog. Diabetikernahrungsmittel
mit Fruchtzucker angeboten und teilweise sogar von den Kostenträgern im Gesundheitswesen
bezuschusst.
Das Phänomen der insulinunabhängigen Verstoffwechselung gilt aber nur bei geringer
Zufuhr. Angesichts der heutigen hohen Fruktosemengen in der „Normalkost“ als Folge
moderner Lebensmittelherstellung entsteht ein zusätzlicher fettsäuresynthetisierender
Effekt. Die heute so breite nahrungsmittelindustrielle Verwendung des Fruchtzuckers
beruht auf mehreren Faktoren: Fruktose süßt intensiver als herkömmlicher Haushaltszucker,
ist zudem preiswerter. Er muss vonseiten der Nahrungsmittelindustrie nicht als „Zucker“
im klassischen Sinne deklariert werden. In hohen Dosierungen hemmt Fruktose die Leptinfreisetzung.
Leptine sind natürliche Appetitzügler, deren sinnvolle Funktion auf diese Weise beeinträchtigt
wird. Fruktosezusätze finden sich heute in zahllosen Lebensmitteln, insbesondere in
Softdrinks, Backwaren und Milchprodukten.
Der Pro-Kopf-Verzehr von Fruktose hat sich in den USA in den letzten 30 Jahren um
ca. den Faktor 100 von 0,3 auf 30 kg pro Person und Jahr gesteigert.
In Amerika wird seit vielen Jahren die Substanz HFCS = High fructose corn sirup zahlreichen
Lebensmitteln als Geschmacksabrunder zugesetzt. Auch dort hat man jedoch die Probleme
dieses Nahrungsmittelzusatzstoffes erkannt und propagiert heute z. T. „HFCS-free“
Nahrungsmittel. Wahrscheinlich haben wir es bei der Fruktose, so wie sie heute verwendet
wird, mit einem der maßgeblichen „Dickmacher“ zu tun.
Dementsprechend werden heute v. a bei Adipositas vielfach kohlenhydratarme Kostformen,
sog. Low-Carb-Diäten propagiert, die die Zufuhr schnell metabolisierender isolierter
Kohlenhydrate reduzieren sollen. Störend bei diesen Ernährungsformen erscheint allerdings
die undifferenzierte Verwendung des Begriffs Kohlenhydrate. Sie gelten als Quelle
des Übels, wohingegen recht unkritisch ein hoher Konsum an Eiweiß propagiert wird.
Besser wäre es, bei Kohlenhydraten zwischen unerwünschten isolierten Kohlenhydraten
(mit hohem glykämischen Index) und wünschenswerten komplexen Kohlenhydraten, wie sie
v. a. im Gemüse anzutreffen sind, zu unterscheiden. Letztere stellen das Rückgrat
einer gesunden Ernährung dar.
Eiweiß
Laut Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) soll ein 70 kg schwerer
Mensch ca. 56 g Eiweiß pro Tag aufnehmen. Der Durchschnittsbürger nimmt das 4- bis
6-Fache zu sich. Somit müsste man im Rahmen einer optimierten Ernährung für den Normalbürger
eine Rücknahme des Eiweißanteils in der Ernährung anempfehlen − ganz im Gegensatz
zu den propagierten Low-Carb-Diäten.
Bezugsquelle für hochwertiges Eiweiß können tierische und pflanzliche Nahrungsmittel
sein ([Tab. 2]). Die Zusammenstellung zeigt, dass hochwertiges Eiweiß auch aus pflanzlicher Nahrung
beziehbar ist und bei geschickter Kombination auch bei rein veganer Ernährung ein
adäquates Eiweißangebot möglich ist, eine funktionierende Verdauung vorausgesetzt.
