Schlüsselwörter:
intraoperative protektiveBeatmung - ARDS - VILI - postoperative pulmonaleKomplikationen
Key-words:
intraoperative protective ventilation - ARDS- postoperative pulmonary complications
Die „protektive Beatmung“ wurde bei Patienten mit ARDS etabliert. Ziel war es, die
Entstehung von beatmungsassoziierten Lungenschäden (VILI) zu reduzieren, indem PEEP
und Tidalvolumen (Vt) individualisiert eingestellt wurden. Aktuell wird diese Form der Beatmungstherapie
nicht mehr favorisiert und der Begriff der „protektiven Beatmung“ der Beatmung mit
Vt 6 ml/kg gleichgesetzt. Dabei kann auch dieses niedrige Vt bei einigen Patienten mit ARDS VILI entstehen lassen. Obwohl bei beatmeten Lungengesunden
die Gefahr der VILI-Entstehung erst ab Vt von > 17 ml/kg besteht, wird in Analogie zur ARDS-Therapie eine intraoperative „protektive
Beatmung“ intensiv untersucht.
Definition
Unter protektiver Beatmung wird klassischerweise eine individuelle Beatmungsstrategie
beim akuten Lungenversagen (ARDS) verstanden mit dem Ziel, VILI und die Freisetzung
der proinflammatorischen Mediatoren (Biotrauma) durch Derekrutierung (Atelekttrauma)
und Überdehnung (Baro-Volu-Trauma) zu verhindern [1].
„Protektive“ Beatmung beim ARDS
Individualisierte Beatmungstherapie
Amato individualisierte die Beatmungstherapie bei Patienten mit ARDS [2]: Er begrenzte nach patienteneigenen Ruhedehnungskurven
16 mbar betrug der PEEP, um Derekrutierung zu verhindern, und ein Spitzendruck von
< 30 mbar, was einem Vt von etwa 6 ml/kg gleichkam, sollte Überdehnung vermeiden. Die Sterblichkeit war im
Vergleich zu konventionell beatmeten Patienten signifikant reduziert (PEEP 7 mbar
und Vt 12 ml/kg). Der positive Effekt dieser individuellen Beatmungseinstellung wurde durch
Villar bestätigt, indem bereits nach der ersten Interimsanalyse eine signifikante
Mortalitätsreduktion in der protektiven Gruppe zum Abbruch der Studie führte [3]. Diese „protektive Beatmung“ setzte sich in der ARDS-Therapie nicht durch.
Goldstandard
Stattdessen ist das Vt von 6 ml/kg bei Patienten mit akutem Lungenversagen [4] der „Goldstandard“ und wird mittlerweile auch als Qualitätsindikator im Peer-Review-Verfahren
der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
zur Qualitätssicherung in der Intensivmedizin geführt [5]. Dieser „Goldstandard“ hat mit der individualisierten, „protektiven“ Beatmungstherapie
wenig gemeinsam, da alle Patienten ungeachtet der pulmonalen Pathophysiologie mit
dem gleichen Atemzugvolumen beatmet werden. Der Derekrutierung (PEEP-Einstellung)
wird nicht individuell, sondern anhand von FiO2/PEEP-Tabellen begegnet (FiO2 = inspiratorische O2-Konzentration). Dabei spielt die Schwere des Lungenversagens eine zentrale Rolle,
denn bei Patienten mit nur mildem ARDS, gemessen an der statischen Compliance, konnte
kein Unterschied zwischen einem Vt von 6 oder 12 ml/kg nachgewiesen werden [4]. Diese Beobachtung lässt vermuten, dass erst eine näher zu definierende Lungenschädigung
vorliegen muss, bevor eine Beatmung mit niedrigen Atemzugvolumina „protektiv“ quoad
vitam ist.
Auch unter „protektiver Beatmung“ mit 6 ml/kg können regionale Überblähungen mit der
Gefahr von VILI entstehen, die erst durch Reduktion auf 3 ml/kg unter Einsatz extrakorporaler
Ventilation verhindert werden [6]. Nichtsdestotrotz wird unter „protektiver Beatmung“ nunmehr nur noch die Beatmung
mit 6 ml/kg verstanden.
