Aktuelle Kardiologie 2016; 5(02): 97-100
DOI: 10.1055/s-0042-104771
Medizinjuristisches Spotlight zum Schwerpunktthema
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ist ein Kardiologe immer im Dienst?!

Haftungsrisiken beim Einsatz und Nichteinsatz telemetrischer Fernüberwachung von Kardiodefibrillatoren und Herzschrittmachern
H. Schneider
1   Lehrstuhl für Strafrecht, Universität Leipzig
,
R. Bosch
2   Cardio-Centrum Ludwigsburg Bietigheim (CCLB), Ludwigsburg
,
T. Ebermann
3   Bundesverband Niedergelassener Kardiologen (BNK) Deutschland, München
,
C. Hansen
4   Herz- und Gefäßzentrum am Krankenhaus Neu-Bethlehem, Göttingen
,
T. Klingenheben
5   Praxis für Kardiologie/Ambulante Herzkatheterkooperation, Bonn
,
K. Rybak
6   Kardiologische Praxis, Dessau
,
N. Smetak
7   Kardiologische Praxis, Kirchheim unter Teck
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. April 2016 (online)

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Alarm am Samstagmittag

Es ist Wochenende. Kardiologe Dr. B. mit Praxis in Stuttgart macht eine Wanderung in den Bayerischen Alpen. Bei der Mittagsjause auf 1200 Meter Höhe meldet sich die App seines Mobiltelefons mit einem Notruf: „Patient männlich, 55 Jahre, 30 % Risiko für inadäquate Schocks innerhalb der nächsten 24 Stunden“. Es handelt sich um einen Patienten mit Kardiodefibrillator. Das Risiko eines inadäquaten Schockes bedeutet, dass der Defibrillator irrtümlich von einer Indikation für einen Schock zur Regularisierung der Herztätigkeit des Patienten ausgeht. Kommt es zu dem durch das Gerät ausgelösten Schock, besteht für den Patienten möglicherweise akute Lebensgefahr. Von dem Gerätedefekt hat der Kardiologe deshalb erfahren, weil das Gerät über eine telemetrische Fernüberwachung [1] verfügt. Durch zwei Anrufe kann der Kardiologe vom Berg aus die Gefahr abwenden.

Das Telemonitoring implantierter Rhythmusdevices befindet sich weltweit und auch in Deutschland auf dem Siegeszug. Neuere Untersuchungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass der Einsatz von Produkten mit telemetrischer Fernüberwachung bei bestimmten Patientengruppen, insbesondere mit Risiko für atriale oder ventrikuläre Tachykardien oder Herzinsuffizienz, eine überlegene Methode darstellt und gegenüber Medizinprodukten, die keine derartigen Übertragungsmöglichkeiten vorsehen, zu einer deutlichen Erhöhung der Patientensicherheit führt [2]. Häufig können durch das Telemonitoring (RM) auch die Kontrollintervalle verlängert werden, sodass die Fahrt in die Praxis oder Klinik entfällt („reduce the frequency of scheduled in-person follow-up visits“) [1]. Die entsprechenden Vorteile für den Patienten und das Gesundheitswesen liegen auf der Hand: Seltenere Termine in der Praxis des Kardiologen bei gleichzeitiger Steigerung der Sicherheit erhöhen die Patientenzufriedenheit und steigern die Lebensqualität [3].

Auf der anderen Seite wirft der Einsatz oder Nichteinsatz eines telekardiologischen Systems, bei dem es sich um ein Medizinprodukt der höchsten Risikoklasse III handelt, zivil- und strafrechtliche Haftungsfragen auf. Handelt es sich um verbotene Fernbehandlung? Welche Aufklärungspflichten bestehen? Ist der Kardiologe zum unverzüglichen Handeln beim Eingehen eines Gerätealarms (am Wochenende/im Urlaub) verpflichtet? Wie ist es um die Haftung bestellt, wenn dem Arzt entgeht, dass die telemetrische Datenübermittlung bei einem Patienten ausbleibt [4]? Gibt es möglicherweise auch Haftungsrisiken, wenn der Arzt auf den Einsatz der Telemetrie verzichtet, weil er z. B. die erforderlichen Geräte nicht vorhält, obwohl der Patient in der Klinik mit einem entsprechenden Gerät ausgestattet wurde?