Hintergrund
Die Weichteilinfektion ist die häufigste Komplikation, die in der frühen postoperativen
Phase nach Wirbelsäulenoperationen auftritt [1]. Es werden in der Literatur mit 0,7 – 16% sehr unterschiedliche Infektionsraten
nach Wirbelsäuleneingriffen berichtet. Minimalinvasive Eingriffe weisen dabei seltener
Infektionen als offene Operationen mit eingebrachten Implantaten auf [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7]. Weitere Faktoren, die signifikant mit dem Auftreten von Infektionen assoziiert
sind, sind ein längerer Krankenhausaufenthalt, Adipositas, Rauchen, ein schlechter
gesundheitlicher Zustand (ASA-Score von 3 oder höher), kürzlicher Gewichtsverlust,
metastasierte Malignome, eine OP-Dauer von mehr als 3 Stunden oder ein Zustand nach
Bestrahlung des OP-Gebiets [3], [5], [8]. Staphylococcus aureus ist der nach Wirbelsäulenoperationen am häufigsten nachweisbare
Erreger. Andere, ebenfalls häufig detektierbare Keime sind koagulasenegative Staphylokokken
(insbesondere Staph. epidermidis), Streptokokken und Enterokokken. Gelegentlich lassen
sich auch Enterobacteriaceae, Anaerobier (vor allem Propionibacterium spp. und Peptostreptokokken)
und Pseudomonaden, deutlich seltener hingegen Mykobakterien und Pilze nachweisen [9], [10].
Klassifikation von Infektionen
Klassifikation von Infektionen
Implantatassoziierte Infektionen können zu unterschiedlichen Zeitpunkten postoperativ
auftreten, was entscheidend die Behandlung beeinflusst. Frühinfekte treten in einem
Zeitraum von bis zu 3 Monaten postoperativ auf. Sie gehen in der Regel von OP-assoziierten
Wundinfektionen aus. Verzögerte Infektionen treten hingegen zwischen dem 4. und 24.
Monat nach Operation auf. Von Spätinfektionen spricht man definitionsgemäß ab 24 Monaten
postoperativ, diese sind in der Regel von hämatogener Genese. Eintrittspforten können
dabei Hautläsionen, der Urogenital-, Respirations- und Gastrointestinaltrakt, der
Oropharynx (einschließlich dentaler Fokusse) oder aber septische Absiedlungen einer
Endokarditis sein [9]. Bei akuten Infektionen beträgt die Dauer der Symptomatik weniger als 2 Wochen.
Diagnostik
Patienten, die von einer infizierten Spondylodese betroffen sind, können klinisch
die üblichen Anzeichen einer Entzündung mit Schmerzen, einer Schwellung, Rötung und
Überwärmung sowie Fieber und Schüttelfrost aufweisen. Gerade bei Spätinfekten muss
dies aber nicht der Fall sein. Besteht der Verdacht auf eine Infektion, so sollten
die Entzündungsparameter im Blut untersucht werden. Üblich sind im klinischen Alltag
die Kontrolle der Leukozytenzahl und des C-reaktiven Proteins (CRP). Bei Verdacht
auf eine beginnende Sepsis sind zudem Herzfrequenz und Blutdruck zu kontrollieren,
zudem sollte der Laborparameter Procalcitonin (PCT) und mindestens 2 – 3 Blutkulturenpaare
abgenommen werden.
Eine länger bestehende Infektion zeigt sich im Röntgenbild anhand von Osteolysen im
Bereich des Wirbelkörpers und periimplantär. Zugleich können im umgebenden Weichteilgewebe
Ossifikationen beobachtet werden. Eine Implantatlockerung oder ein paravertebraler
Abszess können durch eine (idealerweise metallartefaktreduzierte) CT nachgewiesen
werden. Besteht der Verdacht auf einen epiduralen Abszess oder ein Übergreifen auf
Bandscheiben bzw. Wirbelkörper im Sinne einer Spondylitis/Spondylodiszitis ist eine
(ebenfalls idealerweise metallartefaktreduzierte) MRT Methode der Wahl. Patienten
mit nicht MRT-tauglichen Herzschrittmachern können mit 99mTc-Szintigrafie untersucht werden, die ca. 48 Stunden nach Auftreten des Infekts positiv
ist ([Abb. 1]).
Abb. 1 Fließschema/Therapiealgorithmus für Patienten mit Verdacht auf eine infizierte Spondylodese.
