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DOI: 10.1055/s-0043-104028
Positionspapier zur aufwendigen ambulanten Versorgung tracheotomierter Patienten mit und ohne Beatmung nach Langzeit-Intensivtherapie (sogenannte ambulante Intensivpflege)
Tracheostomy Home Care of Patients after Long Term Ventilation on the ICU – a Position PaperKorrespondenzadresse
Publication History
Publication Date:
13 April 2017 (online)
- Ambulante Versorgung von Patienten mit Tracheostoma und Beatmung
- Ambulante Versorgung von Patienten mit Tracheostoma ohne Beatmung
- Literatur
Grundlage dieses Positionspapers ist die in den letzten Jahren zu beobachtende starke Zunahme aufwendiger häuslicher Krankenpflege (Behandlungspflege nach § 37 SGB V) bei Patienten mit Tracheostoma. Während die Fallzahl nach einer Erhebung im Jahr 2005 auf ca. 1000 Fälle begrenzt war [1], beträgt sie nach Hochrechnung verschiedener Krankenkassen derzeit vermutlich zwischen 15 000 und 30 000 Patienten. Die Versorgungskosten belaufen sich mittlerweile auf 2 – 4 Milliarden Euro/Jahr. Die genaue Prävalenz ist insbesondere im Hinblick auf eine gleichzeitige Beatmungstherapie derzeit jedoch nicht über Routinedaten ermittelbar, da das Kodierungssystem diese Situation bislang nicht abgebildet hat. Das Positionspapier fasst daher die wesentlichen Erkenntnisse zu diesem Thema zusammen, um die dringende Notwendigkeit einer strukturierten, sektorübergreifenden und qualitätsgesicherten Versorgung unter Einbeziehung von Experten in diesem Bereich aufzuzeigen.
Ambulante Versorgung von Patienten mit Tracheostoma und Beatmung
Patienten mit chronischer Atmungsschwäche (= ventilatorische oder auch hyperkapnische Insuffizienz) und Beatmungspflichtigkeit wurden bis Mitte der 1980er Jahre nahezu ausschließlich invasiv, also über ein Tracheostoma, beatmet. Im Wesentlichen handelte es sich um Betroffene mit neuromuskulären Erkrankungen oder um Patienten mit hohem Querschnitt. Später kamen alle Formen der ventilatorischen Insuffizienz dazu. Die langfristige Versorgung war überwiegend nur im stationären Bereich zu gewährleisten. Ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 1999 (AZ: B3 KR 4/98 R vom 28.1.1999) hat dazu geführt, dass auch im ambulanten Bereich die Versorgungskosten von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden müssen. Hiermit hat sich die im § 37 Sozialgesetzbuch V verankerte ambulante Intensivpflege in Deutschland etabliert.
Mit Einführung der nicht-invasiven Beatmung über Mund-Nasen-Masken Ende der 1980er Jahre hat sich die Situation in der außerklinischen Beatmung allerdings grundlegend verändert. Die meisten Betroffenen können nun im gewohnten Umfeld weiterleben, die Beatmung wird gegebenenfalls unter Hilfestellung einer Assistenzbetreuung sichergestellt. Die Indikation zur Maskenbeatmung ist auf alle Erkrankungen mit Atempumpenüberlastung und konsekutiver Hyperkapnie wie z. B. bei COPD, Thorakorestriktion oder Adipositas ausgeweitet worden, mit nachweislichem Vorteil hinsichtlich Lebenserwartung und Lebensqualität [2] [3]. Die Maskenbeatmung wird hierbei komplett autonom und zumeist nur nachts durchgeführt. Bei einer Maskenbeatmung ist die Sprech- und Schluckfunktion erhalten, soweit die beteiligten Organsysteme nicht wie z. B. bei amyotropher Lateralsklerose in ihrer Funktion beeinträchtigt sind. Zudem bleibt die Hustenclearance intakt, sodass es unter nicht-invasiver Beatmung auch signifikant seltener zu Atemwegsinfektionen kommt als unter invasiver Beatmung über Kanüle. Im intensivmedizinischen Kontext ist die Anwendung einer Maskenbeatmung bei akut exazerbierter COPD mit Atempumpenversagen mit einer NNT (Number needed to treat) von 8 mit einer deutlich geringeren Mortalität behaftet als die Intubation mit invasiver Beatmung [4]. Bei chronischer Hyperkapnie im Rahmen einer schweren COPD steigt für Patienten mit Maskenbeatmung die Lebenserwartung etwa um das Dreifache an [2].