Tab. 2
Biologische Wertigkeit von Eiweiß in
Nahrungsmitteln.
|
Nahrungsmittel
|
Wertigkeit
nach Jekat 1984
|
Wertigkeit
nach Leitzmann/Hahn 199
|
|
Ei
|
100
|
100
|
|
Kartoffel
|
86
|
89
|
|
Milch
|
84
|
91
|
|
Soja
|
84
|
86
|
|
Rindfleisch
|
83
|
83
|
|
Roggen/Reis
|
83
|
83
|
|
Bohnen
|
73
|
71
|
Wendt [6] postuliert zahlreiche Nebenwirkungen eines Überangebotes von tierischem Eiweiß in
der Ernährung. So sollen u. a. eine Steigerung des Hämatokritwerts, Verdickung von
Blutgefäßwänden, Vermehrung und Verdichtung des kollagenfaserigen Bindegewebes, Gichtneigung,
Gewichtszunahme, Diabetes Typ 2 und andere metabolische Erkrankungen begünstigt werden.
In jüngeren Jahren führten Diskussionen über den sog. Säure-Basen-Haushalt und Begriffe
wie „Übersäuerung“ zur Empfehlung einer eher zurückhaltenden Aufnahme von Eiweiß.
Inwieweit sich substanzielle Unterschiede zwischen Eiweiß tierischen und pflanzlichen
Ursprungs ergeben, wird kontrovers diskutiert. Gegen eine zu starke Eiweißaufnahme
aus tierischen Quellen könnte deren höherer Anteil an aromatischen Aminosäuren sprechen.
Bietet Kost aus ökologischem Landbau Vorteile?
Bietet Kost aus ökologischem Landbau Vorteile?
Wiederholt wurde behauptet, Nahrungsmittel aus ökologischer Herstellung bieten angeblich
keine Vorteile. So sei z. B. der Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen nicht höher
als bei Kost aus konventionellem Anbau. Letztendlich wird der Inhalt einer Nahrung
auch aus dem jeweiligen Klima bzw. Kleinklima, der Bodenqualität und dem Erntezeitpunkt
determiniert.
Leitzmann beschrieb eine Reihe von Vorteilen des ökologischen Landbaus mit im Schnitt
signifikant niedrigerem Schadstoffgehalt im Vergleich zu Nahrungsmitteln aus konventionellem
Anbau, besserer Lagerfähigkeit und intensiverem Geschmack. Hinzu kommen ein höherer
Ballaststoffgehalt und signifikant höherer Gehalt an sekundären Pflanzenstoffen. Die
Wirkungen sekundärer Pflanzenstoffe sind beeindruckend und mannigfaltig (Kasten 2).
Sie sind aus wissenschaftlicher Sicht eines der nachhaltigsten Argumente für eine
vegetarisch betonte Kost.
Ballaststoffe dienen dazu, den Kauvorgang zu intensivieren und auszudehnen. Durch
die erhöhte Quellfähigkeit der ballaststoffreichen Nahrung erfolgt eine langsamere
Dünndarmpassage, wodurch der Kontakt der Nahrung mit der Darmschleimhaut intensiviert
werden kann. Es kommt zu einer verzögerten Glukoseresorption und einem langsameren
Glukoseanstieg. Im Dickdarm führen Ballaststoffe zu einer Erhöhung des Stuhlgewichts
und einer Beschleunigung der Dickdarmpassage. Gleichzeitig kommt es zu einer Toxinadsorption
und einem verbesserten Ionenaustausch.
Wirkung sekundärer Pflanzenstoffe wie Polyphenole, Flavonoide, Saponine, Carotinoide,
Sulfide
-
antikanzerogen
-
antimikrobiell
-
antioxidativ
-
antithrombotisch
-
immunmodulierend
-
entzündungshemmend
-
blutdruckregulierend
-
cholesterinsenkend
-
blutzuckersenkend
-
verdauungsfördernd
Die Herstellung weist eine deutlich günstigere Energiebilanz als bei herkömmlicher
Nahrungsgewinnung auf. So gesehen gibt es sehr wohl starke Argumente für Nahrungsmittel
aus ökologischem Landbau, zumal der Kostenunterschied im Vergleich zu herkömmlicher
Nahrung nicht mehr so groß erscheint.