Der Begriff der „protektiven Beatmung“ stammt aus der Beatmungstherapie bei Patienten
mit ARDS. Sie zeichnet sich aus durch eine Beatmung zwischen den individuell gewonnenen
unteren und oberen Umschlagpunkten der Lungendehnungskurve eines Patienten. Dadurch
können individuell der PEEP und – unter druckbegrenzter Beatmung – der Spitzendruck
und somit das Vt individuell adjustiert werden.
PEEP beim ARDS
Wirkungsweise des PEEP
PEEP soll – theoretisch – vor dem periodischen Öffnen und Schließen von rekrutierbaren
Alveolen schützen und deshalb oberhalb des unteren Umschlagpunkts liegen, um Atelektrauma
zu reduzieren. Allerdings konnten gleich 3 Studien keinen Überlebensvorteil bei Patienten
mit ARDS durch eine Beatmung mit einem höheren gegenüber einem niedrigeren PEEP nachweisen
[7]
[8]
[9]. Die standardisiert applizierten PEEP lagen in allen Studien unterhalb des von Amato
individuell eingestellten von etwa 16 mbar. So wurden in den letztgenannten Studien
Rescue-Therapien (NO, Bauchlage) in beiden Low-PEEP-Armen doppelt so häufig angewandt
und die Sterblichkeit durch Hypoxämie (12 vs. 6,6 %) war auch knapp doppelt so hoch
wie in den High-PEEP-Gruppen. Der PEEP in den High-PEEP-Gruppen war aber niedriger
als unter individualisierter Einstellung [2]
[3].
Zukunft der Beatmung bei ARDS
Dabei ist das ARDS keine uniforme Erkrankung, sondern ein Oberbegriff für akute pulmonale
Hypoxämien. Bei gleicher Oxygenierungsbeeinträchtigung haben unterschiedliche Ätiologien
unterschiedliche Bildmorphologien zur Folge [Abb. 1] und [Abb. 2]. Selbst eine „protektive“ Beatmung mit Vt 6 ml/kg kann „injurious“ sein [6]. Liegt also die Zukunft der mechanischen Beatmung des ARDS-Patienten in noch niedrigeren
Vt [13] oder gar in Gattinonis „lung at rest“ mit extrakorporaler Ventilation und / oder
Oxygenierung [14]?
Die „protektive Beatmung“ beim ARDS wird nicht angewandt. Denn anstatt einer individualisierten
PEEP-Adjustierung und Ventilation mit individualisierten Vt wird ein Standard-Vt von 6 ml/kg als protektiv betrachtet und den Derekrutierungs-Komponenten nur wenig
Bedeutung beigemessen.
Abb. 1 Thorax-CT eines Patienten mit schwerem ARDS auf dem Boden einer ambulant erworbenen
Pneumonie (Pneumokokken). Atemstillstand PEEP 10 mbar während der Untersuchung, P/F-Quotient
80 mmHg. Es zeigen sich vornehmlich ausgeprägte Konsolidierungen der linken Lunge
und des Unterlappens rechts. Milchglasartige Trübungen („ground glass opacities“)
im Mittellappen.
Abb. 2 Thorax-CT eines Patienten mit schwerem ARDS auf dem Boden einer Peritonitis nach
Hohlorganperforation. Atemstillstand PEEP 10 mbar während der Untersuchung, P/F-Quotient
100 mmHg. Angedeutete „klassische Dreiteilung“ der rechten Lunge. Überwiegend milchglasartige
Trübungen („ground glass opacities“) mit angedeuteten basalen Konsolidierungen.
Neue Studienergebnisse
Eine aktuelle retrospektive Untersuchung von Amato [15] stellt nun auch den protektiven Effekt der Ventilation mit einem Vt von 6 ml/kg selbst beim ARDS in Frage. Aus den gepoolten Daten der ARDS-Network-Studien
konnte eine Senkung der Sterblichkeit durch ein Vt von 6ml/kg nur bei den Patienten beobachtet werden, bei denen der „driving pressure“
(also die Differenz aus Plateaudruck und PEEP) < 15 mbar betrug. Nun steht die Hypothese
im Raum, dass nicht das niedrige Tidalvolumen protektiv ist, sondern der dafür erforderliche
„driving pressure“. Dieser wiederum hängt von der Compliance der Lunge und Thoraxwand
ab. Weitere prospektive Studien werden folgen müssen, um den Effekt dieses Konzepts
zu evaluieren.
