Pneumologie 2018; 72(07): 514-522
DOI: 10.1055/s-0043-118628
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erfahrungen außerklinisch invasiv und nicht invasiv beatmeter Menschen – eine systematische Literaturrecherche qualitativer Forschungen

Experiences of Patients with Invasive and Non-Invasive Home Mechanical Ventilation – a Systematic Review of Qualitative Research
V. Nelißen
Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit, Department Pflegewissenschaft
,
S. Metzing
,
W. Schnepp
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Veronika Nelißen
Universität Witten/Herdecke
Fakultät für Gesundheit
Department für Pflegewissenschaft
Stockumer Straße 12
58453 Witten

Publication History

eingereicht 24 May 2017

akzeptiert nach Revision 21 August 2017

Publication Date:
18 October 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Ziel der Studie Menschen können nach einem Lungenversagen oder aufgrund einer neurodegenerativen Erkrankung außerklinisch beatmet werden. Dies kann in verschiedenen Wohnformen erfolgen. Der vorliegende Artikel geht der Frage nach, welche Erfahrungen außerklinisch invasiv beatmete Menschen machten und wie sie ihr nun neues Leben gestalten.

Methodik Aufgrund einer systematischen Literaturrecherche wurden qualitative Studien analysiert, die die soziale Wirklichkeit außerklinisch invasiv und nicht invasiv beatmeter Menschen abbilden.

Ergebnisse Es konnten elf internationale Studien mit einem qualitativen Forschungsdesign identifiziert werden. Studien, die die Erfahrungen invasiv beatmeter Menschen in Deutschland untersuchen, fehlen bislang noch. Die Analyse führte zu den Themenfeldern: Erleben des Beatmungsbeginns, Leben mit der Beatmung, Sicherheit, Familienleben, Stigmatisierung und ein Leben in Abhängigkeit, jedoch selbstbestimmt.

Schlussfolgerung Menschen, die außerklinisch invasiv oder nicht invasiv beatmet werden müssen, fällt es schwer, sich für die Beatmung und den richtigen Zeitpunkt des Beginns der Beatmung zu entscheiden. Mit der Beatmung verbinden sie dann wieder ein positives Lebensgefühl. Um ein selbstbestimmtes und aktives Leben den Menschen auch mit einer invasiven Beatmung zu ermöglichen, ist es für Gesundheitsdienstleister wichtig, die Bedürfnisse beatmeter Menschen zu kennen und sich individuell darauf einzustellen.


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Abstract

Aim of the study Human beings can be ventilated outside of a hospital after a lung failure or due to a neurodegenerative disease. This can be done in different living conditions. This article examines the question of what experiences such patients have made with invasive home mechanical ventilation, and how they have adapted their new lives.

Methodology On the basis of a systematic literature research, qualitative studies were analyzed that depict the social reality of patients with invasive and non-invasive home mechanical ventilation.

Results Eleven international studies with a qualitative research design could be identified. Studies that investigate the experiences of patients with invasive ventilation in Germany have not yet been published. The analysis led to the following topics: experiencing the start of ventilation, living with ventilation, safety, family life, stigmatization and a life with dependence, but self-determined.

Conclusion Human beings who need to be out of hospital an invasive or non-invasive ventilation, it is difficult to decide for the ventilation and the right time to begin it. With the ventilation, they then connect a positive feeling of life. To enable a self-determined and active life to humans with invasive ventilation, it is important for health care providers to know the needs and to adapt to them individually.


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Einleitung

Mit der Weiterentwicklung der Intensivmedizin überleben immer mehr Menschen lebensbedrohliche Erkrankungen. So kam es auch in Deutschland seit dem Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts zu einer kontinuierlichen Zunahme außerklinisch beatmeter Menschen. Ursachen können z. B. in einer Insuffizienz der Lunge selbst liegen oder neurodegenerative Erkrankungen sein. Eine Unterstützung der Atmung über eine Nasen- oder Gesichtsmaske ist nicht immer ausreichend, sodass eine invasive Beatmung über ein Tracheostoma und die dort platzierte Trachealkanüle notwendig werden kann. Verlässliche Daten über die Anzahl außerklinisch invasiv beatmeter Menschen in Deutschland fehlen. Die WeanNet Study Group [1] wertete den Weaningerfolg von 6899 Patienten aus 36 zertifizierten Weaningzentren aus. Bei 22,9 % dieser Patientinnen und Patienten verlief das Weaning frustran, sie waren weiter auf eine invasive Beatmung angewiesen. Zahlen der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse[1] zeigen beispielhaft, dass es im Jahr 2010 eine deutliche Zunahme außerklinisch invasiv beatmeter Menschen gegenüber 2009 gab. So erhöhte sich die Zahl von 270 auf 407 invasiv Beatmete. 2010 stellte das Bundessozialgericht (BSG) mit seinem Urteil (B 3 KR7/09 R) vom 17.06.2010 [2] fest, dass Grund- und Behandlungspflege in der ambulanten Intensivpflege gleichrangig nebeneinander zu sehen sind. Mit diesem Urteil konnte der finanzielle Aufwand der Krankenversicherten und ihrer Familien in der ambulanten außerklinischen Intensivpflege auf ein tragbares Maß begrenzt werden. Die Sicherstellung der Finanzierbarkeit und eine Zunahme außerklinisch invasiv beatmeter Menschen um 51 % fallen in das gleiche Jahr. Danach stabilisieren sich die Zahlen, mit Stand November 2016 wurden 418 Versicherte der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse außerklinisch invasiv beatmet.

