ergopraxis 2017; 10(09): 32-35
DOI: 10.1055/s-0043-113548
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Wohnraumberatung – Wenn das alte Bad nicht mehr passt

Kathrin Matuschek

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Publikationsdatum:
01. September 2017 (online)

 

Krankheit und Behinderung schränken die Handlungsfähigkeit ein und fordern Klienten in allen Lebensbereichen heraus – zum Beispiel in ihrer räumlichen Umwelt. Um größtmögliche Selbstständigkeit und Lebensqualität in den eigenen vier Wänden zu erlangen, begleiten und beraten Ergotherapeuten den Prozess der Wohnraumbegehung und -anpassung.


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Kathrin Matuschek

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Kathrin Matuschek, Ergotherapeutin seit 2012, findet, dass die Wohnraumberatung sowohl in der ergotherapeutischen Ausbildung als auch in der ergotherapeutischen Arbeit zu kurz kommt. Darum war es ihr ein Anliegen, dieses Thema in die Vorlesungen im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit zu integrieren und an die Studierenden weiterzugeben.

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Abb.: vgajic/istockphoto.com; Juanan Barros Moreno/shutterstock.com (nachgestellte Situation)

Frau Schiltz[*] ist freiberufliche Künstlerin. Ihr Atelier befindet sich in ihrer Wohnung, in der sie alleine lebt. Vor drei Wochen hatte die 46-Jährige einen schweren Verkehrsunfall, aufgrund dessen ihre Unterschenkel beidseitig amputiert werden mussten. Da die Klientin eine Prothesenversorgung ablehnt, benötigt sie für die inner- und außerhäusliche Mobilität einen handbetriebenen Rollstuhl. Ihre ebenerdige Wohnung kann sie zwar ohne Einschränkungen im Rollstuhl verlassen, die einzelnen Zimmer sind aber nicht rollstuhlgerecht. Frau Schiltz wünscht sich, in ihrer Eigentumswohnung bleiben und sich durch gezielte Umbaumaßnahmen frei im Rollstuhl bewegen zu können. Da das Badezimmer für sie einer der wichtigsten Räume im Haus ist, ist es ihr ein Anliegen, hier mit der barrierefreien Gestaltung zu beginnen.

Grundriss mit DIN-Norm abgleichen

Für die Wohnraumberatung sendet Frau Schiltz der behandelnden Ergotherapeutin einen Grundriss des Badezimmers ([ABB. 1]). Die Maße kann die Therapeutin mit den Angaben der DIN-Norm 18040-2 abgleichen. Diese sieht für einen handbetriebenen Rollstuhl einen Bewegungsradius von 150 cm x 150 cm vor Toilette, Waschtisch und Duschplatz vor [4].

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Abb. 1 Grundriss eines Badezimmers vor den Umbaumaßnahmen Abb.: K. Matuschek nach www.onlinebadplaner.at
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ABB. 2 Grundriss des Badezimmers nach der Wohnraumanpassung Abb.: K. Matuschek nach www.onlinebadplaner.at

Mit diesen Angaben und der Begehung vor Ort kann die Therapeutin genau analysieren, warum die Klientin ihr Badezimmer mit dem Rollstuhl aktuell nicht befahren kann: Das Waschbecken ist nicht unterfahrbar, die Toilette steht zu nah an der Badewanne und hat keine Stützgriffe, die Dusche hat eine Randerhöhung, die Badewanne hat keine Einstiegshilfe und die Badezimmertür öffnet sich nach innen. Um systematisch vorgehen zu können, nutzt die Ergotherapeutin die Checkliste zur Wohnungsbesichtigung (CHECKLISTE WOHNUNGSBESICHTIGUNG, S. 35).


