Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(21): 1606-1609
DOI: 10.1055/s-0041-106448
Fachwissen
So wirdʼs gemacht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Notfallsonografie – Patient mit Bauchschmerzen

Emergency ultrasound in patients with abdominal pain – where should we “look”
Tanja Kaneko
1   Medizin. Klinik B – Ruppiner Kliniken, Neuruppin
,
Wolfgang Heinz
2   Karl-Olga-Krankenhaus, Stuttgart
› Author Affiliations
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Korrespondenz

Dr. med. Tanja Kaneko
Medizin. Klinik B – Ruppiner Kliniken
Fehrbelliner Str. 38
16816 Neuruppin

Publication History

Publication Date:
21 October 2015 (online)

 

Zusammenfassung

Diagnostischer Ultraschall ist ohne Zweifel die Bildgebung der ersten Wahl bei Patienten mit akutem Abdomen. Bettseitiger, sogenannter Point-of-care-Ultraschall hilft die Anzahl der möglichen Differentialdiagnosen frühzeitig zu reduzieren oder im besten Fall sogar die richtige Diagnose zu stellen. Folglich profitiert der Patient davon, dass zeitnah der richtige therapeutische Ansatz verfolgt werden kann.

Dieser Artikel soll einen Eindruck vermitteln, wo und wie geschallt werden sollte. Es werden neben grundlegenden technischen Voraussetzungen typische sonomorphologische Veränderungen bei den wichtigsten Erkrankungen bei akuten Bauchschmerzen dargestellt. Der Ultraschallanfänger stellt dabei die Zielgruppe dar.


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Abstract

Diagnostic ultrasound is without doubt the imaging technique of choice in patients with acute abdominal pain. Point-of-care ultrasound examinations can help to reduce the number of possible differential diagnoses by exclusion or – as a best case scenario – show us directly the correct diagnosis. Hence patients can benefit from a very early appropriate therapeutic approach. This article illustrates where and how we should “look”. After focusing on basic technical settings, typical pathological sonomorphologic changes in patients with some of the most important illnesses are characterized (e. g. acute appendicitis, acute cholecystitis, acute diverticulitis, acute pancreatitis and urinary tract occlusion). Ultrasound beginners are the target group of this survey.


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Bei Patienten mit akuten Bauchschmerzen sind die Anforderungen an den Notfall-Ultraschall hoch: Der Untersucher muss rasch die Anzahl möglicher Differenzialdiagnosen reduzieren und im Idealfall die richtige Diagnose stellen. Der Beitrag stellt die häufigsten Krankheitsbilder in der Notfallsonografie vor und gibt praktische Tipps, die den Einstieg erleichtern.

Voraussetzungen

Geräteeinstellungen | Der Untersucher muss sein Ultraschallgerät so gut kennen, dass er ggf. notwendige Einstellungen zur Geräteoptimierung vornehmen kann. Dazu gehört

  • die sichere Wahl des geeigneten Schallkopfs und der Untersuchungsvoreinstellungen und

  • die permanente Anpassung der Eindringtiefe, der Verstärkung und die Fokusoptimierung.

Lagerung | Abseits der Technik kann die Führung des Patienten (z. B. Umlagerung oder Atemmanöver) die Untersuchungsqualität essenziell verbessern.


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Rechter Unterbauch

Appendizitis | Bei akuten Schmerzen im rechten Unterbauch muss man differenzialdiagnostisch stets an die akute Appendizitis denken. Da die Appendix normalerweise direkt unterhalb der Bauchdecke liegt, sollte für eine bessere Detailauflösung ein hochauflösender, höherfrequenter Schallkopf mit mindestens 5 MHz eingesetzt werden. Bei nicht allzu adipösen Patienten liegt der Wurmfortsatz meist in 3–4 cm Tiefe (Abb.  [ 1 ]). Der Appendixloge kann man sich entweder über das Verfolgen des Colon ascendens von kranial nach kaudal bis zum Ileozökalpol im Längsschnitt nähern, oder man beginnt am Punctum maximum des Schmerzes.

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Abb. 1 Normale Appendix im Längsschnitt.