Eine Auseinandersetzung mit den Lebensumständen dieser Menschen scheint geboten. Quantitative Studien liefern bereits Ergebnisse, z. B. zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität betroffener Menschen, gemessen mit dem Assessmentinstrument Severe Respiratory Insufficiency (SRI) Questionnaire [3] [4] [5]. Standardisierte Fragebögen bilden jedoch die Perspektiven der Befragten nur auf den Fragebogen beschränkt ab und lassen Antworten unabhängig der gestellten Fragen nicht zu. Die hier vorgelegte Literaturstudie verfolgt einen lebensweltbezogenen Ansatz und geht folgenden Fragen nach: Wie erleben Menschen ihre außerklinische invasive Beatmung? Welche Erfahrungen und Handlungsstrategien werden von invasiv beatmeten Menschen beschrieben?


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Methode

Da das Erkenntnisinteresse dem subjektiven Erleben und den individuellen Erfahrungen und daraus resultierenden Handlungen gilt, stehen für diese Literaturanalyse Studien mit einem qualitativen Forschungsansatz im Zentrum. Diese sind geeignet, subjektive Erfahrungen empirisch zu untersuchen. Eine systematische Literaturrecherche in verschiedenen Datenbanken soll einen Überblick zum Forschungsstand hinsichtlich der genannten Fragestellung geben. Diese Übersichtsarbeit orientiert sich an den Empfehlungen von Montori, Swiontkowski und Cook [6] und Polit, Beck und Hungler [7]. Studien mit einem quantitativen Forschungsdesign, wie z. B. Befragungen mit einem standardisierten Fragebogen, sind auszuschließen.

Die Einschlusskriterien waren eine Mindestanzahl von zehn invasiv beatmeten Forschungsteilnehmerinnen und Forschungsteilnehmern (im Weiteren Teilnehmende) und ein Mindestalter von 18 Jahren bei Beatmungsbeginn.

Die Datenbanken PubMed, CINAHL, PsycINFO und Cochrane Library wurden durchsucht. Mit Hilfe Booleʼscher Operatoren wurden folgende Schlagworte im Titel und/oder Abstract zur Suche genutzt: invasive home mechanical ventilation (IHMV), long term home mechanical ventilation, out of hospital mechanical ventilation, domiciliary assisted ventilation, artificial ventilation, artificial respiratory, breathing invasive, tracheostomy and mechanical ventilation (TMV), tracheostomy ventilation (TV), home ventilator, ventilator-assisted individuals (VAI), technology-dependent patients, ventilator patient, ventilator dependence, ventilator tube, tracheostomy tube, respiratory care, home health care, experience. Studien mit den Begriffen newborns, pediatric, children, child wurden ausgeschlossen. Gleiches galt für Studien, die sich ausschließlich auf nicht invasive (non-invasive bzw. noninvasive) Beatmungen bezogen. Neben den Datenbanken wurden auch die Referenzen der eingeschlossenen Studien geprüft.

Die Recherche wurde im Zeitraum von April bis Juni 2016 durchgeführt und bezog sich auf deutsch- und englischsprachige Publikationen, die ab dem Jahr 2000 veröffentlicht wurden. Insgesamt konnten 851 Treffer erzielt werden. 92 identifizierte Studien befassten sich im weitesten Sinne mit außerklinisch invasiv und nicht invasiv beatmeten Menschen. Hier waren es insbesondere Studien, die mit Hilfe von standardisierten Fragebögen die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQL) der Menschen untersuchten oder die Befindlichkeit bei schwerer respiratorischer Insuffizienz erfassten (SRI). Studien, deren Fokus auf dem Lebensende und Entscheidungsprozessen zur Beendigung einer Beatmung lagen, wurden ebenfalls von der Analyse ausgeschlossen.

Es konnte noch keine abgeschlossene deutschsprachige Studie zu o. g. Fragestellung identifiziert werden. Kongressbeiträge deuten jedoch darauf hin, dass dieses Thema an Aktualität gewinnt [8] [9] [10] [11] [12]. Für die Darstellung des Vorgehens der Literaturrecherche wurde das PRISMA-Statement von Moher, Liberati, Tetzlaff et al. [13] herangezogen ([Abb. 1]).

Zoom Image
Abb. 1 Prisma Flow Diagramm [13]: Darstellung des Ein- und Ausschlussverfahrens.

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Relevante Literatur und Bewertung

Nach Ausschluss der oben beschriebenen Literatur wurden elf Studien, die mit einem qualitativen Forschungsdesign die Erfahrungen und Perspektiven invasiv und nicht invasiv beatmeter Menschen untersuchten, in die Analyse eingeschlossen. Die Anforderungen von mindestens zehn invasiv beatmeten Menschen konnten in nur zwei Studien realisiert werden. Daher fanden Studien, die invasiv und nicht invasiv beatmete Menschen untersuchten, Eingang in die Analyse. Die Bewertung der ausgewählten Artikel erfolgte mit Hilfe des Critical Appraisal Skills Programme (CASP) für qualitative Studien [14]. In allen Studien fehlt eine Beschreibung der Analyse in Bezug auf eine Datensättigung und somit ein Hinweis auf die Festlegung der Größe der Stichprobe. Die Beziehung zwischen den Forschenden und den Teilnehmenden während der Interviews ist ebenfalls nur im Ansatz beschrieben. Wenngleich in den Artikeln nicht alle Qualitätskriterien ([Tab. 1]) erfüllt werden, so kommen die Forschenden doch zu Aussagen einer besonders vulnerablen Personengruppe, die aufgrund des Mangels an Forschung überhaupt einer besonderen Beachtung bedürfen. Die qualitative Analyse und Synthese der einbezogenen Literatur erfolgte mit Hilfe der Software MAXQDA 11.