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Anforderungen an eine barrierefreie Wohnung

Um zu verstehen, welche Anforderungen die Infrastruktur einer Wohnung bei Rollstuhlfahrern erfüllen muss, bedarf es der DIN-Norm 18040-2. Sie informiert unter anderem über die barrierefreie Gestaltung von Badezimmern [5]. Für den Eingang sieht sie Schiebetüren oder Türen vor, die sich sowohl von außen entriegeln als auch nach außen öffnen lassen. Denn: Würde die Klientin im Bad bei geschlossener Tür aus dem Rollstuhl fallen und auf dem Boden vor dem Türbereich liegen bleiben, wäre es Helfern erschwert, über eine nach innen öffnende Tür ins Bad zu gelangen.

Die Dusche sollte bodengleich und damit barrierefrei befahrbar sein. Da sich ein Rollstuhl aus hygienischen und funktionellen Gründen nicht für den Einsatz in der Dusche eignet, bedarf es einer Alternative, zum Beispiel eines Duschstuhls. Laut Leitlinie „Technische Hilfsmittel“ und DIN-Norm ist ein Duschplatz von 120 cm x 120 cm optimal [7]. Die Duschwand besteht aus schlagfestem Kunststoff oder aus bruchfestem Sicherheitsglas.

Barrierefreiheit - Das Gleichstellungsprinzip zählt

Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) besagt, dass Barrierefreiheit dadurch gekennzeichnet ist, dass die Umwelt von Menschen mit einer Behinderung genauso genutzt werden kann wie von Menschen ohne Behinderung [6].

Dies entspricht dem Gleichstellungsprinzip von Menschen mit und ohne Behinderung und schließt deshalb auch andere Personengruppen ein, die ebenfalls durch bestimmte Konstruktions- und Bauweisen benachteiligt werden könnten, zum Beispiel Senioren und Kinder. Da es sich bei §4 des BGG um eine Definition von Barrierefreiheit handelt, ist die Ausgestaltung des Gesetzes in konkreten DIN-Normen niedergeschrieben, die in die Bauordnungen der jeweiligen Bundesländer Eingang finden.

So thematisiert die DIN18040-2 die barrierefreie Planung, Ausführung und Ausstattung von Wohnungen [5].

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ABB. 3 Bei der Wohnraumberatung dürfen weder Zollstock noch DIN-Norm fehlen. Abb.: bst2012/fotolia.com (nachgestellte Situation)
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ABB. 4 Die Anordnung des WC im Sanitärraum Abb.: In Anlehnung an DIN-18040-2 [5]
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ABB. 5 Maße für ausreichend Beinfreiheit und gute Zugänglichkeit zum Waschbecken Abb.: In Anlehnung an DIN-18040-2 [5]

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Maße im Badezimmer prüfen

Frau Schiltz benötigt ein unterfahrbares Waschbecken mit Beinfreiheit. Um möglichst nah heranfahren zu können, müssen die Armlehnen des Duschstuhls niedriger als das Waschbecken bzw. abgeschrägt sein ([Abb. 5]). Die Armatur sollte vom Duschsitz aus leicht zu bedienen sein und sich in Greifhöhe (85 cm) befinden. Der Spiegel (im Optimalfall ein Klappspiegel) befindet sich unmittelbar über dem Waschtisch in einer Höhe von mindestens 100 cm. Das Zubehör für die tägliche Hygiene und Pflege ist im Greifbereich angeordnet.

Die Bewegungsfläche von 150 cm x 150 cm vor der Toilette kann je nach Anordnung der Toilette und Transferverhalten der Klientin variieren. Da es sich bei Frau Schiltz‘ Wohnung um eine Eigentumswohnung handelt, darf sie die Toilette nach ihren Vorstellungen umsetzen lassen. Bei Mietwohnungen plant man am besten einen Zugang von beiden Seiten ein sowie Stützklappgriffe auf jeder Seite der Toilette mit einer Oberkante über der Sitzhöhe von 28 cm ([Abb. 4]).


