Der Klinikarzt 2016; 45(11): 508-509
DOI: 10.1055/s-0042-118695
Medizin & Management
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Vertrag zur Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung in Hamm (Westfalen)

Aus Schnittstellen Verbindungslinien machen
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Publication Date:
29 November 2016 (online)

 

    Dr. med. Daisy Hünefeld ist seit 2010 Vorstandsmitglied der St. Franziskus-Stiftung mit Sitz in Münster/Westfalen. Sie trägt gemeinsam mit ihren beiden Vorstandskollegen die Gesamtverantwortung für die Stiftung und leitet das Ressort Medizin und Pflege. Der Stiftung gehören 14 Krankenhäuser sowie 9 Behinderten- und Senioreneinrichtungen in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Bremen an. Darüber hinaus hält sie Beteiligungen u. a. an ambulanten Rehabilitationszentren, Pflegediensten und Hospizen. Das Gros der Einrichtungen befindet sich in Westfalen, sodass die Vernetzungsstrategie der Stiftung hier ihren Anfang nimmt. Die Verzahnung der Leistungsangebote richtet sich nach innen und außen. Ein Fokus liegt auf der sektorenübergreifenden Vernetzung der ambulanten Leistungen. Diese werden je nach Standort entweder in Kooperation über besondere Versorgungsverträge mit niedergelassenen Ärzten und anderen Leistungserbringern oder über Facharztzentren an den Krankenhäusern und Medizinischen Versorgungszentren erbracht. Noch relativ neu ist die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV) nach § 116 SGB V, deren Richtlinie von 2013 der G-BA jüngst aktualisiert hat. Einer der ersten Verträge wurde in Hamm mit Beteiligung der Franziskus Stiftung geschlossen.


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    Frau Dr. Hünefeld, warum beteiligt sich die Franziskus Stiftung an der ASV?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Die ASV ist eine Möglichkeit, um eine verbindliche Kooperation mit niedergelassenen Ärzten einzugehen. Sie ist aber erst wenig verbreitet. Es gibt bundesweit derzeit nur wenige ASV-Verträge. Als uns niedergelassene Ärzte in Hamm Anfang 2014 fragten, ob wir uns an einer ASV für onkologische Erkrankungen beteiligen würden, sahen wir dies als Chance, uns frühzeitig mit dem neuen Versorgungsmodell vertraut zu machen und bestehende Kooperationen auf diese Weise fortzuführen.

    Wen sprechen Sie mit der Versorgungsform an?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Die Kooperationsvereinbarung in Hamm, die die St. Barbara-Klinik Hamm GmbH – eine Einrichtung unserer Stiftung – mit niedergelassenen Ärzten eingegangen ist, und an der die Evangelische Krankenhaus Hamm gGmbH ebenfalls beteiligt ist, zielt auf eine Verbesserung für Patienten mit gastrointestinalen Tumoren und Tumoren der Bauchhöhle. Grundsätzlich richtet sich eine ASV kassenunabhängig an alle Patienten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und deren Erkrankung einen schweren Verlauf aufweist. Im vierten Quartal 2015, als unser Vertrag anlief, nahmen 26 Patienten teil. Im ersten Quartal 2016 kamen 33 Patienten neu hinzu. Trotz eingeschränkter Arztwahl überwiegen für die Patienten die Vorteile durch das ASV-Angebot, insbesondere die enge Teamarbeit der beteiligten Fachärzte wird äußerst positiv bewertet. So ist uns aus Hamm bislang kein einziger Fall bekannt, in dem der Patient dieses Versorgungsangebot ablehnte.

    Wie dynamisch ist das Geschehen mit Blick auf Vertragsauflösungen und neue Verträge?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Die Zusammenarbeit in Hamm ist recht stabil. Sie stützt sich auf Kooperationen, die schon vorher bestanden. Neue Vertragsabschlüsse oder Vertragsauflösungen sind selten, vielmehr sind bewährte Strukturen in ein neues Qualitätskonzept überführt worden. Die Vertragsgestaltung war allerdings sehr aufwendig, da noch keine Vertragsmuster vorlagen. Sie dauerte ein gutes Jahr.

    Die ASV erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der teilnehmenden Vertragsärzte und Krankenhäuser. Wer gehört dazu und wer leitet die Kernteams?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Der Teamleiter ist ein niedergelassener Onkologe. Aus dem ambulanten Sektor sind insgesamt 4 Fachärzte aus der Hämatologie und Onkologie sowie 2 Fachärzte aus der Gastroenterologie im Kernteam vertreten. Aus der St. Barbara-Klinik Hamm-Heessen nehmen Ärzte aus der Viszeralchirurgie, Anästhesiologie, Radiologie und der Gynäkologie sowie eine Psychotherapeutin teil. Aus dem Evangelischen Krankenhaus Hamm beteiligen sich neben Ärzten aus der Viszeralchirurgie auch Kollegen aus der Nuklearmedizin und der Radiologie, eine Psychologin sowie Strahlentherapeuten des dortigen MVZ. Für die Behandlung durch die Mitglieder des Kernteams benötigt der Patient keine Überweisung, abgerechnet wird nach dem EBM für die vertragsärztliche Versorgung abzüglich eines 5-prozentigen Investitionskostenabschlags für öffentlich geförderte Krankenhäuser. In Hamm stellen die Kernärzte aber trotzdem Überweisungen aus, da sie diese für die interne engmaschige Kommunikation nutzen. Dem erweiterten Team gehören 12 Fachärzte an. Sie ergänzen die patientenindividuell benötigten, zusätzlichen Kenntnisse je Krankheitsverlauf. Für diese Behandlungen sind quartalsweise Überweisungen erforderlich.

