Z Gastroenterol 2018; 56(01): 80-82
DOI: 10.1055/s-0043-124857
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Diagnostische Bedeutung der Dünndarm-Kapselendoskopie

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Publication Date:
09 January 2018 (online)

Der Fall eines 80-jährigen Patienten beleuchtet den Stellenwert der Kapselendoskopie des Dünndarms in der Diagnostik gastroenterologischer Erkrankungen sowie das besondere Erscheinungsbild eines Morbus Crohn mit isoliertem Dünndarmbefall.

Vorgestellt wird ein Patient, der primär wegen einer koronaren Herzerkrankung stationär in einer kardiologischen Abteilung war. Die Therapie erfolgte unter anderem mit ASS 100. Im Rahmen der standardmäßigen Laboruntersuchungen fiel eine normochrome normozytäre Anämie bei positivem Hämoccult-Test auf. Zur weiteren Diagnostik wurde der Patient auf die gastroenterologische Abteilung verlegt.

Eine ÖGD bis in das proximale Jejunum erbrachte bis auf eine Helicobacter-positive Gastritis keinen wesentlichen Befund, insbesondere keinen Hinweis auf eine potenzielle Blutungsquelle. Abdomensonografie und abdominelle CT-Angiografie blieben ohne wegweisenden Befund. Eine erste Ileokoloskopie erbrachte Teerstuhl im Colon ascendens, ansonsten einzelne Koagel, reichlich Divertikel, einzelne Polypen, allerdings ohne aktuelle Blutungsstigmata. Das terminale Ileum war frei von frischem Blut oder Koagel. Es wurde zuerst an eine Divertikelblutung gedacht.

Der weitere Verlauf gestaltete sich relativ dramatisch. Während einer Woche trotz Gabe von insgesamt sieben EK immer wieder Hb-Abfall und Absetzen von Teerstuhl. Eine Single-Ballon-Enteroskopie peranal (Eindringtiefe zwischen 100 und 150 cm ab Bauhin) erbrachte leichte flüssige Blutreste im Kolon, der eingesehene Dünndarm war komplett unauffällig. Nach einem erneuten intensiven Blutungsereignis zwei Tage später wurde nochmals eine Ileokoloskopie durchgeführt. Dabei ergaben sich trotz Abführmaßnahmen geringe Mengen frischen Blutes im terminalen Ileum und Blutreste im Coecum.

Im Rahmen einer gewachsenen Sektoren-übergreifenden Zusammenarbeit wurde uns der Patient zu einer unmittelbaren notfallmäßigen Kapselendoskopie des Dünndarms konsiliarisch vorgestellt. Bei primär ordentlichen Untersuchungsbedingungen fand sich kein Hinweis auf Angiodysplasien oder ein Meckel‘sches Divertikel. Nach knapp 7,5 Stunden nach Übertritt der Kapsel vom Magen in den Bulbus zeigten sich erste Crohn-verdächtige Schleimhautveränderungen ([Abb. 1a]), im weiteren Verlauf dann auch landkartenartige Ulzera ([Abb. 1b, c]).

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Abb. 1 Befunde aus dem Verlauf der Kapselendoskopie, Einzelheiten im Text.

Knapp acht Stunden nach Übertritt der Kapsel trat massiv dunkles Blut ([Abb. 1 d]) auf, bis zum Aufzeichnungsende nach gut zehn Stunden pendelte die Kapsel am gleichen Ort intensiv hin- und her. Offensichtlich bestand hier eine Stenose. Eine Feinbeurteilung der Schleimhaut war nicht möglich. Differenzialdiagnostisch kam allenfalls noch ein malignes Lymphom infrage, was aufgrund der weiter proximal gesehenen makroskopischen Veränderungen aber äußerst unwahrscheinlich war.

Zwischenzeitlich war auch noch das Calprotectin im Stuhl mit 245 mg/l gemessen worden. Unter den genannten Umständen entschlossen wir uns zu einer hochdosierten iv-Cortison-Stoßtherapie, flankiert von 3 g Mesalazin/die per os. Unmittelbar nach Beginn der Therapie wurden keinerlei Blutungen mehr beobachtet. Der Patient stabilisierte sich zusehends, die Therapie mit ASS konnte wieder aufgenommen werden, auch darunter keinerlei Blutung.

Eine Abdomen-Leeraufnahme sechs Tage nach Applikation der Kapsel zeigte diese in Projektion auf den Übergang Colon descendens/Sigma. Die Kapsel hatte also zwischenzeitlich die Stenose passiert. Elf Tage nach Durchführung der Kapselendoskopie des Dünndarms – bereits poststationär – erfolgte ein MRT-Sellink mit folgender Beurteilung: „Bei guter Kontrastierung zeigten alle Dünndarmschlingen eine regelrechte Lumenweite, unauffällige Wanddarstellung ohne Nachweis einer Diffusionsstörung oder vermehrten Kontrastmittelaufnahme oder einer Wandverdickung. Zeitgerechte Dünndarmpassage.“

Auf den Versuch einer histologischen Absicherung des M. Cohn wurde aus verschiedenen Gründen verzichtet. Eine Gewinnung von Proben wäre aufgrund der Lage der Veränderungen nur über eine Ballonenteroskopie zu bewerkstelligen gewesen, was wegen der anzunehmenden Dauer der Untersuchung für den nicht nur koronar vorgeschädigten, betagten Patienten eine erneute Stresssituation bedeutet hätte. Die durchaus dramatische Situation mit immer wieder erforderlichen Bluttransfusionen bei intestinalen Blutungen war nicht spurlos an dem Patienten vorübergegangen. Die „erdrückenden Indizien“ durch makroskopischen Befund, deutlich erhöhten Calprotectinwert im Stuhl sowie klinischem Verlauf mit promptem Ansprechen auf Gabe von Kortison ließen in ihrer Gesamtheit auch so keinen ernsthaften Zweifel an der Diagnose eines M. Crohn.

