Hintergrund: Die aufsuchende zahnärztliche Betreuung von Kindern und Heranwachsenden in Kitas
und Schulen durch die Zahnärztlichen Dienste (ZÄD) der kommunalen Gesundheitsämter
dient zur Früherkennung von Zahn-, Mund-, Kieferkrankheiten und ermöglicht auch die
Identifizierung einer potenziellen „Dentalen Vernachlässigung“ (DV). Eine DV ist definiert
als die Nichtversorgung behandlungsbedürftiger Zähne trotz wiederholter Mitteilungen
und Hinweise an die Erziehungsberechtigten der betroffenen Kinder und Heranwachsenden.
Bisherige Erkenntnisse zeigen, dass eine DV ein erstes Anzeichen für eine Kindesvernachlässigung/Kindeswohlgefährdung
sein kann, die durch eine andauernde oder wiederholte aktive oder passive Unterlassung
fürsorglichen Handelns der Erziehungsberechtigten geprägt ist.
Umsetzung: Auf Bundesebene regelt das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) den Kinderschutz in
Deutschland. Gemäß § 4 Abs. 3 des unter Artikel 1 des BKiSchG genannten „Gesetzes
zur Kooperation und Information im Kinderschutz“ (KKG) ist eine Weitergabe aller personenbezogenen
Daten, die zur Gefahrenabwehr erforderlich sind, an die Jugendämter bzw. die Allgemeinen
Sozialen Dienste (ASD) möglich. Eine Hürde bei der Implementierung von zahnmedizinischen
Kinderschutzmodellen ist ein fehlender Schwellenwert mundgesundheitsbezogener Parameter,
ab welchem das Kind in ein Präventionsprogramm aufgenommen werden soll. Weder in der
Fachliteratur, noch in der Kinderschutzleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz
in der Medizin (DGKiM) wird ein konkreter Schwellenwert genannt. Dieser Umstand führt
dazu, dass bislang keine zuverlässigen Daten zur Prävalenz einer DV vorliegen und
keine strukturierten Verweisungsstrategien beschrieben werden. Weiter einschränkend
wirkt sich offensichtlich das fehlende Wissen bei Zahnärzt*innen darüber aus, wie
mit solchen Verdachtsfällen seitens der Zahnarztpraxen zu verfahren ist.
Diskussion: Kommunale Präventionsmodelle zeigen, dass zahnärztliche Kinderschutzmaßnahmen trotz
der beschriebenen Einschränkungen wirksam zur besseren zahnmedizinischen Versorgung
betroffener Kinder und Sensibilisierung der Eltern beitragen können. Hinderungsgründe
für eine zahnärztliche Nichtversorgung sind hierbei vielschichtig. Unwissenheit, Verständnisprobleme,
Fehleinschätzungen, persönliche Lebensumstände und Zahnbehandlungsängste konnten anhand
der bisherigen Erfahrungen u. a. identifiziert werden. Bisher zeigte sich, dass diese
Modelle wie alle anderen Maßnahmen im Kinderschutz sehr viele Ressourcen beanspruchen,
die sowohl in den ZÄD, als auch in den ASD nicht zur Verfügung stehen. Infolge der
relativ hohen Zahl zahnmedizinischer Schutzfälle sind neue Präventions- und Kooperationsstrukturen,
eine verstärkte Netzwerkarbeit mit den verschiedenen kommunalen Akteuren, mehr Ressourcen
bei den ZÄD und ASD sowie Fortbildungsmaßnahmen für Zahnärzt*innen und Mitarbeitende
in Zahnarztpraxen notwendig, um „echte“ Kinderschutzfälle auf einer breiteren Basis
zu identifizieren. Die zusätzliche Bildung von Versorgungsnetzwerken mit Zahnarztpraxen,
Universitätskliniken, Kinderärzten und Kinderschutzambulanzen ist zwingend erforderlich,
um die niedrigschwellige zahnärztliche Versorgung von Kindern und Heranwachsenden
mit DV zu erleichtern und sicherzustellen.