Tab. 1

Überblick zu den eingeschlossenen Studien.

Autoren

Jahr

Land

Zeitraum der Datensammlung

IV/NIV

n

w/m

Alter in Jahre

Methode

Qualitätsbewertung CASP (10 Kriterien)[14]

Diagnosen der Teilnehmenden

van Kesteren, R. G. et al.

2001

Niederlande

01/1996 bis 05/1998

26/12

n = 38

14/24

6 bis 68

semi-strukturiertes Interview, keine Auswertungsmethode benannt, VAS (visuelle analoge Skala), außerdem Befragung von 43 Familienmitgliedern

5 von 10

SMA, HMSN, ALS, Skoliose, M. Pompe, DMD, BMD, RM-Verletzung, P.P. Kyphosk., M. Dystrophie, Myopathie, Nem. Myop.

Lindahl, B. et al.

2003

Schweden

---

2/7

n = 9

6/3

27 bis 72

narratives Interview, Analyse nach Paul Ricoeur

8 von 10

eine Angabe

Brooks, D. et al.

2004

Kanada

---

16/8

2 nicht zugeordnet

n = 26

10/16

23 bis 66

semi-strukturiertes Interview, Analyse Grounded Theory

9 von 10

Polio, RM-Verletzung, DMD, SMA, CP, MD, TM, ALS

Lindahl, B. et al.

2005

Schweden

11/2001 bis 10/2002

2/11

n = 13

5/8

52 bis 81

Interview, Analyse nach Paul Ricoeur

9 von 10

Brustwanddeformität, RM-Verletzung, neuromuskuläre Erkrankung, Pickwick-Syndrom, Schlaganfall, P.P.-Syndrom, rheumatische Erkrankung

Lindahl, B. et al.

2006

Schweden

06/2002 bis 10/2003

2/11

n = 13

5/8

52 bis 81

Interview, Analyse nach Paul Ricoeur

9 von 10

s. Lindahl 2005

Ballangrud, R. et al.

2009

Norwegen

03/2006 bis 06/2006

4/6

n = 10

3/7

18 bis 75

Interview, qualitative Inhaltsanalyse

7 von 10

DMD, HMSN, SMA, MS, Limb-Girdle muskuläre Dystrophie, MD, Polio, Pickwick-Syndrom

Dreyer, P. S. et al.

2010a

Dänemark

2007

19/0

n = 19

0/19

21 bis 40

Interview, Analyse nach Paul Ricoeur

8 von 10

DMD

Dreyer, P. S. et al.

2010b

Dänemark

2007

19/0

n = 19

0/19

21 bis 40

Interview, Analyse nach Paul Ricoeur

7 von 10

DMD

Lindahl, B.

2010

Schweden

2002 bis 2006

6/29

n = 35

11 / 11

27 bis 81

Sekundärdaten, qualitative Inhaltsanalyse

7 von 10

s. Lindahl 2003, 2005

Laakso, K. et al.

2011

Schweden

06/2007 bis 05/2008

17/2

n = 19

5/14

26 bis 76

semi-strukturiertes Interview, qualitative Inhaltsanalyse

8 von 10

ALS, P.P.-Sydrom, RM-Verletzung, SMA, DMD, MD, kongenitale Myopathie, Neurofibromatose, Enzephalitis, MD, M. Morquio

Dyrstad, D. N. et al.

2013

Norwegen

2009

6/0

n = 6

3/3

37 bis 78

semi-strukturiertes Interview, qualitative Inhaltsanalyse

8 von 10

keine Angaben

ALS: Amyotrophe Lateralsklerose; BMD: Becker Muskeldystrophie; CP: Cerebralparese; DMD: Duchenne Muskeldystrophie, HMSN: Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie; MD: Muskeldystrophie; MS: Multiple Sklerose; Nem.- Myop.: Nemalin-Myopathie; Polio: Poliomyelitis; P.P. Kyphosk.: Post-Polio-Kyphoskoliose; P.P.-Syndrom: Post-Polio-Syndrom; RM: Rückenmark; SMA: Spinale Muskelatrophie; TM: Transverse Myelitis; IV: invasiv; NIV: nicht invasiv.


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Beschreibung der eingeschlossenen Studien

Die eingeschlossenen Studien thematisieren psychosoziale Fragen und Probleme beatmeter Menschen [15], erkunden, was es bedeutet, von einem Beatmungsgerät abhängig zu werden bzw. zu sein [16] [17] [18], stellen Nutzerperspektiven dar [19] [20] und das Erleben von Pflege und Betreuung zu Hause [21]. Weiterhin werden die Heimbeatmung im Zusammenhang mit körperlicher Behinderung beschrieben [22], Anregungen und Vorschläge aus vorherigen Studien zusammengefasst [23] und Faktoren identifiziert, die die Lebensqualität verbessern [24]. Lindahl, Sandman und Rasmussén [16] führten sechs bis acht Monate nach den ersten Interviews [18] Folgeinterviews mit den gleichen Teilnehmenden durch. Laakso, Markstrom, Idvall et al. [25] widmen sich in ihrer Studie ausschließlich den Kommunikationserfahrungen heimbeatmeter Menschen. Außerdem nutzt Lindahl [23] für eine erneute Datenanalyse die Interviews der Veröffentlichungen aus den Jahren 2003, 2005 und 2006. Dreyer, Steffensen und Pedersen [20] [22] nutzten die geführten Interviews für zwei Auswertungen mit unterschiedlichen Fragestellungen. Im ersten Artikel steht die invasive Beatmung, im zweiten die körperliche Behinderung im Vordergrund. In der Studie von van Kesteren, Velthuis und van Leyden [15] wurden auch Familienmitglieder befragt, diese Ergebnisse fließen in die Auswertungen nicht mit ein.

