manuelletherapie 2017; 21(05): 200
DOI: 10.1055/s-0043-121556
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief zu: Chorherr I et al. Positionspapier: Fachgerechte Durchführung der Manipulation an der Wirbelsäule durch Physiotherapeuten. manuelletherapie 2017; 21: 101–104

Jochen Schomacher
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Publication Date:
22 December 2017 (online)

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Das Positionspapier beschreibt einen Konsens von 4 Autoren zur Durchführung der Manipulation – 4 von vielen, die diese Technik anwenden. Leider fehlt eine Beschreibung des (vorgestellten) Wirkmechanismus der Manipulation, mit dessen Hilfe spezifische Indikationen und mögliche Vorteile gegenüber anderen Techniken wie der Mobilisation erklärt werden könnten.

Laut Literatur bewirkt die Manipulation eine Aktivierung des den Schmerz lindernden Systems [1,] [7,] [8,] [9,] [10,] [14,] [15]. Das scheint nicht von der Spezifität der Technik abzuhängen. So schreiben die Cochrane Reviews explizit, dass die Manipulation bei Rücken- [12,] [13] und Nackenschmerzen [4] gleich wirke wie die Mobilisation. Zudem scheint es gleich zu sein, wo die Manipulation z. B. für Nackenschmerzen durchgeführt wird: im symptomatischen Segment oder entfernt davon [2,] [3,] [5,] [6].

Bei welchen Indikationen soll dann eine Manipulation besser sein als andere Techniken, die ebenfalls das den Schmerz lindernde System aktivieren? Die Behauptung der Autoren, Mobilisation würde in der Basisausbildung „für nicht komplexe Situationen“ gelehrt (S. 103), erscheint folglich unbegründet. Sie könnte den Eindruck erwecken, dass für „komplexe Situationen“ die Manipulation besser sei. Dafür aber fehlen meines Wissens Hinweise in der Literatur. Diese fehlen auch für die Wirkung der Manipulation auf neurovegetative Störungen, die laut Meinung größer sei als nach Mobilisation.

Niemand bezweifelt, dass die Manipulation Schmerzen lindern kann. Ebenso bezweifelt keiner, dass Klavierspielen schöne Musik erzeugt. Doch um ein guter Pianist zu werden, muss man jahrelang täglich viel üben und Talent haben. Beides weisen Therapeuten auf, die wie Kaltenborn gut manipulieren können. Doch ermöglichen das die gegenwärtigen Ausbildungsprogramme zur Manipulation? Und ist der Aufwand nötig, wenn andere Techniken leichter zu erlernen sind und gleich wirken?

Im von den Autoren erwähnten Informed consent, müsste der Therapeut den Patienten vor die Wahl stellen zwischen einer Manipulationstechnik, die Risiken von Lähmungen bis hin zum Tod einschließt und anderen laut Wissenschaft gleichwertigen Techniken ohne solche Risiken. Wird das so offen und direkt kommuniziert? Welcher Patient würde dann noch die Manipulation wählen?

Trägt eine Manipulation zum „Empowerment“ und zur Selbsthilfe des Patienten bei oder verleiht sie dem Therapeuten ein unbegründetes Exklusivitätsgefühl?

Viele Fragen zur Manipulation bleiben offen!