Welche Intervention passt besser zu einer Patientengruppe und zu welchem Ergebnis
führt sie? Eine aussagekräftige Hypothese können Therapeuten mithilfe von PICOS aufstellen.
Der Leitfaden „Forschung zu komplexen Interventionen“ entstand 2013 in interdisziplinärer
Zusammenarbeit von Ergo- und Physiotherapeuten, Pflegenden, Hebammen und Logopäden.
Eine Arbeitsgruppe aus 21 Wissenschaftlern überarbeitete ihn gemeinsam mit dem Deutschen
Cochrane Zentrum und unter Förderung des Bundesgesundheitsministeriums. Sie wollen
damit zur Evidenzbasierung in den Gesundheitsfachberufen beitragen. Der Leitfaden
dient dazu, vielversprechende Behandlungsansätze zu ermitteln und die Forschungsfrage
über das sogenannte PICOS-Schema zu schärfen. Hat ein Forscher ein relevantes Gesundheitsproblem
ermittelt, ist PICOS ein wichtiger Schritt, um seine wissenschaftliche Fragestellung
zu untermauern.
Erster Schritt: Mit PICOS fängt die Forschung an
Erster Schritt: Mit PICOS fängt die Forschung an
PICOS ist ein häufig verwendetes Hilfsschema, um eine wissenschaftliche Fragestellung
auszuarbeiten und zu präzisieren. Wissenschaftler definieren darin fünf Hauptparameter,
die sich international etabliert haben [1]:
-
Patients: Patienten mit einem definierten Gesundheitsproblem
-
Intervention: (komplexe) Maßnahme der Gesundheitsfachberufe
-
Comparison: Kontrollintervention
-
Outcome: Zielgröße
-
Studydesign: Studiendesign
Ein Therapeut vermutet beispielsweise einen Zusammenhang, hat einen Verdacht und beschreibt
das zu untersuchende Problem erst einmal in seinen Worten, zum Beispiel: „Physische
Aktivität verringert Rückenschmerzen.“ Mit PICOS übersetzt er dieses eher umgangssprachlich
formulierte Gesundheitsproblem in eine beantwortbare und wissenschaftliche Fragestellung:
-
Wer? Patienten mit chronisch unspezifischen Rückenschmerzen
-
Welche Behandlung? spezifisches Training der Bauch- und Rückenmuskulatur
-
Welche Kontrollbedingung? spazieren gehen
-
Welches Ergebnis? Rückgang der Schmerzen (messbar durch die VAS)
-
Studiendesign? randomisierte, kontrollierte Studie (RCT)
Wichtig ist, dass der Therapeut dabei nur eine Frage stellt und diese sinnvoll und
vielversprechend für einen Therapiebereich ist. Aus PICOS bildet er nun folgende Hypothese:
Intervention A (spezifisches Training der Bauch- und Rückenmuskulatur) verringert
im Vergleich zur Kontrollintervention B (spazieren gehen) bei der Patientengruppe
XY (chronische unspezifische Rückenschmerzen) den Schmerz um beispielsweise drei Punkte
auf der VAS.
Schemata wie PICOS helfen, Forschungsfragen zu präzisieren.
Zweiter Schritt: Auf der Suche nach externer Evidenz
Zweiter Schritt: Auf der Suche nach externer Evidenz
Im nächsten Schritt ermittelt der Forscher die Evidenzlage. Er schaut, ob es für seine
Intervention bzw. Fragestellung bei der gewählten Zielgruppe bereits einen wissenschaftlichen
Nachweis des Nutzens gibt (externe Evidenz). Mit den Stichwörtern aus PICOS sucht
er in medizinisch wichtigen Datenbanken wie PubMed, Cochrane, Medline oder PEDro nach
den besten verfügbaren Studien. Für eine effiziente Recherche sind spezifisches Fachwissen
und eine gute Einarbeitung in den Suchablauf notwendig. Die Suche in den Datenbanken,
die Wahl der sogenannten Keywords (Schlüsselwörter), deren Kombination und die Einstellung
der Limits (Einschränkungen), dass die Schlüsselwörter zum Beispiel nur im Titel der
Studien vorkommen sollen, sind enorm wichtig, um die zum Thema passende und hochwertige
Literatur zu finden [2].
