Schlüsselwörter Mikrobiologische Therapie - Allergie - Mikrobiota - Mikrobiom - Intestinum - Schleimhaut
- Mukosa-Immunsystem
Key words Microbiological therapy - allergy - microbiota - microbium - intestine - mucous membrane
- mucosa immune system
Abb. 1 In der Darmschleimhaut befinden sich 10–100 Billionen Bakterien, die rund 400 Bakterienarten
angehören. (© foliaxrender/Adobe Stock)
Mikrobiota und die Mikrobiologische Therapie
Mikrobiota und die Mikrobiologische Therapie
Der Begriff menschliches Mikrobiom hat sowohl in der Wissenschaft als auch in der
breiten Öffentlichkeit in letzter Zeit große Aufmerksamkeit gefunden. Er bezeichnet
die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den Menschen besiedeln. Die permanente Präsenz
einer unvorstellbar großen Anzahl von Mikroorganismen ist kein Zufall und weder schlecht
noch gefährlich für den Menschen, wie immer noch vielfach vermutet wird. Der Mensch
ist vielmehr ein komplex regulierter Gesamtorganismus aus dem Wirtsorganismus „Mensch“
und seiner individuellen Mikrobiota. Diese „Existenz als biologisches System“ stellt
keine Ausnahme dar. Vielmehr wissen wir inzwischen, dass alle Lebewesen auf der Erde,
also auch alle pflanzlichen und tierischen Lebensformen, sich evolutionär in symbiotischer
Lebensweise mit ihren arteigenen Mikroorganismen entwickelten. Im engeren Sinn steht
der Ausdruck „Mikrobiom“ aber für die Gesamtheit aller mikrobiellen Gene bzw. für
das mikrobielle Genom eines Organismus – und unterscheidet sich damit vom Begriff
„Mikrobiota“, der die Gesamtheit aller seiner lebenden Mikroorganismen bezeichnet.
Die Erforschung der menschlichen Mikrobiota und ihres Mikrobioms erfuhr in den letzten
Dekaden durch die Nutzung moderner Sequenzierverfahren einen enormen Zuwachs an Erkenntnissen.
Insbesondere die schon lange Zeit vermuteten Zusammenhänge mikrobieller Signale mit
den menschlichen Regulationsebenen werden immer klarer. Entsprechend groß ist die
Bedeutung der Zusammensetzung der menschlichen Mikrobiota für eine Vielzahl von Erkrankungsbildern:
Entspricht ihre Zusammensetzung nicht physiologischen Mustern (quantitative und qualitative
Dysbiose), fehlen dem Körper auch die zugehörigen, wichtigen Signale für seine Regulationsebenen.
Es folgen Ausgleichsreaktionen, die häufig in Krankheit münden. Auf der anderen Seite
ergeben sich hier bisher viel zu wenig wahrgenommene Möglichkeiten einer therapeutischen
Intervention – und noch viel mehr der Prävention. Rein wissenschaftlich stecken die
Möglichkeiten therapeutischer Interventionen mit Bakterien und bakteriellen Bestandteilen
erst in ihren Kinderschuhen, auf empirischem und experimentellem Wissen basierend,
existieren jedoch mit der sogenannten Mikrobiologischen Therapie schon seit über 100
Jahren therapeutische Herangehensweisen an eine Vielzahl von Beschwerdebildern. Insbesondere
solche des atopischen Formenkreises zählen fast traditionell zu den typischen Indikationen
für die Mikrobiologische Therapie: Hintergrund ist die enge Verknüpfung immunologischer
Reaktionen mit der Integrität des menschlichen „Schleimhautorgans“, unserer riesigen
inneren Grenzfläche zur Außenwelt. Genau hier findet das enge Zusammenspiel zwischen
Mikrobiota und dem menschlichen Organismus statt. Ohne die individuelle Mikrobiota,
vor allem die des Intestinums (aber auch der übrigen Schleimhautabschnitte), kann
der Mensch kein Immunsystem entwickeln. Physiologische Verhältnisse im Grenzraum,
im mikrobiellen Milieu, an der Schleimhaut und dem angrenzenden Mukosa-Immunsystem
(MIS) sind die maßgeblichen Stellgrößen für Gesundheit. Oder, im Falle von dysbiotischen
Verhältnissen, für eine Entwicklung immunologischer Abwehrreaktionen, die gravierende
Störungen nach sich ziehen können. Diese reichen von Verdauungsproblemen bis hin zu
zentralnervösen Beschwerdebildern, sehr häufig aber münden sie in einer allergischen
Reaktion.
