Aktuelle Neurologie 2017; 44(01): 53-54
DOI: 10.1055/s-0043-113312
Aktuelles aus der Forschung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chancen und Risiken des Einsatzes von Biosimilars und Non-Biological Complex Drugs in der Multiple Sklerose Therapie

L. Klotz
1   Klinik für allgemeine Neurologie, Uniklinik Münster
,
H. Wiendl
1   Klinik für allgemeine Neurologie, Uniklinik Münster
,
für das Kompetenznetz Multiple Sklerose sowie den Ärztlichen Beirat der Deutschen Multiplen Sklerose Gesellschaft (DMSG) › Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
02 August 2017 (online)

Es ist absehbar, dass aufgrund des ablaufenden Patentschutzes für manche MS-Therapeutika in Zukunft zunehmend Generika auf den Markt kommen werden. Dies ist prinzipiell nicht nur aus Sicht der pharmazeutischen Unternehmen sondern auch volkswirtschaftlich hoch attraktiv, da hierdurch in relevantem Umfang Kosten eingespart werden können. Aus Sicht der Patienten sowie der behandelnden Ärzte ist hierfür jedoch Grundvoraussetzung, dass eine äquivalente Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit der Generika im Vergleich zur jeweiligen Ursprungssubstanz gegeben ist.

Für kleinere chemisch synthetisierte Moleküle wie z. B. Acetylsalicylsäure ist ein solcher Nachweis vergleichsweise einfach zu erbringen, da die chemische Struktur bekannt ist und daher primär eine vergleichbare Bioverfügbarkeit und Bioäquivalenz nachgewiesen werden muss. Bei Biologicals und deren Biosimilars gestaltet sich dies deutlich schwieriger. Bei diesen Produkten (zumeist rekombinante, also biologisch erzeugte Proteine) ist zwar die Aminosäuresequenz vorgegeben, jedoch können sich die Produkte aufgrund posttranslationaler Modifikationen (z. B. hinsichtlich des Glykosylierungsmusters) unterscheiden und diese Strukturmerkmale nicht vollständig kontrolliert und gesteuert werden. Dieser Sachverhalt äußert sich auch in der Namensgebung Biosimilars (similar = ähnlich, jedoch nicht identisch). In diese Gruppe fallen im Bereich der MS-Therapie z. B. die Interferon- beta-Präparate. Eine besondere Konstellation ist im Fall von Bioidentika gegeben: hierbei handelt es sich um das exakt gleiche Molekül oder Produkt mit exakt gleicher Herstellungsweise (wie derzeit bei den Produkten Interferon-beta 1b Betaferon ® und Extavia®). Zum Thema Biosimilars generell sei auf einen Überblickartikel im Ärzteblatt aus dem Jahr 2014 verwiesen [1].

Noch komplexer verhält es sich bei der Gruppe der sogenannten „Non-Biological Complex Drugs“ (NBCDs), also nicht biologischer Wirkstoffe mit komplexer und nicht vollständig charakterisierter molekularer Struktur. In diese Gruppe gehört das Glatirameracetat, ein synthetisches Polypeptidgemisch, welches aus den 4 Aminosäuren LGlutaminsäure, L-Lysin, L-Alanin und L-Tyrosin hergestellt wird. Glatirameracetat (GA) besteht aus mehreren Millionen verschiedener eng verwandter Peptide unterschiedlicher Länge und Sequenz, wobei die einzelnen Sequenzen und deren Mischungsverhältnis mit den zur Verfügung stehenden Methoden nicht vollständig charakterisiert werden können. Dies ist aus verschiedenen Gründen relevant: zum einen ist nach wie vor unklar, welche Peptidsequenzen für die Wirksamkeit des Präparats verantwortlich sind. Zum anderen sind die Peptidsequenzen zwar hoch immunogen, führen jedoch bei Nutzung des herkömmlichen Präparats nicht zur Entwicklung neutralisierender Antikörper.

Da aus den genannten Gründen keine exakte „Kopie“ des Produktes herstellbar ist, liegt es auf der Hand, dass bei solchen Präparaten im Vergleich zu den klassischen Generika für eine etwaige Zulassung weitere Daten gefordert werden, wie z. B. eine vergleichbare Qualität in vitro, eine vergleichbare Bioverteilung, eine vergleichbare klinische Wirksamkeit und Sicherheit sowie eine therapeutische Äquivalenz. Dies bedeutet faktisch, dass eine angemessene Charakterisierung alternativer NBCDs für eine etwaige Zulassung auch die Durchführung adäquater kontrollierter klinischer Studien umfassen muss. Im Fall des Glatirameracetat-Imitatorprodukts Clift® wurde dementsprechend eine randomisierte doppelblinde Phase III Studie („GATE“-Studie) mit einem Studiendesign durchgeführt, bei der das Imitatorprodukt einerseits gegen das Ursprungsprodukt und andererseits gegen ein Plazebo geprüft wurde [2].

