Laryngorhinootologie 2016; 95(10): 672
DOI: 10.1055/s-0042-118025
Leserbrief
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Leserbrief zum Beitrag

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Publication Date:
20 October 2016 (online)

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Lipidpneumonie durch Lipid-haltige Nasensprays und – tropfen von Ganso et al., Laryngo-Rhino-Otol 2016; 95: 534–539

Mit großem Interesse habe ich den o. g. Artikel in der August-Ausgabe der Laryngo-Rhino-Otologie gelesen.

Zunächst scheint das Thema, welches von den Autoren aufgegriffen wurde, sehr interessant und praxisrelevant zu sein. Bei genauerer Lektüre wundert der erfahrene HNO-Arzt sich jedoch über einige Schlüsse, die die Autoren ziehen. Es wird über die Gefahr der Lipidpneumonie gemunkelt, die in Folge der Anwendung lipidhaltiger Nasentropfen entstehen könnte, aber die Autoren haben offensichtlich Schwierigkeiten, dies an aktuellen Fällen, die in der Literatur veröffentlicht worden wären, zu belegen. Als Beweis für ihre These führen sie u. a. eine Publikation aus dem Jahre 1925 an. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: im Jahr 2016 zitieren Ganso et al. eine fast 100 Jahre alte Publikation, um ein angeblich aktuelles medizinisches Problem zu illustrieren. Eine andere Kasuistik aus dem Jahre 1988 behandelt eine Lipidpneumonie bei einer Anorexia nervosa-Patientin, die sich die Pneumonie am ehesten durch die häufige Einnahme von Mineralöl mit der Nahrung (als Laxans?) zugezogen hatte. Definitiv war keine nasale Inkorporation des Mineralöls erfolgt. Mineralöl-haltige Präparate seien nach Auskunft der Autoren besonders gefährlich (nachvollziehbar, der Nachweis bleibt jedoch aus), Präparate mit Ölen pflanzlichen Ursprungs seien vorzuziehen. Es folgen im Artikel Abhandlungen über Vor- und Nachteile von Mineralöl-haltigen Nasalia vs. Nasalia mit Ölen pflanzlichen Ursprungs. Diese Abhandlungen sind mäßig interessant, aber für den pharmakologisch-versierten HNO-Arzt vielleicht hilfreich, um die Lipidpneumonie zu verstehen (ich habe in 22 Jahren HNO-Praxis jedoch noch keine Lipidpneumonie beobachtet). Im weiteren Verlauf ihrer Arbeit räumen die Autoren ein, dass ihre Literaturrecherche lediglich 18 Publikationen zu Tage förderte, die für ihren Artikel relevant waren. Größere Zahlen an Patienten gab es anscheinend bei Kindern in Lateinamerika und in arabischen Staaten, wobei hier auch Fälle einfließen, bei denen Neugeborene per Magensonde ernährt wurden und lipidhaltige Sondenkost in den Nasopharynx regurgitiert wurde (wieder keine „nasale“ Anwendung der Lipide). Die nächsten Fälle, die aufgezählt werden, haben auch wenig mit der Nase zu tun [„Anwendung von Nachtkerzenöl zur Behandlung eines Refluxes (orale Anwendung), Gurgeln von Sonnenblumenöl (orale Anwendung), abendliche Einnahme von Schwarzkümmelöl (Ingestion), Mundspülungen mit Sesamöl (orale Anwendung), usw. “]. Zu diesem Zeitpunkt war ich von der Lektüre dieses Machwerks schon recht ermattet, es regte sich aber der Widerspruchsgeist in mir, und ich überprüfte den Artikel weiter auf seinen Wahrheitsgehalt. Erfreulicherweise kam dann der Absatz „Möglichkeiten der Risikominimierung“, dem man, auch aus HNO-ärztlicher Sicht, uneingeschränkt zustimmen kann. Abgesehen von diesem Absatz ist der Artikel jedoch eine Zumutung für den klinisch tätigen HNO-Arzt. Generationen von HNO-Ärzten haben mit lipidhaltigen Nasalia gute Erfahrungen gemacht. Lipidhaltige Nasalia sind „over-the-counter-drugs“ (OTC). Sie entziehen sich damit vornehmlich der fachärztlichen Verordnung bzw. Empfehlung. Ganso et al. empfehlen jedoch, dass die lipidhaltigen Nasalia nur nach (fach)-ärztlicher Empfehlung bei bestimmten Diagnosen unter der Berücksichtigung und Ausschluss von Risikogruppen eingesetzt werden sollten. Ich habe selten etwas gelesen, was weniger mit der Realität in Einklang zu bringen wäre.

Wie soll das laufen? Der Patient geht in die Apotheke oder in den Drogeriemarkt, kauft sich lipidhaltige Nasalia und geht danach zum Arzt und fragt ob er sie benutzen darf? Ich warf daher einen Blick auf die berufliche Herkunft der Autoren. Es fand sich kein (HNO-) Arzt darunter, alle kamen aus dem pharmakologischen bzw. toxikologischen Bereich. Dies erklärte einiges. Den Autoren hätte es gut zu Gesicht gestanden, sich den Sachverstand eines klinisch-tätigen Praktikers einzuholen. Es ist mir schleierhaft, wie dieser Artikel den Peer-Review-Prozess der Laryngo-Rhino-Otologie überstanden hat. In den letzten Jahren sind uns Zug um Zug sehr wirksame Externa von Pharmakologen entzogen worden („zu toxisch…., krebserregend…., keine ausreichend belegte Wirksamkeit…., usw.“).

Zugegeben, die Externa waren nicht nach Evidenz-basierten Kriterien in die HNO-Heilkunde eingeführt worden, sondern eher nach Eminenz-basierten Empfehlungen. Vor 120 Jahren, als die meisten dieser Tinkturen in die noch junge HNO-Heilkunde eingeführt wurden, interessierte Evidenz-basiertes Wissen nicht, nur wer heilte hatte Recht. Die Wirkstoffe wurden über mehr als hundert Jahre erfolgreich eingesetzt; erst in den vergangenen 15 Jahren wurden Externa wie Borwasser, Bonain’sche Lösung, Lotio Castellani uvm. abgeschafft. Jetzt geht es also den lipidhaltigen Nasalia an den Kragen. Aufgrund welcher Evidenz? Es werden Probleme nach oraler Anwendung angeführt, um die nasale Anwendung zu diskreditieren! Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Ich kann die Schlüsse, die die Autoren auf sehr dünnem Eis ziehen, nicht nachvollziehen und wehre mich entschieden dagegen, dass Nicht-Ärzte in unsere Therapiefreiheit eindringen bzw. Patienten verunsichern. Sollen wir künftig die Selbstmedikation unterbinden? Auf der einen Hand diese „Panikmache“, auf der anderen Hand werden von den Autoren keine Alternativen aufgezeigt. In den letzten Jahren kamen einige Nasalia auf den Markt, die auf Hyaluronsäure-Basis wirken und für die Lunge wahrscheinlich besser verträglich sind. Denkbar wäre auch die Entwicklung von Nasalia auf Gelbasis, die möglicherweise weniger problematisch sind als Präparate auf Lipid-Basis. Hier gibt es sicher einiges zu bewirken, das Engagement von Pharmakologen und pharmazeutischer Industrie wäre eindeutig erwünscht und zielführender als dieser Artikel von Ganso und Mitarbeitern.

Mit freundlichen Grüßen,