Antibiotische Behandlung und Keimgewinnung
Antibiotische Behandlung und Keimgewinnung
Die antibiotische Therapie sollte, wenn es der klinische Zustand des Patienten erlaubt,
erst nach erfolgter mikrobiologischer Diagnostik eingeleitet werden. Bei bereits begonnener
Therapie sollte zur Erhöhung der Keimnachweiswahrscheinlichkeit eine Pause von mindestens
48 Stunden, noch günstiger von 1 – 2 Wochen, erfolgen [11]. Die perioperative, prophylaktische Antibiotikagabe darf erst nach der mikrobiologischen
Probengewinnung erfolgen, um falsch negative Kulturergebnisse zu vermeiden. Paravertebrale
Abszesse können zur Keimgewinnung und Drainage CT-gestützt punktiert werden. Intraoperativ
gewonnene Gewebeproben sollten an Stellen entnommen werden, die makroskopisch infiziert
erscheinen. Bei Abnahme von 2 – 3 Proben liegt die Wahrscheinlichkeit eines Keimnachweises
erregerabhängig bei etwa 50%, werden mehr als 5 Proben entnommen, so erhöht sich die
Sensitivität auf mehr als 70% [9], [12]. Dabei müssen zusätzlich zur mikrobiologischen Untersuchung separat Gewebeproben
für die pathologische Diagnostik entnommen werden, um anhand histologischer Beurteilung
(granulozytäre Infiltrate) zwischen einer Kontamination und einer Infektion differenzieren
zu können. Liegt eine Pusansammlung vor, so sollte diese mit einer sterilen Spritze
aufgenommen und zur mikrobiologischen Untersuchung eingesandt werden [13]. Entfernte Implantate sollten zur Sonikation eingesandt werden [14]. Dieses Verfahren ermöglicht durch Anwendung niederfrequenten Ultraschalls (20 – 120 kHz)
auch den Nachweis von Keimen aus dem Biofilm des Implantats und erhöht die Sensivität
des Keimnachweises. Nur wenn der Allgemeinzustand des Patienten bis zur Fertigstellung
mikrobiologischer Befunde kein antibiotikafreies Intervall toleriert, erfolgt nach
Probenentnahme zunächst eine empirische intravenöse Therapie (z. B. Aminopenicillin
+ β-Laktamasehemmer oder Cephalosporin Gruppe II) [9]. Nach abgeschlossener mikrobiologischer Diagnostik muss die antiinfektive Medikation
erreger- und resistenzgerecht umgestellt werden. In der Regel ist eine Dauer der antibiotischen
Therapie von 6 Wochen sinnvoll, dennoch sind die Verläufe individuell sehr unterschiedlich.
Das Behandlungskonzept sollte interdisziplinär mit mikrobiolgischer und infektiologischer
Expertise erfolgen.
Operatives Vorgehen
Infizierte Spondylodesen sollten operativ saniert werden, wenn es der Zustand des
Patienten zulässt. Septische, kreislaufinstabile Patienten benötigen zunächst eine
intensivmedizinische, konsolidierende Behandlung, i. v. Therapie und den kleinstmöglichen
Eingriff zur Abszessentlastung und Keimreduktion, z. B. die interventionelle Anlage
einer Drainage.
Liegt ein akuter Infekt vor, so ist eine implantaterhaltende Revision möglich. Bei
bereits länger bestehenden Infektionen mit knöcherner Destruktion und Materiallockerung
besteht die Indikation zur Materialentfernung, intensivem Débridement und ggf. Respondylodese.
Zur Unterstützung der knöchernen Fusion im Infektfall ist autologer Knochen das Material
der Wahl. Alternativ besteht die Möglichkeit, als Knochenersatzmaterial bioaktive
Gläser einzusetzen, die einen negativen pH-Wert erzeugen und auf diese Weise bakterizid
wirken. Die Stabilität der dorsalen Reinstrumentation kann ggf. durch Zementaugmentation
der Schrauben erhöht werden. Das intraoperative Spülen mit antiseptischen Lösungen
wie Povidon-Iod reduziert die Rate an Wundinfektionen und zeigt keine unerwünschten
Nebenwirkungen [15]. Auch chlorhexidinhaltige Lösungen können zur Wundspülung verwendet werden. Liegen
allerdings z. B. aufgrund einer Laminektomie neurale Strukturen frei, so sollte wegen
der Neurotoxizität auf Chlorhexidin verzichtet werden. Aktuelle Studien zeigen, dass
die lokale Applikation von Vancomycinpulver vor Wundverschluss die Rate an Infektionen
senkt [16], [17]. In seltenen, besonders schweren Fällen, in denen eine chronische Infektion vorliegt,
der Patient aber den notwendigen Revisionseingriff nicht überstehen würde, muss eine
suppressive antibiotische Langzeittherapie durchgeführt werden.