Durch den Einsatz lebender probiotischer Kulturen, deren Lysate oder Stoffwechselprodukte
im Rahmen der Mikrobiologischen Therapie, können bei allergischen Reaktionen in erster
Linie milieustabilisierende, aber auch gezielte immunmodulierende Effekte erzielt
werden. Das therapeutische Ziel ist, über eine Stabilisierung der Verhältnisse im
Grenzraum und am Schleimhautorgan die überschießenden Abwehrreaktionen des MIS einzudämmen.
Die Mikrobiologische Therapie stellt damit die ideale Therapieoption bei allergischen/atopischen
Krankheitsbildern als Folge dysbiotischer Veränderungen im Schleimhautorgan dar, die
auch präventiv vielversprechend eingesetzt werden kann.
Prägung und Entwicklung des Immunsystems
Prägung und Entwicklung des Immunsystems
Die Entwicklung einer allergischen Reaktionsbereitschaft ist kein genetisch bestimmtes
Schicksal. Ob ein Mensch zum Allergiker wird, hängt vielmehr von verschiedenen Faktoren
ab, die unsere Resilienz und Toleranz gegenüber der Umwelt modulieren. Die Entwicklung
und Prägung des Immunsystems wird von bestimmten Einflüssen bestimmt, die bereits
intrauterin beginnen. Hier wird bereits maßgeblich die spätere „Funktionslage“ des
Immunsystems bestimmt. Mindestens genauso wichtig wie die genetische Veranlagung sind
dabei beispielsweise die mütterlichen immunologischen Signale (speziell: besteht bei
der Mutter ebenfalls eine proinflammatorische Situation des Immunsystems? Besteht
bei der Mutter eine enterale Dysbiose?), die Art der Geburt, ob das Kind gestillt
oder mit Flaschennahrung gefüttert wird und eine eventuell zu frühe Beikostfütterung
[1 ]. Auch Impfungen in diesem sensiblen Lebensabschnitt oder die Art und Weise der Behandlung
früher Infekte haben aller Wahrscheinlichkeit nach größeren Einfluss auf die Entwicklung
einer chronischen Entzündungsbereitschaft als bisher allgemein angenommen.
In den weiteren Lebensabschnitten rücken negative Umwelteinflüsse ins Bild, die zu
einer Störung der Barrierefunktion, Veränderung des mikrobiellen Milieus, aber auch
zu einer direkten Beeinflussung des Immunsystems und Stoffwechsels führen. Neben möglichen
Belastungen mit Toxinen, chemischen Stoffen oder Schwermetallen muss hier als erstes
an die Einflüsse der Ernährung mit konventioneller Kost gedacht werden: Die Grundnahrungsmittel
der „westlichen“ Kost stellen zwei Lebensmittel dar, die für unseren Organismus auf
mehreren Ebenen hochproblematisch sind: Kuhmilchprodukte sowie Lebensmittel aus glutenhaltigen
Getreidesorten. Bestimmte Inhaltsstoffe wirken unter bestimmten Voraussetzungen proinflammatorisch
(Getreidesorten enthalten z. B. verschiedene pflanzeneigene „Fraßgifte“, die aufgrund
züchterischer Einflüsse mittlerweile vermehrt im Mehl vorhanden sind [4 ] [5 ] [6 ] [7 ] [9 ] [12 ]).
Intrauterine mikrobielle Besiedlung
Die mikrobielle Besiedlung eines Kindes beginnt bereits intrauterin. Über die Schleimhaut
gelangen mikrobielle, immunprägende Elemente zum MIS, dann via Plazenta ins Fruchtwasser.
Dort werden sie aufgenommen und bereiten das kindliche Immunsystem auf die Umwelt
vor. Daneben modulieren direkte immunologische Signale (z. B. regulative T-Zellen,
Antikörper, Exosome mit spezifischer MikroRNA) über das Nabelschnurblut die Balance
des Immunsystems. So verfügen Neugeborene normalerweise bereits über einen ausreichenden
Schleimhautschutz durch eine mikrobiell durchsetzte Mukusschicht (Biofilm) sowie sekretorisches
Immunglobulin A (sIgA) und ß-Defensin 2. Sie können auf bestimmte Reize sowohl pro-
als auch antientzündliche Zytokine bilden. Bei einer Ernährung mit Muttermilch wird
die mikrobielle Besiedlung durch über 600 verschiedene physiologische Mikroorganismen
in der Muttermilch sowie die immunologische Prägung durch mütterliche immunologische
Signale (s. o.) fortgesetzt. Durch die Zufuhr von mütterlichem sIgA sind gestillte
Säuglinge zusätzlich vor Umwelteinflüssen, die das kindliche Immunsystem in dieser
Phase noch überfordern würden, geschützt.
