Der Klinikarzt 2016; 45(06): 323
DOI: 10.1055/s-0042-109046
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AWMF diskutiert medizinische Versorgung von Flüchtlingen

Stresstest für das deutsche Gesundheitswesen
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Publication Date:
29 June 2016 (online)

 

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gibt vor, dass ärztliche Leistungen für Flüchtlinge nur bei akuter Erkrankung und Schmerzen abrechenbar sind. Welche gesundheitlichen Probleme das umfasst, unterscheidet sich von Kommune zu Kommune. Oft wissen kranke Flüchtlinge nicht, welche Ärzte für sie zuständig sind. Ärzte wiederum sind verunsichert, welche Erkrankungen sie behandeln dürfen. Mit der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Migranten befasste sich der Arbeitskreis „Ärzte und Juristen“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Anfang April in Würzburg.

Wenig systematische Information

„Derzeit existiert viel anekdotische Erfahrung aber wenig systematische Information – der Föderalismus ist dabei ein großes Problem“, betont Dr. Anne Bunte, Leiterin des Gesundheitsamts der Stadt Köln. Mehr als 12 000 Flüchtlinge brachte Köln bis Februar 2016 in Wohnheimen, Notunterkünften und Hotels unter. Rund 70 % sind gesund. Wenn nicht, leiden sie häufig unter Magen-Darm-Infektionen durch Noroviren oder Campylobacter. Auch die Fallzahlen an Tuberkulose, Hepatitis B und C haben mit dem Flüchtlingsstrom zugenommen. Die Kölner Experten sind sich jedoch sicher, Krankheitsausbrüche durch Basishygiene und Impfungen vermeiden zu können.

Nach der Erstaufnahme verläuft der Weg in eine medizinische Behandlung alles andere als geradlinig, so Dr. Amand Führer von der Universität Halle. Er bezeichnet die aktuelle Situation als „Stresstest für unser Gesundheitswesen“. Um ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen, benötigen Flüchtlinge einen Behandlungsschein vom Sozialamt. „Die Scheine bedeuten nicht nur bürokratischen Aufwand – je länger die Patienten auf eine Behandlung warten, desto weiter schreitet die Erkrankung fort.“

Oft schicken Praxen und Kliniken die Patienten auf Irrwege durch die Institutionen, weil Strukturen fehlen – zumal eine Diagnose nicht immer auch bedeutet, dass eine Therapie erfolgt. „Das ist ethisch durchaus fragwürdig“, sagt Dr. Bunte. An den Schnittstellen gehen zudem viele Informationen verloren.


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Verunsicherung auf beiden Seiten

Doch nicht nur die Flüchtlinge sind unsicher, welche Leistungen das AsylbLG umfasst. Prinzipiell haben alle Schwangeren, Kinder und medizinische Notfälle ein Recht auf Behandlung, aber auch Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen sind im AsylbLG vorgesehen. „Bei chronisch Kranken, wie etwa Menschen mit Diabetes, ist selbst Ärzten und Sozialarbeitern oft unklar, ob und in welchem Maße Anspruch auf ärztliche Leistungen besteht“, sagt Dr. Führer.

Für einen schnelleren Zugang zu Leistungen hat die Stadt Köln zum 1. April die elektronische Gesundheitskarte für Flüchtlinge eingeführt. „Ziel muss es sein, die Menschen möglichst zügig in die Versorgung zu integrieren“, erklärt Bunte. Genau das gelingt derzeit bundesweit kaum. Fakt sei jedoch, betont Rechtsexperte Prof. Dr. Winfried Kluth aus Halle, „dass das deutsche Gesundheitswesen in der Praxis weit mehr leistet als es von Rechts wegen muss.“

Quelle: Pressemeldung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).


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