Primärer Endpunkt war hier – basierend auf den Ergebnissen der Zulassungsstudien von Copaxone® 20 mg – die Zahl der Gadolinium anreichernden MRT Läsionen in den Monaten 7, 8 und 9 nach Therapiebeginn. Dieser primäre Endpunkt wurde erreicht, d. h. beide GA-Produkte wiesen eine vergleichbare Wirksamkeit auf und waren jeweils signifikant besser als das Plazeboprodukt. Auch gab es keine Auffälligkeiten hinsichtlich Verträglichkeit und Sicherheit. Trotz dieses positiven Ergebnisses muss jedoch betont werden, dass anders als bei klassischen Zulassungsstudien kein klinischer primärer Endpunkt verwendet wurde und letztlich nur Daten über einen relativ kurzen Zeitraum von 9 Monaten erhoben wurden. Grundsätzlich wird die Verwendung des MRTs als robustem Surrogatparameter für die klinische Wirksamkeit durch verschiedene Studien unterstützt, insbesondere durch 2 rezente Metaanalysen. Diese zeigten, dass Behandlungseffekte auf MRT-Parameter stark mit den Behandlungseffekten auf die Schubrate als klassischem primärem Endpunkt in Zulassungsstudien korrelierten und dass die Größenordnung des im MRT messbaren Effekts eine gute Vorhersagekraft hinsichtlich der Größenordnung des therapeutischen Effekts auf die Schubrate besitzt [3, 4]. Aktuelle Daten der GATE Extensionsstudie [5], welche alle Patienten der Core Studie nach Wechsel auf das GA-Imitatorprodukt für weitere 2 Jahre untersuchte, demonstrieren eine anhaltende Wirksamkeit über weitere 2 Jahre sowie eine erhaltene Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Wechsel vom Originalpräparat auf das GA-Imitatorprodukt. Trotz dieser bisher vorliegenden Daten ist aus unserer Sicht für die Zulassung eine Studie mit klinischem Endpunkt und ausreichender Studiendauer zu bevorzugen.

Aus unserer Sicht sind daher in Zukunft folgende Aspekte bei der Zulassung und Verwendung von alternativen NBCD und Biosimilars im Bereich der MS-Therapie zu bedenken: Eine Zulassung auf Basis rein präklinischer Daten – wie im Fall eines weiteren GA-Imitatorprodukts (GlatopaTM) in den USA durch die FDA (US Food and Drug Administration) erfolgt [6] – ist aufgrund der fehlenden Extrapolierbarkeit von Daten bezüglich Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit aus unserer Sicht nicht vertretbar. Nur wenn adäquate klinische Studien vorliegen, ist der Einsatz von alternativen NBCDs und Biosimilars prinzipiell möglich. Unabdingbare Voraussetzung für die Verschreibung solcher komplexer Imitatorprodukte ist die informierte Einbeziehung des Patienten. Überdies muss selbstverständlich eine engmaschige Kontrolle von Wirksamkeit und Verträglichkeit gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang sei auch auf eine entsprechende Patienteninformation verwiesen [7]. Eine kritische, aber nicht a priori ablehnende Haltung auf Seiten der Ärzte sowie Patienten ist zukünftig notwendig, um den Spagat zwischen bestmöglicher medikamentöser Therapie einerseits und verantwortungsvollem Umgang mit finanziellen Ressourcen andererseits zu meistern. In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass der Preisunterschied zwischen dem GA-Imitatorprodukt Clift® 20 mg und dem Originalprodukt Copaxone ® 20 mg etwa 18 Prozent beträgt, d. h. die Kosteneinsparung ist in diesem Falle als eher moderat einzuordnen.

 
  • Literatur

  • 1 Zylka-Menhorn V, Korzilius H. Biosimilars – Das Wettrennen ist im vollen Gange. Dtsch Ärzteblatt 2014; 11: A452-A455
  • 2 Cohen J. Equivalence of generic glatiramer acetate in multiple sclerosis: a randomized clinical trial. JAMA Neurol 2015; 72: 1433-1441
  • 3 Sormani MP, Filippi M. De Stefano et al. MRI as an outcome in multiple sclerosis clinical trials. Neurology 2009; 73: 1932 author reply 1932–1933
  • 4 Sormani MP, Brutzzi P. MRI lesions as a surrogate for relapse in multiple sclerosis: a meta-analysis of randomised trials. Lancet Neurol 2013; 13: 669-676
  • 5 Cohen J et al. Switching from branded to generic glatiramer acetate: two-year clinical data from the GATE trial further support the continued efficacy and tolerability of generic glatiramer. ECTRIMS 2015 Barcelona, P1050
  • 6 FDA approves first generic Copaxone to treat multiple sclerosis.For immediate release April 16, 2015. (https://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm443143.htm)
  • 7 DMSG Bundesverband e. V. Informationen für MS Erkrankte zum Thema Nachahmerpräparate und „Glatirameroide“, Stellungnahme Medizin/Therapie Nr. 1/2017. https://www.dmsg.de/multiple-sklerosenews/ms-therapien/