Aufgrund der Mehrfachnutzung der erhobenen Daten liegen aus neun Befragungen elf Artikel vor. Insgesamt nahmen an den Studien 140 Interviewte teil, wovon 92 invasiv und 46 über eine Maske beatmet wurden. Zwei Teilnehmenden wurde keine Beatmungsform zugewiesen. Die Interviewten werden bei Mehrfachauswertungen und wiederholten Interviews nur einmal gezählt. Die einzelnen Forschungsmethoden sind  [Tab. 1] zu entnehmen.

Die Teilnehmenden waren zwischen 18 und 81 Jahre alt, in der Studie von van Kesteren, Velthuis und van Leyden [15] waren drei Teilnehmende jünger als 18 Jahre (6, 15, 17 Jahre). 46 weibliche und 94 männliche beatmete Menschen nahmen an den Studien teil ([Tab. 1]). Die zur Beatmung führenden Diagnosen sind ebenfalls in  [Tab. 1] dargestellt.

Die hohe Zahl invasiv beatmeter Teilnehmender resultiert daraus, dass in zwei Studien ausschließlich wiederholt Patienten mit der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne (DMD) befragt wurden. Wie viele der Interviewten aus einer akuten Situation heraus oder als elektiver Eingriff tracheotomiert wurden, wird in den Studien nicht beschrieben.

Die qualitative Analyse ergab sechs Themenfelder, die im Folgenden dargestellt werden.


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Ergebnisse

Beatmungsbeginn

Der Beatmungsbeginn kann sich aus einer akuten lebensrettenden Situation heraus oder in einem schleichenden Prozess vollzogen haben [23]. In den Studien von van Kesteren, Velthuis und van Leyden [15] und Dreyer, Steffensen und Pedersen [20] wurden alle Studienteilnehmenden im Vorfeld über die Möglichkeiten einer Beatmung informiert. Ein frustranes Weaning als Ursache für die Fortführung einer außerklinischen invasiven Beatmung wird nur in der Studie von van Kesteren, Velthuis und van Leyden [15] erwähnt. Dreyer, Steffensen and Pedersen [20] beschreiben, dass sich viele Teilnehmende bewusst für eine invasive Beatmung entschieden; nur den richtigen Zeitpunkt für den Beginn dieser Beatmungsform zu bestimmen, fiel ihnen schwer. Sie spekulierten darauf, dass ein Notfall die Tracheotomie und somit die Entscheidung dafür notwendig macht. Nach dem Schritt zur Tracheotomie und dem Beginn der Beatmung stand ein Weaning nicht mehr im Raum. Manche Teilnehmende hätten sich mehr Unterstützung und Beteiligung an der Entscheidungsfindung bei einer absehbaren Beatmungsnotwendigkeit gewünscht [18] [20]. Andere wünschten sich, sie hätten sich früher für eine Beatmung entschieden [19]. Als schweres Trauma wird die Unfähigkeit der verbalen Kommunikation bei Beatmungsbeginn genannt [19] [25]. Die Teilnehmenden erleben den Beginn der Beatmung als erschreckend, weil sie diese mit einer schweren Erkrankung und dem Tod in Verbindung bringen [21]. Sie fühlen sich ausgegrenzt und haben Angst. Auch wird Abneigung gegenüber der Beatmungstechnik zum Ausdruck gebracht [23].

Den Teilnehmenden ist es wichtig, dass sie auf sie zugeschnittene und umfängliche Informationen zur Beatmung und dem weiteren Leben mit der Beatmung erhalten [15] [21] [23] [24]. Hierzu gehören positive wie negative Aspekte der Beatmung. Manche Teilnehmende wurden sehr gut informiert, andere gar nicht. Dies bezieht sich auch auf Anleitungen zur Bedienung des Beatmungsgerätes und weiterer Technik. Hier ist in der Anfangszeit eine kompetente Begleitung von großer Bedeutung [15] [21] [23]. Es wird auch Bedauern darüber ausgedrückt, dass es den Versuch einer Maskenbeatmung als Alternative zur invasiven Beatmung nicht gab [19]. Die Teilnehmenden hätten sich eine Mitsprache bei der Auswahl der Technik und einen Einbezug in weitere Entscheidungen gewünscht [16] [23] [24]. Sie stellen heraus, dass sie ernst genommen [24] und als ganzer Mensch gesehen werden möchten [23]. So wird der Einbezug in Entscheidungen, die das weitere Leben, die Behandlung und Betreuung der Teilnehmenden betreffen, als erfolgreiche Zusammenarbeit beschrieben [19] [23] [24]. Erleichternd wirkt sich dabei die Unterstützung durch Familie und Freunde aus [19].

Die invasive Beatmung wird von den Teilnehmenden, die beide Beatmungsformen kennengelernt haben, bevorzugt. Mit der Maskenbeatmung nahmen sie jeden Atemzug wahr: Er war laut, die Maske schloss nicht richtig, das Gesicht juckte und nachts wachten sie auf. Über das Atmen mit der invasiven Beatmung denken sie nicht mehr nach, sie bekommen nun endlich genug Luft. Sie gibt ihnen Sicherheit und nimmt ihnen Angst [20]. Ein Fazit der Teilnehmenden ist, dass der Beatmungsbeginn weder gefährlich noch unheimlich ist und dass niemand Angst haben sollte, es zu versuchen [20] [21].