Bei einem unkomplizierten Schwangerschafts- und Geburtsverlauf sind Kinder also bestens
auf die verschiedensten Umwelteinflüsse vorbereitet. Leidet die Mutter hingegen z.
B. an einem chronisch-entzündlichen Krankheitsbild, unter Komplikationen in der Schwangerschaft,
besteht eine Dysbiose oder werden in der Schwangerschaft oder Stillzeit chemisch-pharmazeutische
Arzneimittel, insbesondere Antibiotika, eingesetzt, hat das einerseits direkt einen
erheblichen negativen Einfluss auf die Entwicklung des kindlichen Immunsystems, andererseits
aber auch auf die Entwicklung des Milieus und der Grenzfläche sowie der Funktionsfähigkeit
und Integrität des Schleimhautorgans mit anhängendem MIS. Stuhlanalysen Neugeborener
(Mekoniumanalysen) zeigten in solchen Fällen bereits stark erhöhte schleimhautassoziierte
Entzündungsmarker (z. B. Calprotectin, Lysozym, Histamin), die auf vermehrte entzündliche
Aktivitäten im kindlichen Schleimhautorgan schließen lassen ([
Abb. 2
]).
Abb. 2 Mekoniumanalyse mit deutlichen Anzeichen entzündlicher Schleimhautaktivität.
Diese Kinder wurden bereits mit einem „brennenden Darm“ geboren. Schon physiologischerweise
sind die interepithelialen Haftkomplexe (syn. Tight Junctions) beim Neugeborenen noch
nicht geschlossen. Besteht zusätzlich bereits bei der Geburt eine entzündliche Aktivität,
wird dadurch auch die Entwicklung der mukosalen Barrierefunktion erheblich erschwert
und verzögert ([
Abb. 3
]).
Abb. 3 Epithelialer Zellverband mit verschiedenen Haftkomplexen. (© Angèla Ellwanger)
Wird der Säugling zudem dann mit kuhmilchbasierter Säuglingsnahrung gefüttert, kommt
es u. a. zu einem unkontrollierten Einstrom von Fremdproteinen in die Lamina propria.
Eine immunologische Abwehrreaktion, die primär von den zahlreichen subepithelial liegenden
Mastzellen ausgeht, ist die unweigerliche Folge. Es werden vermehrt Histamin, aber
auch andere Mediatoren wie Heparin, Zytokine, Tryptasen, Serotonin u. a. freigesetzt,
was wiederum entzündlichen Stress an der Schleimhaut bedeutet. Im Rahmen dieser primär
dem angeborenen Immunsystem (Th1) zugeschriebenen Abwehrreaktion kommt es im weiteren
Verlauf auch zur Bildung von Antikörpern, zunächst der Klasse IgG 1–3. Das kindliche
Immunsystem wird damit also bereits am Lebensanfang in eine Abwehrsituation gedrängt,
die der Wahrung und Wiederherstellung seiner Integrität dienen soll. Wirft man die
genannten weiteren Einflussfaktoren sowie die dadurch zwangsläufig unphysiologische
Entwicklung der Säuglingsmikrobiota mit in die Waagschale, wird klar, dass der Organismus
unter Umständen diese Situation nicht mehr ausgleichen kann.
