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DOI: 10.1055/s-0045-1802052
Kinderschutz im zahnärztlichen Gesundheitsdienst – I. Rechtsgrundlagen, fachliche Hintergründe und Auswirkungen
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Hintergrund: Die aufsuchende zahnärztliche Betreuung von Kindern und Heranwachsenden in Kitas und Schulen durch die Zahnärztlichen Dienste (ZÄD) der kommunalen Gesundheitsämter dient zur Früherkennung von Zahn-, Mund-, Kieferkrankheiten und ermöglicht auch die Identifizierung einer potenziellen „Dentalen Vernachlässigung“ (DV). Eine DV ist definiert als die Nichtversorgung behandlungsbedürftiger Zähne trotz wiederholter Mitteilungen und Hinweise an die Erziehungsberechtigten der betroffenen Kinder und Heranwachsenden. Bisherige Erkenntnisse zeigen, dass eine DV ein erstes Anzeichen für eine Kindesvernachlässigung/Kindeswohlgefährdung sein kann, die durch eine andauernde oder wiederholte aktive oder passive Unterlassung fürsorglichen Handelns der Erziehungsberechtigten geprägt ist.
Umsetzung: Auf Bundesebene regelt das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) den Kinderschutz in Deutschland. Gemäß § 4 Abs. 3 des unter Artikel 1 des BKiSchG genannten „Gesetzes zur Kooperation und Information im Kinderschutz“ (KKG) ist eine Weitergabe aller personenbezogenen Daten, die zur Gefahrenabwehr erforderlich sind, an die Jugendämter bzw. die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) möglich. Eine Hürde bei der Implementierung von zahnmedizinischen Kinderschutzmodellen ist ein fehlender Schwellenwert mundgesundheitsbezogener Parameter, ab welchem das Kind in ein Präventionsprogramm aufgenommen werden soll. Weder in der Fachliteratur, noch in der Kinderschutzleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKiM) wird ein konkreter Schwellenwert genannt. Dieser Umstand führt dazu, dass bislang keine zuverlässigen Daten zur Prävalenz einer DV vorliegen und keine strukturierten Verweisungsstrategien beschrieben werden. Weiter einschränkend wirkt sich offensichtlich das fehlende Wissen bei Zahnärzt*innen darüber aus, wie mit solchen Verdachtsfällen seitens der Zahnarztpraxen zu verfahren ist.
Diskussion: Kommunale Präventionsmodelle zeigen, dass zahnärztliche Kinderschutzmaßnahmen trotz der beschriebenen Einschränkungen wirksam zur besseren zahnmedizinischen Versorgung betroffener Kinder und Sensibilisierung der Eltern beitragen können. Hinderungsgründe für eine zahnärztliche Nichtversorgung sind hierbei vielschichtig. Unwissenheit, Verständnisprobleme, Fehleinschätzungen, persönliche Lebensumstände und Zahnbehandlungsängste konnten anhand der bisherigen Erfahrungen u. a. identifiziert werden. Bisher zeigte sich, dass diese Modelle wie alle anderen Maßnahmen im Kinderschutz sehr viele Ressourcen beanspruchen, die sowohl in den ZÄD, als auch in den ASD nicht zur Verfügung stehen. Infolge der relativ hohen Zahl zahnmedizinischer Schutzfälle sind neue Präventions- und Kooperationsstrukturen, eine verstärkte Netzwerkarbeit mit den verschiedenen kommunalen Akteuren, mehr Ressourcen bei den ZÄD und ASD sowie Fortbildungsmaßnahmen für Zahnärzt*innen und Mitarbeitende in Zahnarztpraxen notwendig, um „echte“ Kinderschutzfälle auf einer breiteren Basis zu identifizieren. Die zusätzliche Bildung von Versorgungsnetzwerken mit Zahnarztpraxen, Universitätskliniken, Kinderärzten und Kinderschutzambulanzen ist zwingend erforderlich, um die niedrigschwellige zahnärztliche Versorgung von Kindern und Heranwachsenden mit DV zu erleichtern und sicherzustellen.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
11. März 2025
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