physiopraxis 2016; 14(04): 26-29
DOI: 10.1055/s-0042-102404
therapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Knieschoner – Übungen zur Prävention von VKB-Rupturen

Daniel Kadlec
,
David Gröger

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Publication Date:
22 April 2016 (online)

 

    Verletzungsprävention ist für Sportler essenziell. Einseitige Trainingsbelastungen, verstärkte Valgusstellung, asymmetrisches Landeverhalten und mangelnde Kraft und Rumpfstabilität erhöhen beispielsweise das Risiko für vordere Kreuzbandrupturen. Gezieltes Training hilft, diese zu vermeiden.


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    Daniel Kadlec und David Gröger

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    Daniel Kadlec arbeitet bei „Plus D Sports“ in Wuppertal. Er hat sich in Sportphysiotherapie weitergebildet (spt-education) und ist in der Leistungsdiagnostik tätig. 2013 hat er an der Sporthochschule Köln den Bachelor in Sport und Leistung abgeschlossen und studiert nun berufsbegleitend im Masterstudiengang Strength & Conditioning an der St. Mary’s University in London.
    David Gröger ist Kraft- und Athletiktrainer, Personal Trainer und Inhaber von „Plus D Sports”. Er ist Gesundheits- und Krankenpfleger und hat sich in Sportphysiotherapie weitergebildet (spt-education). Neben diversen Lizenzen hat er 2009 bei Athletes Performance die Mentorships 1–3 sowie den Rehab Specialist erworben.

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    Die Miniband-Außenrotation ist eine von vielen Übungen, mit denen man die Hüftgelenkaußenrotatoren trainieren kann, um das vordere Kreuzband präventiv zu schützen.
    Abb.: A. Eberle

    Das vordere Kreuzband (VKB) stabilisiert das Kniegelenk und ist wichtig für die sensomotorische Kontrolle. Bei einer isolierten Ruptur ist bei Sportlern mit einem Comeback nach sechs bis neun Monaten zu rechnen. Sind andere Strukturen mitbeschädigt, kann sich der Rehabilitationszeitraum noch weiter erhöhen. Über 70 Prozent der VKB-Verletzungen passieren ohne gegnerische Einwirkung [10]. Dass es für diese sogenannten Non-Contact-Verletzungen des Kreuzbandes Risikofaktoren gibt, beschrieben Dale Daniels und sein Team bereits 1994 in einer prospektiven Studie [5]. Spätere Untersuchungen zeigten, welche dieser Faktoren beeinflussbar sind: Anatomische, hormonelle und genetische Voraussetzungen sind nicht beeinflussbare Risikofaktoren für eine VKB-Ruptur [9, 2, 24]. Biomechanische und neuromuskuläre Gegebenheiten wie eine verstärkte Valgusstellung, ein asymmetrisches Landeverhalten und mangelnde Kraft und Rumpfstabilität sind hingegen beeinflussbar [14, 15, 35].

    Als Konsequenz aus diesen Studien entwickelten Sportwissenschaftler unterschiedliche Programme zur Verletzungsprävention und untersuchten deren Effektivität. Die Übungen, Intensitäten, Volumen und Frequenzen unterschieden sich teils deutlich. Dennoch zeigten mehrere Programme, dass sie VKB-Verletzungen reduzieren konnten [16, 17, 19, 21, 22, 31], während andere sich als wenig wirkungsvoll erwiesen [23, 27, 28]. Beispielsweise zeigten manche Studien, dass ein isoliertes Training der Landetechnik oder ein Balancetraining wirkungslos sind [23, 28].

    Anatomische, hormonelle und genetische Prädispositionen für eine VKB-Ruptur lassen sich nicht beeinflussen.

    30 Minuten präventives Training pro Woche

    Dai Sugimoto und sein Team untersuchten 2014 in einer Metaanalyse anhand zahlreicher Studien den Umfang verschiedener Präventionsprogramme und deren Wirksamkeit [29]. Sie kamen zu dem Ergebnis: Je mehr Präventionstraining ein Sportler betreibt, desto seltener ist er verletzt. 30 Minuten Training pro Woche reduzierten beispielsweise die VKB-Verletzungen um 70 Prozent. Außerdem betonen die Forscher, dass das präventive Training in der Vorbereitungs- sowie in der Wettkampfperiode stattfinden sollte.

    In einer weiteren Metaanalyse von 2015 schaute sich das gleiche Forscherteam um Sugimoto die Effektivität der publizierten Trainingsmethoden an [30]. Die Forscher schlussfolgerten, dass ein generelles Krafttraining der Beine gefolgt von einem Training der Rumpfmuskulatur den größten präventiven Effekt hat. Zudem beobachteten sie, dass sich die Verletzungen weiter reduzieren, wenn zusätzlich plyometrische Übungen zum Einsatz kommen – allerdings waren diese Beobachtungen statistisch nicht signifikant, bemerken die Forscher.