Entwicklung einer Allergie
Entwicklung einer Allergie
Mit diesen Überlegungen zum Lebensanfang wird deutlich, wie wichtig eine ungestörte
Schwangerschaft, eine natürliche Geburt und eine "artgerechte“ Ernährung sind. Blickt
man auf eine sich entwickelnde allergische Reaktion, kann in dieser Zeit völlig unabhängig
von genetischen Vorgaben bereits der Grundstein für eine "Allergikerkarriere“ gelegt
werden. Die beschriebenen Betrachtungen verdeutlichen, dass die ursprüngliche Bedeutung
einer allergischen Reaktion die Initiierung einer Entzündung zum Schutze des Körpers
darstellt. Es sind prinzipielle, sinnvolle Formen einer gezielten Abwehr, die vor
allem gegen Pathogene, bakterielle Endotoxine oder andere Fremdantigene gerichtet
sind. Der Ablauf dieser Entzündungsreaktionen ist normalerweise sehr differenziert
reguliert und endet, sobald das auslösende Allergen abgewehrt, unschädlich gemacht
und wieder ausgeschieden ist. Eine stetig wachsende Anzahl von Menschen verharrt jedoch
in einer solchen Entzündungssituation. Der Grund ist plausibel: Die permanente Abwehrsituation
an der Grenzfläche ändert sich nicht. Durch Fehlernährung, Dysbiose und andere Einflüsse
(auch Stress, Medikamente) ist bei unserer Lebensweise die Integrität der Grenzfläche
permanent in Gefahr. Der normale Verlauf einer entzündlichen Abwehrreaktion scheint
somit unterbrochen und kann nicht zu seinem Ende finden. Im Weiteren kommt es schließlich
zum bekannten „shift“ der immunologischen Reaktion: Der adaptive Schenkel des Immunsystems,
Th2, „übernimmt“ und ab jetzt kommt es zu typischen allergischen Reaktionen vom Typ
I, der allergischen Sofortreaktion, deren Klinik von histamininduzierten Symptomen
geprägt ist. Die Fähigkeit zur Toleranz gegenüber Umweltantigenen geht immer weiter
verloren. In diesem Stadium könnte man von einer „Entzündungsstarre“, aus der der
Körper kaum mehr herausfindet, sprechen. Bedenkt man die geschilderten Zusammenhänge
und dabei insbesondere die zentrale Bedeutung der Schleimhautintegrität und Mikrobiota,
ist bei allergischen Reaktionen die Möglichkeit eines kausalen Therapieansatzes mit
den Prinzipien der Mikrobiologischen Therapie einleuchtend und sinnvoll.
Diagnostisches Vorgehen
In der konventionellen allergologischen Diagnostik stellt die Bestimmung des IgE im
Serum das Standardverfahren dar, um eine allergische Reaktion zu objektivieren und
einzugrenzen. Es sagt jedoch nichts über die Ursache dieser Entwicklung aus. Die Höhe
des IgE-Titers korreliert außerdem oft nicht mit der Schwere der klinischen Symptomatik.
Auch persistieren unter erfolgreicher Mikrobiologischer Therapie die hohen IgE-Titer
noch eine Zeit lang (ehe sie dann fallen), obwohl der Patient bereits beschwerdefrei
ist. Bei allergisch reagierenden Kindern liegt der IgE-Titer in den frühen Krankheitsphasen
in den meisten Fällen noch im Normbereich. Erst im weiteren Verlauf wird ein Anstieg
beobachtet. Diese Beobachtungen lassen u. a. die Vermutung zu, dass die Hypothese,
die Typ-1-allergische Reaktion werde durch die IgE-Antikörper ausgelöst, revidiert
werden muss. Möglicherweise kommt dem IgE im Zusammenhang mit der allergischen Reaktion
eine andere biologische Bedeutung zu. Der Titeranstieg des IgE ist nach Ansicht der
Autoren zunächst nur als Ausdruck einer entgleisten, überschießenden Immunreaktion
zu bewerten.
Zur Einschätzung der zugrunde liegenden immunologischen Situation und entsprechenden
Planung des therapeutischen Vorgehens ist es demgegenüber vernünftig, sich ein Bild
vom Zustand des Schleimhautorgans zu machen: Hier bieten sich validierte Untersuchungsparameter
an, die in den Faeces nachweisbar sind. Sie ermöglichen Aussagen zur Funktionalität
dieser großen inneren Grenzfläche zur Umwelt. Es lassen sich z. B. Hinweise finden
auf:
Permeabilitätsstörungen (engl. leaky-gut-syndrome): Alpha-1-Antitrypsin, Zonulin,
verminderte Menge an epithelialen Schutzfaktoren an der Schleimhautoberfläche und
damit auch
Hinweise auf eine Funktionsstörung der Epithelien, v. a. der Enterozyten (z. B. sIgA,
ß-Defensin 2),
Aktivitätssteigerung der Mastzellen (Histamin im Stuhl),
eosinophile und granulozytäre Entzündungsreaktionen (Calprotectin, Lysozym, Laktoferrin,
EPX [9 ] [10 ]).
