physiopraxis 2016; 14(01): 10-13
DOI: 10.1055/s-0041-109352
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08 January 2016 (online)

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Professor Dr. Axel Ekkernkamp ist Klinikdirektor am Unfallkrankenhaus Berlin und politisch sehr aktiv, etwa als Mitglied des CDU-Bundesfachausschusses Gesundheit und Pflege. Bei den Therapieberufen ist er häufig Gast in Diskussionsrunden – vor allem wenn es um Aufgabenneuverteilung, Kooperation und Akademisierung geht. Zuletzt am 2. November 2015 in Berlin. Auf dem Symposium der Hochschule Fresenius und der Robert Bosch Stiftung tauschten sich Akteure aus Wissenschaft, Politik und Gesundheitspraxis über die Evaluationsergebnisse der Modellstudiengänge aus. Anlass dafür ist die 2016 anstehende Entscheidung des Bundestages, wie es mit den grundständigen Modellstudiengängen für Therapie- und Pflegeberufe in Deutschland weitergehen wird.
Abb.: ukb

„Die Physiotherapeuten nehmen den Ärzten ja nicht die Plätze weg.“

Herr Prof. Ekkernkamp, braucht es Ihrer Meinung nach für eine optimale Patientenversorgung der Zukunft akademisierte Physio- und Ergotherapeuten?
Ich glaube ja. Erstens müssen die Berufe Physiotherapie und Ergotherapie attraktiv bleiben. Attraktivität ergibt sich für mich aus Migrationsfähigkeit bzw. Internationalität. Wenn also die ganze Welt Physio- und Ergotherapie studiert, ist es sinnvoll, dass man diese beiden Berufe auch bei uns in Deutschland studieren kann.

Zweitens bedarf es der Akademisierung aus Qualitätsgründen. Denn der Hauptkritikpunkt an Ergo- und Physiotherapie ist, dass es sich bei den Therapien um Erfahrungswissen handelt, sie bislang nicht vernünftig akademisch begleitet werden und keine richtige Forschung haben. Evidenz herstellen, an Evidenz denken und normierte Dinge nicht nur abspulen, sondern sie auch durchdenken – das kann man besser, wenn man studiert hat. Zu Ende gedacht ergibt sich daraus auch eine bessere Qualität der Patientenversorgung.

Würden Sie für eine flächendeckende Vollakademisierung oder eher für eine Teilakademisierung der Physio- und Ergotherapie sprechen?
Ich plädiere dafür, den Weg in eine Vollakademisierung zu gehen. In Teilschritten und so, dass die Berufsfachschulen – die segensreiche Arbeit geleistet haben – keinen Schaden nehmen. Die Richtung muss sein, dass beispielsweise auf einer Station bei der Visite anwesend sind: der Arzt, ein studierter Sozialarbeiter, was inzwischen ja auch schon gegeben ist, ein studierter Orthopädiemechaniker, die brauchen aber noch ein bisschen, sowie ein Ergotherapeut mit Bachelor und ein Physiotherapeut mit Master; vielleicht ist einer von beiden promoviert und der Arzt nicht. Dann hätten wir eine Situation in Deutschland, die man so nicht kannte. Wäre das schlimm?

Nein. Sie glauben also daran, dass es irgendwann eine interprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe geben wird?
Ja. Das muss auch so sein. Man muss aus der Wettbewerbsdiskussion heraus und dahinkommen, dass der Patient von verschiedenen Seiten gut betreut werden möchte. Das Gesamtangebot bestimmt nachher den Heilerfolg. Jetzt würden meine ärztlichen Kollegen sagen, wir haben doch den Arztvorbehalt. Okay, der Arzt muss die Federführung haben, weil die weitreichendsten Konsequenzen sich aus seiner Fehlentscheidung ergeben würden. Aber bis vor ein paar Jahren hatten die Ärzte auch die absolute Hoheit über die Medikamente. Jetzt ist es vollkommen klar, dass wir Apotheker brauchen, die hier mitbetreuen. Medikamentenschränke auf Station werden heute von Apothekern bestückt. Zudem brauchen wir Medikamentenmanagementsysteme. Ich akzeptiere als Arzt den Apotheker, die studierte Therapeutin und den studierten Sozialarbeiter und so weiter. So hat man ein vernünftiges Team, das sich um den Patienten kümmert, und jeder hat seine Rolle. Ich finde nicht, dass der Arzt dabei verliert.

Die Physiotherapeuten nehmen den Ärzten ja nicht die Plätze weg. Die einzige Rivalität, die hier ständig hochkommt, ist die zwischen niedergelassenen konservativen Orthopäden und den Physiotherapeuten. Doch in einer älter werdenden Bevölkerung wird es genug Bedarf für gute Orthopäden und gute Physiotherapeuten geben.

Würden Sie den Direktzugang zum Physiotherapeuten begrüßen?
Den Direktzugang gibt es ja überall auf der Welt. Man muss in Deutschland einen Weg finden, wie man es schafft, dass ein Patient auch weiterhin ärztlich untersucht wird. Gerade wenn ich eine manualtherapeutische Maßnahme an der Halswirbelsäule vornehme, wäre es vielleicht gut zu wissen, wie das Röntgenbild aussieht. Ich habe gegen den Direktzugang gar nichts. Doch der Therapeut und der Patient müssen sich darauf verlassen können, dass man gefährliche Momente ausschließt.

Ich würde mir eine konstruktive Diskussion wünschen, die darauf schaut, wie man sinnvoll zusammenarbeitet. Im Augenblick ist es so, die verfasste Ärzteschaft ist gegen den Direktzugang und die Physiotherapeuten sind für den Direktzugang. Da versucht die eine Berufsgruppe die andere zu behindern. Ich suche nach einem Fahrplan für die Kooperation. Wann fange ich als Physiotherapeut in eigener Praxis erst gar nicht an, zu behandeln? Wann ist die Behandlung gefahrvoll? Wie geht es danach weiter? Wo braucht es eine ärztliche Eingangsuntersuchung, wo nicht?

Diese Diskussion sehe ich nicht, fände ich aber grundlegend.

Das Gespräch führte Elke Oldenburg.