manuelletherapie 2016; 20(02): 49
DOI: 10.1055/s-0042-104530
Gasteditorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gasteditorial

Véronique van der Zypen-Wyss
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Publication Date:
18 May 2016 (online)

Das schmerzhafte/instabile Handgelenk – eine (therapeutische) Herausforderung

Stellen Sie sich vor, folgende Patienten melden sich bei Ihnen zur Therapie an: (1) Ein Bauarbeiter, der sich durch einen Sturz vom Gerüst eine perilunäre Luxationsfraktur zugezogen hat und auf den Wiedereinstieg in die Arbeit vorbereitet werden soll. (2) Eine Yogalehrerin, die oft in Stützpositionen verweilen muss und über zunehmend stechende Schmerzen im Handgelenk klagt. (3) Eine junge Köchin mit midkarpaler Instabilität, die befürchtet, ihren geliebten Beruf aufgeben zu müssen, weil sie beim Schneiden und Hantieren mit schweren Pfannen immer Beschwerden hat. Wie gehen wir Therapeuten mit diesen verschiedenen Situationen um?

Eine Instabilität kann sowohl posttraumatisch entstehen als auch bei einer nicht kompensierten Laxizität symptomatisch werden. Welche Verletzung auch immer am Handgelenk stattgefunden hat, sie wird immer eine Veränderung des Gleichgewichtes zwischen den Kräften in diesem komplexen Gebilde nach sich ziehen. Ein grundsätzliches Verständnis der Biomechanik erfordert exakte anatomische Kenntnisse und ein ausführliches Wissen über die Wirkungsweisen der Muskeln, die am Karpus inserieren oder darüber hinwegziehen: Wie bewegt sich das Skaphoid bei der Ulnarduktion? Was geschieht mit dem Lunatum in Beziehung zum Kapitatum? Welche Muskeln stabilisieren das distale Radioulnargelenk?

In Zusammenarbeit mit Dr. Marc Garcia-Elias führte Dr. Elisabeth Hagert diverse Studien durch. Sie konnte z. B. belegen, dass im skapholunären Ligament eine Anhäufung von Sensoren vorhanden ist, die für die Propriozeption des Handgelenks wesentlich sind [2]. Unter anderem ließ sich mit mechanischer Reizung ein monosynaptischer Reflex auslösen: Der M. flexor carpi radialis spannt innerhalb von 20 ms an und schützt so das skapholunäre Intervall [1], [3]. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wurde die These formuliert, dass das Training der Propriozeption beim instabilen oder schmerzhaften Handgelenk eine zentrale Rolle spielt.

Während beim Bauarbeiter isometrisches Krafttraining und Ko-Kontraktionen der Handgelenksflexoren und -extensoren zu einer Erhöhung der globalen Handgelenkstabilität führten, brachten der Yogalehrerin feinere Wahrnehmungsübungen sowie Kräftigung der Fingerflexoren in Kombination mit Stabilitätstraining für den Schultergürtel Linderung. Doch wären diese Maßnahmen auch für die Köchin die richtigen?

Es ist oft nicht einfach, die therapeutischen Interventionen zu finden, die zum Ziel führen. Die Komplexität des Karpus und seiner Biomechanik erfordern eine genaue Analyse der Pathologie und der Ansprüche, die die Patienten an ihre Hand stellen. Genau diese individuellen Anpassungen von Übungen und allenfalls Hilfsmitteln machen dieses Thema aus meiner Sicht herausfordernd!

Die vorliegende Ausgabe der manuelletherapie nimmt sich dem Thema „Das schmerzhafte/instabile Handgelenk“ an.

Ich bin überzeugt, dass Ihnen die Lektüre neues Wissen und Verständnis für die komplexe Behandlung des Handgelenkes vermittelt und wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

 
  • Literatur

  • 1 Hagert E, Persson JKE, Werner M et al. Evidence of Wrist Proprioceptive Reflexes Elicited after Stimulation of the Scapholunate Interosseus Ligament. J Hand Surg 2009; 34A: 642-651
  • 2 Hagert E. Proprioception of the Wrist Joint: A Review of Current Concepts and Possible Implications on the Rehabilitation of the Wrist. J Hand Ther 2010; 23: 2-16
  • 3 Salva-Coll G, Garcia-Elias M, Leon-Lopez MT et al. Effects of forearm muscles on carpal stability. J Hand Surg Eur 2011; 36: 553-559