OP-fähige Patienten mit akut eingetretenen, relevanten neurologischen Ausfallerscheinungen
sollten sofort operiert werden. Eine dringende OP-Indikation besteht bei Nachweis
eines epiduralen Abzesses, Bildung eines großen paraspinalen Abszesses oder bei spinaler
Instabilität.
Bei der Behandlung von Patienten mit infizierten Spondylodesen kommt es im Rahmen
von mehreren Revisionsoperationen gelegentlich zu einer Schrumpfung des umgebenden
Weichteilgewebes, was dazu führen kann, dass die Wunde nicht mehr verschlossen werden
kann und Implantate bzw. Duralsack freiliegen ([Abb. 2 A]). In solchen Fällen besteht die Möglichkeit, den Infekt mittels Vakuumversiegelung
zu behandeln [18]. Da oftmals ein Verschließen von Wunden mit retrahierten Rändern nicht gelingt,
sind lokale Weichteilmobilisationen und final gefäßgestiehlte Muskellappen die beste
Therapieoption zur Deckung von ausgedehnten Weichteildefekten ([Abb. 2 B – D]) [19].
Abb. 2 Im Rahmen mehrerer Revisionsoperationen und nach durchgeführter Strahlentherapie
einer thorakalen Spondylodese war es bei dem Patienten zu einem Weichteildefekt mit
freiliegenden Implantaten gekommen (A). Zur plastischen Deckung wurde ein Latissimus-dorsi-Lappen präpariert und über den
Defekt geschwenkt (B – D).
1. Fall
47-jährige Patientin ([Abb. 3]), die aufgrund einer Spondylodiszitis L3/4 1,5 Jahre zuvor operativ versorgt wurde.
Es erfolgte eine dorsoventrale Spondylodese. Es wurde Staphylococcus aureus nachgewiesen
und resistenzgerecht antibiotisch behandelt. Anschließend war die Patientin beschwerdefrei.
Nun traten akut Fieber bis 39,5 °C sowie ein CRP-Anstieg von 240 mg/l auf. Im CT konnte
ein periimplantärer Flüssigkeitsverhalt nachgewiesen werden, aus dem sich nach Punktion
ebenfalls Staphylococcus aureus anzüchten ließ. Auch in den abgenommenen Blutkulturen
ließ sich der Erreger kultivieren. Bei knöchern konsolidierter Spondylodese war die
Implantatentfernung die OP-Methode der Wahl.
Abb. 3 Fallbeschreibung einer 47-jährigen Patientin mit Diabetes mellitus Typ 1. Aufgrund
einer Spondylodiszitis L3/4 wurde eine Spondylodese L3/4 vorgenommen. Da die Patientin
1,5 Jahre später bei knöcherner Fusion periimplantär einen Flüssigkeitsverhalt entwickelte,
aus dem nach Punktion der Nachweis von Staphylococcus aureus gelang, erfolgte zur
Behandlung die Implantatentfernung.
2. Fall
62-jähriger Patient ([Abb. 4]), bei dem aufgrund einer fortgeschrittenen Osteochondrose 2 Jahre zuvor ein Bandscheibenersatz
L5/S1 erfolgte. Aufgrund lokaler Unterbauchbeschwerden wurde ein CT angefertigt, das
einen ausgedehnten Abszess retroperitoneal, ausgehend von der Bandscheibenprothese,
zeigte. Klinisch hatte der Patient keine Entzündungszeichen, der CRP-Wert war 7 mg/l,
die Leukozytenanzahl lag im Normalbereich. Es erfolgte die ventrale Revision mit Explantation
der Bandscheibenprothese und Spondylodese mittels autologem Knochenspan vom Beckenkamm.
Anschließend erfolgte zusätzlich die dorsale Stabilisierung. Es gelang nicht, einen
Keim nachzuweisen, der Patient wurde 6 Wochen empirisch mit Levofloxacin antibiotisch
nachbehandelt.