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Umbaumaßnahmen planen

Die in der DIN-Norm geforderten Raumverhältnisse stimmen kaum mit den Gegebenheiten bei Frau Schiltz überein. Folglich ist es an der Ergotherapeutin, Umbaumaßnahmen und die Versorgung mit Hilfsmitteln zu planen. Hierbei verändert sie so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig, um maximale Selbstständigkeit der Klientin zu gewährleisten. Aufgrund der engen Platzverhältnisse und des geforderten Bewegungsradius von 150 cm x 150 cm ist es bei Frau Schiltz notwendig, die Badewanne zu entfernen.

Die Ergotherapeutin hat die Möglichkeit, Produktbeispiele herauszusuchen, um der Klientin die Auswahl zu erleichtern. Die Entscheidung und die Beauftragung der Handwerker liegt bei Frau Schiltz. Einige mögliche Produkte sucht die Ergotherapeutin für die Beratung im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) oder bei REHADAT heraus (www.rehadat-hilfsmittel.de > „Versorgung, Hygiene“ > „Waschen, Baden und Duschen“).

Die Kosten für die einzelnen Produkte sind aufgrund der unterschiedlichen Ausführungen und Qualitäten individuell zu bemessen. Je nach Auswahl können sich Umbaumaßnahmen für ein Bad wie im Fall von Frau Schiltz um mehrere tausend Euro unterscheiden.


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Gesetzliche Grundlagen und Alternativen

Umbaumaßnahmen können privat oder durch externe Förderungen wie Kfw-Kredit, Pflegeversicherung, Kriegsopferfürsorge oder staatliche Institutionen finanziert werden. Wichtig ist, dass die Klientin (ggf. mit Unterstützung der Therapeutin) einen Antrag auf Übernahme der Kosten vor Beginn des Umbaus stellt, um vorab prüfen zu lassen, welche Kosten in welcher Höhe übernommen werden können. Da die Finanzierung ein komplexes Thema ist, sei Therapeuten, die hier tätig sind, empfohlen, sich zum Beispiel mit den Regelungen zur gesellschaftlichen Teilhabe und Sozialhilfe im Sozialgesetzbuch sowie mit steuerlichen Vergünstigungen und Stiftungen zu beschäftigen.

In manchen Fällen sind Umbaumaßnahmen nicht möglich. Zum Beispiel bei Mietwohnungen, geschütztem Wohnbestand, aufgrund fehlender finanzieller Mittel oder weil die Wohnung zu klein ist. Dann bleibt Klienten nichts anderes übrig, als sich nach einer neuen, geeigneten Wohnung umzuschauen. Auch hierbei bietet die Checkliste zur Wohnungsbesichtigung Unterstützung (CHECKLISTE WOHNUNGSBESICHTIGUNG). Ihre Kriterien helfen dabei, die Umgebung auf relevante Aspekte hin zu prüfen und eine Entscheidung für oder gegen eine Wohnung zu treffen.

2,9 Mio.
barrierefreie Wohnungen sind zusätzlich bis 2030 in Deutschland erforderlich.


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Freie Beobachtung reicht nicht

Ergotherapeuten sind prädestiniert für die Wohnraumberatung, da sie Wissen über medizinische Vorgänge und adaptive Verfahren verbindet [3]. Einigen fehlt auf diesem Gebiet jedoch professionelles Know-how, weshalb sie Wohnraumanalysen anhand freier Beobachtungen durchführen. Wer in diesem Bereich tätig ist, kann sein Fachwissen durch eine Fortbildung vertiefen. So bietet die Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungsanpassung e. V. eine zertifizierte Fortbildung zum Wohnberater für ältere und behinderte Menschen an. Diese dauert ein Jahr und umfasst 100 Unterrichtseinheiten Theorie sowie 30 Unterrichtseinheiten Praxis. Da sie deutschlandweit von unterschiedlichen Fachstellen für Wohnberatung angeboten wird, variieren die Kosten zwischen 1.200 Euro und 2.200 Euro.