Ein Nachweis dieser Parameter im Serum gelingt nicht oder korreliert nur bedingt mit
der Situation an der Schleimhaut, da die Epithelschicht und das unmittelbar angrenzende
subepitheliale Gewebe nicht hämatogen versorgt werden. Die Energieversorgung der Epithelzellen
wird durch kurzkettige Fettsäuren aus dem Stoffwechsel bestimmter Mikroorganismen,
der sogenannten mukonutritiven Mikrobiota (Faecalibacterium prausnitzii, Akkermansia
muciniphila) bereitgestellt. Durch Bestimmung der Buttersäure im Stuhl, der kurzkettigen
Fettsäure, die eine Hauptenergiequelle der Enterozyten darstellt, kann auch der „Ernährungszustand“
der Enterozyten abgeschätzt werden. Zeitgleich können aus ein- und derselben Stuhlprobe
auch die Zusammensetzung der Mikrobiota (früher Darmflora) bestimmt sowie Hinweise
auf das intestinale Milieu und die Verdauungsleistung des Organismus gewonnen werden.
Mit Blick auf den Zustand des Schleimhautorgans und möglicher Belastungen stellt neben
den oben genannten Parametern die serologische Untersuchung von IgG1–3-Antikörpern
gegenüber Lebensmitteln eine sinnvolle Maßnahme dar. Bei einer Integritätsstörung
des Schleimhautorgans, formal leaky-gut-syndrome, gelangt Darminhalt unkontrolliert
in die Submukosa und löst somit eine Entzündungsreaktion aus. Diese richtet sich in
erster Linie gegen die eingedrungenen Mikroorganismen, da von ihnen die größte Gefahr
für den Organismus ausgeht (Infektion). Die "begleitende“ Bildung von Antikörpern
auch gegenüber Lebensmitteln muss therapeutisch unbedingt beachtet werden: Bei jedem
Verzehr der betroffenen Lebensmittel kommt es zu einer entsprechenden Immunreaktion
mit Anfall von Immunkomplexen an der Schleimhaut, die phagozytiert werden müssen.
Diese können, insbesondere bei eingeschränkter mukosaler Barrierefunktion, auch in
den submukosalen Raum und via MIS ins Körperinnere gelangen. Um diese Entzündungsreaktion
zu vermeiden, müssen positiv getestete Lebensmittel für einige Zeit gemieden werden.
Je mehr potentiell schleimhautschädigende oder milieubelastende Einflüsse herausgefunden
werden, desto effektiver kann durch deren Reduktion oder gezielte Behandlung im Rahmen
des therapeutischen Konzeptes zur Entlastung der Schleimhaut und Wiederherstellung
der Schleimhautintegrität beigetragen werden. Dazu zählt im Einzelfall auch die genaue
anamnestische Erfragung der Ernährungsgewohnheiten und insbesondere „begleitender“
abdomineller Probleme zur Erfassung von Intoleranzen oder pseudoallergischen Reaktionen.
Therapie der allergischen Reaktion
Therapie der allergischen Reaktion
Im Mittelpunkt einer kausalen Behandlung der allergischen Reaktion steht die Mikrobiologische
Therapie.
Bisher sind folgende Wirkungen der Therapie mit Probiotika bekannt:
Verbesserung eines gestörten Milieus an der Schleimhaut (z. B. infolge einer Fehlernährung,
Maldigestion bei einer Unterversorgung an Verdauungsfermenten, mikrobielle Mangel-
oder Fehlbesiedlung infolge wiederholter antibiotischer oder anderer chemisch-pharmazeutischer
Therapien, Freisetzung von Endotoxinen mikrobiellen Ursprungs etc.)
Optimierung der Nährstoffversorgung von Enterozyten
Verbesserung von Kolonisationsresistenz und Milieustabilität durch
Adhäsionskonkurrenz zu Pathogenen am Schleimhautepithel
Synthese antimikrobieller Substanzen (z. B. Defensine, Bakteriozine)
Inaktivierung von Toxinen
Beeinflussung der mikrobiellen Balance bei einer Vielzahl von immunmodulatorischen
und stoffwechselbezogenen Einflüssen (Informationshomöostase)
Beeinflussung von enterozytären und neuronalen Signalen des ENS (z. B. Transmitterausschüttung
und Reagibilitätsverhalten, Darmmotilität, vagale Signalweiterleitung, Darm-Hirn-Achse
u.v.m)
Milieumodulation und -stabilisierung durch
Beeinflussung des „quorum sensing“ und „crosstalk“
Verbesserung der Biofilmeigenschaften (mukonutritive Mikrobiota)
antiinflammatorische Signale: Herunterregulation proinflammatorischer Signalmoleküle,
Modifikation der TLR-Regulation
Stabilisierung der enterozytären Barrierefunktion
Verbesserung der Immunfunktionen (z. B. Steigerung der sIgA- und ß-Defensinproduktion
u.v.m)
Der Aufbau des Therapiekonzeptes richtet sich nach der Klinik, Art und Ausprägung
einer bestehenden Dysbiose, entzündlichen Schleimhautreaktion oder Permeabilitätssteigerung.