Individuelle Bekömmlichkeit determiniert „gesunde Kost“
Individuelle Bekömmlichkeit determiniert „gesunde Kost“
Alle bereits genannten Aspekte zur Nahrungszusammensetzung relativieren sich durch
das Kriterium der individuellen Bekömmlichkeit. Diese zeigt von Mensch zu Mensch oft
erhebliche Unterschiede, die es erfordern, die Ernährungsweise zu modifizieren bzw.
die Zubereitungsformen entsprechend anzupassen. So kann sich die häufig getätigte
Forderung nach „hohem Rohkostanteil“ in der Ernährung bei einem Reizdarmpatienten
oder Patienten mit Gallenwegsdyskinesie schnell als ungeeignet und undurchführbar
herausstellen.
[Tab. 3] zeigt, was wir auch in der Realität immer wieder erleben: Oft auch gesunde Nahrungsmittel
wie etwa Hülsenfrüchte und Kohlsorten werden von zahlreichen Menschen nicht so gut
vertragen. F.X. Mayr hat uns diese überaus wichtigen Zusammenhänge zwischen einer
individuell bekömmlichen Nahrung und Gesundheit gelehrt.
Tab. 3
Lebensmittelunverträglichkeiten bei
Krankenhauspatienten 1 10 % (mod. n. Kluthe 2003, in [2]).
|
Lebensmittel
|
Unverträglichkeit
in %
|
|
Hülsenfrüchte
|
30,1
|
|
Gurkensalat
|
28,6
|
|
Frittierte
Speisen
|
22,4
|
|
Weißkohl
|
20,2
|
|
CO2-haltige Getränke
|
20,2
|
|
Grünkohl
|
18,1
|
|
Fette
Speisen
|
17,2
|
|
Paprikagemüse
|
16,8
|
|
Hartgekochte
Eier
|
14,7
|
|
Geräuchertes
|
10,7
|
|
Eisbein
|
9,0
|
|
Buttermilch
|
4,5
|
|
Schnittkäse
|
1,6
|
|
Butter
|
1,2
|
Nahrungsmittelunverträglichkeiten, „Allergien“ und Leaky GUT
Nahrungsmittelunverträglichkeiten, „Allergien“ und Leaky GUT
Die sprunghaft gestiegene Zahl von Patienten mit Nahrungsintoleranzen, etwa gegen
Laktose, Fruktose und Gluten in den letzten Jahren spiegelt in dieser Breite ganz
neue Formen von Unverträglichkeiten wider. Diese Faktoren werden zunehmend im Zusammenhang
mit der komplexen Funktion des Darms als Verdauungs- und Immunorgan gesehen. U. a.
wird dabei zunehmend ein sog. „Leaky GUT“ für zahlreiche Unverträglichkeiten verantwortlich
gemacht.
Lebensmittel, die bei Nahrungsmittelintoleranzen besonders häufig Symptome auslösen
− Empfehlungen zur Ernährungsmodifikation bei Reizdarm
-
regelmäßige Mahlzeiten
-
Meidung als unverträglich erkannter Nahrungsmittel = 50 % Besserung (Milch, Pilze,
Weizenerzeugnisse: 30-35 %; Eier, Kaffee, Schokolade: 20-30 %; Nüsse, Zitrusfrüchte,
Tee, Hafererzeugnisse: 10-20 %)
-
Meidung von Fruktose und Sorbit
-
Ballaststoffe (bei Obstipation und Diarrhö)
(mod. n. [1])
In Kasten 3 sind exemplarisch Ernährungsempfehlungen zum Reizdarm zusammengestellt.
