Grey et al.
Benzodiazepine use and risk of ….
BMJ 2016;
352: i90
Ausgewertet wurden die Daten von 3434 Personen über 65 Jahren des Group-Health-Gesundheitsversorgungs-Systems
in Seattle. Darin werden u. a. Medikamenten-Verordnungen computerbasiert erfasst.
Eingeschlossen wurden die Teilnehmer in den Zeiträumen 1994–1996, 2000–2003 und seit
2004.
Die Probanden wurden zu Beginn und anschließend in zweijährigen Intervallen mit dem
Cognitive-abilities-screening-Instrument auf Demenzsymptome untersucht. Bestand der
Verdacht auf eine Demenz, wurde dieser durch die neurologisch-psychologische Standarddiagnostik
überprüft. Um den Benzodiazepin-Konsum zu beurteilen, wurde die „total standardized
daily dose“ (TSDD) im vorangegangenen 10-Jahres-Zeitraum berechnet. Das Jahr vor der
jeweiligen Erhebung wurde nicht berücksichtigt, um eine mögliche Benzodiazepin-Gabe
zur Behandlung von Demenz-Prodromi auszuschließen.
Innerhalb der medianen Nachbeobachtungszeit von 7,3 Jahren entwickelten 23,2 % der
Studienteilnehmer eine Demenz. Die adjustierte Hazard Ratio der Teilnehmer, die Benzodiazepine
erhalten hatten, betrug im
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niedrigen Dosisbereich
(1–10 TSDDs) 1,25 (95 %-Konfidenzintervall 1,03–1,51),
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mittleren Dosisbereich
(31–120 TSDDs) 1,31 (1,00–1,71) und
-
hohen Dosisbereich
(> 121 TSDDs) 1,07 (0,82–1,39).
Somit war ein höherer Benzodiazepin-Konsum nicht generell mit einem höheren Demenz-Risiko
vergesellschaftet, sondern nur im niedrigen bis mittleren Dosisbereich. Zwischen Demenz
im Allgemeinen und Alzheimer-Demenz gab es keine Unterschiede. Die Autoren raten trotzdem
dazu, Benzodiazepine bei älteren Personen zu vermeiden – auch wegen des hohen Gefahrenpotenzials
wie Sturz und Abhängigkeit.
Dr. med. Peter Pommer, Oberammergau
Kommentar aus der Praxis
PD. Dr. med. D. Kopf
Benzodiazepine beeinträchtigen akut kognitive Leistungen wie Lernen und Gedächtnis
– aber begünstigen sie langfristig auch die Entstehung einer Demenz? Die Studie von
Gray et al. scheint hier Entwarnung zu geben, nachdem ältere Studien zu dieser Frage
uneinheitlich waren.
Die Studie ist sehr sorgfältig konzipiert und besticht durch ein prospektives Design
über einen langen Beobachtungszeitraum von bis zu 11 Jahren. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit
eines Fehlschlusses reduziert: Benzodiazepine könnten für frühe Begleitsymptome einer
Demenz verordnet worden sein. Dadurch könnte eine Assoziation entstehen, die als Kausalität
missverstanden werden könnte. Dieser Fall konnte durch das sorgfältige Design umgangen
werden.
Komplette Entwarnung lässt sich allerdings noch nicht geben:
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Erstens waren die kumulativen Benzodiazepin-Dosen auch in der Hochdosisgruppe im Median
noch mäßig.
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Zweitens ist erst kürzlich eine europäische Studie erschienen, die bei einer ähnlich
langen Laufzeit doch eine leichte Erhöhung des Demenzrisikos durch Benzodiazepine
findet (Alzheimers Dement 2015; pii: S1552-5260(15)02953-2). Dieser Zusammenhang bestand
vor allem für Benzodiazepine mit einer langen Plasmahalbwertszeit.
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Drittens bringt – bei dem sehr langen Vorlauf der Neurodegeneration – auch ein Studienzeitraum
von 10 Jahren noch keine absolute Sicherheit.
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Und viertens, das ist der entscheidende Grund, erhöht die dauerhafte Einnahme von
Benzodiazepinen weitere im Alter entscheidende Risiken wie z. B. das Sturzrisiko oder
das Risiko einer Abhängigkeit mit der Gefahr eines Delirs oder Entzugssyndroms beim
Absetzen.
Benzodiazepine sind im Rahmen eines umfassenden Behandlungskonzepts für depressive
Störungen oder Angststörungen hoch wirksame und essentielle Medikamente. Dabei eignen
sie sich insbesondere für die Initialphase der Therapie. Die Indikation für eine langfristige
Therapie oder als Bedarfsmedikation ohne klaren Einnahmemodus soll jedoch sehr zurückhaltend
und nur nach Ausschöpfen anderer Optionen gestellt werden. Dies gilt auch unabhängig
von einem potenziellen Demenzrisiko.