Sprache · Stimme · Gehör 2018; 42(01): 40-45
DOI: 10.1055/s-0043-109139
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Entwicklung der auditiven Merkspanne bei Kindern mit auffälligem Zahlenfolgegedächtnis

Development of Auditory Memory Span in Children with Shortened Number Sequence Memory
Monika Nürk
Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik Heidelberg
,
Cornelia Hornberger
,
Peter K. Plinkert
,
Monika Brunner
› Author Affiliations
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Publication Date:
19 March 2018 (online)

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Zusammenfassung

Hintergrund Die Trainierbarkeit der auditiven Merkspanne ist umstritten. Trotzdem wird die eingeschränkte auditive Merkspanne oft über lange Zeit logopädisch oder lerntherapeutisch beübt.

Methodik In einer explorativen, retrospektiven Untersuchung wurde die Entwicklung der auffälligen auditiven Merkspanne (PR ≤ 16) von 96, mehrfach diagnostizierten Kindern mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS), Sprachentwicklungsauffälligkeiten (Sprachentwicklungsstörungen und phonologische Störungen) oder Lese-Rechtschreibstörungen (LRS) unter Therapie mittels eines gemischt linearen Regressionsmodells untersucht und der Einfluss vorliegender Sprachentwicklungsauffälligkeiten, des IQs und des Geschlechts auf den Verlauf ermittelt. Der durchschnittliche Beobachtungszeitraum betrug 35,7 Monate.

Ergebnisse Bei sehr niedrigen Startprozenträngen zeigte sich eine Verbesserung, Normwerte wurden jedoch nicht erreicht. Über die Zeit zeigte sich keine signifikante Verbesserung der auditiven Merkspanne (p = 0,42) in der Gesamtgruppe, 73 % der Kinder blieben auffällig, nur 27 % erreichten ein klinisch unauffälliges Ergebnis. Kinder ohne Sprachentwicklungsauffälligkeiten (p = 0,004) und Kinder mit höherem IQ (p = 0,002) hatten bessere Therapiechancen. Das Geschlecht zeigte keine Auswirkung auf den Therapieerfolg (p = 0,1).

Diskussion Gebräuchliche Therapiekonzepte sollten infrage gestellt werden. Sprachentwicklungsauffälligkeiten und der IQ könnten als prognostische Marker für ein Therapieansprechen dienen.

Abstract

Background Memory span training continues to be controversially discussed. Nevertheless, memory span deficits are treated in logopedic therapy often over a long time.

Methods In an explorative, retrospective study the development of auditory memory span in 96 children with diagnosed memory span deficits (under 16th percentile) was examined by a mixed linear regression model. The children were undergoing therapy. The influence of language and speech disorders, IQ and gender was examined. The mean observation period was 35.7 months.

Results In the case of very low start percentage a significant improvement was seen, however a normal percentage was not reached. Over time no significant improvement was measured (p = 0.42), 73 % of the children remained under the 16th percentile, only 27 % reached a result over the 16th percentile. Children without language and speech disorders (p = 0.004) and children with a higher IQ (p = 0.002) had better chances of success in therapy. Gender had no influence on the development of the memory span (p = 0.1).

Conclusion Consideration has to be given to common therapeutic concepts. Language and speech development and IQ could be useful prognostic markers for therapy effectiveness.

Fazit für die Praxis

Die Trainierbarkeit der auditiven Merkspanne wird kontrovers diskutiert. Trainingskonzepte zur AVWS oder zum Training des Arbeitsgedächtnisses beinhalten Übungen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des auditiven Kurzzeitspeichers. Im klinischen Alltag fielen Kinder auf, deren eingeschränkte auditive Merkspanne über lange Zeit logopädisch oder lerntherapeutisch beübt wurde, jedoch weiterhin auffällig blieb. Dies war der Anlass zur Durchführung der vorliegenden Studie.

Die Auswertung der Daten zeigte zwar eine signifikante Verbesserung bei sehr niedrigem Ausgangswert, jedoch blieben die Leistungen im auffälligen Bereich unter PR 16. Für die Gesamtgruppe war über die Zeit keine signifikante Verbesserung festzustellen. Kinder mit einem höheren IQ und ohne Sprachentwicklungsauffälligkeiten hatten signifikant bessere Therapiechancen. Daraus resultierend sollten alle Therapieformen der eingeschränkten auditiven Merkspanne kritisch begleitet werden. Kommt es zu keiner Verbesserung der Leistung, sollte der Therapieschwerpunkt auf Kompensationsmechanismen gelegt werden. Darüber hinaus wäre es erstrebenswert, Teilkomponenten der auditiven Merkspanne in der Diagnostik und der Therapie zu berücksichtigen (z. B. Rehearsal, Sprechgeschwindigkeit …). Sprachentwicklungsauffälligkeiten und der IQ könnten als prognostische Marker für den Therapieerfolg genutzt werden.