Im außerklinischen Bereich ist eine invasive Beatmung über ein Tracheostoma nur bei wenigen Indikationen erforderlich; ihre Anwendung erfordert daher neben dem Patientenwillen zu dieser Maßnahme eine solide medizinische Begründung. Indikationen zur invasiven Beatmung bei Atmungsschwäche oder Atemmuskelüberlastung sind beispielsweise Engen im Hypopharynx- und Glottis- oder Subglottisbereich, ebenso Gesichtsdeformitäten, die keinen adäquaten Maskensitz erlauben. Auch neuromuskuläre Erkrankungen mit sofortiger Luftnot bei Unterbrechung einer Beatmung gehören dazu. Trotzdem ziehen es aufgrund der genannten Vorteile immer wieder schwer Betroffene vor, 24 h über Maske statt über Kanüle beatmet zu werden.
Die extreme Zunahme der Fälle mit invasiver Beatmung über Tracheostoma in den letzten 10 Jahren ist ganz überwiegend auf Patienten mit Versagen der Beatmungsentwöhnung nach Akut-Intensivtherapie zurückzuführen. Die Analyse einer großen Krankenkasse hat gezeigt, dass ca. 85 % der betroffenen Patienten direkt von Akut-Intensivstationen in den ambulanten Bereich entlassen werden [5]. Die meisten dieser Patienten werden nicht im eigenen Wohnumfeld betreut, sondern in Intensivpflege-Wohngemeinschaften, da die Personalkapazität fachkundiger Krankenpflege aufgrund steigender Fallzahlen bereits nicht mehr für individuelle Versorgungen ausreicht. Zudem kann über den reduzierten Personalschlüssel eine kostengünstigere Versorgung angeboten werden, die in dieser Form nahezu einer Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen entspricht, aber als Behandlungspflege innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung besser vergütet wird.
Aktuelle Erhebungen unter den Weaningzentren der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin im Rahmen des Kompetenznetzwerks WeanNet [6] und andere Daten [7] [8] [9] [10] zeigen, dass ca. 60 – 70 % der Patienten, die auf Akut-Intensivstationen nicht von der Beatmung entwöhnt wurden, doch noch ein erfolgreiches Weaning erreichen können, wenn sie in einem spezialisierten Weaningzentrum betreut werden. Dabei schafft die Hälfte dieser Patienten die Entwöhnung von der invasiven Beatmung mit Hilfe der Umstellung auf eine nicht-invasive Beatmung über Maske, die eine Entlassung nach Hause ermöglicht. Zudem werden in solchen Zentren die nach Intensivtherapie häufig vorhandene Muskelschwäche und Schluckstörung durch multimodale Therapieprogramme beseitigt. Darüber hinaus wird die Therapie der oft zugrunde liegenden internistischen Multimorbidität optimiert.
Bei Patienten mit Atmungsinsuffizienz infolge vermehrter Atemarbeit wie bei COPD oder Thorakorestriktion ist die dauerhafte Beatmung via Tracheostoma nicht indiziert. Viele der nach Intensivtherapie mit invasiver Beatmung in den ambulanten Bereich entlassenen Patienten mit diesen Erkrankungen könnten erfolgreich entwöhnt werden, wenn sie auf nicht-invasive Beatmung umgestellt und die einer Dekanülierung oftmals im Wege stehende Schluckstörung und Muskelschwäche konsequent therapiert würden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele dieser Patienten, die von Intensivstationen in die ambulante Beatmungspflege entlassen wurden und anschließend doch noch den Weg in ein spezialisiertes Weaningzentrum gefunden haben, erfolgreich entwöhnt werden konnten [9].
Eine invasive Beatmung über Kanüle unter der 24-stündigen Aufsicht und Betreuung von spezialisierter Pflege ist also nur erforderlich, wenn eine Maskenbeatmung bei schwergradiger Atmungsschwäche definitiv nicht möglich ist oder ein kontinuierlich lebensbedrohliches Atmungsversagen vorliegt, das dann auch einen durchgehend kontrollierten Beatmungsmodus verlangt. Viele der Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung nach Weaningversagen werden aber assistiert und mit niedrigen Drucken beatmet, wie Erfahrungen des medizinischen Dienstes und aktuelle Analysen einiger Krankenkassen ergaben. Dies ist ein wichtiger Indikator dafür, dass grundsätzlich ausreichende Atmungskapazität vorhanden ist und damit die Umstellung auf eine nicht-invasive Beatmung überprüft werden sollte.
