Diabetes aktuell 2016; 14(01): 3
DOI: 10.1055/s-0042-103136
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Chronisch krank und geflüchtet – angekommen und betreut?

Antje Bergmann
,
Peter E.H. Schwarz
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Publication Date:
23 March 2016 (online)

„Also führten auch hier mit unbesonnener Sorgfalt schlechte Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend: Alte Bretter und Fässer, den Gänsestall und den Käfig. Auch so keuchten die Weiber und Kinder, mit Bündeln sich schleppend, unter Körben und Butten voll Sachen keines Gebrauches; denn es verläßt der Mensch so ungern das Letzte der Habe.“ Aus: Hermann und Dorothea 1, Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832).

Dieses Zitat ist nicht aus der Jetzt-Zeit, wo wir täglich Berichte lesen, sehen, hören, die von Flucht, Vertreibung, Schmerz, Familien, die auseinandergerissen werden und Gewalt auf vielen Seiten erleben, handeln. Dieses Zitat ist fast 200 Jahre alt und beschreibt die Lage der geflüchteten Menschen gut.

Aus aktuellem Anlass und weil es sicherlich vielen Lesern so geht wie uns, beschäftigen wir uns in dieser Ausgabe mit diesem wichtigen Thema. Dabei ist der Diabetes mellitus Typ 2 ein Beispiel für eine Vielzahl chronischer Probleme, mit denen wir uns jetzt beschäftigen bei Geflüchteten und deren Angehörigen.

Neu an unserem Heft ist auch, dass der Schwerpunkt von einem Gasteditor, der auch das Gasteditorial schreibt, gestaltet wird. Wir konnten Dr. Bernd Kalvelage als Gründungsvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft (AG) Diabetes und Migranten in der DDG für diese Ausgabe gewinnen.

Diese AG nahm ihre Tätigkeit bereits 2002 auf, damals als Verein, seit 2012 ist die AG innerhalb der DDG aktiv. Bereits am 18. Dezember 2015 war zum Internationalen Tages der Migranten in vielen Regionen, die einen besonders Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund aufweisen, ein Info-Mobil vor Ort aktiv.

Allein von den ca. 2 Millionen Bürgern mit türkischem Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, haben ungefähr 300 000 einen Diabetes mellitus. Die neu angekommenen geflüchteten Menschen sind hierbei noch nicht geschätzt und werden ebenso eine Herausforderung darstellen. Die Prävalenzen liegen deutlich über denen der deutschen Bevölkerung. Warum werden das Herausforderungen darstellen?

Sprachbarrieren, kulturelle Besonderheiten, andere Ernährungsgewohnheiten, religiöse Nahrungsgebote, Besonderheiten in der Familienstruktur und in den Geschlechterrollen müssen beachtet werden.

In dieser Ausgabe ist deswegen vieles zusammengestellt, von dem wir denken, dies sind mögliche Antworten auf Versorgungsfragen im Alltag oder zumindest kleine Hilfen im Umgang mit dieser Patientengruppe.

Cornelia Femers, Diabetologin aus Iserlohn, beschreibt differenziert die Gruppe der Patientinnen mit Gestationsdiabetes aus anderen ethnischen Gebieten. Zum einen sind die Patientinnen meist hochmotiviert, ihre Therapie für sich und das Ungeborene optimal durchzuführen. Zum anderen scheinen Sprachbarrieren und kulturelle Besonderheiten eine Schulung zu erschweren. Mit langjähriger Erfahrung belegt die Autorin, dass es kaum Unterschiede zwischen den ethnischen Gruppen gab, weder hinsichtlich der Anzahl der Kontakte noch hinsichtlich der Zielerreichung in der Therapie.

Erika Helfrich-Brand, Diabetesberaterin aus Berlin, widmet sich dem Thema „Schulungen bei Migranten und Flüchtlingen“. Natürlich sind Behandler in hohem Maße und sicherlich auch anders gefordert, aber die Mühen lohnen sich und die Schulungen werden, wenn in der richtigen Form, dankbar angenommen.

Wichtig aus unserer Sicht ist die Abhandlung zum Asylbewerberleistungsgesetz im Sinne der Patientinnen. Michael Janßen, Allgemeinmediziner und Stellv. Vorsitzender des Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte aus Berlin, bringt die diffizile Gesetzeslage und die ethischen Grundannahmen der Gleichbehandlung aller Patienten auf den Punkt.

Elisabeth Wesselman, Fachreferentin Interkulturelle Versorgung im Gesundheitswesen aus München, nimmt die psychosoziale Versorgung in den Fokus. Die Beachtung kultureller Aspekte ist für die Prävention und Therapie von großer Bedeutung.

Wir hoffen sehr, einige Ihrer Fragen im Fokus zu haben. Für Anregungen und Ideen sind wir stets offen!

Ihre Antje Bergmann und Ihr Peter Schwarz