„Protektive Beatmung“ bei Lungengesunden
Übertragung der Beatmungsstrategien
Trotz dieser terminologischen und methodischen Unsicherheiten in der Beatmungstherapie
bei ARDS-Patienten soll nun der Terminus „protektive Beatmung“ auf Lungengesunde übertragen
werden. [Abb. 3] zeigt exemplarisch das Thorax-CT eines beatmeten Lungengesunden. Nicht nur von der
Bildmorphologie fällt es schwer zu verstehen, warum für Lungengesunde mit vielfach
kürzerer (intraoperativer) Beatmungszeit verglichen mit ADRS-Patienten die gleichen
Beatmungsstrategien zur Anwendung kommen sollen. Während Beatmung mit Vt von 6 ml/kg bei ARDS-Patienten bereits zur Entstehung von VILI beitragen kann, so
scheint bei beatmeten Lungengesunden diese Gefahr der VILI-Entstehung erst ab Vt von 17–22 ml/kg gegeben zu sein [16].
Abb. 3 Thorax-CT eines Patienten mit isoliertem Schädel-Hirn-Trauma 20 min nach problemloser
Intubation unter PEEP 5 mbar. Minimale basale Minderbelüftungen (Atelektasen).
Physiologisches Vt
Wie hoch ist eigentlich das physiologische Vt? Spirometrische Daten suggerieren, dass unter Ruhebedingungen das „physiologische“
Vt 6–8 ml/kg beträgt. Spirometrische Untersuchungen sind aber keine physiologischen
Bedingungen, denn sie betrachten nur einen kurzen Zeitraum. Bendixen untersuchte junge
Erwachsene unter Ruhebedingungen über einen Zeitraum von > 1 h. Das durchschnittliche
Vt betrug zwar 6–8 ml/kg, zeigte aber eine ausgeprägten Atemzug-zu-Atemzug-Variabilität.
Darüber hinaus machten die Probanden alle 6 min einen „Seufzer“, der definiert war
als mind. das 3-Fache des durchschnittlichen Vt. Bei Frauen betrug das Seufzervolumen 1,2 l und bei Männern 1,8 l, etwa 50 % der
Vitalkapazität. Unter physiologischen Bedingungen vollzogen also Frauen und Männer
alle 6 min ein Vt von 20 bzw. 24 ml/kg [17]. Von ambitionierten Radsportlern ist bekannt, dass sie bei Ausbelastung ein Atemminutenvolumen
von 164 l/min mit einem Vt von 40 ml/kg und bei mehrstündigen Radrennen etwa 35 ml/kg zeigen [18]. Aus tierexperimentellen Daten wissen wir, dass die Schädigung einer Lunge durch
hohes Atemzugvolumen unabhängig davon ist, ob das Volumen mit Überdruck oder Unterdruck
verabreicht wurde [18].
Unter physiologischen Bedingungen beträgt das Vt 6–8 ml/kg, variiert aber stark mit tiefen Atemzügen alle 6 min mit einem Vt von 20–24 ml/kg. Vt können bei Ausdauersportlern über einen langen Zeitraum Werte bis zu 40 ml/kg erreichen.
Bei Gesunden ist das Vt auch unter physiologischen Bedingungen durchaus „unprotektiv“.
Umfrage zur intraoperativen Beatmung
Einer multizentrischen internationalen Umfrage zur intraoperativen Beatmungstherapie
zufolge beträgt das Vt 6–8 ml/kg. In > 80 % wird ein PEEP von mind. 5 mbar appliziert. 16 % der Befragten
führen routinemäßig Rekrutierungsmanöver durch [20]. Interessanterweise hat sich an der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsklinik
Düsseldorf das Vt stetig von knapp 15 ml/kg (1994) auf < 7 ml/kg (2009) verringert, bei konstantem
PEEP von 5 mbar (Treschan, persönliche Kommunikation).
Diese Ergebnisse zeigen, dass die in der Intensivmedizin applizierten niedrigen Vt schleichend Einzug in den OP genommen haben, ohne jedoch hierfür validiert worden
zu sein.
