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DOI: 10.1055/s-0045-1802167
Stärkung der Primärversorgung in einer ländlichen Region – Was kann der öffentliche Gesundheitsdienst beitragen?
Autoren
Einführung: Um nach Schließung zweier von drei Krankenhausstandorten die medizinische Grundversorgung zu sichern setzte der Landkreis Sigmaringen zwischen 2022 und 2024 zwei Förderprojekte zum Aufbau von Primärversorgungsnetzwerken um. Die Projekte wurden mit Fördergeldern des Landes Baden-Württemberg finanziert und wissenschaftlich begleitet.
Der hausärztliche Versorgungsgrad lag im Jahr 2022 in den betroffenen Planungsbereichen nur noch bei 84,2 bzw. 81,9.
Methoden: Basierend auf einer umfassenden Bestands- und Bedarfsanalyse wurden sechs strategische Gesundheitsziele ausgearbeitet: 1. Medizinische Primärversorgung für alle, 2. Starke Gesundheitskompetenzen der Bevölkerung, 3. Nachhaltige Kooperation und Delegation, 4. Ökonomische Zukunftsfähigkeit, 5. Gute Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, 6. Effiziente Patientensteuerung und Patientensicherheit. Dazu passend wurden fünfzehn kurzfristig zu erreichende Ziele und Maßnahmenpakete erarbeitet und mit agilem Projektmanagement umgesetzt.
Ergebnisse: Nach der Etablierung eines lenkenden „Arbeitskreis Primärversorgung“ konnten zwei aktive Primärversorgungsnetzwerke aufgebaut werden, in denen Vertreter und Vertreterinnen von Ärzteschaft, Apothekerschaft, Pflegekräften, aus dem Therapeutenbereich und der Kommunen (Bürgermeisterin/Bürgermeister) mitwirken.
Maßnahmen zur Gewinnung von Ärzten und Fachpersonal wurden initiiert, in kurzer Zeit gelang die Gründung einer „Verbundweiterbildung Allgemeinmedizin Landkreis Sigmaringen“.
Die Schaffung eines ortsnahen Fortbildungsangebotes zur Nichtärztlichen Praxisassistentin (NäPa) erleichtert die Delegation von Aufgaben an kompetentes Fachpersonal.
Digitale Anwendungen wie optimierter Anrufbeantworter, digitaler Terminservice und Televisite wurden bei einem Innovationstag im Landratsamt vorgestellt und Anwender bei der Implementierung unterstützt.
Zur Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit zu Gesundheitsthemen wurde auf der Homepage des Landratsamtes ein „Patientenservice“ mit Links zu evidenzbasierten Informations- und Patientenleitsystemen eingerichtet. Die Erweiterung der Schulungsangebote für Diabetiker konnte die Lücke im Patientenpfad Diabetes schließen.
Ein erarbeitetes Indikatorenset zum Monitoring der Versorgungsqualität umfasst 40 Merkmale vorwiegend aus amtlichen Statistiken. Die Nutzung von Abrechnungsdaten der AOK oder der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) erwies sich als zu aufwändig.
Die Einrichtung von Primärversorgungszentren an den Krankenhausstandorten konnte nicht gelingen, weil gesetzliche Grundlagen zu Kooperation, Finanzierung, Datenschutz und Haftung noch nicht ausreichten. Anstatt dessen etablierten sich an den geschlossenen Krankenhäusern unverbundene medizinische Versorgungszentren (MVZ). Durch die Aktivitäten der Gesundheitsförderin Landkreis Sigmaringen und der Netzwerkmitglieder konnten mehrere Hausärzte und Fachärzte für eine Niederlassung gewonnen werden. Der Versorgungsgrad stieg in einem der beiden Planungsbereiche von 81,9 auf 91,4, d.h. um zwei besetzte Hausarztstellen an, im anderen gab es einen Rückgang von 84,2 auf 81,2, entsprechend einer ¼ Hausarztstelle. Im Landkreis Sigmaringen erhöhte sich die Zahl der besetzten Hausarztstellen um 3,25 auf insgesamt 73,75.
Diskussion und Bewertung: Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) kann die Kooperation der Gesundheitsakteure im Primärversorgungsnetzwerk stärken, bei der Akquise von Ärzten effektiv unterstützen, dies auch ohne direkten Einsatz finanzieller Mittel, des Weiteren die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung voranbringen und unter Verwendung amtlicher Statistiken die Qualität der Primärversorgung auf Landkreisebene monitoren. Hilfreich ist die Schaffung einer Stelle für einen Gesundheitsförderer/-förderin, der/die eine vermittelnde Funktion zwischen Kassenärztlicher Vereinigung, niedergelassener Ärzteschaft und Kommunen übernimmt. Hemmnisse sind die Rahmenbedingungen in den Haus- und Facharztpraxen mit hoher Arbeitsbelastung und eingeschränkten Delegationsmöglichkeiten, fehlende Anreize für die Netzwerkarbeit und der Stand der Digitalisierung mit vielen Insellösungen und Schnittstellenproblemen.
Zusammenfassend ist die Mitgestaltung der Primärversorgung durch den ÖGD möglich und sinnvoll.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
11. März 2025
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