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Leben mit einer Beatmung

Vielen Teilnehmenden ist bewusst, dass die Beatmung ihr Leben sichert, verlängert und auch Lebensqualität, Stärke und Wohlbefinden bedeutet. Es macht das Leben wieder lebenswerter, die Gesundheit und die Lebenskraft verbessern sich, sie fühlen sich aktiver und können sich besser konzentrieren als vor der Beatmung [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [23]. Die Teilnehmenden möchten ein möglichst normales Leben führen und nicht von der Beatmung dominiert werden. Freizeitaktivitäten, Familie und Freunde sind weiterhin ein wichtiger Teil des Lebens und tragen zur Zufriedenheit bei [19] [21] [22]. Sie wehren sich gegen die Annahmen Außenstehender, dass sie eine schlechte Lebensqualität, ein unproduktives und unbefriedigendes Leben hätten. Außerdem haben sie den Eindruck, dass medizinisches Fachpersonal die Lebensqualität Beatmeter insgesamt unterschätzt [19]. Manche wünschen sich, aktiver zu sein [21]. Die an DMD erkrankten Teilnehmenden meinen, die invasive Beatmung sei das Beste, was ihnen passieren konnte [20]. Die meisten Teilnehmenden würden sich wieder für eine Beatmung entscheiden [15]. Die Beatmung bedeutet aber auch, einen geschwächten Körper zu haben und nahe am Tod zu leben. Das Beatmungsgerät wird somit als „Retter“ gesehen. Es macht ein Leben zu Hause erst möglich, schützt den Körper und gibt ihm Vitalität [17].

In den Studien von Dyrstad, Hansen und Gundersen [24] und Laakso, Markstrom, Idvall et al. [25] wird die Bedeutung der Kommunikation trotz einer Beatmung überhaupt beschrieben. Der Sprachverlust führt insbesondere dann zu Frustration, wenn über den Kopf der beatmeten Menschen hinweggesprochen wird. Es wird betont, dass es wichtig sei, gehört zu werden, auch wenn es Zeit, Respekt und Verständnis für die Beatmeten erfordert. Ein langer und einsamer Kampf gehört zum Wiedererlangen der Stimme und Sprache, wenn eine Unterstützung von Seiten des medizinischen Fachpersonals fehlt. Die Teilnehmenden führen dies auf Unwissenheit der Gesundheitsdienstleister zurück [25]. Die fehlende Sprache wird als erschreckende Erfahrung beschrieben, wenn in einem Notfall keine Hilfe gerufen werden kann [20]. Ein Ausfall oder Fehler in der Bedienung oder Überwachung des Beatmungsgerätes können dann lebensbedrohlich sein [17] [20] [21].

Die Beatmung bedeutet frei und doch auch gefangen zu sein [23]. Die Teilnehmenden nehmen ein Leben in Abhängigkeit vom Beatmungsgerät hin, um weiter leben zu können [20] [21]. Gleiches gilt für eine nicht erwünschte Tracheotomie [16]. Der Wunsch zu leben führt dazu, dass verschiedene Strategien zum Überleben entwickelt und Unbequemlichkeiten und Beschwerlichkeiten überwunden werden [15]. Die Teilnehmenden möchten auch im weiteren Verlauf der Behandlung und Organisation des Lebens zu Hause in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, gleiches gilt für die Auswahl der Beatmungstechnik und Hilfsmittel [23]. Sie wünschen sich Beatmungstechnik, die klein und ansprechend ist, die sich verstecken lässt; dazu gehören auch flexible Trachealkanülen [23]. Eine gute Beatmungstechnik verbessert die Lebensqualität [17] [19]. Die Beatmung wird im weiteren Verlauf nicht mehr mit einer schweren Krankheit in Verbindung gebracht [21]. Das Beatmungsgerät wird vom Feind zum Freund [15] [18] [20]. Andere sehen das Beatmungsgerät als einen Teil der Ausrüstung, ein weiteres Hilfsmittel, wie beispielsweise ein Rollstuhl [17] [19] [20]. Das Leben mit einer Beatmung ist zwar zeitaufwendig, wird aber zur Routine [19]. Für die Möglichkeit einer Heimbeatmung sind die Teilnehmenden dankbar [21]. Zu Hause statt in einer Pflegeeinrichtung mit einer Beatmung zu leben, verbinden die Teilnehmenden mit Lebensqualität. Sie fühlen sich von anderen weniger abhängig und können ihren Routinen und Aktivitäten weiter nachgehen [21] [24]. Andere wieder fühlen sich aufgrund der Technik auch zu Hause eingesperrt [23]. Den Teilnehmenden ist bewusst, dass ein enger und guter Kontakt zum Gesundheitssystem gebraucht wird, der oft nicht gegeben ist. Sie wissen, dass sich ihre Krankheit im Laufe der Zeit verschlechtern wird [17] [23]. Sie leben in der Gegenwart, die Zukunft ist unsicher und für sie nicht von Bedeutung [15] [17].

Um soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten, wird für die Kommunikation beispielsweise der PC genutzt [22]. Das Internet spielt bei einer eingeschränkten Mobilität als Zugang zur Außenwelt eine große Rolle [19].


