Diabetes aktuell 2017; 15(03): 96
DOI: 10.1055/s-0043-108780
Magazin
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kritisch hinterfragt

Kosten und Nutzen neuer Antidiabetika
Stephanie Schikora
1   Heidelberg
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
18 July 2017 (online)

 

Liest man die Ergebnisse einer aktuellen retrospektiven Auswertung von mehr als 1,6 Millionen Versichertendaten von US-Bürgern aus den Jahren 2006–2013 [[1]], könnte man meinen, die Diabetologie wäre in den letzten 10 Jahren in der täglichen Praxis nicht vorangekommen. Denn im überprüften Zeitraum hat sich weder die Blutzuckerkontrolle der Patienten verbessert, noch ist die Zahl an schweren Unterzuckerungen gesunken – und dies trotz des verstärkten Einsatzes der in diesem Zeitraum neu eingeführten Antidiabetika und der damit verursachten höheren Kosten. Doch ist dies der Weisheit letzter Schluss?


#

Die Auswertung der Versichertendaten [[1]] ergab: Die Verschreibungspraxis hat sich innerhalb des Beobachtungszeitraumes von 8 Jahren drastisch verändert: Am stärksten war der Einsatz von Dipeptidylpepdidase-4-Hemmern (DPP-4-Hemmern) angestiegen – und zwar von 0,5 auf 14,9 %. Deutlich häufiger verschrieben wurden auch Glucagon-like-Peptide(GLP)-1-Analoga mit einem Anstieg von 3,3 auf 5,0 %.

Auf Metformin eingestellt waren im Jahr 2006 47,6 % der Versicherten, im Jahr 2013 waren dies 53,5 %. Und waren im Jahr 2006 17,1 % der Patienten insulinisiert, stieg der Anteil dieser Patienten bis zum Jahr 2013 auf 23,0 %, wobei im Verhältnis immer weniger Humaninsulin (11,6 versus 5,6 %), dafür mehr Basalinsulinanaloga (10,9 versus 19,3 %) und schnell wirksame Insulinanaloga (6,7 versus 11,6 %) eingesetzt wurden. Gegenläufig war der Trend bei den Sulfonylharnstoffen (38,8 versus 30,8 %) und den Thiazolidindionen (28,5 versus 5,6 %).

Blutzuckereinstellung hat sich nicht verbessert

Die Blutzuckerkontrolle hat sich unter der veränderten Medikation allerdings nicht verbessert – tatsächlich stieg der Anteil der Patienten mit schlechter Stoffwechselkontrolle (HbA1c-Wert 8–9 % und ≥ 9 %) sogar an (9,9 versus 10,6 % und 9,9 versus 12,2 %) [[1]].

Allerdings hat sich (nicht nur) die „American Diabetes Association“ in ihren Leitlinien aus dem Jahr 2009 für individualisierte glykämische Zielwerte ausgesprochen. Demnach können HbA1c-Werte zwischen 8 und 9 bei älteren, multimorbiden Patienten durchaus ein legitimes Therapieziel sein. Kritisch zu werten sind jedoch die relativ häufig zu schlecht eingestellten Blutzuckerwerte bei den jungen Patienten [[1]]. Bei fast einem Viertel dieser Patientengruppe lag der HbA1c-Wert über 9 %!

Die Rate der Hypoglykämien blieb über den gesamten Studienzeitraum mit einem Wert von 1,3 Unterzuckerungen je 100 Patientenjahre von 8 Jahren stabil [[1]]. Nicht unerwartet war sie unter Insulin und Sulfonylharnstoffen am höchsten. Und nach wie vor erleben multimorbide Patienten mit 3,5 Hypoglykämien pro 100 Jahre (2006: 3,2 Hypoglykäämien pro 100 Jahre) deutlich mehr Hypoglykämieepisoden [[1]].


#

Lassen sich die steigenden Kosten rechtfertigen?

Die Kosten für die antidiabetische Therapie dagegen hätten sich – so schreiben die Studienautoren – allerdings dramatisch erhöht: Von 1987–2011 haben sich die Ausgaben für die medikamentöse Therapie pro Patient verdoppelt.

Dies konstatierte auch Prof. David M. Nathan, Boston (Massachusetts, USA), auf dem diesjährigen Kongress der US-amerikanischen „Endocrine Society“, berichtet Prof. Helmut Schatz im Blog der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie [[2]]. Die Preise der Diabetesmedikamente seien schneller gestiegen als jene für andere Erkrankungen, einschließlich Krebs. Dabei scheinen die hochpreisigen, neueren Präparate zugleich die mit dem geringsten HbA1c-Senkungspotenzial zu sein, hatte Nathan berechnet. Seiner Meinung nach sei immer noch Insulin das wirksamste Präparat.

Ebenso oder sogar noch besser wirksam wie Insulin seien jedoch lang wirksame GLP-1-Analoga, konterte Prof. Daniel Ducker, Toronto (Kanada) [[2]]. Nicht berücksichtigt seien bislang zudem Outcomedaten wie LEADER[ 1 ] und EMPA-Reg-Outcome[ 2 ]für neue Präparate. In EMPA-Reg beispielsweise hatte sich ein deutlicher kardiovaskulärer und renaler Zusatznutzen und ein Mortalitätsvorteil für Hochrisikopatienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen ergeben.

Die Bedeutung dieser neuen Antidiabetika für die Patienten herabzuspielen sei schädlich, so Ducker und schloss recht emotional: „To counsel against using them is intellectual malpractice“ [[2]].


#
#

No conflict of interest has been declared by the author(s).

1 Liraglutide Effect and Action in Diabetes: Evaluation of cardiovascular outcome Results


2 Empagliflozin Cardiovascular Outcome Event Trial in Type 2 Diabetes Mellitus Patients