    Was bedeutet die aktualisierte ASV-Richtlinie für Ihre Kooperation in Hamm?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Als die Möglichkeit zur ASV eingeführt wurde, gab es noch einige offene Fragen bezüglich der Vergütung und des Qualitätskonzeptes, die nun geklärt worden sind. Prinzipiell könnte eine ASV auch ohne Krankenhausbeteiligung umgesetzt werden. Für die Versorgung von Patienten mit Bauchhöhlen-Tumoren ist die Einbindung der Krankenhäuser jedoch erforderlich, da die Möglichkeiten einer stationären Notfalloperation, einer 24-Stunden-Notfallversorgung und eines 24-Stunden-Notfalllabores gegeben sein müssen. Pro Kernteam müssen mindestens 140 Patienten pro Jahr behandelt werden, nur in den ersten beiden Jahren darf hiervon abgewichen werden. Vorgesehen ist außerdem eine wöchentliche Tumorkonferenz des Kernteams. Bei Bedarf werden Fachärzte des erweiterten Teams hinzugezogen. Auch sollen Selbsthilfegruppen und Beratungsdienste eingebunden werden, hier werden aktuell die Kontakte geknüpft und Gespräche geführt. Da die Beteiligung dieser Gruppen ohne weitere vertragliche Vereinbarungen möglich ist, sind wir sehr optimistisch, in Kürze auch für diesen Bereich kompetente und erfahrene Partner an unserer Seite zu haben.

    Wie bewerten Sie die fachlichen, personellen und räumlichen, aber auch die zeitlichen Anforderungen, die die ASV mit sich bringt?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Zu Beginn brauchte es Zeit, die bestehenden Kooperationen in das neue Qualitätskonzept zu überführen. So manches Gespräch, um organisatorische Dinge, Ablauf- oder auch Abrechnungsfragen zu klären, ist nötig. Alles in allem beträgt der Zeitaufwand hierfür ca. 4–5 Stunden pro Woche. Doch nach wie vor ist der Abstimmungsbedarf hoch. Es gilt vor allem, die wöchentlichen Tumorkonferenzen mit den externen Partnern in die Abläufe auf den Stationen zu integrieren. Etwas mehr zeitlicher Gestaltungsraum wäre hier wünschenswert. Andererseits zeigt sich deutlich, dass die Strukturvorgaben des G-BA, wenn sie einmal eingeführt sind, die Arbeit erleichtern. Hierzu gehört definitiv das Vorstellen der Patienten in den Tumorkonferenzen. Die ASV ermöglicht einen sehr strukturierten und vor allem niederschwelligen Austausch zwischen den beteiligten Fachärzten. Wir sind darauf vorbereitet, künftig mehr Patienten im Rahmen der ASV versorgen zu können. Die personelle und fachliche Verantwortung liegt dabei primär bei den Chef- und Oberärzten der Onkologie.

    War es schwer, die Beteiligten dafür zu begeistern?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Da die Initiative für die ASV aus dem niedergelassenen Bereich kam, ist die Grundmotivation dort durchweg hoch. Aber auch die Klinikärzte haben rasch erkannt, dass dies eine sehr gute Möglichkeit ist, um gemeinsam mit den niedergelassenen Kollegen schwerkranke Patienten ambulant zu betreuen. Finanzielle Erwägungen waren hierbei nicht ausschlaggebend. Die Zahl der Patienten, für die das Krankenhaus über die ASV zusätzliche Leistungen in Rechnung stellen könnte, ist äußerst niedrig. Im ersten Quartal 2016 waren es z. B. 2 radiologische Untersuchungen.

    Was sind Ihre ASV-Ziele für das nächste Jahr?

    Dr. med. Daisy Hünefeld: Im nächsten Jahr wollen wir die ASV-Strukturen in Hamm weiter festigen und ausbauen. Spannend wird sein, zu welchen Behandlungsergebnissen die ASV führt. Dies werden wir jedoch erst in 2–3 Jahren evaluieren können, wenn eine ausreichend große Datenbasis vorliegt. Eine neue ASV ist derzeit nicht geplant. Die Initiative muss aus dem niedergelassenen Bereich kommen, da es uns nicht darum geht, eine Konkurrenz aufzubauen. Vielmehr sehen wir es als gemeinsame Aufgabe an, die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten sektorenübergreifend zu gestalten. Ob sich eine ASV eignet oder besser ein anderes Modell gewählt werden sollte, um aus Schnittstellen Verbindungslinien zu machen, hängt sehr stark von den regionalen Gegebenheiten ab.

    Frau Dr. Hünefeld, vielen Dank für das Gespräch!

    Das Interview führte Dr. Adelheid Weßling, freie Journalistin, Düsseldorf.


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