Laryngorhinootologie 2016; 95(03): 162-163
DOI: 10.1055/s-0042-101354
Laudatio
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zum 90. Geburtstag von Prof. Dr. med. Dr. med. h.c. Harald Feldmann

K.-B. Hüttenbrink
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Publication Date:
14 March 2016 (online)

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Dr. med. h.c. H. Feldmann

Vor 90 Jahren, am 15.02.1926, wurde Harald Feldmann in Weferlingen bei Magdeburg geboren. Seit seiner Kindheit begleitet ihn seine Liebe zur Musik – noch heute spielt er täglich Klavier – und sie führte ihn in die Audiologie als Ausgangspunkt seines ungemein fruchtbaren wissenschaftlichen Schaffens. Hiervon zeugt nicht nur die hohe Zahl von 244 Publikationen – fast alle als Erstautor, was heute im Zeitalter der Gruppenpublikationen ungewöhnlich geworden ist – darunter 14 Monografien, wie „History of Audiology“, „Tinnitus“, „Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes“, die „Bilder der Geschichte der HNO-Heilkunde“ usw. Besonders bemerkenswert ist die hohe wissenschaftliche Qualität seiner Arbeiten. Mit den nach ihm benannten Tests hat Harald Feldmann Meilensteine in der Audiologie gesetzt, die auch international den guten Ruf der deutschen Ohrenheilkunde wesentlich bestimmten.

Bereits in seinem ersten Jahr als HNO-Assistenzarzt in Heidelberg entwickelte er mit dem Adaptogramm eine erste bahnbrechende Entdeckung, das später als eine der „Feldmanntests“ in die Literatur einging zur Messung der Hörermüdung. In weiteren Selbstversuchen fiel ihm auf, dass beim Hören unter Störgeräuschen die dabei zu beobachtenden Phänomene nur bei kohärenten Schallreizen auf beiden Ohren zustande kommen. Mit diesen Untersuchungen konnte er 1963 in Heidelberg habilitieren. Die zentral-nervöse Verarbeitung des binauralen Hörens ließ sich weiterführend in dem dichotischen Diskriminationstest prüfen. In der damaligen Zeit – lange vor den modernen Techniken wie akustisch evozierte Potenziale oder Kernspinuntersuchungen – wurde dieser weitere „Feldmanntest“ ein wichtiges Werkzeug zur Abgrenzung zentral-nervöser Hörstörungen und ist es bis heute geblieben. Seine Arbeiten auf dem audiologischen Gebiet wurden 1972 mit dem Ludwig-Haymann-Preis der Deutschen HNO-Gesellschaft und 1999 mit der ersten Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Audiologie geehrt.

Bei der intensiven Beschäftigung mit der Tonaudiometrie fiel ihm auf, dass ein Tinnitus im Gegensatz zu physikalischen Schallsignalen sowohl von ipsi- als auch von contralateral mit gleichem Verdeckungspegel maskiert werden kann. Die von ihm beschriebenen 6 Verdeckungstypen bei verschiedenen Formen des Tinnitus zeigten erstmals, dass man Tinnitus messtechnisch erfassen kann und sind als Meilensteine in die Tinnitusforschung eingegangen. Er richtete 1987 das dritte internationale Tinnitusseminar in Münster aus und publizierte 1992 das bekannte Standardwerk zum Tinnitus.

Bereits als junger Facharzt in Heidelberg vertiefte sich Harald Feldmann in einen anderen wissenschaftlichen Schwerpunkt, die Begutachtung in der HNO. Nach Klärung der vielen medizinischen und juristischen Vorgaben konnte er die Schädigungstabelle (MdE) für Hörstörungen entwickeln, die s. g. „Feldmann-Tabelle“. Diese Arbeiten bildeten den Grundstock seines Gutachtenbuches in der ersten Auflage 1976. Seitdem sind alle 5 Jahre neue Auflagen entstanden; nach der von ihm noch selbst verfassten sechsten Auflage ist zur Zeit eine siebte Auflage zusammen mit seinen Schülern vorgelegt. Die Begutachtung in der HNO ist ohne den „Feldmann“ nicht denkbar.

