Dtsch Med Wochenschr 2017; 142(17): 1261
DOI: 10.1055/s-0042-109204
Editorial
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Chronische Nierenerkrankung: nicht nur eine Aufgabe für Nephrologen!

Chronic Kidney Diseases
Mark Dominik Alscher
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Publication Date:
29 August 2017 (online)

Liebe Leserinnen und Leser,

aus dem Blut werden täglich 180 l Urin gefiltert und über sehr stoffwechselaktive Vorgänge auf 1,5 l reduziert. Bedenkt man die verzweigte Mikrovaskulatur der Nieren und ihre erstaunlichen Filtrationsvorgänge, verwundert es nicht, dass ihre Funktion durch vaskuläre Störungen und Substanzen, die in den Filterstrukturen hängenbleiben, beeinträchtigt werden kann. Gerade vaskuläre Störungen führen häufig zu chronischen Schäden der Nierenfunktion, die sich – wie auch bei Zielorganen anderer Herz-Kreislauferkrankungen – häufig parallel pathologisch verändert.

Bei einer Bevölkerung, die zunehmend älter wird, und einer weltweit wachsenden Adaptation an den sogenannten westlichen Lebensstil nimmt auch die Inzidenz der chronischen Nierenerkrankung (CKD) weltweit zu. Beispielsweise finden sich 2015 etwa 25 – 27 % mehr CKD-Patienten als 2005 [1]. Hauptursache für eine chronische Schädigung sind neben Diabetes mellitus weitgehend alle Faktoren, die zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen können: Bewegungsmangel, Übergewicht, Nikotin, Hypertonie, diätetische Faktoren und mehr.

Diese Erkenntnis bietet auch die Chance, präventiv tätig zu sein. Der Nutzen einer Primär-Prävention ist unumstritten – für die Sekundär-Prävention wären Screening-Untersuchungen notwendig: Die CKD ist zu Beginn symptomarm bis -frei. Treten Symptome auf, sind sie zunächst unspezifisch. Für ein Screening gibt es derzeit keine robusten Evidenzen. Allerdings konnte jüngst für Kanada gezeigt werden, dass ein solches Vorgehen gesundheitspolitisch kostensparend ist – ganz abgesehen davon, dass es den Betroffenen viel Leid und Komplikationen ersparen kann [2].

Das Problem einer CKD ist nicht nur, dass bei Progress am Ende ein Nierenersatz notwendig wird und dies entsprechende Folgen für die Betroffenen sowie Kosten nach sich zieht, sondern auch, dass eine CKD schon in den Stadien zuvor ein wesentlicher Risikofaktor für Herz-Kreislauferkrankungen ist. Beispielsweise ist eine chronische Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) bereits auf Platz 8 der Ursachen für ein vorzeitiges Ableben [3]. Dies unterstreicht die epidemiologische Wichtigkeit der CKD.

Hoffnungsfroh stimmt, dass eine Progressionsbeeinflussung der CKD häufig gelingt. Es ist gut belegt, dass bei einer Mitbetreuung durch den Nephrologen ab einer GFR ≤ 45 ml der Progress deutlich gemildert und gebremst wird [4]. Da die Erkrankung häufig ist (je nach zugrundeliegender Definition kann in Deutschland mit 2 – 10 Millionen Betroffenen gerechnet werden) werden viele CKD-Patienten von Nicht-Nephrologen betreut: Bei 2500 Nephrologen muss ein Großteil der Betroffenen in der allgemeinärztlichen oder internistischen Praxis behandelt werden. Umso wichtiger und dankenswerter ist es, dass die CKD im Dossier dieser DMW-Ausgabe ausführlich diskutiert wird – ich darf Ihnen viele nützliche Informationen wünschen!

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Prof. Dr. med. Mark Dominik Alscher
 
  • Literatur

  • 1 GBD 2015 Disease and Injury Incidence and Prevalence Collaborators. Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 310 diseases and injuries, 1990-2015: […]. Lancet 2016; 388: 1545-1602
  • 2 Ferguson TW, Tangri N, Tan Z. et al. Screening for chronic kidney disease in Canadian indigenous peoples is cost-effective. Kidney Int 2017; 92: 192-200
  • 3 Thomas B, Matsushita K, Abate KH. et al. Global Cardiovascular and Renal Outcomes of Reduced GFR. J Am Soc Nephrol 2017; 28: 2167-2179
  • 4 Jones C, Roderick P, Harris S. et al. Decline in kidney function before and after nephrology referral and the effect on survival in moderate to advanced chronic kidney disease. Nephrol Dial Transplant 2006; 21: 2133-2143