Pathologie | Durch die Entzündung (Abb.  [ 2 ]) kommt es zur Wandverdickung der Appendix. Ein Querdurchmesser (Gesamtdurchmesser) von über 6 mm gilt dabei als Grenzwert. Legt man den Cutoff bei über 8 mm, dann steigt dadurch die Spezifität bei niedriger Sensitivität. Weitere hilfreiche Zusatzkriterien sind

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Abb. 2 Kokarde im Querschnitt mit echoreicher Netzkappe.
  • die sogenannte echoreiche Netzkappe (die Region um die entzündete Appendix ist echoreicher) sowie

  • eine schmerzhafte Sonopalpation (umschriebener Druckschmerz als Ausdruck einer lokalen Peritonitis).

Auch bei retrozökaler Lage gelingt der sonografische Nachweis häufig. Bei der Ultraschalluntersuchung wird der Schallkopf nie ausschließlich von ventral aufgesetzt, sondern auch nach lateral (am Zökum vorbei) geführt.

Dass eine entzündete Appendix sonografisch nicht detektiert wird, liegt meist daran, dass nicht auf den Nahfeldbereich fokussiert wird.

Als Korrelat für die Entzündung lässt sich mittels Farbdoppler eine verstärkte Durchblutung nachweisen. Die Sonografie erreicht bei akuter Appendizitis einen positiv prädiktiven Wert von 86 % und einen negativ prädiktiven Wert von 91 % [1].

Differenzialdiagnose | Außerdem sollten in Betracht gezogen werden:

  • bakterielle Ileozökitis (v. a. bei Yersinien-Infektion)

  • M. Crohn

  • Adnexitis oder andere gynäkologische Ursachen

  • Harnleiterkonkrement

  • Meckel-Divertikel

  • Neoplasie


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Rechter Oberbauch

Akute Cholezystitis | Der Klassiker bei akuten rechtsseitigen Oberbauchschmerzen ist die akute Cholezystitis. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Gallenblase darzustellen (Abb.  [ 3 ]). Beim Aufsuchen der Gallenblase ist es hilfreich, den Patienten tief einatmen zu lassen. So kann man den Schallkopf z. B. gut am Leberunterrand entlang im Longitudinalschnitt von epigastrisch kommend in Richtung Medioklavikularlinie verschieben, bis die Gallenblase in ca. 4–7 cm Tiefe erscheint (Abb.  [ 4 ]).

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Abb. 3 Aufsuchen der Gallenblase. (A) longitudinal entlang des Rippenbogens, (B) Subkostalschnitt, (C) von lateral / interkostal.
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Abb. 4 Normale Gallenblase mit Solitärstein.

Pathologie | Pathognomonische Zeichen der akuten Cholezystitis sind

  • eine ödematöse Wandverdickung über 3 mm mit Aufsplitterung der Wandschichten („Dreischichtenphänomen“),

  • gegebenenfalls ein echoarmer Saum im Gallenblasenbett zur angrenzenden Leber („Pericholezystitis“) sowie

  • der Nachweis von Steinen oder Sludge (Abb.  [ 5 ]).

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Abb. 5 Akute Cholezystitis mit typischen Zeichen (Pfeile: Konkremente).

Eine akalkulöse Cholezystitis ist selten, kommt aber vor, sodass ein Steinnachweis keine Conditio sine qua non ist.

Freie Flüssigkeit kann Folge einer (seltenen) freien Perforation sein. Das wichtigste sonografisch-klinische Zeichen ist das sogenannte Murphy-Zeichen: Unter sonografischer Sicht wird der Schallkopf direkt über der Gallenblase positioniert, um gezielt zu komprimieren. Führt dies nicht zu Schmerzen, ist eine akute Cholezystitis unwahrscheinlich. Der Nachweis von Konkrementen bei gleichzeitig sonografischem Murphy-Zeichen hat einen positiv prädiktiven Wert von 92,2 % für die Diagnose akute Cholezystitis [2].

Differenzialdiagnose | Schmerzen im rechten Oberbauch können u. a. auch Ausdruck sein für:

  • Gallengangsaffektion

  • Duodenalulkus

  • Hepatitis

  • Pyelonephritis

  • Appendizitis

  • Pneumonie


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Linker Unterbauch

Sigmadivertikulitis | Die Sigmadivertikulitis zeigt viele Parallelen zur Appendizitis. Der Patient kann üblicherweise oft punktgenau den Entzündungsherd lokalisieren. Auch hier spielt sich das Geschehen direkt unterhalb der Bauchdecke ab (Abb.  [ 6 ]). Somit eignet sich zur besseren Auflösung ein höherfrequenter Schallkopf.