    Insgesamt reduziert ein multimodales Training das Verletzungsrisiko um 66 Prozent. Baut der Therapeut zusätzlich unspezifische Balanceübungen ein, lässt sich das Verletzungsrisiko hingegen nur um 41 Prozent reduzieren. Das Forscherteam stellte zudem heraus, dass isolierte Gleichgewichtsübungen einen negativen Effekt auf die Verletzungsanfälligkeit haben. Das ist durchaus verwunderlich. Schließlich wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein Gleichgewichtstraining die posturale Kontrolle verbessert und damit die Verletzungsgefahr verringert, was Studien bei Athleten mit Sprunggelenkverletzungen auch bestätigen konnten [32, 33]. Doch auch Timothy Seil fand 2012 keinen Zusammenhang zwischen der posturalen Kontrolle und Knieverletzungen [26]. Er zeigte zwar, dass sich der Trainingseffekt von Gleichgewichtsübungen spezifisch auf die trainierten Übungen an sich auswirkt (SAID-Prinzip). Allerdings ließ sich kein Transfer dieser Übungen auf andere Übungen und Bewegungsmuster nachweisen. Daher bleibt es fraglich, ob es einen bedeutsamen Übertrag dieser Übungen auf dynamische und chaotische Sportarten gibt. Fest steht jedoch, dass Athleten mit hoch entwickelter Sensomotorik weniger anfällig für Verletzungen zu sein scheinen [18]. Wie man dieses System effektiv und spezifisch trainiert, ist allerdings nach wie vor unklar.

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    Den Skater Jump trainiert man erst, wenn der Athlet das Knie bei der Landung zuverlässig stabilisieren kann.
    Abb.: A. Eberle

    Auf Grundlage seiner Metaanalysen empfehlen Sugimoto und sein Team eine Kombination aus Krafttraining, Stärkung der Rumpfmuskulatur und plyometrischen Übungen [30], die im Folgenden näher beleuchtet wird.

    Eine verstärkte Valgusstellung, ein asymmetrisches Landeverhalten und mangelnde Kraft und Rumpfstabilität sind beeinflussbare Risikofaktoren.


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    Krafttraining hat die höchste Priorität

    Kreuzbandrupturen häufen sich zum Spielende und zur Halbzeitpause in Folge von Ermüdung [1, 8, 20]. Ein mangelndes Kraftniveau in der stabilisierenden Muskulatur und eine damit einhergehende verringerte Bewegungsqualität könnten ursächlich sein. Dies kann sich in verändertem Verhalten bei Landungen und Richtungswechseln oder in einer zunehmenden Valgusstellung bemerkbar machen. Weiterhin wird vermutet, dass eine wiederholte extreme Valgusstellung zu Mikrotraumata führt, die Verletzungen begünstigen [6, 7]. Mangelnde Kraft scheint also ein Schlüsselfaktor bei Non-Contact-Verletzungen zu sein und das Krafttraining demnach in der Prävention das wichtigste Element.

    Eine populäre und gut untersuchte Übung ist der Nordic Curl (PATIENTENINFORMATION, S. 31). Mit ihm kräftigt man die Ischiokruralen, die durch die posteriore Zugkraft an der Tibia eine wichtige Rolle in der dynamischen Kniegelenkstabilisierung spielen [30]. Sie sind aktiv während Aktivitäten, die eine Kniegelenkextension erfordern, und in der Anfangsphase von Landeaktionen, welche von anterioren Scherkräften begleitet werden und den Zug auf das Kreuzband erhöhen. Trainiert man daher gezielt die exzentrische Kraft der ischiokruralen Muskulatur, lässt sich das Verletzungsrisiko für den Sportler mindern [12, 34].

    Schwache Hüftgelenkabduktoren und -außenrotatoren hängen mit einer erhöhten Valgusstellung während Gewichtsverlagerungen zusammen [25]. Gleicht man Kraftdefizite in dieser Muskulatur aus, fördert das die Ausrichtung und Stabilisierung der Kniegelenke während dynamischer Aktivitäten und mindert so das Verletzungsrisiko. Einfache Übungen, die sich gut in das normale Training integrieren lassen, sind zum Beispiel das „Miniband-Pendel“ für die Abduktoren oder die „Miniband-Außenrotation“ (S. 30–31).

    Des Weiteren zeigen Studien, dass es sich lohnt, Sportler regelmäßig tiefe Kniebeugen (mit der Langhantel) über den vollen Bewegungsradius durchführen zu lassen (S. 30). Piotr Grzelak und Kollegen wiesen bei Sportlern, die so trainiert hatten, eine signifikant größere Querschnittfläche des VKB nach, verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung [11]. Das Sehnenmaterial passt sich quantitativ (Querschnittsfläche) und qualitativ (erhöhte Steifigkeit) an und minimiert so das Verletzungsrisiko [3].

