Zeitschrift für Phytotherapie 2018; 39(01): 40-41
DOI: 10.1055/s-0044-100866
Buchbesprechung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Weihrauch

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Publication Date:
06 April 2018 (online)

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Das druckfrische Buch mit 129 Seiten gibt einen Überblick über historische Anwendungen und neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse. Neben Ammon werden die Mitautoren J. Ertelt, R. Etzel, H. Gerhardt und E. Schrott genannt.

Weihrauch (Olibanum) war gerade erst im 20. Jh. aus den europäischen Arzneibüchern verschwunden, als Ende der 80er- und in den 90er-Jahren neue Erkenntnisse gewonnen wurden. Die Skepsis der „Schulmedizin“ konnten auch sie nicht überwinden.

Ein übersichtliches Kapitel leitet in die Weihrauch liefernden Boswellia-Spezies und die relevanten Inhaltstoffe ein. Danach wird die medizinische Anwendung in Vergangenheit und Gegenwart zusammengefasst. Eine schöne Tabelle auf S. 6f. stellt für jedes Organsystem die Claims nach Ayurveda, Altertum, Mittelalter, Neuzeit und Gegenwart dar. Die Autoren erkennen in dieser (allerdings nicht auf Primärquellen zurückverfolgbaren) Tabelle eine Übereinstimmung bezüglich entzündlicher Erkrankungen in den traditionellen Medizinsystemen und der Gegenwart, aber auch bei Gewebeneubildungen. Derzeit gibt es jedoch in Deutschland kein zugelassenes Fertigpräparat als Weihrauchzubereitung. Grund dafür sei, dass die nach dem gültigen Arzneimittelgesetz nötigen umfangreichen klinischen Studien – auch wegen der erheblichen Kosten – für eine Zulassung bisher nicht erbracht werden konnten.

Ammon beschreibt sehr nett, wie er 1979 als Delegierter für eine deutsch-indische Zusammenarbeit in Kontakt mit Weihrauch, „Salai guggal“, kam und wie Mitte der 80er-Jahre in seinem Labor der Wirkmechanismus der 5-Lipoxigenase-Hemmung der Boswelliasäuren entdeckt wurde. Das Problem der schlechten Bioverfügbarkeit der Boswelliasäuren wird übersprungen, stattdessen die Idee einer Wirksamkeit bei Colitis ulcerosa und die erste klinische Studie dazu in Indien gebracht (diese Idee kam tatsächlich unter meiner Beteiligung auf – da ich damals mit lokal an der Darmwand wirksamen Arzneistoffen arbeitete). Daneben wird vom Misslingen des Zulassungsversuchs der Fa. Ayurmedica mit ihrem Präparat H15 bei arthritischen Beschwerden berichtet. Allerdings sind meine Erinnerungen abweichend: Nicht etwa, weil man das Naturprodukt als „new chemical identity“ eingestuft hatte, sondern weil die vorgelegten klinischen Wirksamkeitsstudien erhebliche Mängel aufwiesen, kam es nach einer Beratung durch die Kommission E zur Ablehnung. Der Durchbruch bei entzündlichen Darmerkrankungen sei dann durch die erste Studie von Gerhardt erreicht worden (wobei unerwähnt bleibt, dass weitere Studien weniger positive Ergebnisse hatten).

Das 3. Kapitel vertieft die pharmakologischen Untersuchungen. Weihrauch wirkt auf zahlreiche Stellen im Entzündungsgeschehen. Die problematische Bioverfügbarkeit von Boswelliasäuren kann durch gleichzeitige Fettzufuhr laut einer späteren Studie erheblich gesteigert werden. Die Pharmakodynamik von Weihrauch und dessen Inhaltsstoffen umfasst auch Neuroprotektion, Alter, Lernfähigkeit, Depression, alle möglichen Erkrankungen des Bewegungsapparates, Kardioprotektion, Arteriosklerose, Angiogenese, Lungenfibrose, Asthma bronchiale, Magenulcus, Hepatitis, Fettleber, Psoriasis, Diabetes mellitus und sogar Tumoren.

Das kurze 4. Kapitel handelt die Nebenwirkungen ab. Störungen im Magen-Darm-Bereich bei 7 % der Fälle werden nur in einem Satz erwähnt. Aus dem Fehlen von Änderungen von Laborwerten wird auf eine bessere Verträglichkeit im Vergleich zu „Arzneistoffen mit ähnlicher Anwendung“ geschlossen.

Es schließt sich ein Kapitel „Erfahrungswissen“ an, wobei jeder der 3 ärztlichen Mitautoren einen Teil bringt. Dr. Etzel zeigt eine Tabelle, in der in einer 5-stufigen Bewertung der Besserung bei einzelnen Erkrankungen „annähernd prozentuale“ Verhältnisse gebracht werden. Diese geben in Schritten von 5 % oder 10 % die jeweilige Kategorie von keine bis sehr gute Besserung an. Während eine solche grobe Abstufung bei kleinen Patientenzahlen von 10 sinnvoll erscheint, taucht bei Patientenzahlen wie „> 500“ der Verdacht auf, dass diese Tabelle nicht etwa auf dokumentierten Erfahrungen oder einer Auswertung von Patientenunterlagen beruht, sondern in Wirklichkeit eine – doch einigermaßen subjektive – Abschätzung des Arztes darstellt. Nicht viel informativer ist die entsprechende Tabelle bei Dr. Gerhardt, bei dem der Therapieerfolg bei verschiedenen Erkrankungen lediglich mit 2–4 Pluszeichen differenziert wird, obwohl anderseits sehr genaue Patientenzahlen, z.B. 2015 für Morbus Crohn, genannt werden. In der Tabelle von Dr. Schrott sind vorwiegend Einzelfälle hinsichtlich des Therapieerfolgs mit Null oder 2–4 Pluszeichen dargestellt. Aufschlussreicher sind hier die entsprechenden Texte, die die ersten Erfahrungen auch bei seltenen „Anwendungsgebieten“ beschreiben.

Im Fazit des Abschlusskapitels heißt es: „Ein Versuch bei chronisch–entzündlichen Erkrankungen mit einem Weihrauchpräparat würde sich lohnen.“ Dazu wünscht sich Ammon ein standardisiertes und zugelassenes Präparat. Bezüglich der möglicherweise interessanten Antitumor-Wirkungen wird auf die Notwendigkeit höherer Gewebekonzentrationen von Boswelliasäuren verwiesen, woran mit Vehikeln wie Nanopartikel und Löslichkeitsvermittler gearbeitet werde. (Dass damit der Bereich der Phytotherapie verlassen werden würde, ist den Autoren keiner Ausführung wert.)

Fazit: Dieses Buch stellt den komplexen Wissensstand von Weihrauch übersichtlich dar und kann sowohl vom Fachmann wie vom interessierten „Laien“ (Patienten) gelesen und verstanden werden. Das Buch ist sehr gut zu lesen, da der Textfluss durch passende Farbabbildungen und Tabellen ergänzt und aufgelockert wird. Somit kann ich das Buch interessierten Kollegen und Patienten empfehlen.

Bezüglich der Geschichte der missglückten Zulassungen (Weihrauch wurde durchaus von der Kommission E beraten!) und der durchgeführten (aber nicht publizierten) klinischen Studien ist das Buch nicht ganz komplett und die angefügten Erfahrungen im letzten Kapitel leider mangelhaft (insbesondere die Tabellen zur „Besserung“) dargestellt. Zu möglichen Interessenkonflikten der Autoren wird nichts ausgesagt.

Prof. Dr. Dr. Bernhard Uehleke, Berlin