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Sicherheit

Vertrauen in die Kompetenz des eigenen Assistenzpersonals (gemeint sind Pflegefachkräfte und Pflegehilfskräfte) stellt für die Teilnehmenden die Basis für ein Gefühl der Sicherheit in der häuslichen Betreuung dar. Dazu gehören ein festes Pflegeteam mit gut ausgebildetem Assistenzpersonal und ein Mitspracherecht bei der Personalauswahl [15] [21] [23] [24]. Es wird darauf hingewiesen, dass es helfen würde, wenn das Assistenzpersonal seine Grenzen kennen und benennen würde [23]. Die Teilnehmenden beschreiben ein fehlendes Fachwissen der Gesundheitsdienstleister in Bezug auf die Beatmung. Verbunden mit einem mangelhaften Pflegemanagement, ungenügender Vorbereitung auf neue außerklinisch Beatmete und fehlendem Einfühlungsvermögen führt dies zu einer schlechten Versorgung [16] [19] [23] [24]. Lindahl, Sandman und Rasmussén [16] sprechen in diesem Zusammenhang von “suffering by/from care”. Es werden aber ebenso sich um die Beatmeten sorgende Menschen beschrieben. Die Qualität der professionellen Pflege wird von ausgezeichnet bis hin zu wenig Vertrauen in die erbrachten Leistungen und Kompetenzen beschrieben, was den Teilnehmenden ein Gefühl von fehlender Sicherheit oder Ausgeliefertsein vermittelt [15] [16] [19] [23] [24]. Sie haben den Eindruck, dass das Assistenzpersonal an den Erfahrungen der beatmeten Menschen nicht interessiert ist. Dabei könnten sie voneinander lernen [15]. Verschiedene Teilnehmende weisen ihr Assistenzpersonal selbst oder mithilfe ihrer Familie ein. So können sie sicher sein, dass ihre Bedürfnisse auch vermittelt werden. Die Kompetenz des Assistenzpersonals wird an der Fähigkeit, auf die Bedürfnisse des Beatmeten einzugehen, gemessen [21] [23]. Zu großer Unsicherheit führt, wenn sich das Assistenzpersonal nur auf das Beatmungsgerät konzentriert [24]. Gut qualifiziertes Personal, das die Kenntnisse und Erfahrungen Beatmeter anerkennt und ihre Patientinnen und Patienten unterstützt, trägt wesentlich zur Lebensqualität bei [19]. Manche beatmete Menschen halten das Beatmungsgerät für zuverlässiger als das Assistenzpersonal, weil es nicht krank wird oder den Arbeitsplatz wechselt [16] [17]. Ballangrud, Bogsti und Johansson [21] beschreiben unter den Teilnehmenden zum einen eine Zufriedenheit mit dem Beatmungsequipment, zum anderen werden aber auch Probleme geschildert, die ein Ersatzteillager zu Hause erforderlich machen. Ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen in andere ist notwendig, um das Zuhause überhaupt verlassen zu können [17] [19]. Bei den Eltern zu leben, gibt jungen Erwachsenen Sicherheit, weil diese die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kinder am besten kennen [15] [22].

Die tracheale Absaugung stellt eine besondere Vertrauenssituation dar. Hierin ist die permanente Anwesenheit des Assistenzpersonals bei invasiv Beatmeten begründet, weil die Absaugung jederzeit notwendig werden kann [15] [19] [20]. Die Teilnehmenden sehen jedoch große Unterschiede in der Durchführung [15] [20] und haben Sorge, dass das Assistenzpersonal dem nicht gewachsen ist [21]. Bei einer Krankenhauseinweisung wird trotzdem am liebsten das eigene Assistenzpersonal mitgenommen. Die Teilnehmenden können sich nicht vorstellen, dass das Pflegepersonal im Krankenhaus auf ihre Wünsche eingeht [20]. Sie haben Angst davor, dass das Klinikpersonal den Umgang mit beatmeten Menschen noch gar nicht kennt und ihnen somit das notwendige Wissen fehlt. Sie sind sich jedoch ihrer Ängste und Vorurteile bewusst und möchten gegenüber anderen offen bleiben [17]. Sicherheit bietet ein leicht zugänglicher Kontakt zu medizinischem Fachpersonal bzw. die jederzeit mögliche Erreichbarkeit des Beatmungszentrums, was wieder Vertrauen schafft [15] [18] [21] [23]. Es hilft aber auch, einfach nur ein Ersatzbeatmungsgerät zu Hause zu haben [17] [23]. Gut ausgebildetes Personal und die Familie machen Krankenhauseinweisungen weniger notwendig [17].


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Familienleben

In den Studien wird die Bedeutung der Familie, Freunde und des Assistenzpersonals angesprochen. Diese soziale Bindung trägt wesentlich zur Lebenszufriedenheit der Beatmeten bei [15] [18] [19] [21]. Als erschwerend für das Familienleben wird die 24-Stunden-Präsenz des Assistenzpersonals gesehen. So wird aus dem eigentlichen Zuhause ein Arbeitsplatz [16] [24]. Das Zuhause als privater Raum geht verloren und mit ihm ein Gefühl von Freiheit und Sicherheit. Es kann sich in einen Ort verwandeln, in dem der Blick und die Kontrolle durch die Gemeinschaft auf das Assistenzpersonal fehlen und die betreuten Personen riskieren, eingesperrt und ausgeschlossen zu sein [16]. Umso wichtiger wird die vertrauensvolle Beziehung zum Assistenzpersonal. Sie sollen zur gleichen Zeit anwesend und auch nicht anwesend (nicht sichtbar) sein [21]. Den Befragten fällt es schwer, sich an den Verlust der Privatsphäre zu gewöhnen [25].

Es wird beschrieben, dass die Beatmung zur sozialen Isolation sowohl für die beatmeten Menschen wie auch für die Familien führt [15]. Die Belastung für die Familie nimmt je nach Schweregrad der Erkrankung des Beatmeten zu, sodass die Teilnehmenden sich auch um die gesunde Partnerin oder den Partner sorgen [15].