Der vorliegende Fall rückt einige Aspekte in den Fokus, die im Rahmen dieser kurzen Darstellung nur angerissen und keinesfalls ausreichend diskutiert werden können. Abgesehen von dem sehr hohen Alter bei der Erstmanifestation ist hervorzuheben, dass der Patient vorher keine der ansonsten als führende Symptome bei M. Crohn beschriebenen Beschwerden hatte. Ungewöhnlich ist sicherlich auch, dass der M. Crohn im vorliegenden Fall nur einen eng begrenzten Abschnitt im Jejunum betraf.

Das MRT-Sellink ist bezüglich der diagnostischen Treffsicherheit der Kapselendoskopie des Dünndarms unterlegen, was auch durch den vorliegenden Fall unterstrichen wird. Wenn elf Tage nach Diagnosestellung durch die Kapselendoskopie mit ausgeprägten entzündlichen Veränderungen und offensichtlich hochgradiger Stenose, sodass die Kapsel nicht passieren konnte, anlässlich eines MRT-Sellink die Schleimhaut im Dünndarm – wenn auch unter laufender Therapie – als völlig unauffällig beschrieben wurde, müsste es schon zu einer „Turbo-Heilung“ gekommen sein. Aus hiesiger Sicht sollte zumindest bei der Fragestellung M. Crohn des Dünndarms das MRT-Sellink als diagnostische Methode zugunsten der Kapselendoskopie des Dünndarms verlassen werden.

Inspiriert durch den vorliegenden Fall wurden die Daten von rund 240 Kapselendoskopien des Dünndarms während der letzten zweieinhalb Jahre reevaluiert. Dabei handelte es sich ausnahmslos um Patienten mit der Fragestellung obskure Blutung bei unauffälliger ÖGD und Koloskopie ohne Crohn-Symptomatik und ohne offensichtliche Blutung wie im oben geschilderten Fall. Wir fanden drei weitere männliche Patienten, alle über 60 Jahre alt, bei denen sich makroskopisch eindeutig ein M. Crohn im Dünndarm darstellen ließ. Bei zwei Patienten im Jejunum, bei einem Patienten im terminalem Ileum.

Bei letzterem waren wir vorher an der Intubation im Rahmen der Koloskopie gescheitert. In einer weiteren Sitzung gelang es uns dann doch mit einem schlankeren Gerät (Olympus PCF PH 190I) nach Mühen, das terminale Ileum zu intubieren und Proben zu gewinnen. Die Diagnose eines M. Crohn wurde dann auch histologisch gesichert. Auch wenn es sich hier nur um unkontrollierte Beobachtungen handelt, muss man sich möglicherweise von gängigen Vorstellungen zur Symptomatik eines M. Crohn verabschieden, wenn es um einen reinen Dünndarmbefall geht.

Problematisch ist die Frage nach dem Behandlungskonzept und der Verlaufskontrolle. Fast „reflexhaft“ würde man einen solchen Patienten mit reinem Dünndarmbefall wohl zuerst einmal mit Kortison behandeln. Dann aber ergibt sich die nächste Frage nach der Dauer der Therapie, wenn der Patient von vornherein keinerlei Crohn-Symptomatik hatte, an deren Verlauf man sich gegebenenfalls im Hinblick auf die medikamentöse Strategie orientieren könnte.

Mit standardmäßigen endoskopischen Maßnahmen wie Ileokoloskopie wäre ein isolierter Befall im Jejunum auch nicht zu kontrollieren. Eine schlichte Kontrolle des Calprotectin im Verlauf wäre vermutlich zu kurz gesprungen. Keiner der von uns beobachteten Patienten hatte erhöhte Entzündungswerte im Blut. Insofern entfällt auch ein solcher Parameter.

Verfolgt man die Strategie des „mucosal healing“ – von einigen Autoren in letzter Zeit wieder infrage gestellt -, wobei Patienten auch ohne klinische Symptomatik nur aufgrund endoskopisch-bioptischer Befunde mit teilweise sehr teuren Medikamenten behandelt werden, müsste man konsequenterweise zur Verlaufsbeurteilung gegebenenfalls wiederholt Kapselendoskopien des Dünndarms durchführen – von wiederholten Ballonenteroskopien zur Gewinnung von Gewebeproben wollen wir gar nicht erst reden. Eine solche Strategie wäre aus Kostengründen nicht unproblematisch, zumal die Kapselendoskopie bisher nicht einmal im Rahmen des Staging bei Erstdiagnose eines M. Crohn zumindest im GKV-Bereich zulässig ist. Eine Erweiterung der Indikation für die Durchführung von Kapselendoskopien des Dünndarms erscheint aus gastroenterologischer Sicht allerdings dringend erforderlich.