Stabilisierung von Frakturen mit schlechter Knochensubstanz stellt ein zunehmendes
Problem in der gegenwärtigen Orthopädie und Unfallchirurgie dar. Obwohl zunehmend
eine medikamentöse Prophylaxe der Osteoporose erfolgt, kommt es derzeit zu geschätzten
etwa 9 Mio. osteoporotischer Frakturen weltweit [1], [2], [3]. Dazu kommt die zunehmende Anzahl von pathologischen Frakturen, größtenteils basierend
auf metastasierenden malignen Grunderkrankungen [4]. Bei der Fixation von pathologischen Frakturen im Schaftbereich sind intramedulläre
Implantate durch den zentralen Kraftträger und durch die minimalinvasive Applizierbarkeit
vorteilhaft. Ebenso können eingeschobene winkelstabile Platten (Fixateur interne)
auch bei schlechter Knochensubstanz eine suffiziente Möglichkeit zur Stabilisierung
darstellen. Bei osteoporotischen Frakturen müssen die Implantate die reponierte Fraktur
so lange stabilisieren, bis die Knochenheilung eingetreten ist. Das kritische Areal
ist dabei das Implantat-Knochen-Interface. Bei hoher Rigidität der Implantate und
geringem Widerstand seitens des Knochens kommt es in Abhängigkeit von der Belastung
zur Implantatlockerung. Als zentrale Kraftträger haben intramedulläre Implantate hierbei
Vorteile. Nachteilig ist dabei jedoch, dass bei zunehmend weitem Markraum im Alter
der Kontakt zwischen Implantat und Knochen gering ist. Die i. d. R. wenigen und nicht
winkelstabilen Verriegelungsoptionen bei intramedullären Implantaten bewirken auch
hier häufig eine Überlastung des Implantat-Knochen-Interfaces [5]. Bei pathologischen Frakturen, die durch ein malignes Tumorwachstum bedingt sind,
kommt es i. d. R. nicht zu einer Frakturheilung. Die Aufgabe des Implantats ist daher
in vielen Fällen zur Schmerzpalliation die Stabilität der Fraktur bis zum Lebensende
der Patienten zu gewährleisten. In diesen Fällen liegt i. d. R. proximal und distal
der Fraktur eine insuffiziente Knochensubstanz vor, die durch Osteoporose und durch
geringen Gebrauch der jeweiligen Extremität bedingt sein kann. Es existiert aufgrund
dieser geschilderten Anforderungen eine Vielzahl von Publikationen, die die Verstärkung
des Implantat-Knochen-Interfaces beschreiben [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12], [13]. Ebenso gibt es Publikationen, die die alleinige Fixation einer Fraktur durch das
intramedulläre Einbringen einer aushärtenden Substanz beschreiben [7], [14], [15]. Auch wird von Versuchen berichtet, die Plattenosteosynthese durch intramedulläres
Einbringen von Knochenzement zur augmentieren [16], [17]. Diese Verstärkung der Fixation wird bei der sog. Verbundosteosynthese seit langen
Jahren genutzt [18], [19], [20], [21]. Die Verbundosteosynthese wird in palliativen Situationen eingesetzt und bewirkt
zusätzlich eine Kontrolle des Tumorwachstums über längere Zeit. Der Knochendefekt
wird i. d. R. mit Methylmethacrylatzement aufgefüllt, häufig wird bei meta- oder diaphysären
Knochendefekten der Zement auch in die angrenzenden Fragmente eingebracht und dient
dort zur Verstärkung der Implantatverankerung. Die alleinige Stabilisierung mit Knochenzement
ist jedoch bisher nur in Tierstudien beschrieben [15], [16], [22]. Problematisch ist bei der klinischen Anwendung bei herkömmlichem Methylmethacrylat
die Kontrolle des Einbringens und der Aushärtung des intramedullären Knochenzements.
Abb. 1 PET-Ballon mit einliegendem Lichtleiter und Kathetersystem zur Zementeinbringung.
Die hier vorgestellte Implantattechnik bietet theoretisch mehrere Möglichkeiten. Zum
einen kann das System ein Stand-alone-Implantat aus Methylmethacrylat produzieren,
welches kontrolliert in den Markraum eingebracht und anschließend ausgehärtet wird.
Durch die Anpassung an den Markraum können besonders an oberen Extremitäten wohl genügend
stabile Konstrukte zur palliativen Versorgung vor allem von pathologischen Frakturen
bei Metastasen erzeugt werden. Zum anderen kann das vorgestellte System bei äußerst
osteoporotischen Knochen durch seine Verteilung im gesamten Markraum extramedullären
Implantaten als Verstärkung dienen. Schlussendlich ist es auch möglich, das System
als Ersatz für herkömmliche Verbundosteosynthesen nach Tumorresektion einzusetzen.