Harald Feldmann hat eine große Zahl anderer Forschungsgebiete aus dem HNO-Bereich erarbeitet. Für die thermische Vestibularisprüfung konnte er nachweisen, aufbauend auf physikalischen Überlegungen und belegt durch experimentelle Untersuchungen, dass der Wärmetransport durch den Knochen viel zu lange dauern würde. Es ist vielmehr die Strahlungswärme, vom Trommelfell ausgehend, die die Perilymphe erwärmt. Die von ihm entwickelte oszillierende Stichsäge ermöglichte osteoplastische Mittelohr- und Kieferhöhlen-Operationen, die, obgleich heute nur selten erforderlich, damals in den 1970er Jahren einen vielbeachteten Fortschritt der HNO-Operationsverfahren darstellten.

In den letzten Jahrzehnten hat Harald Feldmann sich intensiv der Medizingeschichte der HNO gewidmet. So konnte er als erfahrener HNO-Kliniker manche früher unerklärliche Krankheitsbeschreibungen berühmter Persönlichkeiten heute bekannten Erkrankungen korrekt zuordnen, wie bei Smetana, Herz und insbesondere Martin Luther. Viele weitere interessante Entdeckungen, Diagnostik- und Therapieverfahren aus der HNO-Heilkunde, die er auch in Einzelveröffentlichungen publiziert hatte, sind größtenteils in seinem Buch zu den Bildern aus der Geschichte der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde zusammengefasst. Besonders erwähnenswert ist auch seine Sammlung alter HNO-Instrumente, die im deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt zugänglich sind.

Sein Engagement für die HNO-Heilkunde äußerte sich darüber hinaus in seiner langjährigen Tätigkeit von 1988–1992 als Schriftleiter der Zeitschrift Laryngo-Rhino-Otologie des Thieme Verlags, in der er die Darstellung der wissenschaftlichen Arbeiten im deutschen Sprachraum wesentlich mitgestalten konnte.

Vielfach wurde er geehrt von der HNO-Fachgesellschaft: Während seiner klinischen Tätigkeit als Direktor der HNO-Uniklinik Münster von 1976–1991 war er 2-mal Präsident der Vereinigung Westdeutscher HNO-Ärzte (1977 und zum denkwürdigen „Wiedervereinigungskongress“ im April 1990) sowie Präsident der Deutschen HNO-Gesellschaft (1983–1984) und Ehrenpräsident der Jahrestagung (2003). Von der Deutschen HNO-Gesellschaft erhielt er 1996 die goldene Verdienstmedaille, 1997 ernannte sie ihn zu ihrem Ehrenmitglied. Von der medizinischen Fakultät der Universität Münster, die er 1981–1983 als Prodekan und Dekan sowie von 1985–1989 als Mitglied des Senats der Universität Münster vertrat, wurde ihm 2006 die Ehrendoktorwürde verliehen.

Als Kliniker und Forscher ist Harald Feldmann von einer überzeugend logischen und gradlinigen Art zu denken geprägt, die eingeschliffene Vorstellungen hinterfragte und neue Wege wies, basierend auf seinem überragenden Allgemein- und Fachwissen. Harald Feldmann brauchte nicht die große Bühne; seine Vorträge waren gekennzeichnet durch einen ruhigen, logischen Aufbau der Überlegungen, die dann den Zuhörer zum Teil unerwartet in eine ganz neue Richtung wiesen. Dabei konnte er überraschen mit seinem feinen Humor – diejenigen, die dabei gewesen waren, erinnern sich noch an seine mitreißende Rede zur Präsidentenübergabe 1984, in der er die damalige politische Wende in Deutschland auf die Deutsche HNO-Gesellschaft übertragen hatte, mit so viel Witz und Esprit, dass es die Zuhörer am Ende nicht auf den Sitzen hielt.

Hervorgehoben werden soll aber auch seine menschlich warme und besonnene Wesensart, mit der er an der Münsteraner Klinik ein freundliches und tolerantes Arbeitsklima geschaffen hat. Für die Ausbildung und die vielen wissenschaftlichen Impulse, die er seinen Mitarbeitern uneigennützig zur Verfügung gestellt hatte, danken ihm seine Schüler ganz besonders in Erinnerung an die prägenden Jahre in der Feldmannschen Münsteraner Schule.

K.-B. Hüttenbrink