Einführung: Um nach Schließung zweier von drei Krankenhausstandorten die medizinische Grundversorgung
zu sichern setzte der Landkreis Sigmaringen zwischen 2022 und 2024 zwei Förderprojekte
zum Aufbau von Primärversorgungsnetzwerken um. Die Projekte wurden mit Fördergeldern
des Landes Baden-Württemberg finanziert und wissenschaftlich begleitet.
Der hausärztliche Versorgungsgrad lag im Jahr 2022 in den betroffenen Planungsbereichen
nur noch bei 84,2 bzw. 81,9.
Methoden: Basierend auf einer umfassenden Bestands- und Bedarfsanalyse wurden sechs strategische
Gesundheitsziele ausgearbeitet: 1. Medizinische Primärversorgung für alle, 2. Starke
Gesundheitskompetenzen der Bevölkerung, 3. Nachhaltige Kooperation und Delegation,
4. Ökonomische Zukunftsfähigkeit, 5. Gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen,
6. Effiziente Patientensteuerung und Patientensicherheit. Dazu passend wurden fünfzehn
kurzfristig zu erreichende Ziele und Maßnahmenpakete erarbeitet und mit agilem Projektmanagement
umgesetzt.
Ergebnisse: Nach der Etablierung eines lenkenden „Arbeitskreis Primärversorgung“ konnten zwei
aktive Primärversorgungsnetzwerke aufgebaut werden, in denen Vertreter und Vertreterinnen
von Ärzteschaft, Apothekerschaft, Pflegekräften, aus dem Therapeutenbereich und der
Kommunen (Bürgermeisterin/Bürgermeister) mitwirken.
Maßnahmen zur Gewinnung von Ärzten und Fachpersonal wurden initiiert, in kurzer Zeit
gelang die Gründung einer „Verbundweiterbildung Allgemeinmedizin Landkreis Sigmaringen“.
Die Schaffung eines ortsnahen Fortbildungsangebotes zur Nichtärztlichen Praxisassistentin
(NäPa) erleichtert die Delegation von Aufgaben an kompetentes Fachpersonal.
Digitale Anwendungen wie optimierter Anrufbeantworter, digitaler Terminservice und
Televisite wurden bei einem Innovationstag im Landratsamt vorgestellt und Anwender
bei der Implementierung unterstützt.
Zur Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit zu Gesundheitsthemen wurde auf der Homepage
des Landratsamtes ein „Patientenservice“ mit Links zu evidenzbasierten Informations-
und Patientenleitsystemen eingerichtet. Die Erweiterung der Schulungsangebote für
Diabetiker konnte die Lücke im Patientenpfad Diabetes schließen.
Ein erarbeitetes Indikatorenset zum Monitoring der Versorgungsqualität umfasst 40
Merkmale vorwiegend aus amtlichen Statistiken. Die Nutzung von Abrechnungsdaten der
AOK oder der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) erwies sich als
zu aufwändig.
Die Einrichtung von Primärversorgungszentren an den Krankenhausstandorten konnte nicht
gelingen, weil gesetzliche Grundlagen zu Kooperation, Finanzierung, Datenschutz und
Haftung noch nicht ausreichten. Anstatt dessen etablierten sich an den geschlossenen
Krankenhäusern unverbundene medizinische Versorgungszentren (MVZ). Durch die Aktivitäten
der Gesundheitsförderin Landkreis Sigmaringen und der Netzwerkmitglieder konnten mehrere
Hausärzte und Fachärzte für eine Niederlassung gewonnen werden. Der Versorgungsgrad
stieg in einem der beiden Planungsbereiche von 81,9 auf 91,4, d.h. um zwei besetzte
Hausarztstellen an, im anderen gab es einen Rückgang von 84,2 auf 81,2, entsprechend
einer ¼ Hausarztstelle. Im Landkreis Sigmaringen erhöhte sich die Zahl der besetzten
Hausarztstellen um 3,25 auf insgesamt 73,75.
Diskussion und Bewertung: Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) kann die Kooperation der Gesundheitsakteure
im Primärversorgungsnetzwerk stärken, bei der Akquise von Ärzten effektiv unterstützen,
dies auch ohne direkten Einsatz finanzieller Mittel, des Weiteren die Gesundheitskompetenz
der Bevölkerung voranbringen und unter Verwendung amtlicher Statistiken die Qualität
der Primärversorgung auf Landkreisebene monitoren. Hilfreich ist die Schaffung einer
Stelle für einen Gesundheitsförderer/-förderin, der/die eine vermittelnde Funktion
zwischen Kassenärztlicher Vereinigung, niedergelassener Ärzteschaft und Kommunen übernimmt.
Hemmnisse sind die Rahmenbedingungen in den Haus- und Facharztpraxen mit hoher Arbeitsbelastung
und eingeschränkten Delegationsmöglichkeiten, fehlende Anreize für die Netzwerkarbeit
und der Stand der Digitalisierung mit vielen Insellösungen und Schnittstellenproblemen.
Zusammenfassend ist die Mitgestaltung der Primärversorgung durch den ÖGD möglich und
sinnvoll.