    Lesenswerte Metaanalysen

    Die in diesem Artikel zitierten Metaanalysen von Dai Sugimoto sind 2014 und 2015 in den Zeitschriften Sports Medicine und British Journal of Sports Medicine erschienen.

    • → Sugimoto D, Myer GD, Foss KDB, Hewett TE. Dosage effects of neuromuscular training intervention to reduce anterior cruciate ligament injuries in female athletes: meta- and sub-group analyses. Sports Med. 2014; 44: 551–562

    • → Sugimoto D, Myer GD, Foss KDB, Hewett TE. Specific exercise effects of preventive neuromuscular training intervention on anterior cruciate ligament injury risk reduction in young females: meta-analysis and subgroup analysis. Br J Sports Med. 2015; 49:282–289


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    Rumpfkräftigung erhöht Kontrollfunktion

    Eine gut trainierte Körpermitte ist grundlegend, um die Leistungsfähigkeit zu optimieren und die Verletzungsanfälligkeit zu reduzieren. Nachgewiesenermaßen führt eine verminderte Rumpfkraft dazu, dass Athleten bei dynamischen Bewegungen ihre unteren Extremitäten nicht ausreichend kontrollieren und koordinieren können und diese dadurch in biomechanisch ungünstige Stellungen geraten können [42]. Physiotherapeuten haben zahlreiche effektive Übungen zur Rumpfkräftigung in ihrem Repertoire. Die in der Patienteninformation gezeigte Übung mit dem Pezziball ist, wie die anderen Übungen, daher nur als Beispiel zu sehen (S. 30).


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    Plyometrisches Training vermindert Valgusstellung

    Unter plyometrischem Training versteht man Übungsformen, die einen Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus - kurz DVZ – hervorrufen. Der DVZ beschreibt den Vorgang, dass auf eine exzentrische Kontraktion unmittelbar eine konzentrische erfolgt, bei der eine höhere Kraftentwicklung entsteht im Gegensatz zu rein konzentrischen Kontraktionen [36]. Das plyometrische Training zielt darauf ab, die Bodenkontaktzeit stets zu minimieren und gleichzeitig die Sprunghöhe zu maximieren. Zusätzlich zur gezeigten Verletzungsreduktion verbessert das Training verschiedene athletische Fähigkeiten (Sprint-, Sprung-, Agilitäts- und Ausdauerfähigkeit [38–41]) sowie die Maximalkraft [37] und die Schnellkraft [38]. Es kann zum Einsatz kommen, um die Valgusstellung eines Athleten zu reduzieren [13]. Zuerst trainiert man zum Beispiel mit dem Drop Jump korrekte Landemechanismen während bilateraler und unilateraler Sprünge (S. 31). Anschließend soll der Athlet dynamischere und anspruchsvollere Sprungformen absolvieren – zum Beispiel den Skater Jump (S. 31). Dabei soll er die Bewegungsqualität konsequent aufrechterhalten. Abschließend gilt es, unterschiedlichste Sprünge auszuführen und diese mit sportspezifischen Aufgaben zu kombinieren.


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    Fazit: eingeschliffene Bewegungsmuster gezielt korrigieren

    Grundsätzlich gilt es, das verletzungsträchtige Bewegungsmuster unter kontrollierten Bedingungen zu korrigieren. Inwiefern sich dies auf die jeweilige Sportart, insbesondere bei Teamsportarten übertragen lässt, ist allerdings nach wie vor unklar. Teamsportarten sind in ihren Bewegungsabläufen hoch variabel, und jede Spielsituation hat unzählige spezifische Bewegungsmuster, welche der Sportler unter maximalen Bewegungsgeschwindigkeiten meistern muss. Selbst wenn er die unterschiedlichen Bewegungsaufgaben unter kontrollierten Bedingungen korrekt ausführt, ist nicht davon auszugehen, dass er dies auf die chaotische Natur seines Sports übertragen kann. Die motorische Kontrolle müsste er für jede Bewegung, die zu einer Valgusstellung im Kniegelenk führen könnte, neu erlernen. Aufgrund der zahllosen Szenarien innerhalb eines Spiels und bereits automatisierter, unterbewusst gesteuerter Bewegungen scheint dies fast unmöglich. Hat sich der Sportler erst einmal über Jahre hinweg seine spezifischen und einzigartigen Bewegungen angeeignet, ist es enorm schwer, neue Bewegungsmuster effektiv zu adaptieren. Daran zu arbeiten, um Verletzungen zu vermeiden und idealerweise parallel die Leistung zu verbessern, sollte allerdings das Ziel eines jeden Sportphysiotherapeuten sein.


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    Die Miniband-Außenrotation ist eine von vielen Übungen, mit denen man die Hüftgelenkaußenrotatoren trainieren kann, um das vordere Kreuzband präventiv zu schützen.
    Abb.: A. Eberle
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    Den Skater Jump trainiert man erst, wenn der Athlet das Knie bei der Landung zuverlässig stabilisieren kann.
    Abb.: A. Eberle