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Stigmatisierung

Die Erfahrungen zeigen, dass Rollstuhlabhängigkeit und Beatmung mit einem Stigma verbunden werden, besonders im Zusammenhang mit der Absaugung. Teilnehmende hatten das Gefühl, einen geringeren Wert zu haben. Dies erschwerte anfangs die Anpassung an die Beatmung. Die Stigmatisierung verbunden mit negativen Annahmen über Menschen mit Behinderungen nahm zu, je sichtbarer der Einsatz einer Heimbeatmung in der Öffentlichkeit wurde [19]. Dazu gehörte, dass Pflegekräfte über den Kopf des Beatmeten hinweg sprachen und ihn behandelten, als ob er geistig beeinträchtigt wäre, ihn bemitleideten [19] [22] [24] oder ihn in seiner Entscheidungsfreiheit beschränkten [18]. Diese Vorurteile erschweren die sozialen Beziehungen [22]. Sich von der Gesellschaft ausgeschlossen zu fühlen, wird auch dadurch hervorgerufen, dass behindertengerechte Zugänge fehlen [22]. Die Teilnehmenden beschreiben außerhalb der Familie ein fehlendes Verständnis für ihre Situation [15].


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Ein Leben in Abhängigkeit, jedoch selbstbestimmt

Im Zusammenhang mit dem Beatmungsbeginn werden eine größere Abhängigkeit von persönlicher Unterstützung, Beatmungsequipment und der Verlust des Arbeitsplatzes thematisiert [19]. Mit der Stabilisierung der Gesundheit und neuer Kraft entstehen neue Lebensstile, und insgesamt verbessert sich die Lebenssituation [19].

Zur persönlichen Unabhängigkeit gehört, sich frei bewegen zu können, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem eigenem Auto zu fahren und mobil zu sein [19] [21]. Beatmet zu sein bedeutet, trotzdem selbstbestimmt leben zu können und Entscheidungen selbst zu treffen [21]. Die Beatmeten möchten am Leben teilhaben und ihren Beitrag dazu leisten [19]. Die Organisation der Freizeit setzt Organisationsgeschick und viel Zeit für die Organisation selbst voraus. Eine Beatmung setzt z. B. beim Reisen Einschränkungen, die Reisen zu planen ist sehr anstrengend und aufwendig [21] [23].

Als ein Problem der Abhängigkeit wird gesehen, die Wohnung verlassen zu wollen, aber keine qualifizierte Begleitung zu haben [15] [17] [19]. Gleiches beschreiben Lindahl, Sandman und Rasmussén [16] und Lindahl [23] in Bezug auf den Transport und das Equipment, was ein Gefühl von Eingesperrtsein verursacht. Die Abhängigkeiten von anderen Menschen aufgrund körperlicher Behinderungen sind extrem, die Beatmung selbst steht dabei nicht im Vordergrund. Sie sind abhängig bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens [15] [19] [22]. Unterstützend wirken da die Familie, Gesundheitsdienstleister und ein sicheres Einkommen [15]. Die Teilnehmenden sind jedoch unabhängig in der Anleitung ihrer Gesundheitsdienstleister und haben einen Einfluss darauf, wie die Handlungen, z. B. das Absaugen, durchzuführen sind [17] [22]. Selbstbestimmt zu sein und die Kontrolle zu behalten, haben einen großen Einfluss auf die Lebensqualität [21]. Dreyer, Steffensen und Pedersen [22] sprechen in diesem Zusammenhang von einer „unabhängigen Abhängigkeit“, die Betroffenen selbst sehen sich nicht als abhängig. Sie haben alles, was sie für ein sinnvolles Leben brauchen [15].


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Diskussion

Aus den Studien konnten subjektive Erfahrungen mit den unterschiedlichen Beatmungsformen, auftretenden Problemen und Schwierigkeiten sowie daraus entwickelten Lösungsstrategien in der Versorgung herausgearbeitet und analysiert werden. Die Beatmung konnte sowohl elektiv als auch als akutes Ereignis beginnen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Betroffenen mehr Unterstützung und Informationen von Seiten der Gesundheitsdienstleister brauchen, um auf eine absehbare Beatmung vorbereitet zu sein. Das Überraschtsein von der gewonnen Lebensqualität zeigt, dass der Beatmung ein Leidensweg vorausgegangen sein muss und dass die wenigsten Beatmungen auf eine neue akute Erkrankung zurückzuführen sind. Die Zeit für eine Vorbereitung auf eine anstehende invasive wie nicht invasive Beatmung scheint vorhanden gewesen zu sein. In der Studie von Lindahl, Sandman und Rasmussén [16] stellen zwei Teilnehmende die Beatmung ein, um die Familie nicht zu belasten. Das Leben geht trotzdem weiter. In den Studien wird eine Reversibilität der begonnenen Beatmung nicht thematisiert. Weaning-Versuche werden in der Folge der außerklinischen Beatmung nicht erwähnt.

Die anfangs fehlende Sprache und die mangelhafte Unterstützung beim Wiedererlangen der eigenen Stimme zeigen eine fehlendes Verständnis für die Bedeutung des Sprechens auf Seiten der Gesundheitsdienstleister. Nicht sprechen zu können, grenzt den beatmeten Menschen zusätzlich aus und macht ihn noch hilfloser und abhängiger von anderen. Die Auseinandersetzung mit den fachlichen Fähigkeiten des Assistenzpersonals wird in allen Studien thematisiert. Lindahl, Sandman und Rasmussén [17] diskutieren jedoch, dass ein sicheres Leben zu Hause erst möglich sei, weil es Pflegefachkräfte mit besonderen Qualifikationen gibt.