Kathrin Matuschek

Checkliste Wohnungsbesichtigung [1]

Außerhalb der Wohnung

  • Wie ist der Aufgang zum Haus beschaffen (Stufen, Bodenbelag)?

  • Gibt es Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, die mit dem Rollstuhl/Rollator erreichbar sind?

  • Gibt es Kontaktpersonen in der Nähe (Nachbarn, Hausmeister)?

  • Ist der Briefkasten erreichbar?

  • Wie ist der Garten gestaltet (Stolperfallen)?

  • Sind die Mülltonnen erreichbar?

  • Sind öffentliche Verkehrsmittel gut zu erreichen bzw. sind Behindertenparkplätze vorhanden?

Wohnung allgemein

  • Welche Bodenbeläge sind vorhanden?

  • Sind die Türen ausreichend breit für einen Rollstuhl?

  • Können Türschwellen ggf. vom Vermieter entfernt werden?

  • Kann bei Stufen eine Rampe montiert werden?

  • Sind Fenster, Türen, Schalter und Bedienungsanlagen erreichbar?

  • Wie hoch sind die Fenster angebracht (Erreichbarkeit und Bedienbarkeit des Fenstergriffes bzw. Rollläden)?

  • Sind Möbelstücke gut erreichbar und fest montiert?

  • Sind die Lichtverhältnisse (auch nachts) ausreichend?

  • Ist die Wohnung geeignet, wenn sich die Behinderung verstärkt?

Badezimmer

  • Welcher Bodenbelag wurde gewählt?

  • Gibt es Transfermöglichkeiten?

  • Können Hilfsmittel an die Badewanne montiert werden (Badewannenlifter, Haltegriffe)?

  • Kann die Temperatur bei Durchlauferhitzern geregelt werden?

  • Sind Schrank, Pflegebedarf und Wasserhahn erreichbar?

  • Ist die Spiegelhöhe angepasst?

  • Sind die Steckdosen erreichbar?

  • Ist die Toilette freistehend?

Küche

  • Ist die Küche unterfahrbar und höhenverstellbar?

  • Ist eine Bedienung der Elektrogeräte möglich (Kühlschrank, Herd, Waschmaschine, Spülmaschine)?

  • Gibt es ausreichend Arbeitsflächen?

  • Ist der Essplatz mit dem Rollstuhl/Rollator erreichbar?

Schlafzimmer

  • Sind Lichtquellen und ein Telefon-anschluss am Bett vorhanden?

  • Ist ausreichend Raum für ein (Pflege-)Bett vorhanden?

  • Ist die Installation einer Notrufanlage neben dem Bett möglich?

Wohnzimmer

  • Sind alle Schränke mit dem Rollstuhl erreichbar?

  • Sind alle Sitzmöglichkeiten erreichbar?

Balkon/Terrasse

  • Ist die Tür ausreichend breit?

  • Ist trotz Geländer freie Sicht möglich?


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*Name von der Redaktion geändert




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Abb.: vgajic/istockphoto.com; Juanan Barros Moreno/shutterstock.com (nachgestellte Situation)
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Abb. 1 Grundriss eines Badezimmers vor den Umbaumaßnahmen Abb.: K. Matuschek nach www.onlinebadplaner.at
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ABB. 2 Grundriss des Badezimmers nach der Wohnraumanpassung Abb.: K. Matuschek nach www.onlinebadplaner.at
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ABB. 3 Bei der Wohnraumberatung dürfen weder Zollstock noch DIN-Norm fehlen. Abb.: bst2012/fotolia.com (nachgestellte Situation)
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ABB. 4 Die Anordnung des WC im Sanitärraum Abb.: In Anlehnung an DIN-18040-2 [5]
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ABB. 5 Maße für ausreichend Beinfreiheit und gute Zugänglichkeit zum Waschbecken Abb.: In Anlehnung an DIN-18040-2 [5]