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Abb. 6 Normales Sigmadivertikel gefüllt mit Luft.

Pathologie | Die Kolonwand ist um mehr als 5 mm verdickt, die Wandschichtung ist – typisch für einen entzündlichen Prozess – akzentuiert (diffenenzialdiagnostisch führt ein maligner Prozess zur Zerstörung der Wandarchitektur). Die entzündeten Divertikel sind echoarm und ähnlich wie bei der Appenditizis kommt es zu einer echoreichen Umgebungsreaktion (Peridivertikulitis), manchmal mit kleinem Flüssigkeitssaum (Abb.  [ 7 ]). Bei Abszessbildung kann man sonografisch größere echoarme / echofreie Bezirke erkennen. Nachteilig ist, dass Komplikationen, die sich an der schallkopffernen Kolonwand entwickeln, bei Luftüberlagerung nicht erkannt werden. Hier bleibt der Einsatz der Computertomografie unverzichtbar.

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Abb. 7 Sigmadivertikulitits.

Bei Stenose mit eingeengtem Lumen und prästenotischer Dilatation ist eine Nahrungskarenz sinnvoll. Bei Abszessen, die größer als 3 bis 5 cm sind, sollte zeitnah eine Drainage angelegt werden.

Differenzialdiagnose | Bei fehlendem Hinweis auf eine Divertikulitis kommen in Betracht:

  • inkarzerierte Hernien

  • chronisch entzündliche Darmerkrankungen

  • Harnleitersteine

  • bei Frauen: gynäkologische Ursachen


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Linker Oberbauch

Urolithiasis | Bei starken, krampfartigen Flankenschmerzen drängt sich der Verdacht auf eine Nephro- bzw. Urolithiasis auf. Insbesondere die linke Niere lässt sich meist nur von lateral bis zur hinteren Axillarlinie, gelegentlich nur von dorsolateral nach Umlagern schallen.

Harnstau | Die sonografische Fragestellung lautet dabei: Harnstau? Wenn ja, wo steckt das Abflusshindernis? Entwickelt sich die Abflussstörung akut, staut es sich zunächst in das Nierenbecken. Der sonst sehr echoreiche Sinusreflex wird durch echofreie Flüssigkeit ersetzt (Harnstau 1. Grades). Bei zunehmendem Druck staut sich der Urin bis in das Kelchsystem zurück, ohne dabei das Parenchym zu verschmälern (Harnstau 2. Grades). Höhergradige Staus (3. Grad mit Parenchymverschmälerung, 4. Grad „hydronephrotische Sackniere“) entstehen fast ausschließlich durch chronische Obstruktionen.

Differenzialdiagnose | Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind:

  • ampulläre Nierenbecken

  • Sinuslipomatose

  • zystische Raumforderungen

  • weite Nierenvenen

Auch eine verstärkte Diurese kann auf physiologische Art eine Harnstauung 1. Grades kurzfristig imitieren. Hinter linksseitigen Oberbauchschmerzen können sich u. a. auch verbergen:

  • Niereninfarkt

  • Pyelitis oder Pyelonephritis

  • Magenulkus

  • Milzruptur oder Milzinfarkt

  • subphrenischer Abszess

  • Pneumonie bzw. Pleuritis


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Mittelbauch

Akute Pankreatitis | Eine Herausforderung für den unerfahrenen Ultraschaller ist die akute Pankreatitis. Die Schwierigkeit besteht darin, die Bauchspeicheldrüse (Abb.  [ 8 ]) im entzündeten Zustand entlang der anatomischen Leitstruktur darzustellen: Denn der Patient ist in diesem Bereich sehr druckempfindlich und durch die Paralyse des Darms bilden sich vemehrt Darmgase.

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Abb. 8 Normales Pankreas im Längsschnitt.

Die anatomische Leitstruktur für das Pankreas ist die Vena lienalis.

Pathologie | Führendes Ultraschall-Zeichen der milden Pankreatitis (Abb.  [ 9 ]) ist – als Korrelat für das entzündliche Ödem – eine Volumenzunahme mit schlechter Organabgrenzung zur Umgebung. Dem entsprechend wird die Organtextur echoärmer und inhomogener. Leider bietet die Bauchspeicheldrüse eine große interindividuelle Formenvarianz und unterschiedliche Echogenität. Somit fällt die Interpretation eines Pankreasbefunds schwer, wenn man den „individuellen Normalbefund“ nicht kennt.

