Diabetes aktuell 2016; 14(08): 370
DOI: 10.1055/s-0042-122491
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das AMNOG und seine Folgen für den Versorgungsalltag

Gerhard Nitz
,
Volker Amelung
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Publication Date:
04 January 2017 (online)

Konnten Sie sich im Medizinstudium vorstellen, zukünftig eine medizinische Fachzeitschrift zu lesen, in der sämtliche Beiträge von Gesundheitsökonomen und Juristen verfasst wurden? Dieser (Alb)Traum liegt nun vor Ihnen. Und da müssen Sie nun durch. Warum?

Lange Zeit konnten sich Vertragsärzte über ein „durchschnittliches“ Verordnungsverhalten vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen und damit auch vor einem Eindringen der Gesundheitsökonomisierung der Medizin in den Versorgungsalltag schützen. Dies gilt seit der Neuordnung des Arzneimittelmarktes über das Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) im Jahre 2011 jedenfalls nicht mehr uneingeschränkt. An sich war das AMNOG ein für Vertragsärzte positives Gesetz: Der Zugang zu neuen Arzneimitteln sollte nicht beschnitten werden, nur die Preise sollten binnen eines Jahres nach der Markteinführung eines Medikaments auf ein seinem Nutzen angemessenes Niveau gesenkt und damit die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelpreise gewährleistet werden. Wer sollte dagegen Einwände haben?

Tatsächlich jedoch haben das AMNOG und die folgenden Gesetze den Versorgungsalltag verändert. Nachdem Marktrückzüge zunächst von der pharmazeutischen Industrie nur angekündigt wurden, müssen wir nun feststellen, dass dies Realität geworden ist: Gerade im Therapiegebiet ‚Diabetes‘ wurden mehrere neue Arzneimittel vom deutschen Markt genommen, andere wurden erst gar nicht oder verzögert in Deutschland eingeführt. Damit wurde die Therapievielfalt faktisch beschnitten. Der Hauptgrund hierfür liegt in der Art und Weise der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel, die nach an sich gut gemeinten methodischen Grundsätzen verfährt, denen neue Arzneimittel zur Behandlung chronischer Erkrankungen jedoch schwerer genügen können als etwa onkologische Produkte, die beispielsweise Mortalitätsdaten schon zum Zeitpunkt der Markteinführung präsentieren können.

DPP-4- und SGLT-2-Hemmer, GLP-1-Analoga sowie moderne Insulinanaloga scheiterten an den methodischen Anforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Sie konnten gegenüber den langjährig etablierten generischen Vergleichstherapien in den meisten Subpopulationen im AMNOG-Prozess keinen Zusatznutzen zeigen. Trotzdem führten die Nutzenbewertungen mit anschließender Preisregulierung nicht dazu, dass eines der neuen Therapieprinzipien in Deutschland nicht mehr verfügbar wäre. Liegt das wirklich an den Produkten oder steuert hier doch nicht nur die Bewertungsmethodik?

Die Umsetzung der AMNOG-Ergebnisse in den Versorgungsalltag wird insbesondere von Vertretern der Krankenkassen häufig als noch unbefriedigend kritisiert, sodass nun eine Implementierung der Nutzenbewertungsergebnisse in die Arztsoftware geplant ist. Aber ist tatsächlich eine mangelnde Information der Ärzte die Ursache für eine nur begrenzte Umsetzung der Nutzenbewertungen im Versorgungsalltag? Für wahrscheinlicher halten wir, dass der G-BA in den Nutzenbewertungen Antworten auf Fragen gibt, die sich im Versorgungsalltag bei multimorbiden Diabetikern so gar nicht stellen. Zudem steuern die regionalen Regressinstrumente häufig nach anderen Kriterien. Passen diese Systeme zusammen? Und was bedeutet dies für den Verordnungsalltag? Es ist an der Zeit, diese Fragen in einem Schwerpunktheft aus dem berufenen Mund von Gesundheitsökonomen und Juristen beleuchten zu lassen.

Bei aller berechtigter Kritik am AMNOG und seinen Folgen ist freilich zu konzedieren, dass hoch komplexe Regulierungen notwendigerweise Lernprozesse und Nachjustierungen erfordern. Diese gilt es jetzt aktiv zu gestalten, um die vom AMNOG verfolgte überzeugende Grundidee einer praxistauglichen Lösung zuzuführen.

Wir hoffen, in diesem Schwerpunktheft informative Einblicke in den Prozess der Nutzenbewertung und die sich daraus entwickelnden Konsequenzen für den Versorgungsalltag insbesondere mit Blick auf die Indikation ‚Diabetes mellitus‘ zusammengestellt zu haben und wünschen Ihnen eine interessante Lektüre!