Abb. 2 a Einbringen des zusammengefalteten Ballons mit flexiblem Lichtleiter und Befüllungskatheter
am Beispiel eines distalen Radius. b Befüllen mit dem flüssigen Monomer. Der Ballon entfaltet sich, die röntgendichte
Markierung wird sichtbar. c Polymerisation durch Einleiten von blauem Licht. d Lichtquelle mit Anschlusskabel und Fußschalter.
Operationstechnik
Das Prinzip des Implantats basiert darauf, Methylmethacrylatzement kontrolliert in
den Markraum einbringen zu können und mittels Licht zur Aushärtung zu bringen. Dieses
System wurde im tierexperimentellen Setting genauer vorgestellt [23] und bisher eine klinische Fallserie in einem in MEDLINE gelisteten Journal beschrieben
[24]. Das sog. PBSS (Photodynamic Bone Stabilisation System), Handelsname IlluminOss
(Distributor: Fa. Orthovative, Gmund am Tegernsee), wird perkutan intramedullär eingebracht.
Es besteht aus einem PET-Ballon (PET: Polyethylenterephthalat, Dacron) ([Abb. 1]), der über eine 8-mm-Knochenbohrung perkutan eingebracht wird ([Abb. 2 a]). Der Ballon ist mit strahlendichten Markern versehen, um das Einbringen kontrollieren
zu können. In der neuen Version wird diese Kontrolle durch das Anbringen einer strahlendichten
Spirale an den Ballon verbessert ([Abb. 3]). Danach wird mit einer Standardspritze ein flüssiges Monomer eingebracht (Polymethylmethacrylat,
[Abb. 2 b]. Es erfolgt dann die exakte Reposition der Fraktur bzw. das Alignment der Knochenfragmente.
Zentral im Ballon liegt ein fiberoptischer Lichtleiter. An diesen wird eine externe
Lichtquelle angeschlossen, die sichtbares blaues Licht mit einer Wellenlänge von 436 nm
appliziert ([Abb. 2 c]). Abhängig von der Menge des Polymers dauert das Aushärten des Methylmethacrylats
200 – 800 s. An der externen Lichtquelle kann dies mit einem Timer kontrolliert werden,
[Abb. 2 d]). Das Zuleitungssystem wird an der Knochenoberfläche abgetrennt. Bei gutem Anpassen
des Dacron-Ballons an die Form des Knochens kann theoretisch auch eine gute Rotationsstabilität
erzeugt werden. Durch das perkutane Einbringen von Standardschrauben proximal und
distal der Fraktur kann die Implantatstabilität erhöht werden. Ebenso kann eine hochgradige
Verbesserung der Konstruktstabilität durch das Anbringen einer (winkelstabilen) submuskulär
eingeschobenen Platte erzielt werden. Die Dacron-Ballons liegen in diversen Größen
vor. Somit ist es möglich, eine intramedulläre Stabilisierung von Metakarpalefrakturen
bis hin zu Femurfrakturen durchzuführen.
Abb. 3 Doppelplattenosteosynthese nach Resektion einer Metastase eines Mammakarzinoms aus
dem Humerusschaft. Verbundosteosynthese mit IlluminOss-System intramedullär (erkennbar
an der röntgendichten spiralförmigen Markierung im Markraum).
Bisher existiert nur eine geringe Zahl von Publikationen zum klinischen Einsatz des
PBSS ([Tab. 1]). Im deutschsprachigen Raum wurden Fallserien von den Arbeitsgruppen um Pennig und
Gausepohl als Abstracts publiziert. Es wurden in den beiden ersten Fallserien 10,
resp. 12 Patienten mit Metakarpalefrakturen behandelt, alle Frakturen wurden zur Verheilung
gebracht [25], [26]. Zeitgleich wurde von einer biomechanischen Studie berichtet, die ebenfalls an Metakarpalia
die Stabilität von winkelstabilen Platten, Osteosynthesen mit Minischrauben, intramedullären
K-Drähten, externen Mini-Fixateuren, PBSS und PBSS mit Verriegelung untersucht. Die
Stabilität der verschiedenen Verfahren war vergleichbar, die isolierte Osteosynthese
mit dem intramedullären Methylmethacrylat war seitens der Deformation vergleichbar
mit der intramedullären K-Draht-Osteosynthese [25]. In der [Tab. 1] sind bisherige Fallserien ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgeführt [27], [28], [29]. Die Herstellerfirma (IlluminOss medical Inc, East Providence, Rhode Island, USA)
spricht von weltweit 1500 Patienten seit 2010. Das Implantatsystem ist CE-zertifiziert,
die Zulassung durch die FDA steht noch aus.