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Abb. 9 Ödematöse Pankreaskopfpankreatitis.

Ein gutes sonografisches Kriterium ist der sogenannte Trauerrand – ein Flüssigkeitssaum um das Pankreas, insbesondere in der Bursa omentalis.

Wenn sich Nekrosestraßen entwickeln, lässt sich die Diagnose mittels Ultraschall leichter stellen. Die Abgrenzung zur hämorrhagisch-nekrotisierenden Pankreatitis ist mittels Kontrastmittelsonografie einfach möglich (Nekrosen nehmen kein Ultraschallkontrastmittel auf). Nativsonografisch können Einblutungen und Nekrosen innerhalb der Bauchspeicheldrüse ein unruhiges Muster erzeugen. Besonderes Augenmerk sollte auch auf die benachbarten Gefäße gelegt werden, denn Thrombosen im Bereich der V. lienalis oder V. portae sind nicht selten. Auch der linksseitige Pleuraerguss durch Fistelbildung gehört zu den klassischen Komplikationen.

Differenzialdiagnose | Akute Schmerzen im oberen Mittelbauch und periumbilikal werden außerdem verursacht durch:

  • abdominelles Aortenaneurysma

  • Magen- oder Duodenalulkus

  • beginnende Appendizitis

  • Nabelhernie

Wichtiges in Kürze
  • Atemmanöver und Umlagerung sind oft notwendig, um Organe / Regionen besser schallbar zu machen.

  • Sendefrequenz, Fokus, Eindringtiefe und Verstärkung (gain) müssen immer optimiert werden.

  • Die Sonopalpation ist eine hervorragende Methode zur Lokalisation einer umschriebenen peritonealen Reizung.

  • Entzündliche Prozesse im Abdomen führen häufig zu einer Umgebungsreaktion (echoreiche Netzkappe).

  • Akute Harnabflussbehinderungen führen „nur“ zu einem Harnaufstau 1. oder 2. Grades.


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Dr. med. Tanja Kaneko

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ist Assistenzärztin für Innere Medizin in den Ruppiner Kliniken, Medizinische Klinik B in Neuruppin.
tanjapil@gmx.de

Dr. med. Wolfgang Heinz

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ist Chefarzt der Inneren Klinik I, Karl-Olga Krankenhaus in Stuttgart.
wolfgang.heinz@sana.de

Interessenkonflikte

WH gibt an, Vortragshonorare von GE erhalten zu haben. TK gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 van Randen A, Laméris W, van Es HW et al. A comparison of the Accuracy of Ultrasound and Computed Tomography in common diagnoses causing acute abdominal pain. Eur Radiol 2011; 21: 1535-1545
  • 2 Ralls PW, Colletti PM, Lapin SA et al. Real-time sonography in suspected acute cholecystitis. Prospective evaluation of primary and secondary signs. Radiology 1985; 155: 767-771

Korrespondenz

Dr. med. Tanja Kaneko
Medizin. Klinik B – Ruppiner Kliniken
Fehrbelliner Str. 38
16816 Neuruppin

  • Literatur

  • 1 van Randen A, Laméris W, van Es HW et al. A comparison of the Accuracy of Ultrasound and Computed Tomography in common diagnoses causing acute abdominal pain. Eur Radiol 2011; 21: 1535-1545
  • 2 Ralls PW, Colletti PM, Lapin SA et al. Real-time sonography in suspected acute cholecystitis. Prospective evaluation of primary and secondary signs. Radiology 1985; 155: 767-771

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Abb. 1 Normale Appendix im Längsschnitt.
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Abb. 2 Kokarde im Querschnitt mit echoreicher Netzkappe.
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Abb. 3 Aufsuchen der Gallenblase. (A) longitudinal entlang des Rippenbogens, (B) Subkostalschnitt, (C) von lateral / interkostal.
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Abb. 4 Normale Gallenblase mit Solitärstein.
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Abb. 5 Akute Cholezystitis mit typischen Zeichen (Pfeile: Konkremente).
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Abb. 6 Normales Sigmadivertikel gefüllt mit Luft.
Zoom Image
Abb. 7 Sigmadivertikulitits.
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Abb. 8 Normales Pankreas im Längsschnitt.
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Abb. 9 Ödematöse Pankreaskopfpankreatitis.