Zeitschrift für Klassische Homöopathie 2017; 61(04): 171
DOI: 10.1055/s-0043-101024
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Wirklichkeit, von der wir sprechen können, ist nie die Wirklichkeit an sich

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Publication Date:
08 January 2018 (online)

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Bei der Übersetzung der Zusammenfassung des Artikels von Norbert Winter stieß ich auf die Aussage, dass die Naturwissenschaft „in ihrem Keim intuitive und spirituelle Dimensionen aufweist. Und somit genau das in sich trägt, was sie negiert.“

In diesen Zusammenhang gehört auch der Begriff des „kreativen Beobachters“ sowie die Aussage Heisenbergs: „Die Wirklichkeit, von der wir sprechen können, ist nie die Wirklichkeit an sich, sondern eine von uns gestaltete Wirklichkeit.“ (s. ZKH 3/2017, S. 134 f).

Das bedeutet für den Homöopathen, dass er sich darauf einlassen müsste, dass es den vorurteillosen Beobachter, den Hahnemann postuliert hat, gar nicht geben kann. Das gilt auch für die Phänomenologie im Sinne Ludwig Binswangers, der gesagt hat, Phänomenologie bedeutet ein „Sich-Richten-auf“. Hiermit ist bereits der gezielte Akt genannt, der im Vorhinein entscheidet, welches Phänomen untersucht werden soll. Aber nicht nur diese Entscheidung, sondern auch die Weise des Sich-Richtens wird im Voraus festgelegt. In der modernen Physik entscheidet die Wahl der Versuchsanordnung mit über das Ergebnis, ob das Licht Wellen- oder Teilchennatur habe.

Nun gilt für die „reine Sprache der Natur“ im Sinne Hahnemanns bei der Größe der beobachteten Phänomene nicht, dass ihre Beobachtung bereits einen erheblichen Eingriff bedeutet. Aber es bedeutet bereits eine Vorentscheidung, wie die Phänomene interpretiert werden sollen. Wenn die Symptomsammlungen der Arzneimittelprüfungen das Instrumentarium für die homöopathische Praxis darstellen sollen, ist hiermit bereits eine Vorentscheidung über ihre Bedeutung und ihre Verwendbarkeit, d. h. ihre Beherrschung, getroffen worden. Aus dem vermeintlich unvoreingenommenen Beobachter wurde so der kreative Beobachter, der sich seine eigene Welt erschaffen hat. Der Miasmatologe interpretiert die Symptome anders als der naturwissenschaftlich orientierte Homöopath, der sogar daran glaubt, mit der Ähnlichkeitsregel bereits ein Naturgesetz zur Hand zu haben. Und auch die anderen modernen „Strömungen“ der Homöopathie, die zum Teil erst durch die Verwendung von Computerprogrammen möglich wurden, haben ihren eigenen Mikrokosmos erschaffen. Innerhalb eines jeden kann dann auch der Begriff der Heilung unterschiedlich gedeutet sein.

Wenn nun die Wirklichkeit eine jeweils nur individuell gestaltete Wirklichkeit ist, es also keine absolute bzw. Wirklichkeit an sich gibt, hat dies Konsequenzen für die Homöopathie: zum einen gibt es keine Art der Ausübung, die sich als die einzig hahnemannische bezeichnen kann, da jede Interpretation innerhalb ihres Mikrokosmos schlüssig hergeleitet und begründet werden kann.

Zum andern bedeutet dies natürlich auch, dass die die Homöopathie ausgrenzende Lehrmeinung der „offiziellen“ Medizin auch nur eine wiederum gestaltete Wirklichkeit darstellt. Mit hoffentlich zunehmender Akzeptanz der modernen Physik ist auch auf eine zunehmende Akzeptanz der Homöopathie in Wissenschaftskreisen zu hoffen, auch wenn zur Zeit massive Gegeninteressen aufgebaut worden sind.

Allen Lesern wünsche ich im Namen der Redaktion lichtvolle Festtage und einen Quantensprung ins Neue Jahr.

Klaus Holzapfel