Z Gastroenterol 2017; 55(08): 782
DOI: 10.1055/s-0043-114030
Leserbrief
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Leserbrief zu „Karrierewege“ (T. Sauerbruch, Z Gastroenterol 2017; 55: 501–506)

J.-Matthias Löhr
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Publication Date:
10 August 2017 (online)

Ich möchte Herrn Kollegen Sauerbruch zunächst einmal zu seinem sehr schönen Artikel gratulieren – und der Zeitschrift, dieser Arbeit den entsprechenden Platz einzuräumen.

Aus Sicht eines deutschen Gastroenterologen und Hochschullehrers, der seit 10 Jahren in Schweden arbeitet, seien mir einige ergänzende Anmerkungen erlaubt.

Die Freude am Arztberuf (des forschenden Mediziners) zu vermitteln kann schon früher beginnen: Am DKFZ wie auch hier in Stockholm gehen wir in die Gymnasien und versuchen, den wissenschaftlichen Aspekt und die Freude am Forschen zu vermitteln. So mancher entschließt sich dann zu einem Praktikum, welches karriereentscheidend sein kann. Ansonsten muss sich die begonnene Entwicklung hin zu einer „Medical School“, die auf höchstem Niveau Wissen vermittelt – und wie man es praktisch umsetzt – fortsetzen. Dies ist einer der Gründe, warum die Ausbildung in den USA und andernorts, z. B. auch hier am Karolinska Institutet, so begehrt ist und von den Studenten so geschätzt wird, spätestens, wenn sie ein paar Jahre nach Berufsbeginn dazu befragt werden. Die Kunst der Ausbildung besteht darin klar zu machen, dass die heutige Evidenz-basierte Medizin, welche als Grundlage der täglichen Arbeit als Arzt dient, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. So können Studenten für die Forschung motiviert werden.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, während des Medizinstudiums obligatorisch eine Diplomarbeit (ehemalige DDR) oder ein Forschungssemester mit Abfassung einer Abschlussarbeit (Schweden) vorzusehen. So wird jeder Student zur Forschung exponiert. Diese Arbeiten haben sicher nicht immer das Niveau einer Promotionsarbeit, lassen den Studenten aber aktiv das Forschungsmilieu erleben und geben so die Möglichkeit zu entscheiden, ob dies etwas für die weitere Karriere sein kann. Die MD/PhD-Programme, inzwischen auch in Deutschland, sind ein großer Erfolg und werden von einigen Exzellenz-Universitäten forciert: der nächste wichtige Baustein, zumal es sich um bezahlte Positionen handelt.

Die Rolle des Mentors, von Herrn Sauerbruch zu Recht mehrfach erwähnt, kann nicht hoch genug bewertet werden. Um eine gewisse Mindestanforderung zu gewährleisten, werden am Karolinska Institutet sowohl die Projekte und Betreuer der obligatorischen Forschungssemester sowie mehr noch für die PhD von Fakultätsgremien geprüft und begutachtet. Dadurch wird sichergestellt, dass die entsprechende Zielsetzung auch erreicht werden kann. Wenn es gut läuft, wird der Betreuer zum Mentor, welcher seinen Studenten langfristig als Karriereratgeber zur Seite steht. Dies trifft sicher auch in Deutschland für einen Großteil der Doktorväter (und -mütter) zu.

Ich möchte ebenfalls, aus Sicht eines Assistenzarztes und später Hochschullehrers, eine Lanze für die Fallbeschreibungen (Kasuistiken) brechen. Dies ist die hohe Schule der akademischen Medizin, mit deren Hilfe es möglich ist, den klinischen Blick zu schärfen. Es ist leider so, dass immer mehr wissenschaftliche Journale darauf verzichten, Case reports zu publizieren, weil diese in der Regel nicht unmittelbar zitiert werden und dadurch Raum wegnehmen für andere, zitierbare Arbeiten. In der Tat wird der Wert so mancher Kasuistik erst Jahre später offenbar, wenn ein entsprechender Erkenntnisgewinn das Augenmerk auf solche Einzelbeobachtungen richtet. Es gibt inzwischen aber genügend seriöse Online-Zeitschriften, die solche Kasuistiken veröffentlichen und somit zugänglich machen.

Während meiner Zeit in Deutschland hat sich die Medizin im Alltag extrem verdichtet und dieser Prozess ist weitergelaufen. Dies macht es zunehmend schwerer, die Muße zu finden, entspannt Forschung zu betreiben. In Skandinavien geht das sicherlich tendenziell besser, wenngleich auch hier sich die Dinge ändern. Forschung, insbesondere Anleitung dazu – mentoring – braucht Zeit und die entspannte Atmosphäre, die sich häufig erst nach Schluss der regulären Dienstzeit einstellt. Hier kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel: die Work-Life-Balance der „Generation Y“. Man kann diesen Ansatz nicht einfach abtun, sondern muss die Lebenswirklichkeit moderner Familien ernst nehmen, wo beide Elternteile arbeiten, sich die Fürsorge der Kinder teilen und Forschungsbesprechungen um 19 Uhr unakzeptabel sind. Hier gibt es keine einfachen Lösungen. Eine Möglichkeit besteht in dem geschützten Raum, wie er für Ärzte, die einen PhD machen, in Skandinavien besteht. Wer Forschungszeit (bezahlt) hat, der darf auch Forschen und wird nicht als Lückenstopfer im Dienstschema angesehen.