Tab. 1 Kennzahlen der bisher zu IluminOss publizierten Kongressbeiträge und der in MEDLINE
gelisteten Publikation von Vegt et al.
Autor
|
Jahr
|
Region
|
n
|
veröffentlicht in
|
Gick
|
2011
|
Metakarpale
|
10
|
Abstract DGH [25]
|
Heck et al.
|
2011
|
Metakarpale
|
12
|
Abstract DKOU [26]
|
Heck
|
2012
|
Humerus
|
2
|
Abstract VSOU [27]
|
Hoffmann et al.
|
2012
|
Fibula
|
7
|
Abstract DKOU [28]
|
Gausepohl et al.
|
2012
|
Fibula
|
13
|
Poster OTA [29]
|
Vegt et al.
|
2014
|
Radius, Ulna, Fibula, Humerus, Femur
|
20
|
Medical Devices: Evidence and Research [24]
|
In der eigenen Anwendung kam das PBSS als supportive Maßnahme bei Plattenosteosynthese
im Sinne einer Verbundosteosynthese zum Einsatz ([Abb. 3]).
Diskussion
Das PBSS stellt insbes. zur Augmentation von Plattenosteosynthesen und bei der Applikation
an multimorbiden metastatisch erkrankten Patienten einige offensichtliche theoretische
Vorteile in Aussicht. Zum einen ist die Anwendung minimalinvasiv, im palliativen Vorgehen
kann somit bspw. eine eingeschobene winkelstabile Plattenosteosynthese mit dem intramedullären
Methylmethacrylat augmentiert werden. Dies ist, wie in dem Fallbeispiel ([Abb. 3]) gezeigt, auch offen möglich. Der Vorteil liegt vor allem darin, dass im Unterschied
zur Verbundosteosynthese das Methylmethacrylat als intramedulläre Schienung den gesamten
Markraum des Knochens ausfüllt und im Vergleich zum eingebrachten Knochenzement eine
höhere Stabilität erwarten lässt. Zum anderen kann es minimalinvasiv als Stand-alone-Implantat
vor allem an den oberen Extremitäten bei pathologischen Frakturen Verwendung finden.
Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass das Methylmethacrylat sich zumindest in
der Diaphyse gut an die endostale Oberfläche des Markraums anlegt [23]. In der gleichen Studie an Schafstibiae konnte an nicht frakturierten Schafstibiae
nachgewiesen werden, dass weder der trabekuläre Knochen in der Metaphyse noch die
endostale Oberfläche geschädigt werden. Hier bietet das System den Vorteil, dass es
im Vergleich zum herkömmlichen Methylmethacrylat bei deutlich geringeren Temperaturen
aushärtet (PMMA 100 °C; PBSS62 °C). Auch ist die Aushärtungszeit im Vergleich zum
herkömmlichen Knochenzement (PMMA, 27 min) beim PBSS deutlich kürzer (4 min) [24]. Die Aushärtung unter blauem Licht findet auch in der Knochenhistologie Verwendung,
sie hat dort den Vorteil, dass unentkalkte Hartschnitte angefertigt werden können
und durch die geringe Hitzeentwicklung Proteinstrukturen für weitere histologische
Verfahren (z. B. Immunhistologie) erhalten bleiben. Ebenso konnte die genannte Tierstudie
zeigen, dass trotz des ausgefüllten Markraums eine Osteotomie ungestört verheilen
kann, der radiolisch und histologisch kontrollierte Ablauf der Verheilung ist vergleichbar
mit demjenigen einer Osteotomie ohne PBSS im Markraum. So konnte z. B. keine Hemmung
der endostalen Knochenformation und Vaskularisierung mit den PBSS-Implantaten gesehen
werden. Hinsichtlich der Biokompatibilität gibt es beim Tierexperiment keine Hinweise
darauf, dass die Frakturheilung gestört wird. Ein klarer Nachteil des Systems, vor
allem bei jungen Patienten, besteht jedoch in der fehlenden Resorbierbarkeit. Auch
stellt die unklare Explantierbarkeit möglichweise ein Problem bei der Behandlung junger
Patienten dar. Es ist zu vermuten, dass bei Aufweitung des Ballons metaphysär eine
problemlose Entfernung des PBSS-Polymerstabs über den Isthmus nicht möglich ist.