Zunächst sollte eine Milieuentlastung und Beruhigung entzündlicher Schleimhautvorgänge
angestrebt werden. Dabei kommen Bakterienpräparate der Protektivmikrobiota (Laktobazillen,
Bifidobakterien) sowie Adsorber (Kohle, Zeolithe, Löß), Phytotherapeutika (Myrrhe,
Kamille, Weihrauch) und Homöopathika (Lymphomyosot®, Mucosa comp®) zum Einsatz. Oft
kann man auch bereits Zellwandbestandteile und bakterielle Stoffwechselprodukte der
Immunmikrobiota mit einsetzen. Daneben ist das Einhalten einer Karenzdiät positiv
getesteter Lebensmittel (IgG 1–3) unumgänglich. Bei allergisch reagierenden Patienten
ist es aus stoffwechselphysiologischen sowie immunologischen Gründen von großer Bedeutung,
Kuhmilch- und Getreideprodukte in der Ernährung drastisch zu reduzieren.
Im Weiteren wird die Mikrobiologische Therapie je nach Entwicklung des klinischen
Bildes modifiziert und intensiviert. Bereits mit den bisher eingesetzten Probiotika
kommt es neben dem verbesserten Schleimhautschutz zu einer Vielzahl immunologischer
Einflüsse im Milieu und Immunsystem. Die oben angegebenen Effekte der Mikrobiologischen
Therapie sind natürlich nicht einzeln anzugehen – die Reaktionen und Regulationen
greifen ineinander und geschehen parallel. Generell setzen alle therapeutisch verabreichten
Mikroorganismen und deren Bestandteile immunologische Signale ([
Abb. 4
]).
Abb. 4 Bakterium und Schleimhautassoziation. 1 Bakterium, 2 Crosstalk, 3 Mikrovilli (Enterozyt).
(© Angèla Ellwanger)
Nach Wiederherstellung der Schleimhautintegrität und Stabilisierung der Verhältnisse
im Grenzraum können durch den bewussten Einsatz der sogenannten Immunbakterien (apathogene
Enterococcus faecalis und E.-coli-Spezies) sehr gut gezielte immunmodulatorische Effekte
angestoßen werden. Mit Auto-Coli-Vaccinen aus den eigenen E.-Coli-Bakterien der Patienten
werden spezifisch individuelle immunregulierende Wirkungen erzielt. Der Einsatz der
Autovaccinetherapie kann nach erfolgreicher Stabilisierung der Schleimhaut und des
Milieus beginnen, wenn sich das MIS bereits "beruhigt“ hat.
Die Behandlungsdauer mit Mikrobiologischer Therapie richtet sich nach dem Beschwerdebild
und den initialen Schleimhautdysfunktionen. Es sollte mit einer Behandlungsdauer von
6–12 Monaten gerechnet werden, manchmal dauert die Behandlung auch länger.
Prävention
Es ist naheliegend, diese Therapieansätze auch präventiv zu nutzen, denn es geht nicht
nur um allergische Reaktionen. Inzwischen wissen wir, dass die Verhältnisse im Grenzraum
und im mikrobiellen Milieu, „chronic silent inflammation“, sowie bakterielle Stoffwechselprodukte
für eine Vielzahl von Krankheitsbildern mit verantwortlich sind. Eine Mikrobiologische
Therapie der Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit oder die Versorgung
von Neugeborenen (gerade von Kindern, die per Kaiserschnitt entbunden wurden) mit
Bakterien der Protektivmikrobiota ist eine vielversprechende Möglichkeit, eine normale
Immunogenese zu ermöglichen [2 ] [3 ] [8 ]. Eine begleitende Mikrobiologische Therapie z. B. bei notwendigen antibiotischen
Behandlungen wird inzwischen bereits häufiger beachtet und kann der Entwicklung einer
Dysbiose sowie dem entsprechenden Fehlen wichtiger mikrobieller Signale wirkungsvoll
entgegenwirken. Sinnvoll ist es, bereits bei ersten Anzeichen von Milieustörungen
an eine Mikrobiologische Therapie zu denken und damit einer möglichen Entwicklung
allergischer oder anderer chronisch-entzündlicher Krankheitsbilder frühzeitig therapeutisch
zu begegnen [9 ] [11 ].