Abb. 4 Fallbeschreibung eines 62-jährigen Patienten, der 2 Jahre nach Implantation einer
Bandscheibenprothese einen retroperitonealen Abszess, ausgehend vom Bandscheibenfach
L5/S1, entwickelte. Zur Behandlung erfolgte die Explantation der Bandscheibenprothese
von ventral mit Einbringen eines autologen Knochenspans vom Beckenkamm (Schraubenfixation
von Allograft im Entnahmedefekt am Beckenkamm). Anschließend wurde zur zusätzlichen
Stabilisierung eine dorsale Instrumentation L5/S1 durchgeführt.
3. Fall
56-jähriger Patient, bei dem 4 Jahre zuvor ein Chondrosarkom diagnostiziert wurde
([Abb. 5]). Es erfolgte in kurativem Ansatz eine 5-Etagen-En-bloc-Spondylektomie Th3 – Th7
mit Thoraxwandresektion, Wirbelkörperersatz und dorsaler Stabilisierung. Der Patient
wurde nach Wundheilung bestrahlt. Zwei Jahre später entwickelte er ein Lokalrezidiv,
es erfolgte die Nachresektion mit Implantatwechsel. Postoperativ entwickelte sich
eine tiefe Wundinfektion, mehrfache lokale Revisionseingriffe konnten den Infektfokus
nicht sanieren. Der Patient entwickelte im weiteren Verlauf ein großes Tumorrezidiv,
eine dorsale Fistel mit multipler Keimbesiedlung. Da der Patient einen weiteren operativen
Eingriff mit ausreichender Radikalität, die eine Infektsanierung möglich gemacht hätte,
nicht überstanden hätte, wurde die Indikation zur dauerhaften infektsupprimierenden
antibiotischen Langzeittherapie gestellt.
Abb. 5 Fallbeschreibung eines 56-jährigen Patienten, der 3 Jahre nach 5-Etagen-En-bloc-Spondylektomie
aufgrund eines Chondrosarkoms eine Infektion mit pleuraler Fistel rechtsseitig entwickelte.
Aufgrund des ausgedehnten Befunds konnte nur eine lokale Wundrevision der pleuralen
Fistel durchgeführt werden. Ein radikaler Implantatwechsel mit dem Ziel einer vollständigen
Sanierung des Infektfokus war aufgrund des deutlich reduzierten Allgemeinzustands
des Patienten nicht möglich, daher erfolgte eine supprimierende Antibiotikatherapie.
4. Fall
47-jähriger Patient, der in suizidaler Absicht in die Tiefe sprang und dabei eine
Berstungsfraktur des 3. Lendenwirbelkörpers erlitt ([Abb. 6 a]). Diese wurde mittels Korporektomie, Wirbelkörperersatz, ventraler Platte und dorsaler
Stabilisierung versorgt ([Abb. 6 b]). Elf Jahre später entwickelte der Patient eine Infektion mit Fistelgang vom Cage
bis zum Beckenkamm. Der Infekt führte zum Implantatversagen und zu einer septischen
Arrosion der infrarenalen Aorta und damit zu einem perforierten Aortenaneurysma ([Abb. 6 c]). Zur Behandlung wurde eine Segmentresektion der infrarenalen Aorta durchgeführt
und ein axillobifemoraler Bypass angelegt ([Abb. 6 d]). Im nächsten Schritt wurde die dorsale Instrumentation entfernt und gegen eine
spinopelvine Reinstrumentation gewechselt ([Abb. 6 e – g]). Anschließend erfolgte die Entfernung der anterioren Platte und des Cages mit Implantation
eines 5-Level-Harms-Cages. Die intraoperativ gewonnenen Gewebeproben ergaben einen
methicillin-resistenten Staphylococcus aureus.
Abb. 6 Fallbeschreibung eines 47-jährigen Patienten, der bei einer Berstungsfraktur des
3. Lendenwirbelkörpers mittels Korporektomie, Wirbelkörperersatz, ventraler Platte
und dorsaler Stabilisierung versorgt wurde (A, B). Elf Jahre später entwickelte der Patient eine Infektion, die zum Implantatversagen
und einem perforierten Aortenaneurysma führte (C). Es wurde eine Segmentresektion der infrarenalen Aorta durchgeführt (D) und ein axillobifemoraler Bypass angelegt. Im nächsten Schritt wurde die dorsale
Instrumentation entfernt und gegen eine spinopelvine Reinstrumentation getauscht sowie
die anteriore Platte und der Cage mit Implantation eines 5-Level-Harms-Cages (E – G).