Gegenwärtig gewinnen in Deutschland zwei gesellschaftliche Strömungen zunehmend an
Bedeutung. Einerseits sind in Deutschland, wie auch in anderen europäischen Ländern
menschenentwertende, autoritär-populistische Strömungen zu beobachten. Im Zentrum
dieser Bewegungen stehen gruppenbezogene Anfeindungen, die sich beispielsweise gegen
Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, sexueller Identität und Orientierung
oder geographischer Herkunft richtet. Diese Entwicklung spiegelt sich in jüngsten
Berichten und politischen Diskussionen über selektive Abschiebungs- und Deportationspläne
wider, die unter dem Begriff „Remigration“ bekannt wurden. Gleichzeitig treten vermehrt
politische Einflussnahmen auf fachliche Entscheidungen von WissenschaftlerInnen und
ÄrztInnen zutage. Es ist von entscheidender Bedeutung, aus der Historie zu lernen
und sich auf zukünftige Auswirkungen dieser Entwicklungen vorzubereiten.
Derzeit sind die in den 383 Gesundheitsämtern tätigen Ärztinnen und Ärzte dienstrechtlich
in der kommunalen Verwaltung verankert. Damit sind Ärztinnen und Ärzte dienstrechtlich
unmittelbar abhängig von den Entscheidungen ihrer politischen Vorgesetzten. Dies ist
der Fall, obwohl Gesundheitsämter auch als kommunale Behörden normativ nach dem Infektionsschutzgesetz
als medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Universitätskliniken definiert
sind. In der Konsequenz haben Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern nur eingeschränkte
Möglichkeiten zur Entwicklung fachärztlicher Qualität, Transparenz in Aus- und Weiterbildung
im Vergleich zur Ärzteschaft in Krankenhäusern, Krankenkassen und medizinische Einrichtungen
in Körperschaften.Um diese organisatorischen Nachteile zu beheben, empfehlen wir,
die Gesundheitsämter aus der kommunalen Verwaltungsstruktur herauszulösen und organisatorisch
stärker an den ambulanten und stationären Sektor auszurichten. Naheliegend ist, Gesundheitsämter
in Körperschaften des öffentlichen Rechts zu überführen. Damit bleiben Gesundheitsämter
weiterhin der Staatsverwaltung verpflichtet, allerdings in einem anderem Distanzverhältnis.
Hier hat das deutsche Gesundheitssystem tatsächlich auch lange Erfahrungen. So sind
Krankenkassen, Krankenhäuser, Universitätskliniken (UK), der Medizinische Dienst (MD)
der Länder, Akademie für öffentliches Gesundheitswesen (AöGW) oder die Landesärztekammern
allesamt in Körperschaften organisiert. Interessant ist hierbei der Weg der Universitätskliniken:
Vormals Teil der unmittelbaren öffentlichen Staatsverwaltung sind Universitätskliniken,
begleitet durch die Empfehlungen durch den Wissenschaftsrat, vor 20 Jahren aus der
öffentlichen Verwaltung erfolgreich in Körperschaften des öffentlichen Rechts gewechselt
(Montgomery et al., 2013). Der MD folgte diesem Beispiel 2021 und wurde eine Körperschaft
d.ö.R. Die Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung muss in Deutschland unabhängig
von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Identität, Alter, dem Vorliegen
chronischer Erkrankungen und Behinderungen, Religion, Hautfarbe oder Versicherungs-
und Rechtsstatus jederzeit geschützt werden (Genfer Deklaration). An diesem ethischen
Maßstab müssen sich die Ärztinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern in Deutschland
angesichts ihrer historischen Verantwortung messen lassen. Eine ethische Krisenvorsorge
der Gesundheitsämter ist angesichts der unheilvollen Vergangenheit, der ausgebliebenen
Strukturreformen und der jüngsten politischen Entwicklungen dringend erforderlich.