Metaanalyse zur protektiven Beatmung
Eine Metaanalyse zeigt die Überlegenheit einer „protektiven Beatmung“ im Hinblick
auf die Entstehung von akutem Lungenversagen (ALI), Pneumonie und Mortalität. Bei
dieser Untersuchung wurden beatmete Nicht-ARDS-Patienten und intraoperative Patienten
ausgewertet. Allein der durchschnittliche P/F-Quotient von knapp > 300 mmHg lässt
an der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf intraoperative Beatmungsstrategien für Lungengesunde
zweifeln [21].
Studie zu postoperativen pulmonalen Komplikationen
Eine multizentrische Studie aus Frankreich untersuchte den Einfluss einer „protektiven
Beatmung“ bei abdominalchirurgischen Eingriffen im Hinblick auf das Auftreten postoperativer
pulmonaler Komplikationen. In der Gruppe der Patienten, die „protektiv“ beatmet wurden,
traten diese hochsignifikant seltener auf, ohne die Sterblichkeit positiv zu beeinflussen.
Trotz der Fallzahl (n = 400) und der hochrangigen Publikation als Maß für die Qualität
der Studie sind der Informationsgewinn und die Übertragbarkeit in die klinische Praxis
leider sehr begrenzt [22]. In der „protektiven“ Gruppe wurden gleich 3 Beatmungsparameter im Vergleich zur
Kontrollgruppe verändert: PEEP (6–8 vs. 0 mbar), Vt (6 vs. 12 ml/kg) und Rekrutierungsmanöver (alle 30 min wurde für 30 s ein PEEP von
30 mbar appliziert vs. keine Rekrutierungsmanöver).
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Ob dieses „protektive“ Beatmungsregime überhaupt für die Senkung der Inzidenz pulmonaler
Komplikationen verantwortlich gemacht werden darf, kann bezweifelt werden. In der
Kontrollgruppe gab es fast doppelt so viele Anastomoseninsuffizienzen wie in der „protektiven“
Gruppe (44 vs. 24, p = 0,009).
Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass der beobachtete protektive Effekt eher der
geringeren Komplikationsrate anzurechnen ist.
PROVHILO-Studie
Inwieweit sich ein höherer PEEP auf die Derekrutierungskomponente und somit auf die
postoperativen pulmonalen Komplikationen auswirkt, wurde in der PROVHILO-Studie untersucht.
900 abdominalchirurgische Patienten wurden multizentrisch randomisiert: Ein PEEP von
12 mbar und Rekrutierungsmanöver (intraoperativ und vor Extubation) oder ein PEEP
< 2 mbar ohne Rekrutierungsmanöver. Patienten beider Gruppen wurden mit einem Vt von < 8 ml/kg beatmet [23].
Es sei hier angemerkt, dass in der „High-PEEP“-Gruppe Lungengesunden ein PEEP von
12 mbar verabreicht wurde, der höher war als in der Kontrollgruppe bei ARDS-Patienten
[7]
[8]
[9]. Die Schlussfolgerung der Autoren, dass eine Beatmungsstrategie für diese Patientenklientel
aus niedrigem PEEP ohne Rekrutierungsmanöver und niedrigem Vt bestehen sollte, überrascht insofern, als die Höhe des Vt nicht Bestandteil der Untersuchung war.
Übliche Beatmungsstrategie in Deutschland
Treschan untersuchte eine intraoperative Beatmungsstrategie, die vielleicht der Praxis
in Deutschland am nächsten kommt: 100 Patienten zu großen Oberbaucheingriffen wurden
randomisiert mit einem Vt entweder von 6 oder 12 ml/kg beatmet. Alle Patienten erhielten einen PEEP von 5 mbar
und Rekrutierungsmanöver vor Extubation. Unter dieser Beatmung kam es in der Gruppe
mit Vt 6 ml/kg zu einem signifikant niedrigeren arteriellen O2-Partialdruck (paO2) unter Allgemeinanästhesie, der auch noch am 5. postoperativen Tag unterschiedlich
blieb (69 vs. 78 mmHg). In der Vt 6 ml/kg Gruppe konnten bei 88 % der Patienten, in der Vt 12 ml/kg Gruppe nur bei 68 % radiologisch Atelektasen nachgewiesen werden – ein signifikanter
Unterschied. Trotz eines PEEP von 5 mbar und Rekrutierungsmanövern konnte die Ausbildung
von Atelektasen nicht befriedigend verhindert werden. Niedrige Vt scheinen aber die Ausbildung von Atelektasen eher zu verstärken [24].