Die Konstitution: Wertvolle Leitlinie auch bei der Ernährung
Die Konstitution: Wertvolle Leitlinie auch bei der Ernährung
Neben der individuellen Bekömmlichkeit kommt der Konstitution besondere Bedeutung
zu (Abb. 3). Der Pykniker mit Neigung zu metabolischen Erkrankungen benötigt eine
vegetarisch und tiereiweißarm ausgerichtete Ernährung. Ähnliches gilt für den Athletiker
mit seiner Neigung zu gichtisch-rheumatischen Erkrankungen. Für die ständig frierende
Asthenikerin hingegen mit Neigung zu rezidivierenden Blaseninfekten und Sinusitiden
wäre eine streng vegetarische Kost weniger geeignet. Zu bevorzugen ist eine hochwertige
„Mischkost“ die zudem „warm“ sein muss, v. a. im Winter. Sie sollte zudem strikt auf
Bekömmlichkeit getrimmt sein. Der Astheniker profitiert zusätzlich von Bitterstoffen,
moderater Zufuhr von Tierprodukten und Zuckerrestriktion.
Ernährungsökonomie
Karl Pirlet forderte für Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten die strikte
Einhaltung der „Ernährungsökonomie“. Dieser Begriff geht auf Max-Oskar Bircher-Benner
zurück. Modifiziert nach Pirlet bedeutet dies: Eine Nahrung sollte bei empfindlichem
Verdauungstrakt nur leicht verdauliche Nahrungsmittel enthalten. In diesem Falle sollte
auch die Gesamtnahrungsmenge knapp gehalten und ggf. häufigere kleinere Einzelmahlzeiten
eingenommen werden. Ganz wichtig: Jeder Bissen sollte ausreichend gekaut werden und
die Nahrungsaufnahme unbedingt in aller Ruhe erfolgen.
Schlussfolgerung und „Kompromisskost“
Schlussfolgerung und „Kompromisskost“
„Ernähre dich bevorzugt von pflanzlicher Frischkost − gehe sparsam mit tierischen
Nahrungsmitteln um.“ (Hippokrates)
Diese über 2000 Jahre alte Empfehlung ist auch heute noch gültig. „Nichts essen, wofür
Werbung gemacht wird“ (mod. n. Max-Otto Bruker). Wer dies beherzigt, reduziert künstliche
Zusatzstoffe und damit potenzielle Allergene sowie ein Übermaß an isolierten Kohlenhydraten
− von anderen negativen Aspekten ganz abgesehen.
Unter Berücksichtigung des bereits Gesagten empfehle ich als „Kompromisskost“ die
klassische mediterrane Kost. Sie erfüllt recht gut die oben aufgestellten Postulate:
-
Verwendung hochwertiger, frischer Ware, insbesondere reichlich Gemüse und hochwertige
Öle,
-
moderate Zufuhr von Tierprodukten, dabei ein gewisser Schwerpunkt auf Meeresfrüchten,
-
schonende Zubereitung.
Bedarfsweise kann die mediterrane Kost problemlos auch als „Vollwertkost“ arrangiert
werden [5].
Um den Allergendruck zu minimieren, sollte die Ernährung zudem nach den Kriterien
der natürlichen Rotationsdiät durchgeführt werden. Das bedeutet, nur saisonale Gemüse-
und Obstsorten zu verwenden.
Eine recht interessante Option stellt auch die Japandiät dar. Bei ihr stehen Ω-3-fettreiche
Fische im Mittelpunkt, dazu reichlich Gemüse und Algen. Getreideprodukte bzw. stärkehaltige
Nahrungsmittel spielen dagegen eher eine untergeordnete Rolle. Die Japandiät könnte
man daher als eine Art fernöstliche mediterrane Kost mit Hang zur Trennkost bezeichnen.
Tatsächlich weist Japan unter allen zivilisierten Ländern die geringste Rate an Menschen
mit erhöhtem Body-Mass-Index auf sowie die höchste Lebenserwartung weltweit bei einem
vergleichsweisen moderaten Kostenaufwand für das Gesundheitswesen, der deutlicher
unter denen europäischer und nordamerikanischer Gesellschaften liegt.