Die Beurteilung des grundsätzlichen Weaningpotenzials bei den überwiegend schwerkranken und multimorbiden Patienten erfordert allerdings eine große klinische Erfahrung bei gleichzeitig hochspezialisierter Ausbildung. Ärzte mit diesen notwendigen Kenntnissen und vor allem die spezialisierten multiprofessionellen Behandlungsteams sind hauptsächlich in Kliniken tätig. Die außerklinische Versorgung von Patienten mit invasiver Beatmung erfordert somit grundsätzlich ein intersektorales Betreuungskonzept, das sich an aktuellen medizinischen Standards und Leitlinien orientiert [11].
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Ambulante Versorgung von Patienten mit Tracheostoma ohne Beatmung
Neben der starken Zunahme von Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung ist zu beobachten, dass Patienten nach Langzeitbeatmung auf Intensivstationen vermehrt mit Tracheostoma und noch liegender Trachealkanüle in eine 24-stündige ambulante Intensivpflege entlassen werden. Argument hierfür ist zumeist eine Schluckstörung oder eine Bewusstseinsstörung mit Aspirationsgefahr. Allerdings wird eine Schluckstörung durch eine Trachealkanüle eher gefördert; die Hustenkapazität ist bei geblockter Kanüle und Atmung über die sogenannte „Feuchte Nase“ wegen des fehlenden Glottisschlusses massiv herabgesetzt. Aspirationen auch von Speichel werden hierdurch begünstigt. Die Blockung einer Kanüle verhindert die Speichelpenetration in die Trachea nicht [12]. Vermehrte Atemwegsinfektionen sind die Folge, die wiederum zur Begründung des persistierenden Tracheostomas herangezogen werden.
Für die Prognose betroffener Patienten ist es günstiger, wenn die Trachealkanüle entfernt und das Tracheostoma verschlossen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, sind allerdings spezielle Behandlungstechniken erforderlich, die aufgrund des – insgesamt betrachtet – seltenen Vorkommens dieser Fälle jedoch nicht überall beherrscht werden. Hierdurch wird häufig fälschlicherweise die Indikation zum Verbleib des Tracheostomas mit Kanüle gestellt. Bei neurologisch schwer eingeschränkten Patienten ist darüber hinaus eine langwierige intensive Logopädie und Physiotherapie unter Anwendung mechanischer Hustenhilfen erforderlich. So kann auch bei diesen Patienten häufig noch eine Dekanülierung erreicht werden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Verordnung einer 24-stündigen ambulanten Intensivpflege wegen eines Tracheostomas mit oder ohne Beatmung in vielen Fällen nicht notwendig ist, da keine Indikation für ein Tracheostoma bzw. eine invasive außerklinische Beatmung besteht.
Eine qualitätsgesicherte, leitliniengestützte medizinische Betreuung betroffener Patienten erfordert daher ein Versorgungsnetzwerk, das nicht nur die ambulante ärztliche Betreuung sicherstellen, sondern über einen primär sektorübergreifenden Ansatz auch die ärztlichen Experten aus spezialisierten Zentren einbeziehen muss, um die Indikation für das persistierende Tracheostoma mit Kanüle kritisch zu prüfen. Empfehlenswert ist bereits eine Experten-gesicherte primäre Indikationsstellung im Rahmen des Entlassungsmanagements aus der Klinik. Ebenso wäre ein verpflichtendes Patientenregister sinnvoll, um die insgesamt betrachtet wenigen Patienten einer medizinisch qualitativen Betreuung zuzuführen, aber auch um die Versorgungsforschung in diesem Bereich zu befördern. Regional organisierte, intersektoral ausgerichtete und multiprofessionell aufgestellte telemedizinische Netzwerke könnten bei der Sicherstellung der Betreuung durch ärztliche Spezialisten und weitere spezialisierte Therapeuten gute Unterstützung leisten.