Höhere Sterblichkeit bei Vt 5–8 ml/kg
Eine retrospektive Analyse zum Einfluss des Vt unter einem PEEP von 4 mbar bei > 29 000 Patienten zeigt, dass Beatmung mit einem
Vt 5–8 ml/kg mit einer signifikant höheren Sterblichkeit assoziiert ist als eine mit
8–10 ml/kg und 10–12 ml/kg [25].
Was genau ist lungenprotektive Beatmung?
Auch wenn die aktuellste, sehr aufwendige Metaanalyse eine Senkung der Inzidenz der
postoperativen pulmonalen Komplikation bei abdominal- und thoraxchirurgischen Patienten
durch „lungenprotektive“ Beatmungsstrategien dokumentiert, so bleibt die Frage unbeantwortet,
was unter „lungenprotektiv“ zu verstehen ist. Denn in diese Meta-Analyse mündeten
die oben aufgeführten Untersuchungen mit den unterschiedlichen Beatmungsstrategien
und beschriebenen methodischen Problemen [26]. Daher ist es verfrüht, Beatmungsstrategien mit niedrigen Vt zu favorisieren, solange nicht geklärt ist, für welche Patientenklientel sie einen
Vorteil generieren.
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Die aktuelle Literatur rechtfertigt nicht den Schluss, dass mit protektiver Beatmung,
was auch immer darunter zu verstehen sein mag, postoperative pulmonale Komplikationen
zu reduzieren seien.
Im Gegenteil: Beatmung mit niedrigen Vt kann mit Beeinträchtigung der Oxygenierung bis hin zu einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet
sein.
Heutiger Stand
„Protektive Beatmung“ mit seiner individuellen PEEP- und Vt-Einstellung wird selbst bei ARDS-Patienten, für die sie konzipiert wurde, nicht allumfänglich
praktiziert. Stattdessen hat sich die Ventilation mit Vt 6 ml/kg als „pars pro toto“ unter diesem Begriff durchgesetzt und der Derekrutierungs-Komponente
wird weniger Bedeutung beigemessen. Neuere Daten stellen sogar den benefiziellen Effekt
der Ventilation mit Vt 6 ml/kg infrage [15]. Diese Strategie auf Lungengesunde zu übertragen, erscheint aus vielerlei Aspekten
unbegründet, wenn nicht gefährlich: Die Höhe des PEEP ist für Lungengesunde und auch
für Risikopatienten (pulmonale Vorerkrankungen, Oberbauch- und Thoraxeingriffe) unklar.
Niedrige Vt sind mit Oxygenierungsstörungen aufgrund Atelektasenbildung und mit einer erhöhten
perioperativen Sterblichkeit assoziiert.
Fazit Es werden Studien folgen müssen, die den idealen PEEP und das ideale Vt in Abhängigkeit vom Risikoprofil des Patienten und des operativen Eingriffs beschreiben.
Eine generelle Standardbeatmung wird diesem komplexen Sachverhalt nicht gerecht. Die
derzeitige Datenlage zurzeit rechtfertigt nicht die These, dass „protektive“ Beatmung
pulmonale Komplikationen reduziert, nicht nur wegen der unzureichenden Definition
von „protektiv“.
Interessenkonflikt Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Beitrag online zu finden unter http://www.dx.doi.org/10.1055/s-0041-105804
Kernaussagen
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Der Begriff der „protektiven Beatmung“ stammt aus der Beatmungstherapie bei Patienten
mit ARDS. Sie zeichnet sich aus durch eine Beatmung zwischen den individuell gewonnenen
unteren und oberen Umschlagpunkten der Lungendehnungskurve eines Patienten.
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Die „protektive Beatmung“ beim ARDS wird nicht angewandt. Denn anstatt einer individualisierten
PEEP-Adjustierung und Ventilation mit individualisierten Vt wird ein Standard-Vt von 6 ml/kg als protektiv betrachtet und den Derekrutierungs-Komponenten nur wenig
Bedeutung beigemessen.
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Die in der Intensivmedizin applizierten, niedrigen Vt haben schleichend Einzug in den OP genommen, ohne jedoch hierfür validiert worden
zu sein.