Dritter Schritt: Die Evidenzlage bewerten
Dritter Schritt: Die Evidenzlage bewerten
Im dritten Schritt beurteilt der Wissenschaftler die Evidenzlage, das heißt, er bewertet
die recherchierte Literatur. Dabei ist es wichtig, auf die Qualität des Gefundenen
zu achten. Die größte Aussagekraft hat ein Review (= systematische Übersichtsarbeit
mehrerer Studien). In der Hierarchie absinkend folgen randomisierte, kontrollierte
Studien (RCTs), Fall- und Beobachtungsberichte und an letzter Stelle die Expertenmeinung.
In unserem Beispiel bedeutet das, dass der Therapeut in eine vermeintlich hochrangige
Person, die behauptet, dass Spazierengehen bei Rückenschmerzen hilft, weniger Vertrauen
setzen darf als in ein RCT oder Review. Diese hierarchische Abstufung nennt sich Levels
of Evidence und hilft Wissenschaftlern, die Literatur und deren Schlussfolgerung einschätzen
zu können. Zudem hat sich in den letzten Jahren das GRADE-System (Grading of Recommendations,
Assessment, Development and Evaluation) etabliert, um die Qualität von wissenschaftlichen
Arbeiten zu beurteilen (ERGOPRAXIS 7-8/10, S. 14).
Studienlimitationen erkennen und bei der eigenen Arbeit vermeiden
Studienlimitationen erkennen und bei der eigenen Arbeit vermeiden
Um eine Studie oder ein Review besser bewerten zu können bzw. selbst eine qualitativ
hochwertige Studie durchzuführen, sind die Begriffe „Studienlimitationen“ bzw. „Risk
of Bias“ von großer Bedeutung. Diese sogenannte Gefahr der Verzerrung können Mängel
im Studiendesign oder der -durchführung sein [3]. Wird beispielsweise gegenüber den
Probanden und Therapeuten nicht geheim gehalten, ob sie in der Interventions- oder
der Kontrollgruppe sind (Verblindung), gibt es Verluste bei Nachbeobachtungen. Wird
nur selektiv von Endpunkten berichtet oder sind die Messinstrumente unzureichend validiert,
kommt es zu Verzerrungen. Auch wie kompetent ein Therapeut ist und Fehlverhalten der
Probanden können zu Limitationen führen. Das mindert das Vertrauen in die Studieneffekte.
Die Qualität von Studien sinkt zudem durch Inkonsistenz, etwa die Heterogenität der
Teilnehmer, unterschiedliche Behandlungsdosierungen oder Vergleichsinterventionen
bzw. widersprüchliche Ergebnisse [4]. Auch der Publikationsbias spielt bei den Studienlimitationen
eine Rolle: Er bezeichnet die Gefahr, dass wichtige Studienergebnisse nicht publiziert
wurden [5]. Oft werden Studien, die positive Behandlungseffekte zeigen, schneller
und vermehrt publiziert. Negative Studien hingegen weniger. Damit fehlen diese Informationen,
und Behandlungseffekte werden überschätzt [5].
Forschung in der Therapie ist, wie der Name des Leitfadens schon sagt, komplex. Es
gibt sehr viele Variablen, die ein Forscher bei der Erstellung oder Bewertung einer
Studie beachten muss. Der Leitfaden dient dabei als „Kochbuch“. Er hilft, Hindernisse
zu überwinden und die Berufsgruppen durch einen koordinierten Ausbau der Forschung
voranzutreiben.
Katrin Veit
Leitfaden „Forschung zu komplexen Interventionen“
bit.ly/GFB_Leitfaden