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Literatur
- 1 Lloyd-Owen SJ, Donaldson GC, Ambrosino N. et al. Patterns of home mechanical ventilation use in Europe: results from the Eurovent survey. Eur Respir J 2005; 25: 1025-1031
- 2 Köhnlein T, Windisch W, Köhler D. et al. Non-invasive positive pressure ventilation for the treatment of severe stable chronic obstructive pulmonary disease: a prospective, multicentre, randomised, controlled clinical trial. Lancet Respir Med 2014; 2: 698-705
- 3 Leitlinie: Nichtinvasive Beatmung als Therapie der akuten respiratorischen Insuffizienz. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-004.html
- 4 Ram FS, Picot J, Lightowler J. et al. Non-invasive positive pressure ventilation for treatment of respiratory failure due to exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Cochrane Database Syst Rev 2004; CD004104. DOI: 10.1002/14651858.CD004104.pub3.
- 5 Frisch E. Gesundheitszentrum AOK NO. Deutscher Pflegetag. 2016
- 6 Schönhofer B. WeanNet: Strukturierte Entwöhnung vom Respirator. Dtsch Arztebl 2011; 108: 51-52 A-2768/B-2310/C-2278
- 7 Schönhofer B, Berndt C, Achtzehn U. et al. [Weaning from mechanical ventilation Weaning in Deutschland – eine Erhebung zur Situation pneumologischer Beatmungszentren. Dtsch Med Wochenschr 2008; 133: 700-704
- 8 Oehmichen F, Ketter G, Mertl-Rötzer M. et al. Beatmungsentwöhnung in neurologischen Weaningzentren: Eine Bestandsaufnahme der Arbeitsgemeinschaft Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation. Nervenarzt 2012; 83: 1300-1307
- 9 Barchfeld T, Dellweg D, Böckling S. et al. Entwöhnung von der Langzeitbeatmung: Daten eines Weaningzentrums von 2007 bis 2011. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 527-533
- 10 Schönhofer B, Geiseler J, Jany B. et al. für die WeanNet-Study-Group. WeanNet: Das Netzwerk von Weaningeinheiten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin – Ergebnisse zur Epidemiologie und Outcome bei Patienten im prolongierten Weaning. DMW 2016; 141: e166-172 im Druck
- 11 Leitlinie: Prolongiertes Weaning. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-015.html
- 12 Philippart F, Gaudry S, Quinquis L. et al. TOP-Cuff Study Group. Randomized intubation with polyurethane or conical cuffs to prevent pneumonia in ventilated patients. Am J Respir Crit Care Med 2015; 191: 637-45
Korrespondenzadresse
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Literatur
- 1 Lloyd-Owen SJ, Donaldson GC, Ambrosino N. et al. Patterns of home mechanical ventilation use in Europe: results from the Eurovent survey. Eur Respir J 2005; 25: 1025-1031
- 2 Köhnlein T, Windisch W, Köhler D. et al. Non-invasive positive pressure ventilation for the treatment of severe stable chronic obstructive pulmonary disease: a prospective, multicentre, randomised, controlled clinical trial. Lancet Respir Med 2014; 2: 698-705
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- 5 Frisch E. Gesundheitszentrum AOK NO. Deutscher Pflegetag. 2016
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- 8 Oehmichen F, Ketter G, Mertl-Rötzer M. et al. Beatmungsentwöhnung in neurologischen Weaningzentren: Eine Bestandsaufnahme der Arbeitsgemeinschaft Neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation. Nervenarzt 2012; 83: 1300-1307
- 9 Barchfeld T, Dellweg D, Böckling S. et al. Entwöhnung von der Langzeitbeatmung: Daten eines Weaningzentrums von 2007 bis 2011. Dtsch Med Wochenschr 2014; 139: 527-533
- 10 Schönhofer B, Geiseler J, Jany B. et al. für die WeanNet-Study-Group. WeanNet: Das Netzwerk von Weaningeinheiten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin – Ergebnisse zur Epidemiologie und Outcome bei Patienten im prolongierten Weaning. DMW 2016; 141: e166-172 im Druck
- 11 Leitlinie: Prolongiertes Weaning. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-015.html
- 12 Philippart F, Gaudry S, Quinquis L. et al. TOP-Cuff Study Group. Randomized intubation with polyurethane or conical cuffs to prevent pneumonia in ventilated patients. Am J Respir Crit Care Med 2015; 191: 637-45