Die Selbstbestimmung stellt einen wesentlichen Part im Leben der Befragten dar. Sie möchten selbst entscheiden, wo und wie sie weiter leben und welche Beatmungstechnik beispielsweise zum Einsatz kommt [19] [20]. Der Wunsch nach besseren und flexibleren Hilfsmitteln zeigt, dass Gesundheitsdienstleiter wissen sollten, welche Produkte überhaupt zur Verfügung stehen, um entsprechend beratend tätig werden zu können. Ballangrud, Bogsti und Johansson [21] weisen darauf hin, dass chronisch kranke Menschen heute sehr gut über ihre Krankheit informiert sind und dass sie als aktive Partnerinnen und Partner gesehen werden wollen. Sie besitzen ein großes Maß an Wissen zur Beatmung, zum Equipment und zu ihren Rechten und wünschen eine Diskussion auf Augenhöhe. Eine Ambivalenz der Teilnehmenden wird deutlich, indem sie zu erkennen geben, dass Beatmung frei sein und doch auch gefangen sein, abhängig und gleichzeitig unabhängig zu sein bedeuten kann, dass das Assistenzpersonal anwesend und zur gleichen Zeit auch nicht anwesend sein soll [21] [23]. Dreyer, Steffensen und Pedersen [22] beschreiben Abhängigkeit im Zusammenhang mit der DMD als nicht unvereinbar mit der Unabhängigkeit.

Feststellen lässt sich aufgrund der Aussagen, dass der Komfort und die Zufriedenheit bei den invasiv beatmeten Menschen höher erscheinen als bei den nicht invasiv Beatmeten. Wenngleich lebensbedrohliche Situationen zum Leben tracheotomierter Menschen gehören, so wiegt die neu empfundene Lebensqualität dies jedoch auf. Die beschriebene Lebensqualität ist etwas, was die Befragten als solche empfinden. Sie wurde nicht mithilfe eines standardisierten Fragebogens erhoben. In der Studie von Brooks, King, Tonack et al. [19] betrachten sich die Teilnehmenden beispielsweise als gesunde Menschen mit einem erfüllten Leben.

Der Wunsch zu leben ist so groß, dass beatmete Menschen bereit sind, alle negativen Aspekte der Beatmung und das Fortschreiten der Erkrankung anzunehmen. Eine psychosoziale Begleitung der Familie und der Beatmeten ist insbesondere bei einer Beatmung über das Tracheostoma wünschenswert [15]. Die Einstellungen zum Leben insgesamt ändern sich mit dem Fortschreiten einer Krankheit. Mit der beschriebenen guten Lebensqualität wird gezeigt, dass es entgegen der Meinungen gesunder und in ihren Fähigkeiten nicht eingeschränkter Menschen möglich ist, trotz Beatmung ein produktives und befriedigendes Leben zu führen [19]. Hier scheint es, muss ein Umdenken in der Gesellschaft und insbesondere bei den Gesundheitsdienstleistern erfolgen.

Die analysierte Literatur leistet für Gesundheitsdienstleister insgesamt einen wichtigen Beitrag, um ein anderes und größeres Verständnis für (invasiv) beatmete Menschen zu entwickeln, Probleme zu erkennen, mit diesen besser umzugehen und der Versorgung dieser vulnerablen Menschen einen anderen Stellenwert beizumessen. Die Aussagen aus den Studien stabilisieren sich gegenseitig und verleihen so jeder einzelnen Studie mehr Bedeutung und Aussagekraft [6]. Diese Literaturanalyse beschreibt die Perspektiven und Erfahrungen außerklinisch invasiv und nicht invasiv beatmeter Menschen in verschiedenen Ländern. Die Erfahrungen der Menschen ähneln sich dabei sehr. Inwieweit die Ergebnisse auf beatmete Menschen in Deutschland übertragen werden können, müssen Studienergebnisse erst noch zeigen.

Um die Perspektiven und Erfahrungen außerklinisch invasiv beatmeter Menschen besser zu kennen, sind Studien notwendig, die sich ausschließlich auf diese Zielgruppe beziehen. Trotz aller Schwierigkeiten, mit invasiv beatmeten Menschen zu kommunizieren oder gar ein Interview zu führen, sollte die Möglichkeit genutzt werden, um dieser vulnerablen Gruppe eine Stimme zu geben und unser Bewusstsein für die Bedürfnisse dieser Menschen zu sensibilisieren.


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Limitationen

Die qualitative Synthese der Literatur zeigte die Problematik, Ergebnisse nicht immer den invasiv beatmeten Menschen zuordnen zu können. Nur drei Studien [20] [22] [24] beziehen sich ausschließlich auf invasiv beatmete Menschen. An den Studien von Lindahl, Sandman und Rasmussén [16] [17] [18] nahmen jeweils nur zwei invasiv beatmete Menschen teil. Eine Unterscheidung in invasiv und nicht invasiv beatmete Menschen schien für die Autoren nicht von Bedeutung zu sein. Eine invasive Beatmung stellt jedoch mit der Anlage eines Tracheostomas einen Eingriff in den Körper dar. Die Abhängigkeit vom Beatmungsgerät ist in der Regel größer, und eine Lebensbedrohlichkeit kann durch eine zu späte oder fehlende Intervention von Seiten des Assistenzpersonals schnell entstehen.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Die Studie wird finanziell nicht unterstützt.

1 Die Zahlen wurden dankenswerter Weise von der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse zur Verfügung gestellt (Stand November 2016). Die AOK Nordost – Die Gesundheitskasse betreut Krankenversicherte in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.


  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Veronika Nelißen
Universität Witten/Herdecke
Fakultät für Gesundheit
Department für Pflegewissenschaft
Stockumer Straße 12
58453 Witten

  • Literatur

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Abb. 1 Prisma Flow Diagramm [13]: Darstellung des Ein- und Ausschlussverfahrens.