Es gibt sowohl experimentelle als auch klinische Studien zur Augmentation von Implantaten
und Frakturen mit Kalziumphosphatzementen [17], [30], [31]. Die Biokompartibilität und Resorption mit sogar vorhandener osteogener Potenz von
Kalziumphosphatzementen konnte in entsprechenden Studien gezeigt werden [32], [33]. Allerdings sind Kalziumphosphatzemente durch ihre biomechanischen Eigenschaften
bisher nicht in der Lage, als intramedulläre Kraftträger zu fungieren, vielmehr wurden
diese bisher als supportive Materialien vor allem bei Gelenkfrakturen eingesetzt.
In der größten bisher publizierten Fallserie zur Nutzung des PBSS [24] wurden insgesamt 41 Frakturen versorgt. In diesen Anwendungsbeobachtungen wurden
viele verschiedene Frakturarten (osteoporotische Frakturen, Frakturen bedingt durch
Metastasen, drohende Frakturen aufgrund von Metastasen) und viele verschiedene anatomische
Regionen (distaler Radius, Ulna, distale Fibula, Humerus und Femur) behandelt. In
den meisten Fällen wurde PBSS als singuläres Implantat verwendet. Bei 6 Patienten
erfolgte die Versorgung mit PBSS und zusätzlichen Schrauben an der Fibula, desgleichen
bei 4 Patienten am Humerus. Bei 2 Patienten (einmal distale Fibula, einmal Humerus)
erfolgte die Versorgung mit PBSS und einer Platte. Im Fall von akuten Frakturen kam
es in allen Fällen zu einem regelhaften Heilungsverlauf. Ein Vorteil des PBSS könnte
auch sein, dass das Elastizitätsmodul des Polymers (1,5 GPa) vergleichbar mit dem
von trabekulärem Knochen ist (0,1 – 4,5 GPa) [24]. Im Gegensatz dazu haben Titan (115 GPa) und Stahl (195 GPa) ein ungleich höheres
Elastizitätsmodul, welches zur Überlastung des Knochens am Implantat-Knochen-Interface
führen kann. In allen in der [Tab. 1] beschriebenen Fallserien wurden die Patienten, an denen Frakturen oder Osteolysen
der oberen Extremitäten behandelt wurden, ohne Cast oder Orthese behandelt. Dies ist
insbes. bei multimorbiden Patienten ein großer Vorteil. Bei Frakturen der unteren
Extremitäten wurde i. d. R. für 2 Wochen ein Softcast angelegt mit der Freigabe zur
Belastung ab 2 Tage postoperativ.
Das System bietet somit folgende potenzielle Vorteile gegenüber anderen Verfahren:
-
minimalinvasiv
-
definierte Monomerverteilung durch den Dacron-Ballon
-
Aushärtungszeitpunkt durch den Chirurgen frei wählbar durch Lichtapplikation (nach
guter Reposition)
-
Augmentierung des gesamten Markraums bei Nutzung als supportives Verfahren
-
zusätzliche Stabilität durch frei wählbare perkutane Verriegelung
-
mit spongiösem Knochen vergleichbares Elastizitätsmodul
-
geringere Temperaturentwicklung im Vergleich zum herkömmlichen Knochenzement
-
keine Verteilung des Zements in die periostale Heilungszone
Zu berücksichtigen sind als möglicherweise nachteilig:
Zusammenfassung
Bei der Anwendung des PBSS kann unter kontrollierten Bedingungen minimalinvasiv eine
intramedulläre Schienung mit einem Methylmethacrylatpolymer erfolgen. Diese zeigt
vielversprechende theoretische Vorteile auf. Die fehlende Resorbierbarkeit und die
zu erwartenden Probleme bei der Entfernung sprechen gegen den Einsatz bei „normalen“
Frakturen bei jüngeren Patienten. Bei pathologischen Frakturen aufgrund von Osteoporose
und bei metastatisch bedingten Frakturen können sie an oberen Extremitäten sowohl
als Stand-alone-Implantate als auch in Kombination mit anderen Implantaten (Schrauben
zur Verriegelung, Platten, Fixateur interne) eine vielversprechende Möglichkeit zur
Verbesserung der Frakturfixation und Mobilisierung der Patienten darstellen. An den
unteren Extremitäten bieten sie eine Möglichkeit zur Augmentation vor allem bei eingeschobenen
Plattenosteosynthesen (Fixateur interne). Den bisherigen Publikationen mangelt es
an Vergleichbarkeit, die geringe Komplikationsrate und die guten Ergebnisse müssen
mit Zurückhaltung beurteilt werden. Es ist zu erwarten, dass bei Zulassung durch die
FDA vor allem in den USA eine starke Zunahme an Applikationen folgen wird. Es ist
zu hoffen, dass das System in adäquaten Studien höherer Evidenz seine zu erwartenden
Vorteile und Beweis stellen kann.